Der Weg ist das Ziel. Ein Satz, den man oft vernimmt in Bergsteigerkreisen. Sozusagen ein geflügelter Satz. Und Jahrzehnte lang Slogan des DAV Summit Club. Günter Sturm, der ehemalige Geschäftsführer, erinnert sich: »War die Expedition erfolgreich verlaufen, ist hinterher alles gut gewesen, die Organisation, die Bergführer – es hat gepasst. Blieb der Gipfelerfolg aber aus, war alles schlecht. Dabei ist eine Auslandsbergfahrt oder Expedition auch ohne Gipfel eine wertvolle Erfahrung und ein großartiges Erlebnis. Der Gipfel ist nicht alles. Deshalb habe ich ›Der Weg ist das Ziel‹ – gelesen bei Henry Hoek – als unsere Reisephilosophie eingebracht.«
In der Tat, der Geologe, Schriftsteller, Journalist, Skipionier und Bergsteiger hat einen solchen Satz hinterlassen. In seinem Buch »Wege und Weggenossen« heißt es: »(…) verstehen und billigen wird meine Ansichten und mein Leben nur, wer mit mir im Wandern ein Sinnbild des Lebens sieht, nur wer, wie ich, wandert um des Wanderns und nicht um des Zieles willen. (…) nur wem sein Blut mit jeder Welle flüstert: ›Mein Weg ist mein Ziel‹, und wer so denkt und fühlt, wird mir Recht geben und kann mich verstehen.« – Manche schreiben ja dieses »Der Weg ist das Ziel« den chinesischen Philosophen Lao-Tse (richtig vermutlich Laotsi, gelebt im 6. Jh. v. Chr.) oder Konfuzius (551 – 479 v. Chr.) zu. Von ersterem stammt die Aussage »Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg«. Von letzterem kann man lesen »Ich habe meinen Willen auf den Weg gerichtet«. Ob das aber nun wirklich so gesagt wurde, ist insofern fraglich, als die chinesische Sprache viel Spielraum für Interpretationen lässt. Da halten wir Bergsteiger uns doch besser an Hoek und vermerken, das Günter Sturm dessen in Nuancen abgewandeltes Zitat erst richtig bekannt gemacht hat.
Mit einem Schaukelstrick
Die Erfolgsgeschichte des »DAV Summit Club – Bergsteigerschule des Deutschen Alpenvereins« ist auch die Erfolgsgeschichte des Günter Sturm. 1940 in Eichstätt geboren, war er bergsteigerischer Autodidakt. Am Burgfelsen im Altmühltal beobachteten er und sein Freund Hartwig Bauer eine Seilschaft, die sich in 40 Metern Höhe ins Wandbuch des »Dolomitenweges« eintrug. Der verlangte in seiner Querung den V. Schwierigkeitsgrad. Günter und Hartwig stiegen ohne Seil ebenfalls zu diesem Wandbuch auf und schafften es, wieder zurückzuklettern. »Meine erste Klettertour hätte ohne Schutzengel auch meine letzte sein können«, so Sturm. Er erfuhr Förderung durch den damaligen Ersten Vorsitzenden der DAV-Sektion Eichstätt, Dr. Karl Biechele, der auch Ausrüstung zur Verfügung stellte.
Vorbei die Zeiten, da Günter mit einem Schaukelstrick vorlieb nehmen musste. Er machte mit 16 seine ersten Alpentouren, im Kaisergebirge den »Heroldweg« und die Fleischbank-Ostwand, und mit Nürnberger Kletterern ging’s in die Dolomiten, wo an den
Drei Zinnen Routen wie die »Demuthkante« oder der »Preußriss« glückten. »Viel gelernt habe ich von Lothar Brandler, der damals in Neuburg an der Donau lebte und arbeitete.« Da Günter den Ruf des besten Sportlers am Gymnasium innehatte, lag es auf der Hand, dass er Sport studierte, als Sportlehrer im freien Beruf an verschiedenen Münchner Schulen tätig war und später in Köln sein Diplom machte. Noch mehr aber faszinierte den extremen Bergsteiger der Gedanke, Berg- und Skiführer zu werden, und er stand ab 1962 in der Ausbildung hierzu. Mitte der 1960er-Jahre ließ er sich von seiner Sportlehrertätigkeit beurlauben und hat ein Jahr lang nur geführt, unter anderem für den »Fahrtendienst des Deutschen Alpenvereins«.
