Im Gespräch mit dem ehemaligen CDU Generalsekretär Heiner Geißler
Das große Bergsteiger-Interview mit Heiner Geißler
© Michael Ruhland
Heiner Geißler im Interview mit dem Bergsteiger
Heiner Geißler im Interview mit dem Bergsteiger
Bergsteiger: Fliegen Sie noch mit dem Gleitschirm?
Heiner Geißler: Ich fliege seit genau 20 Jahren nicht mehr.
Seit Ihrer Bruchlandung?
Ja, aber ich bin nicht abgestürzt. Das muss ich ausdrücklich sagen.
Sie sind im Baum gelandet.
Richtig. (lacht) Und dann bin ich mit einem Teil der Baumkrone abgestürzt. Nach dem Unfall – ich war ja noch Abgeordneter im Bundestag bis 2002 – habe ich fast 5000 Briefe bekommen. Von Rudolf Augstein angefangen bis zu vielen Bürgern aus meinem Wahlkreis. Der Tenor: Wir haben dich nicht gewählt, damit du mit deinem Leben spielst.
In den Bergen sind Sie aber trotzdem unterwegs.
Ich habe mich ja wieder gut erholt. Obwohl es nach der Operation noch eine unglückliche Episode gab. Ich hatte in meiner Wohnung in Bonn eine Reckstange eingezogen und begann zu trainieren. Bei einem Klimmzug nachts um halb zwölf, als ich von einer Fraktionssitzung zurückgekommen war, brach die Stange aus. Ich fiel rückwärts auf einen Eisenschemel, so dass es mir neben dem Operationsbereich drei Rippen sauber durchschlug. Und die Schraube, die alles zusammengehalten hatte, brach ab. Ich musste nochmals operiert werden.
Seither läuft alles glatt?
Zwischendurch war mal ’ne Schraube locker (lacht), und ich mache regelmäßig Reha. Mir fehlt an sich nichts. Weil ich Bücher schreibe und Vorträge halte, habe ich meinen Körper in der letzten Zeit etwas vernachlässigt. Ich will aber sportlich auf der Höhe bleiben.
Sie sagen: Bergsteigen ist eines der letzten großen Abenteuer. Was macht das Abenteuer für Sie aus?
Man weiß nie hundertprozentig, wie es ausgeht, wenn man eine große, schwere Tour macht. Es ist immer ein gewisses Risiko dabei. Dieses Abenteuer vollzieht sich in einer wunderschönen Umgebung.
Wie gehen Sie mit dem Risiko um?
Man muss es einigermaßen berechnen können. Mein Prinzip war immer: Ich gehe nie an meine Grenze, behalte immer eine Reserve.
Sie sind ein Sicherheitsdenker?
Ich wollte und will mich nie retten lassen. Ich will aus einer schwierigen Situation immer selbst heraus kommen.
Sie haben in Ihrem langen Bergsteigerleben nie die Bergwacht benötigt?
Nicht aus eigenem Antrieb. Einmal drängte sich am Saleinagletscher die Heli-Rettung von Sion im Wallis auf. Das war Mitte der achtziger Jahre, als ich Minister war.
Sie wollten gar nicht gerettet werden?
Die Bergwacht hatte ein Abkommen mit der dortigen Gendarmerie – es ging um eine Zwangsrettung. Vor uns kam eine andere Seilschaft vom Saleinapass herunter, zwölf Leute. Sie hatten den Heli bestellt, wollten sich retten lassen, obwohl sie gar nicht in Bergnot waren. Offenbar hatten sie nicht das Können, an der schwierigen Gletscherpassage mit den Ski abzusteigen. Der Heli kam leider wieder, und zwar mit Polizisten an Bord. Sie forderten uns auf mitzukommen; sie behaupteten, es sei verboten, dort abzusteigen, weil zu riskant. Wir wollten nicht, erzählten denen von den schwierigen Touren, die wir schon gemacht hatten. Es war eine endlose Debatte, die hin und her wogte.
Am Ende zogen Sie den Kürzeren?
