Wrackteile eines Flugzeugs im Eis des Umbalkees
Die Tante aus dem Eis - am Umbalkees in Osttirol
© Anne Gabl
Am Rande des Gletschers hat man einen fantastischen Blick auf die 3496 Meter hohe Rötspitze.
Am Rande des Gletschers hat man einen fantastischen Blick auf die 3496 Meter hohe Rötspitze.
Nach zwei Nächten auf dem Eis, am Dreikönigstag 1941, hatten die Männer endgültig genug vom Gletscher. Ihr Flugzeug, eine Junkers Ju 52, war nach der Notlandung auf 3200 Metern reif für den Schrottplatz; der Sturm trieb den Schnee vorüber, die Temperatur sank auf minus 30 Grad. Sie hatten das Seegras aus den Sitzpolstern zu Tee aufgebrüht und ihre wenigen Kekse streng rationiert, die brennenden Teile des Wracks zum Feuern genutzt, Leuchtraketen und Schüsse in der Hoffnung auf Rettung abgefeuert. Zehn der elf Besatzungsmitglieder hatten sich beim Aufprall verletzt, der Funker sogar lebensgefährlich. Nun wagten drei von ihnen den Abstieg nach Süden.
Wer heute von der 3499 Meter hohen Dreiherrnspitze hinab läuft, kann höchstens ansatzweise nachvollziehen, wie es den Männern damals ergangen sein muss. Klar, das Umbalkees ist noch immer da; seine beeindruckenden Eismassen werfen Spalten und Löcher, in die ganze Häuser passen, das Gletschertor öffnet sich wie aus dem Lehrbuch. Doch hat der Gletscher allein in den vergangenen 15 Jahren etwa ein Zehntel seiner Länge eingebüßt; auf alten Bildern sieht man, mit welchem Hunger sich das Eis einmal durchs Umbaltal gefressen hat.
Zudem ist die Dreiherrnspitze über dem Umbaltal eher ein Sommerberg, zumindest geht kein klar denkender Mensch im Januar durch jenen gefährlichen Flaschenhals unterhalb des Gletschers, wo die Clarahütte mehr als einmal den Lawinen zum Opfer fiel. Erst zwei Tage nach ihrem Abmarsch kamen die drei Männer anno 1941 im Osttiroler Bergdorf Prägraten an und organisierten Hilfe für die Kameraden. An Ostern war das Flugzeug bereits in Schnee und Eis versunken. »Dann war 60 Jahre lang Ruhe«, sagt Friedl Steiner.
Aufgetaut nach Jahrzehnten: ein Motor der Junkers Ju 52 am Umbalkees (©Friedl Steiner)
Wenn Steiner erzählt, bekommt man den Eindruck, dass sich dort oben zwischen Hinterer und Vorderer Gubachspitze ein wahrer Militärkrimi abgespielt hat. So hätten die beim Flugzeug verbliebenen Havaristen wohl »Dinge beseitigt«, ehe sich vier der acht verbliebenen Flugzeuginsassen in der Essener Hütte – damals noch ein eigenständiger Bau – unterhalb des Umbalkees einquartierten.
Auch habe sich am 10. Januar eine vom Fliegerhorst Annabichl angeforderte Hilfsmannschaft zur »Bergung und Abmontierung wichtiger Bestandteile des Flugzeugs« aufgemacht. Die Personenrettung überließ sie dagegen einer Patrouille der Zollwache und den Helfern aus Prägraten. Der Funker starb trotz allem. »Gehirnaustritt«, heißt es in der Chronik.
Anschließend ließen Tante Ju und der Rest der Welt offenbar ein bisschen Eis über die Sache wachsen. Doch das Eis, es ist nicht ewig und es steht erst recht nicht still. Als sich im Juli 2002 eine Gruppe der Prägratener Bergrettung über das Umbalkees auf den Weg zur Dreiherrnspitze machte, entdeckte sie auf 2750 Metern ausapernde Flugzeugteile. »Wir haben es dann in zig Flügen runtergeschafft, damit sich das niemand anderes aneignet«, meint Steiner, der Bergretter. Das Cockpit von Tante Ju ließ sich rekonstruieren; trotz der 60 Jahre dauernden Zeitreise im Eis stammen noch 80 Prozent der Teile vom Original. Einer der drei BMW-Motoren sei so gut erhalten, »der würde sicher funktionieren, wenn man ihn zerlegt und wieder zusammenbaut«.
Aber nicht nur harmlose Allmetallteile liegen im Zehrgebiet des Umbalkees’. Erst vor wenigen Monaten wurden auch 94 Stabbrandbomben aus dem Zweiten Weltkrieg geborgen. »Etliche waren noch scharf. Da kann man sich als Bergsteiger schwere Verbrennungen holen, wenn man unwissend damit herumhantiert «, sagt Steiner. Da sie britischen Fabrikats sind, gibt es über ihre Herkunft mehrere Theorien. Steiner meint: »Möglicherweise wurden sie einfach als unnötiger Ballast entsorgt und haben mit der Ju 52 gar nichts zu tun.«
Das restaurierte Cockpit steht derzeit übrigens am Flughafen Mönchengladbach. Es wurde für zwei Jahre anlässlich der Eröffnung des Hugo-Junkers-Hangars verliehen. Wer aber im Sommer mit offenen Augen über das Umbalkees flaniert, kann angesichts so mancher Flugzeugpartikel erkennen, was mit Kriegsmaschinen passiert, die in die Mühlen der Natur geraten.
