Bergsteiger-Blog
Ein Amateurbergsteiger auf Everest-Expedition – Teil 10
© Damien Francois
Zur Akklimatisierung geht es durch den Eisfall zum Lager 1.
Zur Akklimatisierung geht es durch den Eisfall zum Lager 1.
20. April, EBC
Die Akklimatisierungsrotationen, das »Yo-Yo-Spiel«, am Everest haben begonnen. Wir sind gestern durch den Eisfall bis Lager 1 (C1) auf 6000 Metern gestiegen. Wir haben dort übernachtet und sind heute morgen wieder ins Basislager abgestiegen, pünktlich zum Mittagessen – nach einer wohltuenden Dusche.Wir sind um 5 Uhr aufgestanden und nach einem kleinen Frühstück gegen 6 Uhr losgezogen. Die allermeisten Bergsteiger gehen bereits viel früher los, so zwischen 2 und 3 Uhr. Erstens, um den Eisfall zu durchsteigen, wenn dieser »stabiler« ist (niedrigere Lawinen- und Seracsturzgefahr). Und zweitens, um die Hitze zu meiden – ja, es kann brutal warm sein, im Khumbu-Eisfall, wenn die Sonne einstrahlt! Der Nachteil dabei ist aber, dass man sehr früh im Lager 1 ankommt. Was dann? Im Zelt rumliegen, mit anderen Bergsteigern aus den Nachbarzelten »sozialisieren«; mehr ist nicht drin. Je mehr man tagsüber schläft, umso schwieriger ist es, nachts zu schlafen. Wozu also so früh los, insbesondere wenn sich der Eisfall wie dieses Jahr sehr ruhig verhält? Überhaupt, meine bisherige Erfahrung hier hat mir gezeigt, dass abends und nachts eigentlich genau so viele Lawinen abgehen wie tagsüber, wenn nicht sogar mehr!
2017 brauchte ich circa fünf Stunden um vom EBC bis ins erste Lager – die Aufstiegsroute war mit viel Zickzack und 50 Leitern versehen. Im Vergleich: Die drei Singapureaner gingen bei unserem ersten Aufstieg um 3 Uhr los (ich um 8 Uhr) und ich überholte sie gegen 11.00 Uhr im Eisfall; ich kam schließlich gegen 13.00 Uhr in C1 an, sie gegen 15.00 Uhr. Summa summarum macht es also vielleicht Sinn für die Langsamen, früh loszugehen, aber für diejenigen, die den Abschnitt in einer normalen Zeit absolvieren, eher nicht. Gewiss, man muss dann wärmere Temperaturen in Kauf nehmen. Da hilft in Sachen Bekleidung das Zwiebelprinzip: Ich fing gestern an mit einem Baselayer-T-Shirt aus Merino-Wolle, einer Primaloft Überziehjacke, einer leichten Softshell Jacke und einer Hardshell Jacke. Nach und nach »strippte« ich und kam schließlich im T-Shirt auf knapp 6000 Metern an.
Zusammengebundene Leitern wie diese gibt es 2018 nur wenige. Foto: Damien Francois
2018 ist der Weg durch den Eisfall in der Tat, wie angekündigt, sehr sicher von den Icefall Doctors angelegt worden. Sie haben nur ungefähr zehn Leitern eingesetzt – drei aneinander gebundene sind dieses Jahr das maximale »Gestell« im Khumbu-Eisfall. Zum Vergleich: Letztes Jahr waren an zwei bis drei Abschnitten bis zu fünf Leitern aneinandergebunden. Am Island Peak konnten wir vor zehn Tagen eine Riesenspalte dank einer Kombination von fünf Leitern überqueren. Stattdessen gibt es sehr viele »Schneerampen« und auch Stufen, die einfach mit Hilfe eines Gehpickels oder Wanderstocks bewältigt werden können; notfalls, wenn's steiler wird und das Gelände es verlangt, kann man sich dort am Fixseil, das die Strecke zu 90 Prozent »sichert«, mit der anderen Hand stabilisieren – nicht hochziehen, sondern nur fürs Gleichgewicht nutzen. Die Steigklemme (Jumar) ist an höchstens vier bis fünf steileren (vertikalen oder fast vertikalen) Stellen zum Einsatz gekommen. Ich habe etwas mehr Zeit als letztes Jahr gebraucht, also etwa sechs Stunden. Fazit: Der Khumbu-Icefall ist 2018 sicherer und technisch weniger anspruchsvoll, aber dafür etwas länger. Genau mit diesen Worten, allerdings auf Nepali, bestätigte auch Chedden, der Bruder meines Climbing Sherpas Temba, nachdem wir wieder im EBC waren, meine Meinung zur Eisfall-Route 2018.
Wer ist sonst noch unterwegs im Khumbu-Eisfall?
Woran ich mich erinnern werde, wenn ich mich das nächste Mal beklage, sollte ich beim Bergsteigen leiden und ich das Gefühl haben, nicht voran zu kommen: Im Eisfall trafen wir gestern einen unterhalb der Knie doppelt-amputierten Chinesen (wohl Mitte 50), der uns dank Sonderprothesen (mit Steigeisen versehen) mit seinem Sherpa auf circa 5800 Metern entgegenkam. Eine wirklich anerkennenswerte Leistung finde ich.