Wir weigerten uns letztlich nicht mehr mitzufliegen. Ich sagte aber zur Besatzung: Sie kriegen von uns keinen einzigen Franken. Im Tal wollten sie Geld. Ich sagte zu dem Gendarm: Wir fahren morgen nach Sion, dann werden wir die Sache aufrollen. Dann war Ruhe. Die versuchen öfters, ein Geschäft aus den Rettungen zu machen.
Immerhin ein kleines Abenteuer. Gibt es wirkliche Abenteuer in den Alpen im Zeitalter der Handynetze überhaupt noch?
Meine drei Söhne und ich beschlossen anfangs, auf Bergtouren keine Handys mitzunehmen.
Und der Vorsatz klappte?
Nein, das funktioniert nicht wirklich, wir hielten uns nicht dran. Problematisch ist aber, dass immer mehr Leute auf das Handy im Notfall vertrauen. Das halte ich für ziemlich gefährlich.
Weil Menschen sich überschätzen?
Es gibt im Gebirge subjektive und objektive Risiken: Die subjektiven kann man auf Null bringen. Dazu gehören psychische Belastbarkeit, körperliche Kondition – all das kann man trainieren. Zu den objektiven Risiken zählen Steinschlag, Lawine, Wetter. Man kann sie nicht ausschalten, aber minimieren. Das Handy verleitet dazu, diese objektiven Gefahren nicht mehr richtig einzuschätzen.
Eine Gefahr für den gesamten Alpenraum ist die Zersiedelung und Übererschließung. Die Alpenkonvention, die seit 1991 unterzeichnet ist, ist ein Papiertiger geblieben. Was denken Sie?
Man darf die Alpen nicht weiter erschließen. Sie dürfen niemals so aussehen wie heute die Zugspitze! Es gibt keinen Grund, sie zu verdrahten, mit noch mehr Liften zu versehen. Eine der größten Gefahren ist die Kommerzialisierung, die von den Gemeinden ausgeht. Deren Motivation ist heute nicht mehr legitim.
Warum nicht?
Früher, als die Orte arm waren und die Bergbauern ein hartes Dasein fristeten und sogar auswandern mussten, war die Forderung und der Wunsch nach einem besseren Leben nachvollziehbar. Die Orte verkauften ihr Potenzial – die Natur und die Landschaft – und das war auch okay. Über den Tourismus konnten die Menschen in den Alpen ein menschenwürdiges Leben führen.
Die Kommunen führen das Argument heute immer noch ins Feld.
Es geht inzwischen aber darum, dass bestimmte Firmen Geld machen. Die Kommunen sahnen mit ab. Viel an Lebensqualität zu verbessern, gibt es meiner Ansicht nach nicht, wenn zum Beispiel in Samnaun noch eine vierte, fünfte oder sechste Seilbahn gebaut wird. Und die künstliche Beschneiung muss begrenzt werden. Man müsste länderübergreifend zu einer Konvention kommen, die besagt: Jetzt ist Schluss mit weiterer Erschließung.
Was bedeuten Berge für Sie?
Als junger Mensch von 17, 18 Jahren träumte ich ständig von den Bergen, nachdem ich ein paar Mal im Gebirge gewesen war. Diese Träume waren überwältigend, sie nahmen mich zutiefst gefangen. Das Faszinierende der Berge ist für mich bis auf den heutigen Tag die Kombination aus körperlicher, geistiger und seelischer Herausforderung und der Schönheit der Natur nicht nur in Form von Felsen, Blumen, Bäumen, sondern in Verbindung der darüber liegenden Umwelt, dem Mond, der Sonne, den Sternen. Man kann aus der Natur heraus erfahren, wie viel Uhr es ist, wo es hingeht, wie man den Weg findet.
Sind die Berge für Sie auch Rückzugsraum, um dem Alltag zu entfliehen?
Während meiner Zeit als Politiker waren die Berge für mich als Alternative da. Ich hatte die schöne Gewissheit, falls es mir in der Politik nicht mehr passen sollte, mir eine Welt weiter erschließen zu können, in der ich glücklich bin. Das wären die Berge gewesen. Das hat mich unabhängig gemacht.
Wenn es Ihnen zu viel wurde, haben Sie sich aber schon mal die Freiheit rausgenommen, in den Bergen nicht erreichbar zu sein.
