BERGSTEIGER Interview mit Tamara Lunger
»Ich wollte die Toten suchen«
© Klaus dell'Orto
Tamara Lunger im großen BERGSTEIGER-Interview
Tamara Lunger im großen BERGSTEIGER-Interview
BERGSTEIGER: Vor nicht mal einem Jahr sind Sie auf dem K2 gestanden, jetzt wollten Sie gemeinsam mit Simone Moro den Manaslu im Winter überschreiten. Zwischen diesen beiden Achttausender-Expeditionen haben Sie mal eben den Trans Alpine Run gewonnen, 16 Tage auf dem Oktoberfest gekellnert und eine Lungenentzündung auskuriert. Sie scheinen das Leben am Limit zu lieben, oder?
Tamara Lunger: Das vergangene Jahr war schon extrem, selbst für mich. Am Anfang hat mich die Anfrage zum K2 noch überhaupt nicht interessiert. Doch dann hatte ich Liebeskummer und ich habe etwas gebraucht, um mich abzulenken. Ich wollte die Trans Alp laufen und am Oktoberfest arbeiten, also war klar: Wenn ich eine Expedition machen will, dann im Sommer. Die Entscheidung für den K2 war also recht spontan.
Haben Sie es als Frau im Profi-Bergsport leichter?
Ich sehe mich als Bergsteiger, nicht als Frau. Jeder muss am Berg gleich viel leisten, so sehe ich es. Ich will gleich viel tragen, ich will gleich viel entscheiden, ich will gleich viel Verantwortung. Ich fühle mich in der Höhe auch superwohl, da stehe ich den Männern in nichts nach.
Mit wem bilden Sie ein besseres Team – mit Frauen oder mit Männern?
Mit Männern. Ich war einmal mit einer Frau auf Expedition, und davon war ich schwer enttäuscht. Einmal und nie wieder!
Warum?
Weil das eine typische Frau war. Ich bin am Berg im Verhalten eigentlich eher ein Mann. Da wird man einfach zum Mann, man redet über die ganzen Männerthemen, also über Frauen ... Wenn ich eine Zeit lang mit den Männern zusammen bin, dann gehen sie mit mir um wie mit einem Mann. Die nehmen kein Blatt vor den Mund.
Simone Moro hat Sie als Träumerin bezeichnet. Ist das ein Kompliment?
Für mich schon, ja. Er ist nämlich auch ein Träumer. Er hat mich ja zum Höhenbergsteigen gebracht.
Wie kam das?
In der Mittelschule ist bei mir der Wunsch aufgekommen, auf Achttausender zu steigen. Simones Frau war meine Turnlehrerin, sie wusste, dass ich in allem Vollgas gebe und mich auspowern will. Als ich mit den Skitourenrennen angefangen habe, ahnte sie, dass ich fürs Höhenbergsteigen nicht so ungeeignet wäre. Zu meinem Maturaball kam sie dann gemeinsam mit Simone. So hab ich ihn mit 19 Jahren kennengelernt. Er hat mir an diesem Tag versprochen, dass er mich eines Tages mitnimmt. Das Versprechen hat er dann 2009 eingelöst. Erst mal haben wir uns wieder aus den Augen verloren. 2009 hab ich ihn auf Facebook entdeckt, ihm eine Freundschaftsanfrage geschickt und gefragt: »Simone, wann nimmst du mich jetzt eigentlich mit?« Am 1. April 2009 hat er geantwortet: »Tamara, du kannst mit uns mitgehen auf den Cho Oyu.« Ich bin daheim vor dem Computer gesessen, ich hab nur noch geschrien und gezittert, ich war voll aus’m Häusl. Wir haben uns im Khumbu Tal akklimatisiert, danach haben die Chinesen die Grenzen nach Tibet gesperrt, und so ist meine erste Expedition in den Bach gefallen. Ich war so traurig. Mein Traum, mit 23 auf meinem ersten Achttausender zu stehen, war dahin.
Warum gerade mit 23?
Weil die Gerlinde (Kaltenbrunner, Anm. d. Red.) auch mit 23 auf ihrem ersten Achttausender gestanden ist. Ich war schwer enttäuscht, aber der Simone hatte noch eine Alternative für mich: »Du kannst die Saison drauf mit den Russen auf den Lhotse gehen.« Ich habe sofort das Studium unterbrochen für ein Jahr, und dann bin ich auf den Lhotse gestartet.
Sie sind am K2 losgezogen, um bewusst die Leichen zu suchen. Warum?
