Die Geheimnisse des Tiroler Steinöls
Über die Ölberge am Achensee
© Achensee Tourismus
Wer auf dem Gipfel der Seebergspitze steht, genießt unverstellte Sicht in alle Himmelsrichtungen.
Wer auf dem Gipfel der Seebergspitze steht, genießt unverstellte Sicht in alle Himmelsrichtungen.
»Manchmal denke ich mir schon, dass es schön wäre, dem Großvater den heutigen Betrieb zeigen zu können.« Hätte ein Drehbuchautor überlegt, wann er Hermann Albrecht diesen Satz sagen lässt, er stünde genau hier im Skript. Der 61-jährige, sehnige Mann, Steinölbrenner in dritter Generation, steht lässig in der großen Schaufel des Baggers, mit dem die Albrechts heute im Bächental, auf 1400 Metern Höhe, Ölschiefer hin- und herbewegen. Sein ältester Sohn Bernhard lenkt das Fahrzeug die steilen, schlammigen Serpentinen hinunter, die den Steinbruch mit der Brennerei verbinden.
Charaktereigenschaften, die nie schlecht sind, wenn man es zu etwas bringen will. Die aber besonders von Vorteil waren, wenn man zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Achensee von der Gewinnung des Steinöls lebte. Besonders wenn sich der Ölschiefer, aus dem es destilliert wird, in einem unerschlossenen Tal hinter einem Joch befindet.
Die Familie lebte in Pertisau. Als die Vorkommen im Mariastollen am Achensee zur Neige gingen, durchstreifte der Großvater die Berge ringsum. Hinter dem Gröbnerhals (1654 m) wurde er fündig. Entstanden ist der brennende Stein des Karwendels vor 180 Millionen Jahren, aus Ablagerungen am Boden des Ur-Meeres Tethys. Bei der Entstehung der Alpen wurden sie emporgehoben und durchziehen heute als Streifen deren Gestein. Schon um 1400 wussten die Menschen um die heilende Wirkung des dunklen, nach Asphalt und Schwefel riechenden Zeugs, das Wunden heilen, Muskeln entspannen und Hautprobleme lindern kann.
Die Methoden des Erhitzens und Destillierens waren früher bereits ziemlich ausgetüftelt. Sie waren jedoch beschwerlicher und weniger effizient. Die heutige Anlage, die seit 2006 in Betrieb ist, hat einen Wirkungsgrad von bis zu 90 Prozent. Im Sommer führen die Albrechts Achensee-Touristen durch die Anlage. Die einzelnen Produktionsschritte sind ab dem Moment, wo die 700 Kilogramm Ölschiefer in den beiden Öfen stecken, automatisiert. Fast 30 Sensoren sagen einem Prozessleitsystem auf zwei Stellen hinter dem Komma genau, wie heiß der Ofen an welcher Stelle ist, wo sich wieviel Kühlwasser, Gas und Öl befindet und wie viele Minuten noch verbleiben, bis die nächste Schwelung fertig ist: etwa 10 Liter je Ofen. Alle sechs Stunden füllen die Albrechts oder ihre beiden Bergknappen nach. Während der Sommermonate läuft der Betrieb rund um die Uhr. Bis zu 300 Tonnen Ölschiefer verfeuern sie in dieser Zeit.
Das Öl hat die Familie sogar zu Kriegszeiten ernährt. Hermanns Vater Martin wurde 1940 als Soldat in Norwegen freigestellt und zur Ölproduktion heimgeschickt. Die Reichsmineralverwaltung in Berlin ließ das Steinöl in die Lingner-Werke in Dresden transportieren und in die Chemische Fabrik Stockhausen in Krefeld. »Die antiseptische Wirkung war bekannt«, erklärt Hermann Albrecht, »sie brauchten es für Verwundete«. Doch es gab auch Rückschläge. Zweimal brannte der Betrieb ab. Und einmal wären beinahe die Bergbaubehörden dazwischen gekommen. Kurz bevor der Stollen einbrach, konnten sie die Inspekteure noch von seinem einwandfreien Zustand überzeugen. Er wurde sofort geschlossen. Offizielle Begründung: Die Vorkommen dort sind erschöpft. Das Steinöl wird seither im Tagebau gewonnen.
