Hubert von Goisern im Interview
»Eine flache Landschaft macht mich depressiv«
© Konrad Fersterer/Blanko Musik
Neue Volksmusik, alpine Weltmusik? Der Goiserer lässt sich nicht so leicht in Schubladen stecken.
Neue Volksmusik, alpine Weltmusik? Der Goiserer lässt sich nicht so leicht in Schubladen stecken.
BERGSTEIGER: Auf welchem Berg waren Sie zuletzt?
Hubert von Goisern: Mein letzter Berg hatte keinen Namen: Er steht in Grönland und ich habe ihn mit Ski bestiegen – zusammen mit Alexander Huber.
Mit dem Huberbua? Wie kam es dazu?
Ein Filmprojekt von »Servus TV Bergwelten « hat uns zusammengebracht: Ich wollte mein schon länger laufendes Projekt mit den Inuit weiterführen und dabei auch das erste Konzert meiner Tournee spielen, er wollte in die arktischen Berge. Wir kannten einander aber schon länger, von daher hat mir die Idee, mit ihm zusammen in Grönland unterwegs zu sein, gut gefallen.
Was bedeuten Ihnen die Berge?
Die Berge bedeuten für mich Herausforderung. Sie bedeuten Schutz. Sie geben der Landschaft eine Form. Eine vollkommen flache Landschaft macht mich depressiv. Ich brauche Berge über kurz oder lang. Ohne Berge lasse ich alles hängen.
Ist es das Wandern und Bergsteigen, wozu Sie die Berge brauchen, oder reichen sie Ihnen auch als Kulisse?
Ich möchte mich schon in ihnen bewegen. Ich steige beispielsweise hinauf, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich will einfach hochgehen und schauen: Aha, das sieht so aus, da könnte ich mal hingehen … Wenn es flach ist in alle Richtungen, das ist das Bedrohlichste für mich. In den Bergen herrscht – zumindest dem Idealbild nach – Stille.
Sie hätten fast den Elias in Vilsmaiers »Schlafes Bruder«- Verfilmung gespielt. Kennen Sie diesen Zustand von Elias: In der Stille alles hören?
Ja. Aber ich bin mir dessen schon bewusst, dass ich mich höre und hab da keine Fantasie wie der Elias, dass das irgendwas Göttliches wäre. Es ist nicht so, dass ich nicht an Gott glaube! Wenn ich in den Wald gehe, kann es schon sein, dass ich einen Baum sprechen höre. Aber ich weiß, dass das in mir ist. Ich kann akzeptieren, dass ich denke: Das sagt jetzt der Baum. Vielleicht ist es einfach so, dass der Baum in mir durch mich zu mir spricht oder so etwas. Das mögen auch alles Einbildungen sein. Ich denke da nicht so viel drüber nach.
Mit Alexander Huber war Goisern in Grönland unterwegs
Aber Sie hören etwas, auch wenn es rein objektiv um Sie herum still ist?
Ich höre dauernd Musik in mir. Ich brauch kein Radio. Wenn ich nicht spreche, dann (macht ein Zeichen mit den Händen um seinen Kopf) läuft es hier drin ab. Manchmal ein blöder Ohrwurm von jemand anderem. Manchmal ein blöder Ohrwurm von mir selbst. Manchmal etwas, was ich noch gar nicht kenne. Dann denke ich: Ha, da könntest du ein Ding draus machen.
Ist das Ihre einzige Quelle der Inspiration?
Ja natürlich, ich hab nur einen Kopf.
Und die anderen Kulturen, in denen Sie unterwegs waren und sind? Suchen Sie dort nicht nach Inspiration?
Nein, überhaupt nicht. Ich höre einfach zu, alles läuft in mich rein. Im kreativen Prozess gibt es ein Ventil, das ich aufmache, und dann kommt alles Mögliche wieder raus. Ich weiß oft gar nicht, wo das her ist, wo ich das eingesammelt hab. Ich komponiere auch nicht in der Natur.
Warum nicht?