Als Franz Josef Strauß aufgrund eines Beschlusses der Bundestagsfraktion Kanzlerkandidat geworden war, gab ich eine Presseerklärung ab. Meine Botschaft: Er solle sich gefälligst anstrengen, damit er auch die CDU-Leute in Norddeutschland und Süddeutschland, die ihn möglicherweise gar nicht wollen, überzeugen kann. Daraufhin brach der Sturm bei der CSU los: Die Bayern verlangten, dass ich abgesetzt werde in völliger Unkenntnis des Status der CDU, wonach der Generalsekretär nicht abgesetzt werden kann, weil er gewählt ist. Das war an Pfingsten 1979. Ich sagte zu meinen Söhnen: So, jetzt ist Schluss, die können reden, was sie wollen, wir hauen ab. Wir fuhren nach Saas Almagell und bestiegen der Reihe nach die Walliser 4000er.
Sie sind über all die Jahre immer wieder mit Ihren Söhnen in die Berge gegangen. Als vertrauensbildende Maßnahme?
Es war nicht sehr schwer, meine Söhne für die Berge zu begeistern. Der Vorteil ist, wenn man ins felsige Gelände geht, dass das Wandern auch für die Kinder plötzlich sehr interessant wird. Das Klettern bewältigten sie spielerisch, es gefiel ihnen wahnsinnig gut. Wir fingen mit dem Klettern in den Tannheimern an – Rote Flüh, Gimpel Köllenspitze, Gehrenspitze. Meine Kinder schmiedeten die tollsten Pläne. Im Unterricht lasen sie heimlich Bergführer. Wir hatten auch gefährliche Erlebnisse und retteten uns gegenseitig das Leben.
Das schweißt zusammen. Bis heute?
Ja. Wir gingen wenig mit anderen Leuten in die Berge. Wir verstanden uns blind, brauchten keine langen Zurufe, das ist gerade beim Klettern ein Riesenvorteil. Zu meinem achtzigsten Geburtstag wünschte ich mir von meinen drei Söhnen, dass wir eine der ersten Klettertouren wiederholen, und zwar den Westgrat der Köllenspitze. Das Wetter war übel, es schneite. Aber wir sind trotzdem hoch.
Wenn Sie alleine in die Berge gehen, grübeln Sie dann viel?
Beim Joggen im Gebirge kamen mir immer sehr gute Ideen. Wenn ich jetzt alleine in die Berge gehe, ist es vor allem ein Test, ob ich noch gut bin (lacht), was ich noch schaffe. Das ist im Moment das Hauptmotiv geworden. Ich brauche eigentlich kaum medizinische Unterstützung. Am besten geht es mir aber über 2000 Meter Meereshöhe. Wenn ich mich mal zwei, drei Wochen in Höhenregionen aufhalten kann, dann bin ich gesundheitlich stabilisiert. Das fehlt mir im Flachland, obwohl der Pfälzer Wald, in dem ich wohne, auch ein schönes Mittelgebirge ist.
Ist das Bergsteigen eine gute Schule für ein erfolgreiches Leben?
Unbedingt! Man kommt auf jeden Fall mit dem Leben besser zurecht, weil man beim Bergsteigen lernt, mit ungewöhnlichen Situationen und Gefahren fertig zu werden. Viele Leute verlieren total die Nerven und drehen schier durch, wenn sie auf einer Höhenstraße bei Schneesturm eine Reifenpanne haben. Hocken im Auto und warten, ob irgendjemand kommt. Was kommt, ist die Panik. Ein Bergsteiger, der einmal einen Schneesturm im Biwak erlebt hat, wird natürlich mit der Sache fertig. Wenn Sie einen Ruhepuls von 48 oder 50 haben, dann haut Sie nichts mehr um.
Wäre die Politik eine bessere, wenn mehr Politiker Bergsteiger wären?
Das zu behaupten, wäre übertrieben. Es gibt auch bei Bergsteigern üble Burschen und nicht nur Charakterhelden. Es muss Substanz da sein: Wenn einer Charakter hat, sozial eingestellt ist, auch wenn einer Führungsqualitäten hat, dann kann er durch das Bergsteigen eine große Steigerung erfahren. Aber Bergsteigen ist nicht der einzige schöne Natursport. Kanu ist beispielsweise eine tolle Sportart, auch das Mountainbiken, das Segeln, Gleitschirmfliegen.
