Die Super-Ferrata am Dachstein | BERGSTEIGER Magazin
Traumhafte Klettersteige am Dachstein

Die Super-Ferrata am Dachstein

1200 Höhenmeter am Drahtseil, durch eine der ganz großen, klassischen Wände auf den zweithöchsten Gipfel der Ostalpen – wenn das kein Superlativ ist! Von Axel und Andreas Jentzsch

 
Der Ferrata Everest - Traum-Klettersteig am Dachstein © Iris Kürschner
Der Ferrata Everest - Traum-Klettersteig am Dachstein
Im Banne der Dachstein-Südwand– so hieß das legendäre Buch von Kurt Maix, das die Erschließungsgeschichte der großen, klassischen Ostalpenwand erzählt. Steile Schneefelder, Steinschlag und die Länge der Routen machen diese Wand zum Extremklassiker, der bis heute nichts von seinem Ruf verloren hat. Waren es einst die Ramsauer Brüder Irg und Franz Steiner, die als Erste den direkten Durchstieg durch die gewaltige Wand fanden, so sind es heute die Klettersteig-Fans, die an der Südwand neue Herausforderungen finden.

Nur wenige »Stand«- und »Steinschlag«-Rufer zieht es noch in die Südwand, die modernen Ferratisti folgen dem nach dem vielleicht berühmtesten Steirer (Erzherzog) Johann benannten Klettersteig durch die senkrechten, 700 Meter hohen Südabstürze unter der Dachsteinwarte.

Nach seiner Einweihung im Jahe 1999 nahm die Beliebtheit des »Johann« jährlich zu und erhöhte sich weiter, als 2003 die Südwandbahn von den Planaibahnen übernommen wurde. Klettersteiggeher und Kletterer wurden als Fahr- und Hotelgäste entdeckt. Unter der Leitung von Hans Prugger wurde in professioneller Weise ein Klettersteig- und Kletterdorado geschaffen, das weithin seinesgleichen sucht; das letztes Werk von Hans Prugger, der Anna-Klettersteig am Mitterstein, wurde im Juli 2010 eröffnet. Benannt nach der aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Frau von Erzherzog Johann, liegt der Anna-Klettersteig standesgemäß unter dem Johann-Klettersteig und dient quasi als scharfer Zu- bzw. Aufstieg in den Hochadel.

Die Klettersteige »Anna« und »Johann« am Dachstein

Die neue Route eröffnet den Unersättlichen unter den Ferratisi, die anschließend noch über Johann-Klettersteig und Schulteranstieg auf den Dachstein-Gipfel steigen eine neue Super-Ferrata! Vom Beginn des Stahlseils sind es 1200 Höhenmeter über senkrechten, glatten Fels, gespickt mit Altschneefeldern, einem Gletscherabstieg und sogar einem Biergarten – kann so etwas noch übertroffen werden? Wohl kaum! Derzeit ist in den Alpen kein vergleichbarer Klettersteig zu finden, der gesamte Durchstieg bis zum Gipfel ist quasi der »Ferrata-Everest« für Klettersteig-Freaks. 

Nachdem wir im Traum noch die eventuelle Verwendung von Flaschensauerstoff für unsere »Everest-Besteigung« in Erwägung zogen, heißt es mit dem abrupten Weckerklingeln erst einmal früh aufstehen. Gemeinsam mit vielen anderen Klettersteiglern und einigen »Stand«-Rufern gehen wir hinüber zur Südwandhütte und von dort hinunter zum Einstieg der »Anna«.

Die bürgerliche Dame zeigt gleich am schwierigen Einstiegspfeiler, was sie von ihren Begehern fordert und spätestens nach Überwindung des vertikalen Abschlusspfeilers weiß man, dass Anna zu Recht nachträglich in den Adelsstand erhoben wurde, denn sie kann hinsichtlich Steilheit, Schönheit und Eleganz durchaus mit ihrem Ehegatten mithalten. Am Ausstieg führt ein flacher Grat zu einem Sattel, wo man auf den Johann-Zustieg trifft. Nach einer verdienten Verschnaufpause widmen wir uns der nächsten alpinen Herausforderung unserer Tour, den berühmt-berüchtigten Altschneefeldern unter der Dachstein-Südwand.