Ich hab 2010 beim Cho Oyu geholfen, die Leiche eines befreundeten Südtirolers zu bergen. Das war einfach brutal. Meine Leidenschaft für die Berge war dadurch weg. Ich bin dann noch weitere Tage im Basislager geblieben, obwohl meine Gruppe heimgefahren ist. Ich war ohne Satellitentelefon, keinen Kontakt zu daheim. Aber ich wollte nochmal den Gipfel probieren. Ich hatte das Gefühl: Wenn ich jetzt aufgebe, dann gebe ich meine Leidenschaft auf. Es hat mir letztendlich gut getan, diese Erfahrung zu machen, weil ich dadurch einiges total anders sehe.
Was ist das, was Sie jetzt anders sehen?
Im Basislager vom K2 hatte ich das Bedürfnis, die Toten zu suchen. Wir haben auch einen gefunden. Ich hab ihn angeschaut und gesagt: »Okay, das ist deine Geschichte, aber ich geh da rauf und wieder runter.« Ich habe mich total von der Angst befreit, mich hat der Tod null berührt. Das ist cool, wenn die Leidenschaft größer ist als alles Negative. Es ist einfach eine Pflicht, das Leben, das man hat, so gut wie möglich zu nutzen.
Wenige Tage nach dem katastrophalen Erdbeben in Nepal erreichte uns folgende Botschaft von Tamara Lunger:
Das schlimme Erdbeben hat mich wirklich sehr betroffen gemacht! Die Leute vor Ort brauchen nun unsere Hilfe! Ich unterstütze die Arbeit von Habitat for Humanity in Nepal, weil sich Habitat vor Humanity nicht nur auf die kurzfristige Hilfe konzentriert, sondern sich zusätzlich auch langfristig im dauerhaften und erdebensicheren Wiederaufbau engagieren wird. Habitat for Humanity ist schon seit fast 20 Jahren vor Ort und hat dementsprechend große Erfahrung und gute Strukturen vor Ort. Und dass die Hilfsorganisation gute Arbeit leistet, hat sie bewiesen, denn alle Häuser, die Habitat for Humanity in den letzten Jahren für bedürftige Familien in Nepal gebaut hat, haben das Erdbeben ohne größere Schäden überstanden! Es würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele Menschen mit mir die Arbeit von Habitat for Humanity in Nepal unterstützen würden!
Infos: www.hfhd.de/helfen/
Spendenkontakt: Habitat for Humanity
Stichwort: Erdbeben Nepal
Spendenkonto: 1294801
Bankleitzahl: 370 20 500
Bank für Sozialwirtschaft AG
IBAN: DE 21 3702 0500 0001 2948 01
BIC: BFSWDE33
Tamara Lunger: Das vergangene Jahr war schon extrem, selbst für mich. Am Anfang hat mich die Anfrage zum K2 noch überhaupt nicht interessiert. Doch dann hatte ich Liebeskummer und ich habe etwas gebraucht, um mich abzulenken. Ich wollte die Trans Alp laufen und am Oktoberfest arbeiten, also war klar: Wenn ich eine Expedition machen will, dann im Sommer. Die Entscheidung für den K2 war also recht spontan.
Haben Sie es als Frau im Profi-Bergsport leichter?
Ich sehe mich als Bergsteiger, nicht als Frau. Jeder muss am Berg gleich viel leisten, so sehe ich es. Ich will gleich viel tragen, ich will gleich viel entscheiden, ich will gleich viel Verantwortung. Ich fühle mich in der Höhe auch superwohl, da stehe ich den Männern in nichts nach.
Mit wem bilden Sie ein besseres Team – mit Frauen oder mit Männern?
Mit Männern. Ich war einmal mit einer Frau auf Expedition, und davon war ich schwer enttäuscht. Einmal und nie wieder!
Warum?
Weil das eine typische Frau war. Ich bin am Berg im Verhalten eigentlich eher ein Mann. Da wird man einfach zum Mann, man redet über die ganzen Männerthemen, also über Frauen ... Wenn ich eine Zeit lang mit den Männern zusammen bin, dann gehen sie mit mir um wie mit einem Mann. Die nehmen kein Blatt vor den Mund.
Simone Moro hat Sie als Träumerin bezeichnet. Ist das ein Kompliment?
Für mich schon, ja. Er ist nämlich auch ein Träumer. Er hat mich ja zum Höhenbergsteigen gebracht.
Wie kam das?