Das Umbalkees in den 1940er Jahren (©Friedl Steiner)
Johann Stüdl kam, sah – und empfahl, an diesen Hang im hinteren Umbaltal eine Hütte zu bauen. Ein Prager Kaufmannskollege, Prokop Edler von Ratzenbeck, legte 1872 auch gleich das Geld auf den Tisch – und schenkte die 20-Quadratmeter-Immobilie seiner Frau Clara. Seitdem heißt sie Clarahütte.
Nur leider war der Hang nicht so gut geeignet, wie der Alpentourismuspionier Stüdl vermutet hatte. Immer wieder rissen Lawinen das kleine Gebäude nieder. Gerade erholt sich die Clarahütte für Baukosten in Höhe von 1,35 Millionen Euro von einem Lawinenabgang, der schon 2012 über sie hereinbrach. Der Umbau ist noch immer nicht komplett abgeschlossen, aber anders als beispielsweise bei der neuen Höllentalangerhütte, wo die Tradition komplett der Moderne zum Opfer fiel, bleibt die alte Clarahütte im Vordergrund erhalten. Dahinter wurde der Neubau vom Innsbrucker Architekten Klaus Mathoy in den Hang eingegraben. Die Hütte funktioniert damit wie ein Termitenhügel: Der wichtige Teil mit den Schlafräumen liegt kaum sichtbar und gut geschützt unter der Erde.
Wurde schon öfter von Lawinen zerstört: die Clarahütte
Wer heute von der 3499 Meter hohen Dreiherrnspitze hinab läuft, kann höchstens ansatzweise nachvollziehen, wie es den Männern damals ergangen sein muss. Klar, das Umbalkees ist noch immer da; seine beeindruckenden Eismassen werfen Spalten und Löcher, in die ganze Häuser passen, das Gletschertor öffnet sich wie aus dem Lehrbuch. Doch hat der Gletscher allein in den vergangenen 15 Jahren etwa ein Zehntel seiner Länge eingebüßt; auf alten Bildern sieht man, mit welchem Hunger sich das Eis einmal durchs Umbaltal gefressen hat.
Zudem ist die Dreiherrnspitze über dem Umbaltal eher ein Sommerberg, zumindest geht kein klar denkender Mensch im Januar durch jenen gefährlichen Flaschenhals unterhalb des Gletschers, wo die Clarahütte mehr als einmal den Lawinen zum Opfer fiel. Erst zwei Tage nach ihrem Abmarsch kamen die drei Männer anno 1941 im Osttiroler Bergdorf Prägraten an und organisierten Hilfe für die Kameraden. An Ostern war das Flugzeug bereits in Schnee und Eis versunken. »Dann war 60 Jahre lang Ruhe«, sagt Friedl Steiner.
Aufgetaut nach Jahrzehnten: ein Motor der Junkers Ju 52 am Umbalkees (©Friedl Steiner)
Ein Militärkrimi am Gletscher
Steiner ist Ortsstellenleiter der Bergrettung Prägraten; er hat die Junkers Ju 52 am Umbalkees zu seinem Hobby gemacht. Wie alle Kenner der Militärgeschichte nennt er den Flugzeugtyp fast liebevoll »Tante Ju«. Die Tante aus dem Eis gehört ihm sogar zur Hälfte. Er hat auch eine Webseite zu dem Thema erstellt, denn irgendwie fühlt er sich der Geschichte verpflichtet. »Wir haben ja keine Zeitzeugen mehr«, sagt Steiner. Dabei war sein Großvater einst sogar Wirt auf der Rostocker Hütte, die während der Bergungsaktion als Stützpunkt diente und später zur Essener-Rostocker-Hütte ausgebaut wurde. »Aber die Großeltern haben nie etwas erzählt«. Steiner meint: »Es war wohl alles sehr geheim.«Wenn Steiner erzählt, bekommt man den Eindruck, dass sich dort oben zwischen Hinterer und Vorderer Gubachspitze ein wahrer Militärkrimi abgespielt hat. So hätten die beim Flugzeug verbliebenen Havaristen wohl »Dinge beseitigt«, ehe sich vier der acht verbliebenen Flugzeuginsassen in der Essener Hütte – damals noch ein eigenständiger Bau – unterhalb des Umbalkees einquartierten.
Auch habe sich am 10. Januar eine vom Fliegerhorst Annabichl angeforderte Hilfsmannschaft zur »Bergung und Abmontierung wichtiger Bestandteile des Flugzeugs« aufgemacht. Die Personenrettung überließ sie dagegen einer Patrouille der Zollwache und den Helfern aus Prägraten. Der Funker starb trotz allem. »Gehirnaustritt«, heißt es in der Chronik.
