Die Kaschmir-Pioniere
Der Dandagoporum (Weißhorn), ein Nachbargipfel des Cerro Kishtwar, im Abendlicht
Patagonien in Indien
Jetzt heißt es erst mal akklimatisieren. Dann wollen wir auf den Cerro Kishtwar, einen Doppelgipfel, getrennt durch einen ausgesetzten Grat. Der Gipfel soll 6200 Meter hoch sein – daher sollten wir uns an die Höhe vorab etwas gewöhnen …Wegen seiner Ähnlichkeit zum Cerro Torre trägt der auserkorene Berg den für Indien unüblichen Namenszusatz »Cerro«. Die Informationen, die dem Team vorliegen, beschränken sich auf einige informative E-Mails von Andy Perkins. Anfang der 1990er-Jahre haben er und Brendan Murphy Schwerstarbeit in der Nordwestwand geleistet, mussten dann aber 100 Meter unter dem Hauptgipfel umkehren. Die Erstbegeher waren schließlich Mike Fowler und Steve Sustad. Das erste und einzige Mal, dass jemand auf dem Gipfel stand. Grund genug, es noch einmal zu versuchen.
Einige Tage später können wir endlich starten. Die Wetterprognosen für die nächsten Tage sind gut. Zunächst geht es relativ einfach über ein Eisfeld. Es folgen kombiniertes Gelände und ziemlich loser Fels. Der viele Neuschnee – wie Zucker rieselt er ohne jeglichen Halt über das Eis – erschwert das Absichern. Wir müssen gute Stände bauen. Nur wie? Bei diesen Bedingungen ziemlich schwierig. Insbesondere mit dem ganzen Material, das wir bei uns haben: Essen, Klamotten, Schlafsäcke. Nicht zu vergessen das Filmequipment, schließlich ist Kameramann Rob Frost mit uns unterwegs. Wir befördern alles an einem Fixseil nach oben. Ziemlich aufreibend – auch für die Nerven.
Am nächsten Morgen traut das Team seinen Augen kaum. Nachdem Denis die erste anspruchsvolle Seillänge hinter sich gebracht hat, entdecken sie eine dünne, versteckte Eislinie, die sich wie eine Banane bis 200 Meter unter den Südgrat zieht. Eine gewaltige Linie. Vom ABC aus sah es so aus, als würde sich das Eis nach den ersten 150 Metern von der geplanten Schlafstelle auf 5400 Metern verlieren.
Uns ist sofort klar: das ist DIE Linie für einen Versuch im Alpinstil! Von unserem Standort aus können wir die Eisrinne aber nicht erreichen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als nach sechs Seillängen wieder abzuseilen und das Camp erneut aufzubauen. Nach diesem kräftezehrenden Verhauer sind wir alle erstmal platt. Neue Strategie: Am Folgetag rasten, nachts starten und es in einem Anlauf auf den Gipfel versuchen. Geht der Plan auf, wird auch das Essen für alle reichen.
Eis wie Butter
Der Wecker klingelt kurz vor drei Uhr. Immerhin – die schwere Ausrüstung kann im Camp bleiben. Die ersten Schritte durchs Eisfeld sind trotzdem mühsam. Dann aber wird es interessant.Als ich mein Eisgerät erstmals in das Eis schlage, kann ich es kaum fassen: wie in Butter hackt es ein. Ein Traum! Weniger traumhaft allerdings sind die Absicherungen. Eisschrauben zu drehen bei dem weichen Schnee-Eis ist sinnlos. Zum Glück ist die Schneerinne sehr schmal – so finden wir die eine oder andere Möglichkeit, uns im Fels abzusichern.
Teilweise stellt sich die Rinne bis 85 Grad auf, wird aber wieder flacher. Es folgen senkrechte Aufschwünge. Für mehrere Seillängen übernimmt nun David Lama die Führung. Nach zwei weiteren Seillängen gelangt das Trio an einen Felsaufschwung im sechsten Schwierigkeitsgrad. Auf knapp 6000 Metern nicht ganz ohne. Am Südgrat angekommen, kommen die Kletterer endlich in Kontakt mit der Sonne! Die Wärme tut gut. Doch dann kommt eine richtig knifflige Stelle. Anschließend geht es über leichtere Felsstellen auf einen Schneegrat. Um 13.15 Uhr stehen sie schließlich auf dem Südgipfel. Für Stephan und Denis ist es die dritte größere Erstbegehung im Indischen Himalaya. Für David Lama ist es der erste Sechstausender. Was für ein Moment!