Ich finde, die Natur genügt sich selbst. Wenn ich in der Natur bin, hab ich nicht das Gefühl, dass ich da jetzt selber was dazu beitragen mag. Ich mag die Vögel, ich mag den Wind hören, das Rauschen des Wassers, das Summen der Insekten … das finde ich alles eine perfekte Symphonie. Warum soll ich da noch irgendeinen Ton hinzusetzen? Ich hatte noch nie das Bedürfnis, dass ich mich irgendwo oben auf den Berg hinstelle und singe.
Wie schaffen Sie es, dass man Sie trotz Salzburger Dialekt auch in Norddeutschland, in Osteuropa oder gar Afrika versteht und Sie dort mit Ihrer Musik ankommen?
Das ist die Musik. Sie ist eine universelle Sprache. Die Stimme ist ein unheimlich wahrhaftiges Instrument. Wenn ich etwas singe, dann bin ich da ganz in dieser Geschichte, ich möchte sie erzählen, so wie ich jetzt beim Reden etwas erzähle. Zusammen mit der Musik, mit den Harmonien, mit der Dynamik, mit der Kraft, die da drin steckt und auch mit der Zärtlichkeit, kann ich auch Menschen auf die Reise mitnehmen, die meine Sprache nicht verstehen.
Aber den Inhalt, die fremde Sprache verstehen die Menschen doch nicht, oder?
Vor vielen Jahren habe ich Jane Goodall einmal nach Ischl eingeladen für einen Vortrag. Sie hat eineinhalb Stunden gesprochen und vielleicht zehn Dias gezeigt, die eher symbolhaft waren. Nach dem Applaus kam ein Freund auf mich zu und hat gesagt: »Weißt Du, ich versteh kein Wort Englisch, aber ich hab das Gefühl, ich hab alles verstanden, was sie gesagt hat.« Das kann man, wenn man die Worte nicht nur als Hülsen rauslässt, sondern wenn die mit Leben daherkommen. Dann funktioniert das.
Andersherum gefragt: Können Sie die Worte einer fremden Sprache mit Leben füllen?
Es gibt natürlich Leute, die schaffen es – und das sind gar nicht so wenige – in einer fremden Sprache zu singen. Für mich ist Hochdeutsch schon eine Fremdsprache, ich tu mir da sehr schwer, ich hab es manchmal versucht … (lacht) Es kommt immer komisch rüber. Jetzt beim Reden kann ich es inzwischen schon, aber wenn ich singe, dann bekommt das was unangenehm Pathetisches.
Trotzdem singen Sie auch auf Englisch.
Auf der neuen Platte gibt es ein Lied, von dem zwei Strophen in Englisch sind. Ich hab es ganz in Englisch geschrieben, ursprünglich. Eigentlich wollte ich mehr englische Texte schreiben. Dann fand ich meinen Gesang furchtbar! Und kaum sing ich in Deutsch: Erleichterung! Jetzt ist nur mehr die dritte Strophe dieses Liedes auf Deutsch, es ist wie die Auflösung. Deshalb hab ich die anderen englischen Texte gar nicht mehr weiterverfolgt. Weil ich im Gegensatz dazu spüre, wie wahrhaftig ich werde, wenn ich in meiner Sprache singe.
Woher kam dann die Absicht, ein Lied in Englisch zu verfassen?
Weil ich mich in der ganzen Vorbereitungszeit in Amerika aufgehalten und mit Musikerin zusammengearbeitet habe, die nur englisch reden. Es gab und gibt auch die Vision, mit dieser Musik, dieser alpinisierten amerikanischen Musik eines Tages hinüber zu gehen und in Amerika eine kleine Tour zu spielen. Und da hab ich mir gedacht, es wäre einfach schön, wenn es ein paar Lieder gibt, die ich in der Sprache singe, die die Leute dort verstehen.
Die Einheimischen also in ihrer Tradition wahrnehmen und abholen … Was macht die Faszination von Tradition aus?