Heiner Geißler: Ich fliege seit genau 20 Jahren nicht mehr.
Seit Ihrer Bruchlandung?
Ja, aber ich bin nicht abgestürzt. Das muss ich ausdrücklich sagen.
Sie sind im Baum gelandet.
Richtig. (lacht) Und dann bin ich mit einem Teil der Baumkrone abgestürzt. Nach dem Unfall – ich war ja noch Abgeordneter im Bundestag bis 2002 – habe ich fast 5000 Briefe bekommen. Von Rudolf Augstein angefangen bis zu vielen Bürgern aus meinem Wahlkreis. Der Tenor: Wir haben dich nicht gewählt, damit du mit deinem Leben spielst.
In den Bergen sind Sie aber trotzdem unterwegs.
Ich habe mich ja wieder gut erholt. Obwohl es nach der Operation noch eine unglückliche Episode gab. Ich hatte in meiner Wohnung in Bonn eine Reckstange eingezogen und begann zu trainieren. Bei einem Klimmzug nachts um halb zwölf, als ich von einer Fraktionssitzung zurückgekommen war, brach die Stange aus. Ich fiel rückwärts auf einen Eisenschemel, so dass es mir neben dem Operationsbereich drei Rippen sauber durchschlug. Und die Schraube, die alles zusammengehalten hatte, brach ab. Ich musste nochmals operiert werden.
Seither läuft alles glatt?
Zwischendurch war mal ’ne Schraube locker (lacht), und ich mache regelmäßig Reha. Mir fehlt an sich nichts. Weil ich Bücher schreibe und Vorträge halte, habe ich meinen Körper in der letzten Zeit etwas vernachlässigt. Ich will aber sportlich auf der Höhe bleiben.
Sie sagen: Bergsteigen ist eines der letzten großen Abenteuer. Was macht das Abenteuer für Sie aus?
Man weiß nie hundertprozentig, wie es ausgeht, wenn man eine große, schwere Tour macht. Es ist immer ein gewisses Risiko dabei. Dieses Abenteuer vollzieht sich in einer wunderschönen Umgebung.
Wie gehen Sie mit dem Risiko um?
Man muss es einigermaßen berechnen können. Mein Prinzip war immer: Ich gehe nie an meine Grenze, behalte immer eine Reserve.
Sie sind ein Sicherheitsdenker?
Ich wollte und will mich nie retten lassen. Ich will aus einer schwierigen Situation immer selbst heraus kommen.
Sie haben in Ihrem langen Bergsteigerleben nie die Bergwacht benötigt?
Nicht aus eigenem Antrieb. Einmal drängte sich am Saleinagletscher die Heli-Rettung von Sion im Wallis auf. Das war Mitte der achtziger Jahre, als ich Minister war.
Sie wollten gar nicht gerettet werden?
Die Bergwacht hatte ein Abkommen mit der dortigen Gendarmerie – es ging um eine Zwangsrettung. Vor uns kam eine andere Seilschaft vom Saleinapass herunter, zwölf Leute. Sie hatten den Heli bestellt, wollten sich retten lassen, obwohl sie gar nicht in Bergnot waren. Offenbar hatten sie nicht das Können, an der schwierigen Gletscherpassage mit den Ski abzusteigen. Der Heli kam leider wieder, und zwar mit Polizisten an Bord. Sie forderten uns auf mitzukommen; sie behaupteten, es sei verboten, dort abzusteigen, weil zu riskant. Wir wollten nicht, erzählten denen von den schwierigen Touren, die wir schon gemacht hatten. Es war eine endlose Debatte, die hin und her wogte.
Am Ende zogen Sie den Kürzeren?
Wir weigerten uns letztlich nicht mehr mitzufliegen. Ich sagte aber zur Besatzung: Sie kriegen von uns keinen einzigen Franken. Im Tal wollten sie Geld. Ich sagte zu dem Gendarm: Wir fahren morgen nach Sion, dann werden wir die Sache aufrollen. Dann war Ruhe. Die versuchen öfters, ein Geschäft aus den Rettungen zu machen.