Der Blick von Osten ist so ungewohnt wie spannend. Es ist diese kleine Denksportaufgabe – welcher Gipfel ist welcher – die die Überschreitung des massiven Bergstocks am Achensee-Westufer auch für erfahrene Wanderer so reizvoll macht: der Perspektivwechsel. Die beiden durch einen Grat verbundenen Gipfel der Seekarspitze (2053 m) und der Seebergspitze (2085 m), die gemeinsam den massiven Rücken bilden, der auch Autofahrer auf dem Weg ins Inntal jedes Mal aufs Neue beeindruckt, bieten dieses Superpanorama jedoch nicht nur in eine Richtung. Sondern im Prinzip in jede.
Unten der langgestreckte, tiefblaue See, der an die Fjorde Norwegens erinnert, an seinem östlichen Ufer Brandenberger Alpen und Rofangebirge, im Norden die Bayerischen Voralpen und im Süden der Alpenhauptkamm, der die Region Achensee vom Inntal trennt. Alles wirkt zum Greifen nah und gleichzeitig neu sortiert. Auf der Achensee-Überschreitung sind diese Panoramen über Stunden der Begleiter. Einzigartig und verdammt eindrücklich.
Die Heilkraft des Achenseer Steinöls
Und obwohl es Zufall ist, ist es doch der einzig richtige Moment, um diesen Satz über den Großvater zu sagen: Schön, wenn er das sehen könnte! Hermann Albrecht spricht ihn ohne Pathos aus. Der Mann, dessen Erbe er fortführt, sieht ihm kaum ähnlich. Er blickt aus einer der ersten Seiten eines Buches, das die Albrechts 2002, zum 100. Betriebsjubiläum, herausgebracht haben. Aber Martin Albrecht senior, geboren 1876, hat eine ähnlich zähe Statur und einen Blick wie sein Enkel: zielstrebig, durchdringend, dabei freundlich und schelmisch.Charaktereigenschaften, die nie schlecht sind, wenn man es zu etwas bringen will. Die aber besonders von Vorteil waren, wenn man zu Beginn des 20. Jahrhunderts am Achensee von der Gewinnung des Steinöls lebte. Besonders wenn sich der Ölschiefer, aus dem es destilliert wird, in einem unerschlossenen Tal hinter einem Joch befindet.
Die Familie lebte in Pertisau. Als die Vorkommen im Mariastollen am Achensee zur Neige gingen, durchstreifte der Großvater die Berge ringsum. Hinter dem Gröbnerhals (1654 m) wurde er fündig. Entstanden ist der brennende Stein des Karwendels vor 180 Millionen Jahren, aus Ablagerungen am Boden des Ur-Meeres Tethys. Bei der Entstehung der Alpen wurden sie emporgehoben und durchziehen heute als Streifen deren Gestein. Schon um 1400 wussten die Menschen um die heilende Wirkung des dunklen, nach Asphalt und Schwefel riechenden Zeugs, das Wunden heilen, Muskeln entspannen und Hautprobleme lindern kann.
Von Albrecht zu Albrecht
Die Familie Albrecht ist die einzige im deutschsprachigen Raum, die es noch heute gewinnt. Eine ganze Pflegelinie ist daraus entstanden, bei der jedes Produkt mindestens drei Prozent des Grundstoffs enthält. In jeder Generation fand sich mindestens ein Albrecht, der die Tradition fortsetzte. Die Ölgewinnung funktioniert ähnlich wie zu Großvaters Zeiten: Einmal pro Saison wird gesprengt, die Trümmer zerkleinert. Früher per Hand, heute mit einem Bagger-gesteuerten Presslufthammer. Dann landen die etwa handgroßen Stücke in Förderwagen und via Materialseilbahn in der Brennerei. Zwei Öfen erhitzen die Brocken in geschlossenen Kavernen auf mehr als 500 Grad. Dadurch tritt das im Schiefer enthaltene Öl als Gas aus. In mehreren Schritten wird es destilliert, die Abluft mehrfach gereinigt.Die Methoden des Erhitzens und Destillierens waren früher bereits ziemlich ausgetüftelt. Sie waren jedoch beschwerlicher und weniger effizient. Die heutige Anlage, die seit 2006 in Betrieb ist, hat einen Wirkungsgrad von bis zu 90 Prozent. Im Sommer führen die Albrechts Achensee-Touristen durch die Anlage. Die einzelnen Produktionsschritte sind ab dem Moment, wo die 700 Kilogramm Ölschiefer in den beiden Öfen stecken, automatisiert. Fast 30 Sensoren sagen einem Prozessleitsystem auf zwei Stellen hinter dem Komma genau, wie heiß der Ofen an welcher Stelle ist, wo sich wieviel Kühlwasser, Gas und Öl befindet und wie viele Minuten noch verbleiben, bis die nächste Schwelung fertig ist: etwa 10 Liter je Ofen. Alle sechs Stunden füllen die Albrechts oder ihre beiden Bergknappen nach. Während der Sommermonate läuft der Betrieb rund um die Uhr. Bis zu 300 Tonnen Ölschiefer verfeuern sie in dieser Zeit.