Sonst bin ich in der Regel gegen alle Arten von Rekorden und Speed-Dingsbums hier und Skyrunning-so-und-so da. Damit will ich aber nicht die Leistungen an sich anprangern – zu denen ich gar nicht in der Lage bin. Ich habe unendlichen Respekt vor allem vor den »Alten«, wie einem Reinhold Messner, einem Andrew Lock (ein guter Freund, Australiens Nummer-Eins-Bergsteiger, der alle 8000er alleine, ohne Hilfe und ohne O2 bestiegen hat), oder auch einem »Jungen« wie Jost Kobusch (junger deutscher Solo-Bergsteiger, mit dem ich ebenfalls befreundet bin), weil sie nicht Hirnloses versuchen, also keine »Effekthascherei« betreiben. Auch viele »Kunststücke« eines Ueli Stecks, zum Beispiel, bewundere ich. Nur dieses unbedingte »Das gab es noch nie!«, die besonders stark mediatisierten Rekorde (zum Beispiel 2x auf den Everest in einer Woche, wie Kilian Jornett 2017 – wird jetzt der neue Held der, der ihn 3x in einer Woche besteigt?), beschmutzen den Alpinismus meiner Meinung nach, genau so sehr wie die absolut verwerfliche Präsenz von nicht-qualizierten Möchtegern-Bergsteigern am Everest. Ja, erstes Steigeisentraining am Everest – das habe ich auch schon erlebt.
Ansonsten haben wir im Khumbu-Eisfall vielleicht 120 Sherpas getroffen, auch einige Sherpas der Benegas Brothers, zu denen Tembas Bruder gehört und die gerade das »loadferrying« (Ausrüstung tragen) ins Camp 2 hinter sich hatten. Und dann waren da eine Norwegerin, die den Big E ohne 02 besteigen will, meine Bergführer-Bekannten Tim Mosedale (samt einem Teil seines Teams) und Garrett Madison, der Inhaber von Madison Mountaineering (allein mit einem anderen Guide unterwegs), sowie einen Teil des Adventure Consultants Everest 2018 Teams. Insgesamt sind wir an beiden Tagen vielleicht 250 Alpinisten begegnet. Auf 700 Höhenmeter, einmal hoch und einmal runter, und in neun Stunden (sechs Stunden rauf, drei runter): Ist das wirklich die Stau-Autobahn, von denen die Mainstream-Medien gern reden?
Das leidige Thema Schlaf
Zusätzlich zu seinen eigenen Sachen und der gemeinsamen Ausrüstung hat Temba meinen Schlafsack für die Lager 1 und 2 und meinen MH Absolute Zero Parka getragen; mein 50-Liter-Rucksack wog wohl um die 12, 13 Kilo. Nicht enorm viel, aber eine Last, in diesen Höhen und dem Gelände. Ich wünsche, ich könnte mit weniger auskommen.
Der Schlaf im Lager 1 war schlecht, aber es lag nicht unbedingt an meinem Körper, also an Akklimatisierungsschwierigkeiten, sondern am Gelände, auf dem Temba das Zelt aufgebaut hatte. Es war leicht abschüssig, was zur Folge hatte, dass meine Kombination aus Bodenmatte und Schlafmatte mich die ganze Nacht zu Akkrobatikübungen gezwungen hat, die mich vom Schlaf abgehalten haben – damit ich nicht wie ein Haufen Elend, gepresst gegen die untere Zeltwand endete. Die Materialien (Schlafsack, Matten) sind zwar heute unglaublich leicht und leistungsfähig, ihre Tücken haben sie doch. Panta rhei! Ich sage nichts über das Urinieren in die »pee bottle« in einer solchen Situation... Morgens wurde ich von Tembas sympatischem Lächeln begrüßt: »Good mornin' Boss, how was sleep?« »Like shit«, antwortete ich, und musste doch wegen Tembas guter Laune schmunzeln.
Ich glaube aber die Lösung gegen das Schlafmuster »Höhensyndrom« (Schlaf – kein Schlaf – Schlaf) gefunden zu haben; denn letzte Nacht habe ich vor dem Schlafengehen das bei Bergsteigern und Trekkern berühmte Medikament Diamox (250 mg) eingenommen und durchgehend geschlafen, von 21.00 bis 8.00 Uhr. Nur einmal bin ich zum Urinieren aufgewacht, konnte aber nach vielleicht einer Viertelstunde wieder einschlafen. Auch fühle mich trotz gestriger Anstrengung heute ganz gut. Ach, wie ich »Substanzen« liebe!
Hier geht es zurück zu Teil 9 des Bergsteiger-Blogs und weiter zu Teil 11, der chronolisch eigentlich vor diesem Eintrag hätte stehen müssen (erster Aussetzer der Internetverbindug!).
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Damien Francois