Diese reichen meist hinauf bis zum Einstieg des Johann-Klettersteigs, sind stellenweise sehr steil und oft vereist, was den Einsatz von Steigeisen und Pickel nötig macht. An unserem heißen Spätjunitag kommen wir im aufgeweichten Firn problemlos zum Vorbau und stehen vor der technisch schwersten Stelle der gesamten Tour. Der etwa 20 Meter hohe Einstiegsüberhang soll schwächere Geher/-innen davor bewahren, erst weiter oben die Kraft zu verlieren und dann notgedrungen nach Hilfe rufen zu müssen Dieser »show stopper«, der unterdessen bei vielen Steigen am Beginn eingebaut wird, wurde von Hans Prugger bewusst extrem schwer gehalten – wer hier Probleme hat, sollte unbedingt umkehren! 

Wir halten uns an den Drahtseilen ordentlich fest und gelangen hinauf zur großen Rampe, die uns zu einer Pfeilerwand führt, die senkrecht und glatt vorbei am Adlerhorst nach oben reicht. Der Plattenpfeiler nimmt uns ganz schön die Luft weg, am darüber liegenden Rastplatz, dem sog. »Südwandblick«, wissen wir auch warum – wir befinden uns nämlichbereits auf 2500 Meter Seehöhe. Uns trennen an dieser Stelle immer noch 200 Höhenmeter vom Biergarten – ja, Sie haben richtig gelesen! Doch das Bier müssen wir uns erst verdienen, der »Götterthron«, der »Alb-Will-Pfeiler« und der ausgesetzte Abschlussquergang verlangen noch einmal volle Muskelkraft bis zum Schwierigkeitsgrad D.

Und weiter zum Gipfel des Dachstein…

Nach einer halben Stunde sitzen wir gemütlich auf der Bierbank mit einem Krügerl vor der Seethaler-Hütte direkt am Gletscherrand. Dort hat man erneut die Chance, die Tour bequem abzubrechen, da man nur 25 Minutgen von der Bergstation der Seilbahn entfernt ist. Für uns heißt es aber »Summit Attack«! In wenigen Minuten erreichen wir über den hier spaltenfreien Gletscher den Beginn des Schulteranstieges (300 Hm/B). Auf den ersten 15 Metern geht es ohne Seilsicherung an kurzen Eisenstiften hinauf. Das Seil wurde bei der Sanierung weggelassen, um zu vermeiden, dass sich Wanderer in den Klettersteig verirren. Nach der viel zu kurzen Klettereinlage freuen wir uns aber wieder über das stabile Stahlseil, das uns sicher zum letzten Problem der Tour führt: Haben wir auf der Seethaler zu viel Bier getrunken, oder sind da wirklich so viele Menschen auf dem Normalweg unterwegs? Und vor allem: Wie kommen wir an denen nur vorbei? Wir lösen das Stauproblem am Randkluftanstieg, in den der Schulteranstieg kurz vor dem Gipfel mündet, mit etwas Kletterkönnen. Wir verlassen die Drahtseile und klettern auf den letzten Metern vorsichtig neben den Sicherungen zum Gipfel.

Dort genießen wir eine geniale Fernsicht, die sich vom Großglockner über Hochkönig bis zum Traunstein spannt – alles Berge mit großartigen, aber deutlich kürzeren Klettersteigen. Unter uns liegen 1200 großteils extrem schwierige Klettersteig-Höhenmeter im besten Fels, in uns haben drei Liter Wasser, zwei Müsliriegel, und ein Krügerl Bier Platz gefunden. Eine lange Verweildauer gibt es nach diesem »Ferrata-Everest« nicht, denn ähnlich wie beim Höhenbergsteigen drängt auch am Dachstein die Zeit für den Abstieg – um 17.10 Uhr fährt die letzte Seilbahn ins Tal und die wollen wir unbedingt noch erwischen. Vom Seilbahnfenster aus  können wir dann noch einmal die gesamte Wand überblicken. In Gedanken folgen wir nochmals dieser gewaltigen Route und wissen eigentlich erst jetzt – wir haben diese Super-Ferrata wirklich geschafft!         
Die Super-Ferrata am Dachstein
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 11/2010. Jetzt abonnieren!
 
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