Der »Kletterbrocken«, weltweit erste Kletteranlage
Von 1967 an war Günter Sturm Leiter der Bergsteigerschule und der Bergsportabteilung von Sport Scheck in München. Da er die Konglomeratfelsen des Münchner Klettergartens Buchenhain nicht als besonders prickelnd empfand, kam er auf die Idee des »Kletterbrockens«, der weltweit ersten Kletteranlage, die nach »grünem Licht« durch Otto Scheck nach Sturms Vorstellungen und Hans Feldhusens (langjähriger Hüttenreferent im DAV) Plan in München-Unterföhring realisiert wurde. Zur Einweihung organisierte Sturm ein Sicherheitsymposium mit illustren Teilnehmern aus der Bergsteigerszene und (teilweise) unter Beisein der Medien. Dabei wurde erstmals die dynamische Sicherungsmethode »Karabiner-Kreuzsicherung« vorgestellt. Zu dumm nur, dass der Deutsche Alpenverein zu dieser spektakulären Veranstaltung keinen Vertreter entsandt hatte. Man sah sich vom »Werberummel eines Sporthauses« abgestoßen. »Alpinismus«-Chefredakteur Toni Hiebeler geißelte die Abwesenheit des DAV heftig, doch machte man dort mit der Konstitution des Sicherheitskreises 1968 diesen Fauxpas mehr als wett. So ließe sich konstatieren, dass man für den Sicherheitskreis nicht nur Toni Hiebeler und Manfred Sturm, sondern – zumindest indirekt – auch Günter Sturm zu dessen Vätern zählen darf.
Die Ausbildung umgekrempelt
1969 wurde Sturm durch den
DAV von Sport Scheck abgeworben und Leiter des 1957 vom damaligen Referenten für Ausbildung und Bergsteigen Hans Thoma ins Leben gerufenen »Fahrtendienstes«. Dies war zu der Zeit, da man einen selbstständigen Deutschen Bergführerverband gründete, dessen erster Vorsitzender Anderl Heckmair wurde. Es lag auf der Hand, dass der DAV damit nicht glücklich war, er fürchtete um seine Ausbildungskompetenz. Sturm schaffte es damals, einen Konsens zwischen dem neuen Bergführerverband und dem Alpenverein herzustellen. In der Ausbildungskommission saßen fürderhin denn auch zwei Bergführer des Verbandes, zwei des Alpenvereins sowie dessen Ausbildungsreferent. Dabei blieb der Bergführerverband unabhängig. – 1970 wurde – Sturms erste Amtshandlung – aus dem Fahrtendienst die »Berg- und Skischule des Deutschen Alpenvereins«. Durch seine Skilehrertätigkeit an effiziente Ausbildungsrichtlinien gewöhnt, krempelte er die Berg- und Skiführerausbildung um, modernisierte sie, brachte mit Freund Fritz Zintl erste, revolutionäre Lehrpläne heraus. Die Berg- und Skischule bot 1969/70 neben Kursen und Hochtourenwochen in den Alpen bereits begeisternde Auslandsbergfahrten an. Auch hierfür konnte Günter Sturm seine Erfahrungen aus erster Hand einbringen. Ob Jiliper Peak, Rund um das gesamte Dhaulagirimassiv oder Karakorum – der Berg- und Skischule-Boss probierte das, was er später ins Programm nahm, zunächst einmal selber aus – nicht ohne sein Diktiergerät.
Gefährten der ersten Stunde waren Martin Schließler und Erich Reismüller, auch Arnold Hasenkopf oder Hermann Wolf wären hier zu nennen. Für wichtige Kontakte vor Ort – als es noch längst keine Agenturen gab – hatte Sturm in den Anfangsjahren mit dem ADAC zusammengearbeitet. Nepalkenner Christian Kleinert wurde zum wichtigen Berater und 1970 im (noch verhältnismäßig dünnen und schmalen, nichtsdestoweniger gehaltvollen) Katalog der in Europa unbekannte Begriff »
Trekking« verwendet. Sturm erdachte den ersten Trekkingschuh, der dann von Koflach realisiert wurde, und für das Erscheinungsbild des Berg- und Skischule-Programms – später sollte er das gesamte »Corporate Identity« prägen – sorgte von Anfang an der bergsteigerisch beschlagene Grafiker und Designer Franz Leander Neubauer.
Große Expeditionen
Ein Bergsteiger von den Qualitäten des Günter Sturm denkt natürlich auch an eigene Expeditionen. So glückte ihm 1973 mit George Aikes die Erstbesteigung des Cerro Moreno (heute Cerro dos Cumbres, 3249 m) überm patagonischen Inlandeis über einen 1400 Meter hohen Grat mit Felsschwierigkeiten bis VI und steilem Eis. Es folgte die erste Ski-Überschreitung des Mount McKinley innert zehn Tagen mit Erich Reismüller, Ekke Gundelach und Lutz Freier und 1975 der Yalung Kang (8438 m), der Kangchendzönga-Westgipfel. Fast die komplette Mannschaft (erste Seilschaft Michl Dacher, Erich Lackner, Rolf Walter, zweite Seilschaft Gerd Baur, Peter Vogler, Helmut Wagner, dritte Seilschaft Sepp Mayerl, Günter Sturm, Fritz Zintl) konnten – auf neuer Route – den Gipfel erreichen. 1977 stand Günter auf dem Lhotse (8511 m), 1980 als Leiter der Ersten Deutschen Tibet-Expedition auf dem Gipfel der Shisha Pangma (8013 m). 1982 ging es auf teilweise neuer Route auf den Gasherbrum I (Hidden Peak, 8068; Dacher, Hupfauer, Sturm), und zwei Jahre später klappte es mit dem Manaslu (8156 m) über die Normalroute (Zintl, Dacher, Rudi Schaider, Dr. Wolfgang Schaffert, Günter Sturm). Auch bei diesen Unternehmungen fungierte Sturm als Expeditionsleiter.
