Wenn die Sonne am Horizont verschwindet, dann erwacht die Natur zum Leben und mit ihr der Mensch. Die Farmer in Namibia sitzen jetzt auf der Terrasse, öffnen ihr gekühltes Windhoek Lager und blicken hinaus ins weite Land. Draußen im »Veld«, wie die Savanne hier heißt, bellen die Wüstengeckos, hin und wieder hört man einen der nachtaktiven Savannen- und Wüstenbewohner auf der Suche nach Nahrung. Zu Füßen der Spitzkoppe knistern die Lagerfeuer. Rindersteak, Boerewors – eine schneckenförmige Bratwurst – und Kudufleisch liegen parat. Bald zieht der Duft von gegrilltem Fleisch über die dreißig weit verstreuten Stellplätze des Campingplatzes. Samstagabend Ende September. Ein paar Familien aus Südafrika machen Zwischenstation auf dem Weg zum Etosha Nationalpark, zwei Plätze sind mit europäischen Touristen belegt, und den Rest teilen sich einheimische Kurzurlauber aus Windhoek und Swakopmund.
Klettern am »Matterhorn Namibias«
Die Spitzkoppe liegt auf dem Land der Damara. Sie profitieren von der Großartigkeit der Landschaft. Als »Matterhorn Namibias« wird die Spitzkoppe bezeichnet, tatsächlich besteht das Massiv aber aus einer ganzen Reihe von roten Granitfelsen, mit der Großen Spitzkoppe (1728 m) als höchstem Gipfel, mit den Pontoks, mit Sugar Loaf und einigen kleineren Felsen. Zum Klettern eignen sich fast alle. Manche der über hundert Routen hier sind plaisirmäßig abgesichert mit gutmütigen Hakenabständen und verlässlichen Standplätzen. Sogar ein paar Klettergärten existieren, wo man ganz nach »Sichern-aus-dem-Sofa-Manier« dem Kletterspaß frönen kann. Dann sind da aber auch die Alpinschocker, allen voran die Große Spitzkoppe. 700 Höhenmeter erhebt sich der Gipfel über der Ebene, der einfachste Anstieg wird mit V bewertet. Seit vor einigen Jahren ein amerikanischsüdafrikanisches Filmteam an der Spitzkoppe drehte und Teile des Areals mit Wildzäunen verbaute (und nicht wieder rückbaute), ist der Ausgangspunkt nur noch zu Fuß erreichbar, der Zustieg zugewachsen und die ohnehin nicht einfach zu findende Route kaum mehr begangen. Montagmorgen, sieben Uhr. Über der Ebene geht die Sonne auf, taucht die Granitwände in warmes Licht. Der Schatten eines Kameldornbaums greift mit bizarren Fingern nach dem Felsansatz. Zwei Klippschliefer sitzen auf einem Felssporn und verfolgen jede Bewegung der Kletterer.
Das Massiv Sugar Loaf gehört eindeutig nicht mehr zum Revier der Nager. Nur die Geckos sausen über die steilen Platten. Und ab und an die Kletterer in der »Nordostwand« (17), auf der »Great White Dyke« (16) oder sie genießen ganz und gar die Elemente in »Clouds of Hope« (21), »Winds of Despair « (17), »Rivers of Sand« (19), »Rumours of Rain« (21) und den anderen vier Sportkletterrouten. Steile Reibungsplatten, in denen die Füße auf kleinen Schuppen und sandgestrahlten Quarzen Halt suchen. Bewertet wird in Namibia nach der Südafrikanischen Skala von 13 bis 36 (siehe Tabelle). Die ersten Schritte in der »Rumours of Rain« sind gewöhnungsbedürftig.
