Adam Ondra, Zauberlehrling | BERGSTEIGER Magazin
BERGSTEIGER Interview mit Adam Ondra

Adam Ondra, Zauberlehrling

»Wunderkind« bezeichnen viele den tschechischen Kletterer Adam Ondra. Tatsächlich hat Ondra im Sportklettern die Grenzen nach oben verschoben – er kletterte schon als 13-Jähriger im elften Schwierigkeitsgrad. Mit seinen 21 Jahren steht der Mann mit dem nach wie vor kindlichen Gesicht an der Weltspitze. Im Gespräch mit dem BERGSTEIGER verrät er das Geheimnis seiner Motivation und spricht über das, worauf er verzichten musste.
 
Adam Ondra in einer spanischen 9b-Route: »La Planta de Shiva« © Bernardo Gimenez, MatteoFusacchia/ Trentino Turismo S. p. A.
Adam Ondra in einer spanischen 9b-Route: »La Planta de Shiva«
BERGSTEIGER: Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Interview?
ADAM ONDRA: Ja, das gab ich einem tschechischen Klettermagazin.

Wie alt waren Sie zu der Zeit?
Neun Jahre. Ich war nicht sehr gesprächig damals. (lacht)

Oh, dann hoffen wir, dass das heute nicht so ist.
Ich werde mir Mühe geben!

Der Rockmaster in Arco ist der älteste Kletterwettbewerb Europas. Gibt’s einen besonderen Spirit?
Auf alle Fälle. Ich träumte schon als kleiner Junge davon, mich eines Tages beim Rockmaster mit anderen Kletterern messen zu können. Wir sind recht oft hierher in die Gegend gefahren, weil es ziemlich nahe liegt.

Ziemlich nahe?
Okay, es sind etwa acht Stunden mit dem Auto von Tschechien. Aber es ist für uns die nächstgelegene Klettermöglichkeit im Winter. Ich habe mich viel mit der Geschichte des Rockmaster beschäftigt und kannte alle Gewinner auswendig.

Schön. Wer gewann den Rockmaster 1993?
Elie Chevieux.

Respekt! Und wer bei den Frauen?
Hmm, es ist eine ganze Weile her, dass ich die Sieger auswendig lernte. Da muss ich passen.

Es war Susi Good aus der Schweiz.
Danke. Aber zurück zum Spirit. Wenn man nach Arco kommt, spürt man einfach, dass der Rockmaster eine lange Tradition und die Veranstalter sehr viel Erfahrung haben. Und das zieht einfach viele Kletterer Anfang September an, um hier ein Fest zu feiern. Die Stimmung ist großartig.

Klettern ist der einzige Sport, den Sie betreiben? Oder steigen Sie auch aufs Mountainbike oder surfen auf dem Gardasee?
Früher ging ich viel zum Snowboarden. Als ich dann aber mit dem harten Klettertraining anfing, hatte das Snowborden nicht mehr viel Platz in meinem Leben. An den kletterfreien Tagen gehe ich oft zum Laufen, ab und an setze ich mich auch aufs Mountainbike oder Rennrad. Es bleibt für andere Sportarten einfach nicht viel Zeit. Ich würde gerne paragliden, das ist ein kleiner Traum von mir.

Wie wär’s mit Basejumping?
Dazu braucht man viel Erfahrung, und das würde zu viel Zeit kosten. Ich bin aber so besessen vom Klettern, dass ich es nicht bedauere, nichts anderes machen zu können.

2012 haben Sie den Zweikampf beim Rockmaster gewonnen. Nehmen Sie die Zuschauer wahr während des Wettkampfs?
Klar, man hört das Gebrüll schon. Es macht mich aber nicht nervöser, wenn ich klettere. Es heizt Sie nicht an? Schon. Manchmal wünscht man sich an Schlüsselstellen auch Ruhe, um sich voll auf den nächsten Zug zu konzentrieren. Ein gutes Publikum spürt das, und das gehört zu einem guten Wettbewerb unbedingt dazu.

