Israel National Trail - Eine Reise durchs Gelobte Land | BERGSTEIGER Magazin
Wüstenwandern im Negev

Israel National Trail - Eine Reise durchs Gelobte Land

Der Israel National Trail ist im Ausland kaum bekannt. Eingeweihten bietet er Wüstentrekking vom Feinsten, Begegnungen mit Engeln und der einzigartigen jüdischen Kultur. Nur vor Wasserdieben wird gewarnt.
 
Im Nahal Hava Canyon: Wasser in der Wüste ist eine willkommene Ausnahme. © Stefan Tomik
Im Nahal Hava Canyon: Wasser in der Wüste ist eine willkommene Ausnahme.
Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt. Das sagte Laotse. Mein Marsch durch die Negev-Wüste beginnt mit einer Autofahrt von Tel Aviv nach Eilat. Dort, am Roten Meer, beginnt der Israel National Trail, der sich auf tausend Kilometern durchs Land schlängelt. Die ersten vierhundert werden mich durch die Wüste führen, und ich muss Wasserflaschen vergraben, um auf meiner Wanderung versorgt zu sein. Ich werde mindestens sechs Liter am Tag brauchen und bis zu drei Tage ohne Wasserhahn auskommen müssen. So viel kann ich unmöglich schleppen bei Temperaturen von bis zu vierzig Grad.

Mit jedem Kilometer in Richtung Süden wird die Landschaft trockener. Hinter Arad breitet sich der Negev aus. Bis zum Horizont Sand und Steine. Und nirgends Schatten. Kurz darauf kreuzt die Straße zum ersten Mal den Trail, ich stoppe und packe die Schaufel aus. Als ich sie in den Boden rammen will, kommen zwei Wanderer über eine Düne gestiefelt. Die jungen Israelis stellen sich als Tal und Assaf vor. Auch sie sind auf dem Israel-Trail unterwegs, die Passage durch die Wüste haben sie fast hinter sich. Ihre Blicke sind müde, ausgelaugt.

Ich solle aufpassen, sagt Assaf, die Beduinen klauten das Wasser. Auch Tal und er hätten Depots angelegt, und die Hälfte von ihnen sei leer gewesen. »Die Nachtlager werden regelmäßig abgesucht.« Ich frage mich, warum jemand Wasser stehlen sollte, wenn der Liter im Supermarkt bloß 22 Cent kostet. Aber ich gebe mir größte Mühe, die Spuren meiner Schaufelei zu verwischen. Am Ende des Tages habe ich 38 Liter Wasser im Wüstensand versenkt.

Der Trail beginnt nahe der ägyptischen Grenze. Als ich dort um neun Uhr morgens auf breche, sind es schon 24 Grad. Die Sonne sitzt mir fortan im Nacken. Der Weg ist gut markiert, er schickt mich auf den Berg Zefahot. Das sind nur 280 Höhenmeter, aber schon nach Minuten ist mein T-Shirt vom Schweiß durchtränkt.

Dafür ist der Blick in die Arava-Senke umwerfend. Sie erstreckt sich vom Roten bis zum Toten Meer. Auf der anderen Seite der Bucht von Eilat liegen Jordanien und Saudi-Arabien.
Vardit Canyon in der Negev- Wüste
Vardit Canyon in der Negev-Wüste

Hitzeschlacht auf dem Israel National Trail

Keine Wolke steht mir bei im Kampf gegen die Sonne. Schweiß läuft mir in die Augen, das brennt höllisch. In der Mittagshitze kann ich nicht mehr, rolle die Isomatte aus und zwänge mich in einen schmalen Streifen Schatten vor einer Felswand. Zweimal muss ich umziehen, weil die Sonne weiter gewandert ist. Sie findet mich in jedem Versteck.

Allein am ersten Tag sind tausend Höhenmeter und etliche Kletterpassagen zu überwinden. An einer Stelle ist eine acht Meter lange Metallleiter in den Fels gedübelt worden. Am frühen Abend erreiche ich das erste Nachtlager, wo schon eine kleine Wanderergruppe um einen Gaskocher hockt. Die fünf Israelis sind Anfang zwanzig. Sie haben ihren Militärdienst gerade hinter sich und jetzt viel Zeit, aber noch keinen Schimmer, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Also wandern sie erst einmal den Israel National Trail, den Shvil Israel, wie er hier heißt. Oder einfach: Shvil, der Pfad. Und shvilistim werden die genannt, die den ganzen Pfad gehen. Es sind geschätzt 1500 im Jahr, nur wenige Ausländer.