Immerhin ein kleines Abenteuer. Gibt es wirkliche Abenteuer in den Alpen im Zeitalter der Handynetze überhaupt noch?
Meine drei Söhne und ich beschlossen anfangs, auf Bergtouren keine Handys mitzunehmen.
Und der Vorsatz klappte?
Nein, das funktioniert nicht wirklich, wir hielten uns nicht dran. Problematisch ist aber, dass immer mehr Leute auf das Handy im Notfall vertrauen. Das halte ich für ziemlich gefährlich.
Weil Menschen sich überschätzen?
Es gibt im Gebirge subjektive und objektive Risiken: Die subjektiven kann man auf Null bringen. Dazu gehören psychische Belastbarkeit, körperliche Kondition – all das kann man trainieren. Zu den objektiven Risiken zählen Steinschlag, Lawine, Wetter. Man kann sie nicht ausschalten, aber minimieren. Das Handy verleitet dazu, diese objektiven Gefahren nicht mehr richtig einzuschätzen.
Eine Gefahr für den gesamten Alpenraum ist die Zersiedelung und Übererschließung. Die Alpenkonvention, die seit 1991 unterzeichnet ist, ist ein Papiertiger geblieben. Was denken Sie?
Man darf die Alpen nicht weiter erschließen. Sie dürfen niemals so aussehen wie heute die Zugspitze! Es gibt keinen Grund, sie zu verdrahten, mit noch mehr Liften zu versehen. Eine der größten Gefahren ist die Kommerzialisierung, die von den Gemeinden ausgeht. Deren Motivation ist heute nicht mehr legitim.
Warum nicht?
Früher, als die Orte arm waren und die Bergbauern ein hartes Dasein fristeten und sogar auswandern mussten, war die Forderung und der Wunsch nach einem besseren Leben nachvollziehbar. Die Orte verkauften ihr Potenzial – die Natur und die Landschaft – und das war auch okay. Über den Tourismus konnten die Menschen in den Alpen ein menschenwürdiges Leben führen.
Die Kommunen führen das Argument heute immer noch ins Feld.
Es geht inzwischen aber darum, dass bestimmte Firmen Geld machen. Die Kommunen sahnen mit ab. Viel an Lebensqualität zu verbessern, gibt es meiner Ansicht nach nicht, wenn zum Beispiel in Samnaun noch eine vierte, fünfte oder sechste Seilbahn gebaut wird. Und die künstliche Beschneiung muss begrenzt werden. Man müsste länderübergreifend zu einer Konvention kommen, die besagt: Jetzt ist Schluss mit weiterer Erschließung.
Was bedeuten Berge für Sie?
Als junger Mensch von 17, 18 Jahren träumte ich ständig von den Bergen, nachdem ich ein paar Mal im Gebirge gewesen war. Diese Träume waren überwältigend, sie nahmen mich zutiefst gefangen. Das Faszinierende der Berge ist für mich bis auf den heutigen Tag die Kombination aus körperlicher, geistiger und seelischer Herausforderung und der Schönheit der Natur nicht nur in Form von Felsen, Blumen, Bäumen, sondern in Verbindung der darüber liegenden Umwelt, dem Mond, der Sonne, den Sternen. Man kann aus der Natur heraus erfahren, wie viel Uhr es ist, wo es hingeht, wie man den Weg findet.
Sind die Berge für Sie auch Rückzugsraum, um dem Alltag zu entfliehen?
Während meiner Zeit als Politiker waren die Berge für mich als Alternative da. Ich hatte die schöne Gewissheit, falls es mir in der Politik nicht mehr passen sollte, mir eine Welt weiter erschließen zu können, in der ich glücklich bin. Das wären die Berge gewesen. Das hat mich unabhängig gemacht.
Wenn es Ihnen zu viel wurde, haben Sie sich aber schon mal die Freiheit rausgenommen, in den Bergen nicht erreichbar zu sein.