Traditionen sind wichtig für die Identität – nicht nur für die persönliche, sondern auch die der Gesellschaft, in der man lebt. Man möchte sich ja eingebettet fühlen, man möchte wo dazu gehören, nicht jeder will gern sein eigenes Süppchen köcheln. Dafür gibt es momentan in der Gesellschaft aber ganz schön viele, die ihr eigenes Süppchen köcheln. Das Ego wird in den letzten zehn, 20 Jahren wahnsinnig gefördert. Es gibt immer mehr Single-Haushalte, immer weniger Leute, die wirklich zusammen wohnen. Ich finde, das ist eine Fehlentwicklung, denn die Gemeinschaft macht uns stark und sicher. Das Leben ist einfach viel leichter, wenn man aus dieser Sicherheit heraus agieren kann, als wenn du als Einzelgänger, als Eremit irgendwo bist.
Diejenigen, die in abgeschotteten Alpentälern oder auf einsamen Gipfeln glücklich sind, suchen wohl eher das Eremitentum.
Das mögen Bedürfnisse sein, die wir auch spüren und auch manchmal brauchen für einen Abschnitt unseres Lebens. Aber das Zusammensein ist viel spannender, man kann vom anderen lernen; es braucht nicht jeder jeden Fehler machen, man kann sich inspirieren lassen. Für dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, dieses Wir-Gefühl sind die Traditionen ganz wichtig. Aber sie haben halt auch etwas Ausschließendes, Abgrenzendes.
Haben es die Menschen in den Alpen einfacher mit dem Wir-Gefühl, weil die Berge natürliche Grenzen setzen?
Wir haben in den Alpen das Phänomen, dass in fast jedem Tal eine andere Kultur herrscht. Natürlich sind diese Kulturen verwandt, und ein paar Menschen sind schon immer gereist. Aber es war ein karges Leben, so viel zu teilen gab es da nicht. Deshalb mussten sie sich schon abgrenzen: bis hierher und nicht weiter, das ist meine Rübe! Aber man kann alles übertreiben. In meiner Jugendzeit, in den 1960er-Jahren, da gab es eine Nachbarin, man nannte sie die Zugereiste. Sie war damals 90 Jahre alt, hatte 70 Jahre vorher von Gosau – das ist 15 Kilometer entfernt – nach Goisern geheiratet.
Ging es Ihnen ähnlich, waren Sie in Goisern auch ein Zugereister?
Meine Großeltern mütterlicherseits stammen aus dem Sudetenland und sind als Flüchtlinge 1945 nach Goisern gekommen. Ich bin von kleinauf dort aufgewachsen. Aber ja, ich war ein Außenseiter.
Was ist für Sie Heimat?
Da wo die Familie ist, wo die engsten Freunde sind. Und die Natur. Die Natur ist auch so etwas wie Heimat, egal wo ich bin. Ob das jetzt Grönland ist oder ob ich am Pazifik stehe und aufs Meer hinaus schaue und die Berge hinter mir habe. Natur ist so etwas wie ein Zuhause für mich, da fühle ich mich geborgen, da kann ich mich hineinfühlen. Da fühle ich die Fische, die Bäume und die Insekten, da bin ich eins mit allem.
Selbst in einer Landschaft, die Ihnen nicht vertraut ist?
Ja.
Nach Auflösung der Band unternimmt er ausgedehnte Reisen, darunter zur Schimpansenforscherin Jane Goodall nach Afrika, nach Tibet und per Konzertschiff auf Donau und Rhein quer durch Europa. Die dabei entstandene Musik wird auf diversen Alben veröffentlicht. Nebenbei entwirft Hubert von Goisern zwei Mode-Kollektionen, spielt in Filmen mit (z. B. »Hölleisengretl«) und engagiert sich für soziale und Umwelt-Projekte. Mit seinem neuen Album »Federn« ist er derzeit auf Tour durch die deutschsprachigen Länder, unter anderem am 26. Juni 2015 open air auf dem Königsplatz in München. Mehr Infos dazu gibt es unter www.hubertvongoisern.com.
Hubert von Goisern: Mein letzter Berg hatte keinen Namen: Er steht in Grönland und ich habe ihn mit Ski bestiegen – zusammen mit Alexander Huber.