Auf einem Fuß balancierend muss man zunächst die Sandkristalle von den Sohlen der Kletterschuhe streifen. Dann folgen einige Schritte auf nicht allzu steilem, rotem Granit, bis die Platte ihr wahres Gesicht zeigt. Und das ist in erster Linie steil. Nun ja, wäre die Wand um 45 Grad gekippt, könnte man sie mit dem Jeep hinauffahren und das würden wir ja auch nicht wollen. Also vorsichtig hinauftänzeln. Höher und höher. Mit jedem Meter wird die Aussicht besser. Nicht, dass dafür während des Kletterns Muße wäre, aber an den Standplätzen kann man in die Runde schauen. Die zweite Seillänge fällt uns leichter, über eine Wasserrinne geht es weiter bis zum fast genüsslichen Finale. Ein wenig weiter rechts könnte man einen echten Wüstensturm erleben (»Desert Storm«, 21) mit einer noch stürmischeren Einstiegsvariante von zwei Seillängen, die »Metamorphose«. Erstbegeher:
Kurt Albert. 45 Grad gekippt hätten wir auch eine Chance. Aber wie die Sache nun einmal ist, müsste man für die Albert-Route schon eine Acht solide klettern können. Außerdem sitzen die nächsten Bergretter im knapp 2000 Kilometer entfernten Kapstadt. Also lieber schnell noch die »Desert Rose«, 13, bevor es zu heiß wird.
Konzert der Vögel im Boulder Valley
Mittags. Von zwölf bis zwei ist Konzert am Dinosaur Rock im Boulder Valley. Jeden Tag. Zwei graubraune Vögel sitzen dann in der Akazie und singen. Mal im Wechsel, mal im Duett. Im Schatten der Felsen streicht ein leichtes Lüftchen durch die riesigen Blöcke. Manchmal gelingt es, ein Kapitel zu lesen, aber meist lausche ich nur den beiden Konzertsängern über mir. Am späten Nachmittag wird es Zeit für eine zweite Klettertour. Die Wahl fällt auf die Klipdachswand. Sie ist der Spitzkoppe im Süden vorgelagert und wird vom Rhino Horn abgeschlossen, einem steilen Felsturm mit drei Routen, zwei davon ebenfalls Albert-Begehungen. Eine Viertelstunde schlängeln sich Steigspuren durch Butterbäume und Granitkugeln. Die Felsen liegen jetzt im sanften Abendlicht, sie sind noch angenehm warm, aber man verbrennt sich nicht mehr die Finger. Auch die Fliegen sind nicht mehr so lästig wie zur Mittagszeit. Klettern, Konzert, Klettern, Lagerfeuer, Sternenhimmel. Das ist das namibianische Paradies an der Spitzkoppe.
Von der Klipdachswand blickt man hinüber zum Sugar Loaf und hinab auf die schönsten Zeltplätze, die mitten zwischen den Klettergärten liegen. Boulder Valley heißt dieser Abschnitt bezeichnenderweise; die Blöcke haben Namen wie Bushman Rock, Dinosaur Rock oder Elephant, Rhino und Lion Rock. Elefanten, Nashörner und Löwen bekommt man rund um die Spitzkoppe ebenso wenig zu Gesicht wie Dinosaurier. Aber die Spuren im Sand zwischen der Großen Spitzkoppe und der Felsenkette der Pontoks sehen schon eigenartig aus. Ganz frisch sind sie auch. Wie ein großer Paarhufer. Eigenartig. In einer Woche Klettern haben wir außer Vögeln und Geckos nur Klippschliefer und kleine Antilopen gesehen. Kaum ist man jenseits des Wildzauns unterwegs, um Boulderblöcke zu inspizieren und Buschmannzeichnungen anzusehen, da kreuzt großes Wild unseren Weg.Wirklich auffällig wird die Fährte, als wir zurück zum Wildzaun kommen, über die zwei Meter hohe Absperrung klettern und rund ums Auto wieder die Abdrücke des Großwilds finden. Bestimmt sitzen irgendwo die Geister verstorbener Buschmänner und lachen sich schief über die europäischen »Fährtenleser«, als diese erkennen, dass sie Turnschuhprofile im Paarhuferlook tragen.
Freitagnachmittag. Die Essensvorräte gehen zur Neige, die letzte Büchse Windhoek Lager liegt einsam in der Kühlbox. Es wird Zeit für eine Fahrt nach Usakos. Am Tor des Camps stehen zwei junge Damaraburschen. »We missed the bus to Usakos!« Dabei müssen sie doch unbedingt die Einkäufe fürs Wochenende erledigen. Wir räumen die Rückbank für sie frei.