Wenn Sie ohne Publikum klettern, sagen wir auf Sardinien: Bemerken Sie die Natur überhaupt, die Sie umgibt? Oder sieht man als Top-Kletterer nur die Felsen, die Wand?
Doch, die Natur um mich herum ist wichtig. Allein schon für die Zeit, in der ich das Projekt plane. Und wenn ich ins Seil falle, schaue ich natürlich herum. (lacht) Wenn ich klettere, dann sehe ich eigentlich nur die paar Griffe und Tritte um mich herum.

Was ist für Sie der Unterschied zwischen Felsklettern und dem Klettern bei einem Wettbewerb?
Wettkampfklettern ist ein sehr schöner Sport. Draußen zu klettern, ist mehr als Sport. Es beeinflusst dein Leben, deine Einstellung zum Leben.

In welcher Art?
Allein schon der Fakt, dass du so viel Zeit draußen verbringst, ändert deine Wahrnehmung, deine Verbindung zur Natur im Vergleich zu Menschen, die die ganze Zeit in Städten leben.

Auf welche Route sind Sie wirklich stolz?
Ganz oben steht die erste Begehung von »The Change«, 9b+, in Norwegen. Hauptsächlich deswegen, weil ich die Route selbst fand und einbohrte. Ich ging gewissermaßen durch den ganzen Prozess und war super neugierig, als was sich die Route herausstellen würde. Am Ende reichte es exakt dafür, sie als 9b+ einzustufen. Sie war genau mein Limit. Ich war einfach wahnsinnig glücklich danach, es war ja auch mein Baby.

Wie fühlt es sich an, wenn man als erster Mensch solch eine Begehung geschafft hat?
In diesem Fall war es wie eine Befreiung – das Projekt geschafft zu haben und die Route nicht mehr klettern zu müssen. Gleichzeitig war es pures Glück. So eine Route wird ja Teil meines Lebens, es ist wie eine Routine: Ich wärme mich auf, denke über die Route nach, über die Züge an den Schlüsselstellen, und dann ist es plötzlich eine große Überraschung, durch zu sein, es geschafft zu haben. Es war aber auch ein harter Weg an die Spitze.

Gab es auch Durchhänger?
Nicht wirklich. Ich muss mich selbst nicht auffordern zu klettern. Klar, ich kann den Leuten erklären, warum ich klettere: die Herausforderung, das Herumkommen, das Leute-Treffen. Es gibt aber noch einen anderen Grund. Vielleicht klingt das jetzt wie ein Klischee, es ist aber wahr. Als kleiner Junge sah ich diese Bilder mit Kletterern. Alle schienen ein Lächeln im Gesicht zu tragen. Ich dachte mir: Klettern ist die ideale Sportart, das will ich machen. Und ich habe es von da an gemacht…mit einem Lächeln im Gesicht.

Welche Rolle haben Ihre Eltern in dem ganzen Prozess gespielt?
Sie unterstützen mich seit jeher, sie waren aber nie der ultimative Anstoß. Ich wollte immer frei sein und mochte noch nie, wenn mir jemand sagt, was ich tun soll.

Gibt es ein Geheimnis, weshalb Sie derzeit der wohl beste Kletterer der Welt sind?
Sicherlich bin ich sehr talentiert. Ich hatte zudem das Glück, in eine Kletterfamilie hineingeboren zu sein und immer mit dem Klettern weitermachen zu können. Es gehört natürlich auch viel Training und Aufwand dazu. Es war aber nie ein Leiden.Training war für mich wie ein Spiel. Ich sah das gar nicht als Training an, ich ging einfach klettern.

Ist der Erfolg für Sie wichtig?
Ich würde lügen, wenn ich verneinen würde. Es geht mir aber mehr um meine eigene Zufriedenheit. Ich will die Ziele erfüllen, die ich mir selbst setze. Und weniger beweisen, dass ich besser bin als die anderen. Möglicherweise fragen sich die Leute, woher ich meine Motivation ziehe, wenn ich jetzt doch schon die schwerste Route der Welt geklettert bin.