Mit dem Huberbua? Wie kam es dazu?
Ein Filmprojekt von »Servus TV Bergwelten « hat uns zusammengebracht: Ich wollte mein schon länger laufendes Projekt mit den Inuit weiterführen und dabei auch das erste Konzert meiner Tournee spielen, er wollte in die arktischen Berge. Wir kannten einander aber schon länger, von daher hat mir die Idee, mit ihm zusammen in Grönland unterwegs zu sein, gut gefallen.
Was bedeuten Ihnen die Berge?
Die Berge bedeuten für mich Herausforderung. Sie bedeuten Schutz. Sie geben der Landschaft eine Form. Eine vollkommen flache Landschaft macht mich depressiv. Ich brauche Berge über kurz oder lang. Ohne Berge lasse ich alles hängen.
Ist es das Wandern und Bergsteigen, wozu Sie die Berge brauchen, oder reichen sie Ihnen auch als Kulisse?
Ich möchte mich schon in ihnen bewegen. Ich steige beispielsweise hinauf, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich will einfach hochgehen und schauen: Aha, das sieht so aus, da könnte ich mal hingehen … Wenn es flach ist in alle Richtungen, das ist das Bedrohlichste für mich. In den Bergen herrscht – zumindest dem Idealbild nach – Stille.
Sie hätten fast den Elias in Vilsmaiers »Schlafes Bruder«- Verfilmung gespielt. Kennen Sie diesen Zustand von Elias: In der Stille alles hören?
Ja. Aber ich bin mir dessen schon bewusst, dass ich mich höre und hab da keine Fantasie wie der Elias, dass das irgendwas Göttliches wäre. Es ist nicht so, dass ich nicht an Gott glaube! Wenn ich in den Wald gehe, kann es schon sein, dass ich einen Baum sprechen höre. Aber ich weiß, dass das in mir ist. Ich kann akzeptieren, dass ich denke: Das sagt jetzt der Baum. Vielleicht ist es einfach so, dass der Baum in mir durch mich zu mir spricht oder so etwas. Das mögen auch alles Einbildungen sein. Ich denke da nicht so viel drüber nach.
Mit Alexander Huber war Goisern in Grönland unterwegs
Ich höre dauernd Musik in mir. Ich brauch kein Radio. Wenn ich nicht spreche, dann (macht ein Zeichen mit den Händen um seinen Kopf) läuft es hier drin ab. Manchmal ein blöder Ohrwurm von jemand anderem. Manchmal ein blöder Ohrwurm von mir selbst. Manchmal etwas, was ich noch gar nicht kenne. Dann denke ich: Ha, da könntest du ein Ding draus machen.
Ist das Ihre einzige Quelle der Inspiration?
Ja natürlich, ich hab nur einen Kopf.
Und die anderen Kulturen, in denen Sie unterwegs waren und sind? Suchen Sie dort nicht nach Inspiration?
Nein, überhaupt nicht. Ich höre einfach zu, alles läuft in mich rein. Im kreativen Prozess gibt es ein Ventil, das ich aufmache, und dann kommt alles Mögliche wieder raus. Ich weiß oft gar nicht, wo das her ist, wo ich das eingesammelt hab. Ich komponiere auch nicht in der Natur.
Warum nicht?
Ich finde, die Natur genügt sich selbst. Wenn ich in der Natur bin, hab ich nicht das Gefühl, dass ich da jetzt selber was dazu beitragen mag. Ich mag die Vögel, ich mag den Wind hören, das Rauschen des Wassers, das Summen der Insekten … das finde ich alles eine perfekte Symphonie. Warum soll ich da noch irgendeinen Ton hinzusetzen? Ich hatte noch nie das Bedürfnis, dass ich mich irgendwo oben auf den Berg hinstelle und singe.
Wie schaffen Sie es, dass man Sie trotz Salzburger Dialekt auch in Norddeutschland, in Osteuropa oder gar Afrika versteht und Sie dort mit Ihrer Musik ankommen?