Fassbier und zwei Flaschen Schnaps
Klettern? Ja, das machen sie auch. »Have you been at Herero Arch?«, wollen die beiden wissen. Der Herero Arch ist eine Nummer zu groß. Vier Tage benötigten die Erstbegeher im Jahr 2000 für die zwölf Seillängen, eine großartige Linie durch die Südwestwand der Großen Spitzkoppe mit Schwierigkeiten bis IX-/A1. Auch die beiden Damara haben sie noch nicht begangen. Am Wollen und Können würde es nicht liegen, nur an der Ausrüstung. Und an den vielfältigen Pfl ichten wie Einkaufen. Umso erstaunlicher, dass die beiden in den Läden in Usakos gelangweilt durch die Regale schlendern. Erst vor einer Baracke am Ortsrand werden sie munter. »Stop. That’s the place.« Mit einem Fass Bier und zwei Flaschen Schnaps kommen sie zurück. Und der Frage, ob wir ihnen Geld dafür leihen können. Nach kurzer Diskussion trennen sich unsere Wege: Wir fahren zurück zur Spitzkoppe, die beiden Nachwuchskletterer bleiben mit ihrem unbezahlten Bierfass in Usakos. Vielleicht finden sie ja noch jemand, der als Sponsor fürs feuchte Wochenende einspringt. Immerhin war es für alle ein gutes Geschäft: Sie haben eine Fahrt von der Spitzkoppe nach Usakos bekommen, wir im Gegenzug die Information, wo im Klettergarten Felsenteich die besten Routen liegen. Die werden wir morgen ausprobieren. Ohne Fassbier.
Infos zu den Klettermöglichkeiten in Namibia
Anreise: Direktflüge von Frankfurt nach Windhoek bieten Air Namibia oder Condor mehrmals pro Woche an. Von Windhoek am besten per Mietwagen zur Spitzkoppe, über Okahandja und Usakos, knapp 300 km, teilweise Schotterpiste, ca. 4 Std. Linksverkehr. 4x4 sinnvoll
Beste Zeit: April bis September, wenn so gut wie kein Niederschlag fällt und die Temperaturen erträglich sind. Im dortigen Sommer zwischen Oktober und März steigen die Tagestemperaturen auf bis zu 40 Grad Celsius, was an den roten Felswänden verbrannte Finger bedeutet.
Gebietscharakter: Weiträumiges Gebirgsmassiv im Westen Namibias mit der Großen Spitzkoppe (1728 m) als höchstem Gipfel.
Alpine Mehrseillängenrouten ebenso wie eingebohrte Ein- und Mehrseillängenrouten mit
Sportklettercharakter. Rötlicher Granit von guter Qualität. Das gesamte Gebiet der Spitzkoppe ist Naturreservat und liegt auf dem Stammesgebiet der Damara. Zu Zeiten der südafrikanischen Ferien einigermaßen gut besucht, sonst sind kaum Seilschaften unterwegs.
Unterkunft: Direkt zwischen den Felsen gibt es den Community Campsite mit 30 Zeltplätzen, einfache Ausstattung, aber mit Toiletten. Wasser oft nur an der Rezeption. Informationen unter
www.spitzkoppereservations.com oder
www.spitzkoppe.com
Verpflegung/Tankstellen: Einkaufsmöglichkeiten und Tankstellen bietet das etwa eine Fahrstunde entfernte Usakos, eingeschränkte Einkaufsmöglichkeiten an der Rezeption des Camps.
Literatur: Eckhardt Haber »Spitzkoppe and Pontoks – Namibia: A Climber’s Paradise«, Cape Town 2010, Blue Mountain Publication; im Büro des Spitzkoppe Community Camps liegen Kopien von neuen Topos aus.
Weitere Klettergebiete in Namibia: Erongogebirge, Brandberg, Blutkuppe im Namib Naukluft-Gebiet, Tirasberge sowie einige Sportkletter gebiet im Süden des Landes
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