Drei Tage in der Wüste hinterlassen ihre Spuren. Salz klebt auf meiner Haut und in der Kleidung, Sand in den Haaren. Meine Füße wollen rasten, ich will duschen. Aber wo? Ich brauche einen Engel, einen wie Yoel. Sein Name steht auf einer Liste von »trail angels«, hilfsbereiten Menschen entlang des Weges, die shvilistim unterstützen. Ich rufe ihn an und frage, ob ich heute bei ihm übernachten könne. »Kein Problem«, sagt Yoel. Er lebt in Elifaz, einem winzigen Kibbuz in der Wüste, in einer Wohngemeinschaft mit vier Arbeitskollegen. Sie sind Monteure, die im Negev Solarzellen installieren. Auf den Baustellen arbeiten sie unter deutschen Ingenieuren, und da herrscht anscheinend ein herzlich rauer Umgangston.

Yoel und seine Freunde wollen jedenfalls deutsche Schimpfwörter von mir lernen. Ich biete Schattenparker, Warmduscher und Weichei an. Jedes Wort sprechen sie genussvoll nach. Mit dem Sonnenuntergang am Freitagabend beginnt der Schabbat, sozusagen der jüdische Sonntag. Ich bin zu Gast beim Abendessen im Speisesaal des Kibbuz. Es gibt Hühnchen, Fisch, Salat und ein weiches Hefeteigbrot mit Sesam – köstlich. Nicht dass ich in der Wüste hätte hungern müssen. Aber so ein Büfett ist doch etwas ganz anderes als die karge Kost der letzten Tage: dehydrierte Tütennahrung und Müsli mit Wasser.

Nach dem Essen versammelt sich die Gemeinde draußen zu Kaffee und Keksen. Es ist eine warme, trockene Wüstennacht. Ich frage Yoel, warum Elifaz umzäunt sei und sogar bewacht werde. »Wegen der Gewächshäuser«, sagt er. »Darin wird medizinisches Marihuana angebaut.« Viele Kibbuzim in der Negev-Wüste seien in der Biotechnologie tätig. »Dieser hier verkauft das Gramm Marihuana für sieben Schekel an die Regierung. Auf dem Schwarzmarkt muss man dafür achtzig bis hundert Schekel zahlen«, weiß Yoel – woher auch immer. Seine Augen funkeln.

Für einige Tage schließe ich mich einer Gruppe von Israelis an; es ist dieselbe Gruppe, die ich schon am ersten Abend getroffen habe. Von ihnen lerne ich meine ersten Wörter Hebräisch, darunter sababa (okay, einverstanden, kein Problem). Ach nein, das ist ja Arabisch. Aber die Israelis verwenden es ständig. Wie sie überhaupt jede Menge Wörter aus anderen Sprachen übernehmen. Auch aus dem Deutschen: Zimmer, Rezept, Plattfuß, Schalter. Und mit Schlucker wird der Trinkbeutel in unseren Rucksäcken bezeichnet.

Im Vardit Canyon geht es auf einmal nicht mehr weiter. Wir stehen vor einem Wasserloch, in dem sich eine hellgrüne Suppe gesammelt hat. Rechts und links ist kein Vorbeikommen, die Felswände streben senkrecht nach oben. Das Wasser ist so trübe, dass wir nicht einmal sehen können, wie tief es ist. In einer anderen Jahreszeit hätten wir das Loch vielleicht durchwaten können, jetzt bleibt uns nichts übrig, als den Canyon zu umgehen.
Israel National Trail Dünen
Von der Wüste in die Dünen: einsamer Strand zwischen Tel Aviv und Netanya

Geplünderte Verstecke

Die letzten Tage in der Wüste bin ich wieder allein unterwegs. Meine Wasserdepots machen sich bezahlt. Ich weiß genau, wo meine Flaschen liegen und finde sie auch immer wieder – bis auf einmal. Ausgerechnet in Be’er Ef’eh, wo mich Tal und Assaf vor Dieben gewarnt haben, ist auch mein Vorrat geplündert worden. Die Wasserdiebe haben zugeschlagen. Ich checke meine Vorräte. Ich habe noch zweieinhalb Liter, das ist definitiv zu wenig.

Zum Glück gibt es in Be’er Ef’eh eine Straße, wenngleich sie wenig befahren ist. Sobald ein Wagen kommt, halte ich eine leere Wasserflasche hoch, zeige mit dem Finger darauf und ahme eine Trinkbewegung nach. Erst das dritte Autos hält, der Fahrer eines Pick-ups macht nicht viele Worte und reicht mir eine Wasserflasche durchs Fenster.