Das ist die Musik. Sie ist eine universelle Sprache. Die Stimme ist ein unheimlich wahrhaftiges Instrument. Wenn ich etwas singe, dann bin ich da ganz in dieser Geschichte, ich möchte sie erzählen, so wie ich jetzt beim Reden etwas erzähle. Zusammen mit der Musik, mit den Harmonien, mit der Dynamik, mit der Kraft, die da drin steckt und auch mit der Zärtlichkeit, kann ich auch Menschen auf die Reise mitnehmen, die meine Sprache nicht verstehen.
Aber den Inhalt, die fremde Sprache verstehen die Menschen doch nicht, oder?
Vor vielen Jahren habe ich Jane Goodall einmal nach Ischl eingeladen für einen Vortrag. Sie hat eineinhalb Stunden gesprochen und vielleicht zehn Dias gezeigt, die eher symbolhaft waren. Nach dem Applaus kam ein Freund auf mich zu und hat gesagt: »Weißt Du, ich versteh kein Wort Englisch, aber ich hab das Gefühl, ich hab alles verstanden, was sie gesagt hat.« Das kann man, wenn man die Worte nicht nur als Hülsen rauslässt, sondern wenn die mit Leben daherkommen. Dann funktioniert das.
Andersherum gefragt: Können Sie die Worte einer fremden Sprache mit Leben füllen?
Es gibt natürlich Leute, die schaffen es – und das sind gar nicht so wenige – in einer fremden Sprache zu singen. Für mich ist Hochdeutsch schon eine Fremdsprache, ich tu mir da sehr schwer, ich hab es manchmal versucht … (lacht) Es kommt immer komisch rüber. Jetzt beim Reden kann ich es inzwischen schon, aber wenn ich singe, dann bekommt das was unangenehm Pathetisches.
Trotzdem singen Sie auch auf Englisch.
Auf der neuen Platte gibt es ein Lied, von dem zwei Strophen in Englisch sind. Ich hab es ganz in Englisch geschrieben, ursprünglich. Eigentlich wollte ich mehr englische Texte schreiben. Dann fand ich meinen Gesang furchtbar! Und kaum sing ich in Deutsch: Erleichterung! Jetzt ist nur mehr die dritte Strophe dieses Liedes auf Deutsch, es ist wie die Auflösung. Deshalb hab ich die anderen englischen Texte gar nicht mehr weiterverfolgt. Weil ich im Gegensatz dazu spüre, wie wahrhaftig ich werde, wenn ich in meiner Sprache singe.
Woher kam dann die Absicht, ein Lied in Englisch zu verfassen?
Weil ich mich in der ganzen Vorbereitungszeit in Amerika aufgehalten und mit Musikerin zusammengearbeitet habe, die nur englisch reden. Es gab und gibt auch die Vision, mit dieser Musik, dieser alpinisierten amerikanischen Musik eines Tages hinüber zu gehen und in Amerika eine kleine Tour zu spielen. Und da hab ich mir gedacht, es wäre einfach schön, wenn es ein paar Lieder gibt, die ich in der Sprache singe, die die Leute dort verstehen.
Die Einheimischen also in ihrer Tradition wahrnehmen und abholen … Was macht die Faszination von Tradition aus?
Traditionen sind wichtig für die Identität – nicht nur für die persönliche, sondern auch die der Gesellschaft, in der man lebt. Man möchte sich ja eingebettet fühlen, man möchte wo dazu gehören, nicht jeder will gern sein eigenes Süppchen köcheln. Dafür gibt es momentan in der Gesellschaft aber ganz schön viele, die ihr eigenes Süppchen köcheln. Das Ego wird in den letzten zehn, 20 Jahren wahnsinnig gefördert. Es gibt immer mehr Single-Haushalte, immer weniger Leute, die wirklich zusammen wohnen. Ich finde, das ist eine Fehlentwicklung, denn die Gemeinschaft macht uns stark und sicher. Das Leben ist einfach viel leichter, wenn man aus dieser Sicherheit heraus agieren kann, als wenn du als Einzelgänger, als Eremit irgendwo bist.