Anschließend ließen Tante Ju und der Rest der Welt offenbar ein bisschen Eis über die Sache wachsen. Doch das Eis, es ist nicht ewig und es steht erst recht nicht still. Als sich im Juli 2002 eine Gruppe der Prägratener Bergrettung über das Umbalkees auf den Weg zur Dreiherrnspitze machte, entdeckte sie auf 2750 Metern ausapernde Flugzeugteile. »Wir haben es dann in zig Flügen runtergeschafft, damit sich das niemand anderes aneignet«, meint Steiner, der Bergretter. Das Cockpit von Tante Ju ließ sich rekonstruieren; trotz der 60 Jahre dauernden Zeitreise im Eis stammen noch 80 Prozent der Teile vom Original. Einer der drei BMW-Motoren sei so gut erhalten, »der würde sicher funktionieren, wenn man ihn zerlegt und wieder zusammenbaut«.
Aber nicht nur harmlose Allmetallteile liegen im Zehrgebiet des Umbalkees’. Erst vor wenigen Monaten wurden auch 94 Stabbrandbomben aus dem Zweiten Weltkrieg geborgen. »Etliche waren noch scharf. Da kann man sich als Bergsteiger schwere Verbrennungen holen, wenn man unwissend damit herumhantiert «, sagt Steiner. Da sie britischen Fabrikats sind, gibt es über ihre Herkunft mehrere Theorien. Steiner meint: »Möglicherweise wurden sie einfach als unnötiger Ballast entsorgt und haben mit der Ju 52 gar nichts zu tun.«
Das restaurierte Cockpit steht derzeit übrigens am Flughafen Mönchengladbach. Es wurde für zwei Jahre anlässlich der Eröffnung des Hugo-Junkers-Hangars verliehen. Wer aber im Sommer mit offenen Augen über das Umbalkees flaniert, kann angesichts so mancher Flugzeugpartikel erkennen, was mit Kriegsmaschinen passiert, die in die Mühlen der Natur geraten.
Das Umbalkees in den 1940er Jahren (©Friedl Steiner)
Besuch des Umbalkees - Basiswissen
- WIE ANKOMMEN? - Von Deutschland am besten mit dem Auto über Kufstein und den Felbertauerntunnel bis nach Matrei in Osttirol. Dort rechts durch das Virgental bis zum Parkplatz Ströden (1403 m). Von dort in zwei bis drei Stunden zur Clarahütte (2038 m) und weiter zum Umbalkees (von der Hütte etwa 1½ Std.)
- WO ANKLOPFEN? - Osttirol-Information, 9900 Lienz, Tel. 00 43/50 21 22 12, www.osttirol.com
- WO WOHNEN? - Clarahütte, Kasia Pawlus, Juni bis September, DZ ab 17,50 Euro p.P. für AV-Mitglieder, sonst ab 27 Euro, Tel. 00 43/6 64/9 75 88 93, www.dav-essen.de, clara@dav-essen.de; guter Stützpunkt für die Dreiherrnspitze (3499 m), langer Zustieg zum Gipfel (fünf bis sechs Stunden), Gletscherausrüstung nötig
- SICH ORIENTIEREN - Kompass 1:50 000, Blatt 38 »Venedigergruppe, Oberpinzgau«
- MEHR ERFAHREN - Die Webseite von Friedl Steiner, Ortstellenleiter der Bergrettung Prägraten, bietet allerlei Informationen rund um das Flugzeugwrack, www.ju-52.at
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Johann Stüdl kam, sah – und empfahl, an diesen Hang im hinteren Umbaltal eine Hütte zu bauen. Ein Prager Kaufmannskollege, Prokop Edler von Ratzenbeck, legte 1872 auch gleich das Geld auf den Tisch – und schenkte die 20-Quadratmeter-Immobilie seiner Frau Clara. Seitdem heißt sie Clarahütte.So bleiben Sie immer auf dem neuesten Stand!
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Vielen Dank.
Nur leider war der Hang nicht so gut geeignet, wie der Alpentourismuspionier Stüdl vermutet hatte. Immer wieder rissen Lawinen das kleine Gebäude nieder. Gerade erholt sich die Clarahütte für Baukosten in Höhe von 1,35 Millionen Euro von einem Lawinenabgang, der schon 2012 über sie hereinbrach. Der Umbau ist noch immer nicht komplett abgeschlossen, aber anders als beispielsweise bei der neuen Höllentalangerhütte, wo die Tradition komplett der Moderne zum Opfer fiel, bleibt die alte Clarahütte im Vordergrund erhalten. Dahinter wurde der Neubau vom Innsbrucker Architekten Klaus Mathoy in den Hang eingegraben. Die Hütte funktioniert damit wie ein Termitenhügel: Der wichtige Teil mit den Schlafräumen liegt kaum sichtbar und gut geschützt unter der Erde.
Wurde schon öfter von Lawinen zerstört: die Clarahütte
Wandern in Osttirol: Unsere Touren-Tipps
Von Dominik Prantl
Fotos:
Anne Gabl, Friedl Steiner
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 01/2016. Jetzt abonnieren!
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