Die heiße Diskussion um die Weiterentwicklung der Klettersteige, vor allem der Sportklettersteige, dauert an. Wird hier inzwischen eine Grenze überschritten oder sind extreme Sportklettersteige die logische Folge des Zeitgeists? Von Eugen E. Hüsler (Text) und Manfred Kostner (Fotos)
Eine Mauer über mir, in den Himmel ragend, nur wenig strukturiert, nicht einmal ein Absatz, auf dem du einen halben Schokoriegel deponieren könntest, alles wirkt unglaublich kompakt. Rund 120 Meter hoch ist diese Westwand des Clap Varmost – und senkrecht. Senkrecht heißt in diesem Fall absolut senkrecht, nicht fast oder beinahe. Wie man einen Klettersteig in so einer Wand anlegt, ist von bloßem Auge leicht zu erkennen: Bügel über Bügel, alles ganz neu glänzend, parallel zur Route ein dickes Seil, aber nicht straff gezogen, sondern durchhängend. Ganz à la française – und das im Friaul? Um diesen Eindruck noch zu unterstreichen, startet die Ferrata mit einer luftig aufgehängten Leiter und einer Hängebrücke, pardon: passerelle. Hätt’ ich fast vergessen, wir sind ja in Frankreich…
Vor meinem geistigen Auge verwandelt sich der Clap Varmost in ein 40-stöckiges Hochhaus mit einer Feuerleiter dran. Blödsinn! Es ist Herbst, die Lärchen haben im Friaul wie anderswo in den Alpen ihr schönstes Kleid angezogen, der Himmel prunkt mit einem unglaublichen Blau, am südlichen Horizont stehen die Zacken und Türme der Dolomiti d’oltre Piave – was für eine Kulisse! Wir seilen uns ein, setzen den Helm auf, hängen die Digi-Kamera um und los geht’s! Auf den »ersten Sportklettersteig im Friaul«.
Ein Definitionsproblem
Nur, was ist das eigentlich, ein Sportklettersteig? Vor zig Jahren, da kam ich mir auf den Vie ferrate der Dolomiten ziemlich sportlich vor, aber eine Via sportiva gab’s da noch nicht. Manche Begriffe tauchen irgendwann auf, nisten sich ein – und gehören dann zu unserem Sprachschatz.
Das Internet! Ich tippe den Begriff ein, Google darf ran. Zuerst lande ich im Tessin, wo mir Bergführer erklären, dass Klettersteige »Einrichtungen sind, die es auch dem weniger geübten Bergwanderer ermöglichen, im steilen und schwierigen Felsen einen Kletterausflug durchzuführen.« War wohl nichts. Dann definiert Stefan Herbke auf einer Webseite der SZ den Klettersteig am Berchtesgadener Hochthron als Sportklettersteig, und dabei gibt’s kaum eine klassischer angelegte neue Route…Da hat der »bergsteirer« vielleicht doch recht, wenn er schreibt: »Mit der neuen Kategorie der Sportklettersteige ist es echt ein Jammer«. Ich verlasse nach ein paar weiteren ergebnislosen Versuchen die virtuelle Müllhalde mit all den ach so tiefsinnigen Gedanken zu dem scheinbar schwer fassbaren Begriff und versuche es mit simpler Logik. Und da hilft schon mal ein Blick zurück, zu den Anfängen: »Back to the roots«.
Ein bisschen verhält es sich mit dem Klettersteiggehen wie mit dem Straßenverkehr. Es fing klein an, wuchs dann aber immer ungezügelter. Ähnlich wie beim Auto, wo so mancher vor hundert Jahren angesichts ratternder Vierräder den Untergang der abendländischen Zivilisation prophezeite, fürchteten Alpinpuristen vor dreißig Jahren, das »Klettern« am Drahtseil werde jede Ethik des Bergsteigens untergraben, das Ende der »reinen Lehre« bedeuten.
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