Sozialverträglich und umweltbewusst
Man schrieb 1984, da Sturm die »kommerzielle DAV-Tochtergesellschaft« (seit 1977) in »DAV Summit Club – Bergsteigerschule des Deutschen Alpenvereins« umbenannte. »Unsere alljährliche Veranstaltung in Berchtesgaden, wo man viele Freunde traf, vermittelte eine Art ›Club-Atmosphäre‹, deshalb der neue Name.« Wenn diesem auch manche Skepsis entgegengebracht wurde – er setzte sich durch, setzte sich fest als Fanal des erfolgreichen Veranstalters. Seine Expeditionen hatte Sturm nicht nur zur puren Selbstverwirklichung unternommen, er brachte stets Erkenntnisse in die DAV-Bergsteigerschule ein, ging mit offenen Augen durch die Welt. Summit-Club-Unternehmungen hatten bald den Ruf von Sozialverträglichkeit und Umweltbewusstsein inne. Statt mit Holz und dem damit einhergehenden Raubbau in Nepals Wäldern wurde mit Kerosin gekocht; die Träger wurden ordentlich ausgerüstet, verpflegt, versichert und bergsteigerisch ausgebildet, das Lodge-Trekking entwickelt. Der Summit Club war nicht nur der größte Arbeitgeber für Bergführer geworden, sondern auch ein beachtlicher für Einheimische vor Ort (Trekking-Guides). Über 2000 Leute reisten zu Hoch-Zeiten jährlich nach Nepal, ein kleiner Teil davon versuchte sich dabei auch – vielfach mit Erfolg – an anspruchsvollen 8000er-Gipfeln.
Zwei schwere Unglücke
Doch wo viel Licht, da auch Schatten. Es spricht für die so weit wie möglich perfektionierte Arbeit des Clubs, dass Jahrzehnte lang nichts passierte. Dennoch – man kam nicht ungeschoren davon. Im November 1994 ereignete sich am 6091 Meter hohen Pisang Peak (Nepal) ein Mitreißunfall, ausgelöst vermutlich durch Schneebrettabgang. Und am 28. Dezember 1999 traf den DAV Summit Club ein Lawinenunglück im Bereich der Jamtalhütte. Beide Male waren elf Tote zu beklagen. Unglücke, vor denen niemand gefeit ist, der sich in den Gefahrenraum Hochgebirge begibt. Bergführer sind Garanten für weitestgehende Sicherheit. Aber eine 100-prozentige wird es nie geben. Deshalb wird heutzutage zu Recht eine Eigenverantwortung seitens der Teilnehmer von kommerziellen Bergfahrten eingefordert.
Und heute?
»Mister Summit Club« Günter Sturm (unter anderem Träger des »Silbernen Lorbeerblatts«, der höchsten Sportauszeichnung in Deutschland) hat Ende 2004, nach 35-jähriger Tätigkeit für die Bergsteigerschule des Deutschen Alpenvereins, den (Un)Ruhestand angetreten. Sein Nachfolger war Günther Härter – renommierter Bergführer und langjähriger Chef-Stellvertreter im Club – geworden. Leider scheint man es im Alpenverein versäumt zu haben, Härters Kompetenz auf Dauer zu halten. Er hat sich mit seinen »Top Mountain Tours« selbstständig gemacht. Nunmehr ist Ralph Bernhard Summit-Club-Geschäfts-führer. Er kommt nicht aus der Bergsteigerszene, setzt andere Schwerpunkte, aber das muss kein Werturteil und auch nicht schlecht sein. Seine Bergführer sind Pfunde, mit denen er wuchern kann und unter ihnen gefällt mir derzeit besonders Luis Stitzinger, der erfolgreich die Summit-Club-Expeditionen zum Nanga Parbat (2008) und zum Dhaulagiri (2009) durchführte. Bei letzterer standen sieben von neun Teilnehmern, darunter neben dem Leiter drei (!) Frauen auf dem Gipfel – wiederum auch (wie am Nanga Parbat) Luis’ Lebenspartnerin Alix von Melle.
PS. Am 9. Januar 2010 feiert Günter Sturm seinen 70. Geburtstag – der BERGSTEIGER gratuliert herzlich!
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