Diejenigen, die in abgeschotteten Alpentälern oder auf einsamen Gipfeln glücklich sind, suchen wohl eher das Eremitentum.
Das mögen Bedürfnisse sein, die wir auch spüren und auch manchmal brauchen für einen Abschnitt unseres Lebens. Aber das Zusammensein ist viel spannender, man kann vom anderen lernen; es braucht nicht jeder jeden Fehler machen, man kann sich inspirieren lassen. Für dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, dieses Wir-Gefühl sind die Traditionen ganz wichtig. Aber sie haben halt auch etwas Ausschließendes, Abgrenzendes.
Haben es die Menschen in den Alpen einfacher mit dem Wir-Gefühl, weil die Berge natürliche Grenzen setzen?
Wir haben in den Alpen das Phänomen, dass in fast jedem Tal eine andere Kultur herrscht. Natürlich sind diese Kulturen verwandt, und ein paar Menschen sind schon immer gereist. Aber es war ein karges Leben, so viel zu teilen gab es da nicht. Deshalb mussten sie sich schon abgrenzen: bis hierher und nicht weiter, das ist meine Rübe! Aber man kann alles übertreiben. In meiner Jugendzeit, in den 1960er-Jahren, da gab es eine Nachbarin, man nannte sie die Zugereiste. Sie war damals 90 Jahre alt, hatte 70 Jahre vorher von Gosau – das ist 15 Kilometer entfernt – nach Goisern geheiratet.
Ging es Ihnen ähnlich, waren Sie in Goisern auch ein Zugereister?
Meine Großeltern mütterlicherseits stammen aus dem Sudetenland und sind als Flüchtlinge 1945 nach Goisern gekommen. Ich bin von kleinauf dort aufgewachsen. Aber ja, ich war ein Außenseiter.
Was ist für Sie Heimat?
Da wo die Familie ist, wo die engsten Freunde sind. Und die Natur. Die Natur ist auch so etwas wie Heimat, egal wo ich bin. Ob das jetzt Grönland ist oder ob ich am Pazifik stehe und aufs Meer hinaus schaue und die Berge hinter mir habe. Natur ist so etwas wie ein Zuhause für mich, da fühle ich mich geborgen, da kann ich mich hineinfühlen. Da fühle ich die Fische, die Bäume und die Insekten, da bin ich eins mit allem.
Selbst in einer Landschaft, die Ihnen nicht vertraut ist?
Ja.
Hubert von Goisern
… wird als Hubert Achleitner am 17. November 1952 in Bad Goisern geboren. Nach Reibereien infolge seiner langen Haare und weil er auf so progressiver Musik wie Glen Millers »In the mood« besteht, verlässt er die Blasmusikkapelle und muss auch die geliehene Trompete wieder abgeben. So lernt Hubert zunächst Gitarre, später dann auch Klarinette und die Steirische Harmonika seines Großvaters zu spielen. Nach Jahren im Ausland – darunter in Afrika, Kanada und auf den Philippinen – kehrt er nach Österreich zurück und gründet 1986 die Band »Alpinkatzen«, mit der er 1992 den Durchbruch mit »Koa Hiatamadl« schafft.Nach Auflösung der Band unternimmt er ausgedehnte Reisen, darunter zur Schimpansenforscherin Jane Goodall nach Afrika, nach Tibet und per Konzertschiff auf Donau und Rhein quer durch Europa. Die dabei entstandene Musik wird auf diversen Alben veröffentlicht. Nebenbei entwirft Hubert von Goisern zwei Mode-Kollektionen, spielt in Filmen mit (z. B. »Hölleisengretl«) und engagiert sich für soziale und Umwelt-Projekte. Mit seinem neuen Album »Federn« ist er derzeit auf Tour durch die deutschsprachigen Länder, unter anderem am 26. Juni 2015 open air auf dem Königsplatz in München. Mehr Infos dazu gibt es unter www.hubertvongoisern.com.
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Von Dagmar Steigenberger
Fotos:
Timeline Production, Blanko Musik
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 07/2015. Jetzt abonnieren!
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