Als Franz Josef Strauß aufgrund eines Beschlusses der Bundestagsfraktion Kanzlerkandidat geworden war, gab ich eine Presseerklärung ab. Meine Botschaft: Er solle sich gefälligst anstrengen, damit er auch die CDU-Leute in Norddeutschland und Süddeutschland, die ihn möglicherweise gar nicht wollen, überzeugen kann. Daraufhin brach der Sturm bei der CSU los: Die Bayern verlangten, dass ich abgesetzt werde in völliger Unkenntnis des Status der CDU, wonach der Generalsekretär nicht abgesetzt werden kann, weil er gewählt ist. Das war an Pfingsten 1979. Ich sagte zu meinen Söhnen: So, jetzt ist Schluss, die können reden, was sie wollen, wir hauen ab. Wir fuhren nach Saas Almagell und bestiegen der Reihe nach die Walliser 4000er.
Sie sind über all die Jahre immer wieder mit Ihren Söhnen in die Berge gegangen. Als vertrauensbildende Maßnahme?
Es war nicht sehr schwer, meine Söhne für die Berge zu begeistern. Der Vorteil ist, wenn man ins felsige Gelände geht, dass das Wandern auch für die Kinder plötzlich sehr interessant wird. Das Klettern bewältigten sie spielerisch, es gefiel ihnen wahnsinnig gut. Wir fingen mit dem Klettern in den Tannheimern an – Rote Flüh, Gimpel Köllenspitze, Gehrenspitze. Meine Kinder schmiedeten die tollsten Pläne. Im Unterricht lasen sie heimlich Bergführer. Wir hatten auch gefährliche Erlebnisse und retteten uns gegenseitig das Leben.
Das schweißt zusammen. Bis heute?
Ja. Wir gingen wenig mit anderen Leuten in die Berge. Wir verstanden uns blind, brauchten keine langen Zurufe, das ist gerade beim Klettern ein Riesenvorteil. Zu meinem achtzigsten Geburtstag wünschte ich mir von meinen drei Söhnen, dass wir eine der ersten Klettertouren wiederholen, und zwar den Westgrat der Köllenspitze. Das Wetter war übel, es schneite. Aber wir sind trotzdem hoch.
Wenn Sie alleine in die Berge gehen, grübeln Sie dann viel?
Beim Joggen im Gebirge kamen mir immer sehr gute Ideen. Wenn ich jetzt alleine in die Berge gehe, ist es vor allem ein Test, ob ich noch gut bin (lacht), was ich noch schaffe. Das ist im Moment das Hauptmotiv geworden. Ich brauche eigentlich kaum medizinische Unterstützung. Am besten geht es mir aber über 2000 Meter Meereshöhe. Wenn ich mich mal zwei, drei Wochen in Höhenregionen aufhalten kann, dann bin ich gesundheitlich stabilisiert. Das fehlt mir im Flachland, obwohl der Pfälzer Wald, in dem ich wohne, auch ein schönes Mittelgebirge ist.
Ist das Bergsteigen eine gute Schule für ein erfolgreiches Leben?
Unbedingt! Man kommt auf jeden Fall mit dem Leben besser zurecht, weil man beim Bergsteigen lernt, mit ungewöhnlichen Situationen und Gefahren fertig zu werden. Viele Leute verlieren total die Nerven und drehen schier durch, wenn sie auf einer Höhenstraße bei Schneesturm eine Reifenpanne haben. Hocken im Auto und warten, ob irgendjemand kommt. Was kommt, ist die Panik. Ein Bergsteiger, der einmal einen Schneesturm im Biwak erlebt hat, wird natürlich mit der Sache fertig. Wenn Sie einen Ruhepuls von 48 oder 50 haben, dann haut Sie nichts mehr um.
Wäre die Politik eine bessere, wenn mehr Politiker Bergsteiger wären?
Das zu behaupten, wäre übertrieben. Es gibt auch bei Bergsteigern üble Burschen und nicht nur Charakterhelden. Es muss Substanz da sein: Wenn einer Charakter hat, sozial eingestellt ist, auch wenn einer Führungsqualitäten hat, dann kann er durch das Bergsteigen eine große Steigerung erfahren. Aber Bergsteigen ist nicht der einzige schöne Natursport. Kanu ist beispielsweise eine tolle Sportart, auch das Mountainbiken, das Segeln, Gleitschirmfliegen.
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Interview: Michael Ruhland; Fotos: Meike Birck, privat
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