In der Mittelschule ist bei mir der Wunsch aufgekommen, auf Achttausender zu steigen. Simones Frau war meine Turnlehrerin, sie wusste, dass ich in allem Vollgas gebe und mich auspowern will. Als ich mit den Skitourenrennen angefangen habe, ahnte sie, dass ich fürs Höhenbergsteigen nicht so ungeeignet wäre. Zu meinem Maturaball kam sie dann gemeinsam mit Simone. So hab ich ihn mit 19 Jahren kennengelernt. Er hat mir an diesem Tag versprochen, dass er mich eines Tages mitnimmt. Das Versprechen hat er dann 2009 eingelöst. Erst mal haben wir uns wieder aus den Augen verloren. 2009 hab ich ihn auf Facebook entdeckt, ihm eine Freundschaftsanfrage geschickt und gefragt: »Simone, wann nimmst du mich jetzt eigentlich mit?« Am 1. April 2009 hat er geantwortet: »Tamara, du kannst mit uns mitgehen auf den Cho Oyu.« Ich bin daheim vor dem Computer gesessen, ich hab nur noch geschrien und gezittert, ich war voll aus’m Häusl. Wir haben uns im Khumbu Tal akklimatisiert, danach haben die Chinesen die Grenzen nach Tibet gesperrt, und so ist meine erste Expedition in den Bach gefallen. Ich war so traurig. Mein Traum, mit 23 auf meinem ersten Achttausender zu stehen, war dahin.
Warum gerade mit 23?
Weil die Gerlinde (Kaltenbrunner, Anm. d. Red.) auch mit 23 auf ihrem ersten Achttausender gestanden ist. Ich war schwer enttäuscht, aber der Simone hatte noch eine Alternative für mich: »Du kannst die Saison drauf mit den Russen auf den Lhotse gehen.« Ich habe sofort das Studium unterbrochen für ein Jahr, und dann bin ich auf den Lhotse gestartet.
Sie sind am K2 losgezogen, um bewusst die Leichen zu suchen. Warum?
Ich hab 2010 beim Cho Oyu geholfen, die Leiche eines befreundeten Südtirolers zu bergen. Das war einfach brutal. Meine Leidenschaft für die Berge war dadurch weg. Ich bin dann noch weitere Tage im Basislager geblieben, obwohl meine Gruppe heimgefahren ist. Ich war ohne Satellitentelefon, keinen Kontakt zu daheim. Aber ich wollte nochmal den Gipfel probieren. Ich hatte das Gefühl: Wenn ich jetzt aufgebe, dann gebe ich meine Leidenschaft auf. Es hat mir letztendlich gut getan, diese Erfahrung zu machen, weil ich dadurch einiges total anders sehe.
Was ist das, was Sie jetzt anders sehen?
Im Basislager vom K2 hatte ich das Bedürfnis, die Toten zu suchen. Wir haben auch einen gefunden. Ich hab ihn angeschaut und gesagt: »Okay, das ist deine Geschichte, aber ich geh da rauf und wieder runter.« Ich habe mich total von der Angst befreit, mich hat der Tod null berührt. Das ist cool, wenn die Leidenschaft größer ist als alles Negative. Es ist einfach eine Pflicht, das Leben, das man hat, so gut wie möglich zu nutzen.
Wenige Tage nach dem katastrophalen Erdbeben in Nepal erreichte uns folgende Botschaft von Tamara Lunger:
Das schlimme Erdbeben hat mich wirklich sehr betroffen gemacht! Die Leute vor Ort brauchen nun unsere Hilfe! Ich unterstütze die Arbeit von Habitat for Humanity in Nepal, weil sich Habitat vor Humanity nicht nur auf die kurzfristige Hilfe konzentriert, sondern sich zusätzlich auch langfristig im dauerhaften und erdebensicheren Wiederaufbau engagieren wird. Habitat for Humanity ist schon seit fast 20 Jahren vor Ort und hat dementsprechend große Erfahrung und gute Strukturen vor Ort. Und dass die Hilfsorganisation gute Arbeit leistet, hat sie bewiesen, denn alle Häuser, die Habitat for Humanity in den letzten Jahren für bedürftige Familien in Nepal gebaut hat, haben das Erdbeben ohne größere Schäden überstanden! Es würde mich sehr freuen, wenn möglichst viele Menschen mit mir die Arbeit von Habitat for Humanity in Nepal unterstützen würden!
Infos: www.hfhd.de/helfen/
Spendenkontakt: Habitat for Humanity
Stichwort: Erdbeben Nepal
Spendenkonto: 1294801
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Vielen Dank.
Von Michael Ruhland und Dagmar Steigenberger
Fotos:
Joachim Stark, Tamara Lunger
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 06/2015. Jetzt abonnieren!
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