Blog: Einbeinig auf dem Weg zur ersten Skitour – Teil 9 | BERGSTEIGER Magazin

Blog: Einbeinig auf dem Weg zur ersten Skitour – Teil 9

2016 überquerte Jacqueline Fritz die Alpen – auf einem Bein und mit Krücken. Jetzt hat die beinamputierte Sportlerin ein neues Projekt: Sie will auf Skitour gehen. Doch dafür muss sie zunächst Skifahren lernen. Im Bergsteiger-Blog erzählt sie von ihren Fortschritten.
Teil 9: Geschafft – der erste Gipfel einer Pistentour
 
Jacqueline Fritz und Saskia Groos auf am Gipfel des Christlumkopf © Peter Musch
Jacqueline Fritz und Saskia Groos auf am Gipfel des Christlumkopf
So nun ist der Winter fast vorbei. Das Schöne am Skitouren gehen ist ja aber, dass man es bis in den Frühling betreiben kann. Saskia und ich haben diesen Winter extrem hart gearbeitet, um uns unseren Traum – zu zweit mit nur 3 Beinen Skitouren gehen – zu erfüllen. Und nun ist es soweit. Wir haben uns vorgenommen, den bekannten Christlumkopf zu besteigen.
 
Beide freuen wir uns wahnsinnig, auch Loui ist voller Vorfreude und springt bellend ums Auto. Ihm kann’s nicht schnell genug gehen. Er ist genauso wie ich richtig winter- und schneeverrückt geworden. Schnell packen wir die letzten Sachen in unsere Rucksäcke und checken, ob wir auch nichts Wichtiges vergessen haben. An was man alles denken muss! Gerade das Verstauen der zwei Krücken am Rucksack stellt uns vor Herausforderungen. Ich muss zwei Paar mitnehmen, meine »Frisbee-Krücken« zum Hochlaufen und die Skikrücken zum Abfahren. Aber inzwischen sind wir fast schon Profis.
 
Und nun geht’s los. Wir haben vor den Nordhang hochzulaufen. Das Skigebiet ist wie ausgestorben. Das winterliche Treiben beschränkt sich ausschließlich auf Skitourengeher. Die ersten Blümchen sind schon zu sehen, die Ameisen wuseln wie wild am Waldrand entlang. Gemächlich bahnen wir uns unseren bisher bekannten Weg hoch zum Riederbergstüberl. Wir wollen uns nur gar nicht lange aufhalten, da wir noch einiges vorhaben. Wir planen, ein bisschen durch den Wald zu gehen. Da ist es viel schöner, als ausschließlich Skipiste. Saskia erklärt mir, wie ich mir im Gelände abseits der Piste meinen Weg suchen kann.


 
Plötzlich passiert etwas total Witziges, wir wollen eine Schleife laufen, da schließen sich uns Tourengeher an und folgen uns einfach. Sie kennen sich anscheinend nicht aus. Erst spät merken sie, dass wir eigentlich nur im Kreis laufen. Saskia und ich müssen herzhaft lachen, als die Leute weg sind. Aber nun geht’s gemächlich weiter. Später kommen auch unser Fotograf sowie der Kameramann mit dazu.
 
Für Saskia und mich ist der Tag anders die vorherigen. Es geht unserem Ziel näher. Heute werden wir, wenn alles gut geht, an unserem ersten gemeinsamen Gipfelkreuz stehen. Dieser Tag dient zur Probe für die Skitour im Gelände in den kommenden Tage.
 
Das Wetter ist herrlich, es ist warm und der Wald duftet schon. Man merkt einfach, dass es Frühling wird. Jetzt, da wir etwas steiler laufen, merke ich, dass ich meine Krücken weiter tunen muss. Die Dornen, die ich in die Rohre eingegossen habe, sind etwas zu kurz. Wenn der Schnee etwas sulzig ist, rutschen sie manchmal ab. Auch rutsche ich ab und zu mit meinem Ski ab, wenn das Fell nicht greift. Aber mit der richtigen Technik geht es gut: Wir laufen einfach größere Zickzack-Bögen.
 
Auf dem Weg erzählt mir Saskia viel über die Pflanzen und Wildkräuter, die sich schon ihren Weg durch den Schnee bahnen konnten. Manchmal werden wir richtig demütig und Stille kehrt ein.
 
Wir kommen dem Gipfel immer näher. Auch Peter und Jörg staunen nicht schlecht, dass das so gut klappt mit einem Bein. Es läuft tatsächlich besser als gedacht, manches klappt einfach nur in einer anderen Art und Weise als bei anderen Tourengängern. Aber das macht ja nichts, Hauptsache es geht. Auf der Skipiste funktioniert das auch hervorragend mit der Spitzkehre, darüber machen sich ja vor allem die Männer große Sorgen. Man muss sagen, dass ich sogar Vorteile habe. Bei mir ist kein zweites Bein im Weg.

Wir kommen zum letzten steilen Anstieg. Nun sind wir 50 Meter unter dem Gipfel. Wir werden beide immer ruhiger. Zwei Meter vor dem Kreuz kommen Saskia und mir die Tränen. Weinend vor Freude fallen wir uns in die Arme. Wir sind sprachlos. Erst nach fünf Minuten können wir die herrliche Aussicht sowie unsere geschaffte Leistung genießen.
 
Es war wahnsinnig anstrengend. Ich merke auch, dass ich vom Kopf her müde bin. Es ist ein wahnsinniger Unterschied zum Bergsteigen. Mit den Ski bin ich noch viel unsicherer und konzentrierter. Was nicht bedeutet, dass ich beim Bergsteigen nicht konzentriert bin, aber da habe ich einfach mehr Routine. Beim Tourengehen muss ich vielmehr auf das Material vertrauen. Dennoch wird’s immer besser. Bis vor drei Monaten hatte ich ja noch nichts mit Ski zu tun.
 
Wir sitzen nun ehrfürchtig am Christlumkopf und genießen still. Dann packen wir unsere warmen Getränke und die Brotzeit aus und sind einfach nur in diesem Moment.
 


Nach einer halben Stunde bereiten wir uns auf die Abfahrt vor. Den ersten Teil wollen wir im Tiefschnee abfahren, da auf dem Aufstiegsweg ziemlicher Bruchharsch ist. Jetzt, im tieferen Schnee kommt meine »Sitzkehre« zum Einsatz. Gemeinsam fahren wir große Bögen und zum Richtungswechsel lasse ich mich einfach in den Schnee fallen, setze den Ski um, dann kann’s weiter gehen.

Auf der Piste kann ich inzwischen gut alleine fahren, wobei es einen großen Unterschied macht, ob die Piste präpariert wird, oder nicht. An der ein oder anderen steileren Stelle fahren wir wieder gemeinsam. Ich merke, wie mir langsam die Kraft im Bein ausgeht. Aber das kann ich ja noch trainieren. Eine halbe Stunde später stehen wir alle wieder am Parkplatz. Jeder von uns freut sich riesig. Und schon wieder kullern die Tränen die Wangen herunter – vor Stolz auf uns selbst und wir fallen uns in die Arme.
 
Es war ein harter, anstrengender Tag, der voller Emotionen und Glücksgefühle war. Wir werden ihn jetzt allesamt bei einem guten Essen ausklingen lassen.


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Jacqueline Fritz