Das Öl hat die Familie sogar zu Kriegszeiten ernährt. Hermanns Vater Martin wurde 1940 als Soldat in Norwegen freigestellt und zur Ölproduktion heimgeschickt. Die Reichsmineralverwaltung in Berlin ließ das Steinöl in die Lingner-Werke in Dresden transportieren und in die Chemische Fabrik Stockhausen in Krefeld. »Die antiseptische Wirkung war bekannt«, erklärt Hermann Albrecht, »sie brauchten es für Verwundete«. Doch es gab auch Rückschläge. Zweimal brannte der Betrieb ab. Und einmal wären beinahe die Bergbaubehörden dazwischen gekommen. Kurz bevor der Stollen einbrach, konnten sie die Inspekteure noch von seinem einwandfreien Zustand überzeugen. Er wurde sofort geschlossen. Offizielle Begründung: Die Vorkommen dort sind erschöpft. Das Steinöl wird seither im Tagebau gewonnen.
Tourentipp am Achensee: Überschreitung mit Seeblick
Eigentlich muss sie das sein, die Birkkarspitze. Und das im Vordergrund die Montscheinspitze. Aber etwas ist anders. Auf die Stirn der Wanderer, die auf dem Gipfel der Seebergspitze sitzen – im Rücken, tief unten, den Achensee, im direkten Blickfeld Richtung Westen die Gipfel des Karwendels – legen sich grüblerische Falten. Sie kennen all die Berge, die sich hier zum Greifen nahe ausbreiten. Doch sie kennen diese Ketten aus einer anderen Perspektive.Der Blick von Osten ist so ungewohnt wie spannend. Es ist diese kleine Denksportaufgabe – welcher Gipfel ist welcher – die die Überschreitung des massiven Bergstocks am Achensee-Westufer auch für erfahrene Wanderer so reizvoll macht: der Perspektivwechsel. Die beiden durch einen Grat verbundenen Gipfel der Seekarspitze (2053 m) und der Seebergspitze (2085 m), die gemeinsam den massiven Rücken bilden, der auch Autofahrer auf dem Weg ins Inntal jedes Mal aufs Neue beeindruckt, bieten dieses Superpanorama jedoch nicht nur in eine Richtung. Sondern im Prinzip in jede.
Unten der langgestreckte, tiefblaue See, der an die Fjorde Norwegens erinnert, an seinem östlichen Ufer Brandenberger Alpen und Rofangebirge, im Norden die Bayerischen Voralpen und im Süden der Alpenhauptkamm, der die Region Achensee vom Inntal trennt. Alles wirkt zum Greifen nah und gleichzeitig neu sortiert. Auf der Achensee-Überschreitung sind diese Panoramen über Stunden der Begleiter. Einzigartig und verdammt eindrücklich.
- Charakter: konditionell anspruchsvolle Panoramatour, die Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordert
- Ausgangspunkt: Campingplatz in Achenkirch (gebührenpflichtig)
- Route: Parkplatz, Seekarspitze (2053 m), Seebergspitze (2085 m), Pertisau – mit dem Schiff zurück nach Achenkirch oder zu Fuß am Westufers des Sees entlang
- Zeit: ca. 6–8 Std.
- Höhenunterschied: 1680 Hm
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Von Sandra Zistl
Fotos:
Achensee Tourismus, Sandra Zistl, Tiroler Steinöl – www.steinoel.at
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 06/2015. Jetzt abonnieren!
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