Nein, mit Schreiben hatte sie vorher wirklich nichts am Hut, sagt Martina Fischer und streichelt eines der vor wenigen Tagen in ihrem Kleiderschrank geborenen Kätzchen. In ein paar Wochen, wenn sie groß genug sind, heißt es Abschied nehmen. Martina Fischer wird mit der Katzenmutter weggehen von diesem Idyll hier auf dem alten, liebevoll renovierten Bauernhof in Altstein, einem Weiler
in der Nähe des Simssees. Sie wird Mann, Haus und ihr alltägliches Leben einmal mehr zurücklassen und hinaufziehen auf die Alm in den nahen Chiemgauer Bergen, wo die 44-Jährige bis zum Spätherbst als Sennerin leben wird.
In die Berge hat es die begeisterte Sportlerin schon immer gezogen. Bei Reisen nach Argentinien, Patagonien oder nach
Korsika. Auf einen
4000er in der Schweiz, mit dem Rennrad regelmäßig durchs schöne Voralpenland, mit dem Mountainbike und gerne auch mal zum
Klettern oder in den
Klettersteig. Dass sie als Sennerin auf einer Alm landete, war dann aber eher Zufall. Die Idee reifte nach einem Besuch auf einer Alm einer Verwandten und sollte das Leben der Krankenschwester und Ernährungsberaterin, die auf einem Bauernhof in der Nähe von Stephanskirchen mit zwei Brüdern, viel Brauchtum und Volksmusik aufgewachsen ist, umkrempeln.
Im Sommer auf die Laubenstein-Alm
Von 2011 bis 2013 hat Martina Fischer erstmals ihre Sommer auf der Rampoldalm im Wendelsteingebiet verbracht. Mit Kühen, ihrer Katze, Hühnern und zeitweise mit Ziegen, die ihr aber bald zu eigenwillig wurden. Jetzt geht sie bereits den zweiten Sommer auf die Laubenstein-Alm oberhalb des Chiemsees und es wird bestimmt nicht das letzte Mal sein.
"Da oben ist meine Welt, da gehöre ich hin", sagt sie. "Ich weiß, ich führe hier im Tal ein Leben, von dem viele träumen und ich bin glücklich verheiratet. Aber kaum bin ich auf einer Alm, fallen jeglicher Druck und Stress von mir ab!" In der Einfachheit des Seins kommt sie zur Ruhe, sie fühlt sich absolut frei.
Das Buch "Die Alm – Ein Ort für die Seele" ist eher durch Zufall entstanden.
Als Dankeschön für die Bäuerin der Rampoldalm verfasste Martina Fischer nach jeder Saison ein aufwendiges Fotobuch. 2014, als sie einen Sommer pausierte und stattdessen in München eine Heilkräuter-Ausbildung machte, war ihr Dozent so von diesen Büchern begeistert, dass er sie direkt an den Verleger des Kailash-Verlages weitergeleitet hat. Der musste Martina Fischer erst einmal von einem Buchprojekt überzeugen, das sie sich damals selbst nicht zugetraut hat. "Ich solle doch einfach mal drauflosschreiben, meinte er und hat mir Dorothea Steinbacher als Co-Autorin an die Hand gegeben. Die hat mir strukturell sehr geholfen, ohne mein Manuskript allzu sehr zu ändern. Es war eine sehr schöne, inspirierende Zusammenarbeit, und nach gut eineinhalb Jahren war das Buch dann fertig."
15-Stunden-Tage auf der Alm
Was sie auf der Alm erlebt hat und weswegen es sie immer wieder hinaufzieht, lässt sie in ihrem Buch sehr bodenständig und einfühlsam erfahrbar werden:
Das ungeschönte Leben einer Almerin mit Hingabe bis zum Rand der körperlichen Erschöpfung. Das Sich-selbst-Finden im Alleinsein und in der Zufriedenheit, die man nach einem Tag mit harter Arbeit, der um 4:30 Uhr beginnt und nie vor 21 Uhr endet, in sich spürt.
Arbeit, bei der man nicht zimperlich sein darf, wenn es heißt, 40 Jungkühe, 12 Kälbchen und 2 Milchkühe zu versorgen. Wenn das Weidegebiet abgegangen und "geschwendet", sprich von unerwünschtem Bewuchs freigehalten werden muss. Wenn das Vieh täglich bei Wind und Wetter im weitläufigen Almgebiet kontrolliert, Zäune repariert und Brunnen instandgehalten werden müssen. Zudem soll die frisch gemolkene Milch sofort zu Rahm, Butter, Käse und Topfen weiterverarbeitet werden.
Gäste bewirtet Martina Fischer mit selbst zubereiteten Speisen, deren Rezepte sie im Buch ebenso weitergibt wie altes Wissen etwa über Wetterkerzen, Almstock oder Almabtrieb. Fischer war es wichtig,
Hintergründe über Tiere und Pflanzen, Brauchtum und tief verwurzelte Werte so zu schildern, wie sie es dort oben erlebt. "Das Volkstümelnde mit einem gewissen Dogmatismus nervt mich selbst auch oft. Aber was mir auf der Alm vor allem durch meine Bauersfamilie sehr bewusst geworden ist: Traditionen haben so viel Wertvolles, oft praktischen Nutzen und geben einem Halt."
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Eine besondere Wertschätzung
Das Schreiben hat Fischer verändert. "Das Buch war für mich eine große Auseinandersetzung mit mir selbst. Eine Reflexion über Dinge im Leben, die oft sehr selbstverständlich sind oder über die ich bisher nie so richtig nachgedacht habe", schildert sie. Themen wie Volksmusik, Tradition, Wertschätzung oder das Alleinsein. Fragen wie: "Was ist aus den Vorsätzen, die man mit auf die Alm nimmt, geworden? Warum kam ich nach der Rückkehr ins Tal zuerst überhaupt nicht mehr mit mir und meiner Umwelt zurecht? Beim Schreiben musste ich die Dinge zu Ende denken", sagt die Sennerin.
"Ich bin dadurch noch achtsamer mit mir und meiner Umwelt geworden. Das Buch hat ganz klar meinen Horizont erweitert." Und sie ist selbstbewusster geworden. "Die Wertschätzung, Bewunderung, die eine Almerin oben erfährt, ist schon besonders." Das habe ihr im Tal vielleicht immer ein wenig gefehlt. "Durch die Alm und das Buch bin ich jetzt nicht mehr so selbstkritisch und ruhe mehr in mir selbst." Auch ihr Mann ist stolz auf sie. "Er war sich immer sicher, dass ich das kann. Mehr als ich selbst." Eine gute Basis für die nächste Auszeit auf der Alm.