Und, was antworten Sie dann?
Ich will einfach weiterkommen. Und ich wäre nicht weniger glücklich, eine andere Route zu klettern, die als leichter eingestuft ist, wenn ich genauso an mein Limit gehen müsste wie bei »The Change«.

Ist Chris Sharma für Sie ein Freund oder eher ein älterer Bruder?
Wir sind Freunde, wenn auch nicht die engsten. Ich glaube, mit den meisten Leuten aus der Kletterszene kann man schnell Freundschaft schließen.

Mit Chris hatten Sie eine Art Wettstreit um die Route »La Dura Dura«.
Was mir beim Klettern gefällt: Man kämpft nicht gegeneinander, sondern kann gemeinsam an einem Projekt dran sein. Wenn ich nur alleine an »La Dura Dura« gearbeitet hätte, dann hätte ich mehr Zeit gebraucht. Und mit ihm hat es viel mehr Spaß gemacht. Wir inspirieren uns gegenseitig. Das gibt es nicht in vielen Sportarten. Kaum ein Kletterer behält seine »Geheimnisse« für sich.

Haben Sie Freunde außerhalb der Szene?
Nur ganz wenige.

Vermissen Sie das nicht?
Natürlich wäre es schön, Freunde aus unterschiedlichen Bereichen zu haben. Das Klettern war aber auch eine logistische Herausforderung, weil ich es ja mit der Schule kombinieren musste und wir viel unterwegs waren. Es war also schon auch ein Opfer. Nur gibt es so viele Vorteile, dass ich die anderen Dinge nicht wirklich vermisse. Es war es auf alle Fälle wert. Es gibt natürlich Dinge in meinem Leben, die ich nicht machen konnte. All das, was ein Durchschnittsjugendlicher halt so macht.

Gibt es ein Leben neben dem Klettern, nach dem Klettern?
Ich habe mit einem Wirtschaftsstudium angefangen. Ein klar definiertes Ziel, was ich eines Tages tun möchte, gibt es nicht. Nur ein ganzes Leben lang klettern würde wahrscheinlich langweilig werden. Eines Tages brauche ich vielleicht eine neue Herausforderung. Mit dem Klettern aufhören werde ich aber sicher nie.

Sind Sie beim Rockmaster 2014 dabei?
Ja, dieses Jahr will ich definitiv beim Wettbewerb mitmachen. Ich werde mich speziell darauf vorbereiten, nachdem ich 2013 fast nur felsklettern war.

Der Zauberlehrling

Wer Adam Ondras Kletterkünste begreifen will, sollte sich den Dokumentarfilm »The Wizard’s Apprentice« (»Der Zauberlehrling«) aus dem Jahr 2012 besorgen. Man bekommt einen emotionalen Einblick in das Leben eines jungen Menschen, der vom Klettern besessen ist. Ondra kam am 5. Februar 1993 in Brünn in Tschechien auf die Welt und begann im Alter von sechs Jahren mit dem Klettersport. Bereits als 13-Jähriger beging er eine Route im Schwierigkeitsgrad 9a, was dem glatten elften Grad nach UIAA-Skala entspricht. Nur ein Jahr später gewann er die European Youth Series und wurde Kletter- Weltmeister der B-Jugend. Im Alter von fünfzehn Jahren hatte Ondra drei 9a+ Routen geschafft.

2009 erreichte er bei der WM in China den 2. Platz der Erwachsenenklasse und gewann mit vier Weltcupsiegen den Gesamtweltcup. 2010 gelang ihm mit drei Einzelsiegen auch der Sieg des Gesamtweltcups im Bouldern. Als sein Vorbild nennt er Wolfgang Güllich. »Er inspiriert mich, weil er Routen geklettert ist, die als unmöglich galten.« Am Fels definierte er zwischen 2009 und 2012 mit Erstbegehung und erstmaligen Wiederholungen von Routen zwischen 9a und 9b die Grenze seines Sports.

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Michael Ruhland, Dominik Prantl
 
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