Die Gegend um Be’er Ef’eh ist Beduinengebiet und gilt als unsicher. Meine israelischen Freunde hatten mir dringend abgeraten, hier allein zu übernachten. Aber ich bin am zweiten Tag in Folge an die dreißig Kilometer gewandert, hungrig und müde. Also suche ich einen Schlafplatz zwischen Sträuchern und werfe den Kocher an.

Nach dem Essen mache ich durch Zufall eine Beobachtung: Ein weißes Coupé fährt heran, hält etwa hundert Meter entfernt von mir auf der anderen Straßenseite, zwei junge Männer steigen aus und suchen das Gelände ab, und es dauert nicht lange, da ruft der eine dem anderen etwas zu. Da es windstill ist, kann ich hören, dass sie Arabisch sprechen. Der eine zieht zwei, der andere eine Wasserflasche aus dem Wüstensand. Die Flaschen, die Wanderer wie ich hier vergraben haben, verschwinden im Kofferraum. Die Männer geben sich mit ihrer Beute zufrieden und steigen ein. Der Wagen wendet und verschwindet in Richtung Süden.
Israel national Trail
Der Abstieg in den Barak Canyon ist mit Leitern versichert.

Infos zum Israel National Trail

Israel National Trail
  • WIE ANKOMMEN? - Mit dem Flugzeug nach Tel Aviv. Mit der Bahn in die Stadt und mit dem Überlandbus direkt nach Eilat oder via Kiryat Shemona zum Kibbuz Dan (nördliches Ende des Trails)
  • SICH ORIENTIEREN - Der INT ist durchgehend markiert, in der Wüste hervorragend. Die einzigen englischen Wanderkarten (1:50 000) enthält: J. Saar/ Y. Henkin »Israel National Trail and The Jerusalem Trail« (Neuauflage geplant). Verständigung vor Ort auf Englisch gut möglich, gutes Handynetz
  • WO ÜBERNACHTEN? - In der Negev-Wüste in Nachtlagern ohne Infrastruktur. In Städten bei Trail Angels (Liste: www.shvil.wikia.com/wiki/INT_Trail_Angels) oder in Hostels (z. B. im ersten jüdischarabischen Hostel in Jisr az-Zarqa (Juha’s Guesthouse)
  • WAS ESSEN? - In der Negev-Wüste kleine Lebensmittelläden alle paar Tage, im Norden Geschäfte und Restaurants auf fast jeder Etappe. Immer frisch: Falafel, Shawarma, Hummus, Pita mit Labaneh
  • WASSER! - Für bis zu 13 Nachtlager im Negev muss Wasser organisiert werden. Bis zu 7 Lager lassen sich mit einem Mietwagen anfahren, um Flaschen zu verstecken. Negevjeep (www.negevjeep.com) oder Waterdrop (www.waterdrp.com) liefern Wasser an einem verabredeten Tag mit dem Geländewagen an (teuer), Negevjeep kann Flaschen auch bei den Nachtlagern deponieren. Eine Beschreibung der Standorte (englisch) wird per SMS verschickt.
  • WANN AUFBRECHEN? - Zwischen Februar und Anfang April im Süden starten, solange es dort noch nicht zu heiß ist; im September und Oktober im Norden, um dort noch gutes Wetter zu haben.
  • WIE FIT MUSS MAN SEIN? - Kein Trail für blutige Anfänger, aber ein guter Einstieg ins Wüstentrekking. In der Negev-Wüste und teils auch im Norden anstrengende Kletterpassagen, bis zu 1000 Hm am Tag. Die meisten Wanderer planen mit sechs bis acht Wochen.
  • WAS EINPACKEN? - Leichte Ausrüstung, damit Platz für Wasserflaschen bleibt. Schlafsack bis null Grad, Wind- und Regenschutz, Rucksack mit Trinksystem, Ultralight-Zelt oder eine Plane als Wetterschutz
  • Israel National TrailWO BUCHEN? - Komplettpaket für die Logistik (Verpflegung, Unterkünfte, Landkarten, Zubringerdienste, Ausrüstung) bei Negev Trek, geführte Wanderungen auch bei SKTours (www.sktours.net)
  • MEHR INFOS - Stefan Tomik »Unter Engeln und Wasserdieben. Tausend Kilometer auf dem Israel National Trail« (DuMont, 2015). Weitere Reisetipps, Bilder und ein Video auf der Website: www.israeltrail.de
Text & Fotos: Stefan Tomik
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 01/2016. Jetzt abonnieren!
 
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