71 Personen aus Gondelbahn geborgen - Übungsszenario für den Ernstfall

Ein Dach über dem Kopf, eine ebene Liegefläche und ein paar Decken – mehr Komfort bietet das Röhr-Biwak nicht. Der versteckte Luxus wird erst am nächsten Morgen deutlich. Gerade mal eine Stunde benötigt man vom Kesselkeessattel aufs Böse Weibl – selbstverständlich über mühsam-steiles Blockgelände, wie bei fast allen Bergen der Schobergruppe. »Schobergruppe = Schottergrube«, so wird der südliche Ausläufer der Tauern gerne verballhornt. Aber das Panorama! Das versöhnt im Nu. Majestätisch erhebt sich der Glockner, würdevoll sonnt sich das weiße Haupt des Venedigers, und im Osten spitzt die Sonne über den Sonnblick herüber. Erst als wir die berühmten Gipfel ringsum einzeln aufgezählt haben, fällt der Blick auf die nahen Berge. Für einen Moment bin ich fast enttäuscht: Steile Schrofengipfel und schwarzes Blockwerk werden auch heute den Weg durch die Schobergruppe dominieren.
Türkisfarben leuchtet ein See aus dem Tramerkar herauf, dessen Farbe in der kargen Landschaft ringsum erst richtig zur Geltung kommt. Die Seen sind eine der Hauptattraktionen in der Schobergruppe. Sämtliche sind natürlichen Ursprungs, kein einziger Stausee ist darunter. Nach der türkisfarbenen Wasserfläche im Tramerkar treffen wir in einer Grube unter dem Roten Knopf auf einen milchig hellblauen See. Dieser ist sozusagen eine Zufallsbekanntschaft, denn an der Elberfelder Hütte, an der wir am späten Vormittag vorbeikommen, empfiehlt man uns, von unserer bisherigen Planung abzuweichen und nicht auf dem Wiener Höhenweg über die Hornscharte zu gehen, weil der Weg aufgrund der Gletscher- und Permafrostschmelze einige Risiken birgt. Wir steigen also über die Gößnitzscharte ins Debanttal. Und so wandern wir wenig später über polierte Gletscherschliffrücken und ein buntes Felsschuttfeld ins Tal zwischen Großem Hornkopf und Rotem Knopf, mit 3281 Metern der zweithöchste Gipfel der Schobergruppe.
Und zwischen diesen beiden Bergen finden wir den erwähnten verzaubert-milchblauen See. Und wenig später, direkt vor der Eisfläche des Gößnitzkees, verblüfft uns der Konmal seicht und dunkelgrün. Gößnitzscharte heißt unser nächstes Ziel. Hier befindet man sich nun im Zentrum der Schobergruppe. Aus der Luft gesehen erinnern die Schoberberge an ein schlampig geschriebenes großes »H«: zwei parallel verlaufende Bergkämme, die durch eine Mittelachse miteinander verbunden werden, welche auf beiden Seiten etwas übersteht. Am östlichen Kreuzungspunkt steht der Rote Knopf, am westlichen der Hochschober, ebenfalls ein imposanter Dreitausender und zugleich Namensgeber für eines der einsamsten Bergmassive in den Ostalpen. Außer dem Wirt der Elberfelder Hütte sind wir noch immer niemandem begegnet, dabei ist Mittag längst vorbei und wir sind sozusagen auf dem »Schober-Highway«…
Das Debanttal. Es ist das längste Tal weit und breit und führt mitten hinein in unser verstecktes Paradies. Von Debant etwas östlich von Lienz zweigt es aus dem Drautal ab und gewinnt bis zur Lienzer Hütte auf gut 20 Kilometer 1300 Höhenmeter. Etwa eine Stunde Fußweg unterhalb der Hütte beginnt das Gebiet des Nationalparks Hohe Tauern, und hier endet die Fahrstraße Kein Wunder also, dass die Lienzer Hütte uns mit einer übervollen Terrasse empfängt. Wenig unterhalb der Hütte glitzert der Debantbach in der Nachmittagssonne, hinten im Tal stehen Hochschober, Debantgrat und Glödis. Ein zauberhaftes Fleckchen Erde!
Zwei Stunden steigt der Pfad immer in östlicher Richtung auf, dann erreichen wir mit dem letzten Abendlicht die Untere Seescharte. Ja, der Abstecher hat sich gelohnt. Denn uns zu Füßen liegt der schönste Fleck der Schobergruppe: die Wangenitzhütte mit dem Kreuzsee und dem Wangenitzsee. Die kleine Hütte ist zwar auch alles andere als leer, aber die Stimmung ist locker. Vielleicht liegt es ja an den leckeren (und reichlichen) Portionen, die aus der Küche kommen? Die meisten Gäste werden morgen aufs Petzeck steigen, 800 Höhenmeter auf den höchsten Gipfel der Gruppe. Ein paar gehen den Kärntner Grenzweg hinüber zur Elberfelder Hütte, andere genießen die Seen, machen vielleicht noch den Seenklettersteig und steigen ins Wangenitztal ab. Die Gruppe aus den Niederlanden am Nachbartisch wollte einfach eine Nacht auf der einzigen Hütte in den Alpen verbringen, die im Besitz des Niederländischen Alpenvereins ist. Und wir werden uns auf den Weg nach Lienz machen, in die Osttiroler Sonnenstadt.
Sie sind schon immer abseits des großen Bergtourismus gestanden, die Berge zwischen Glockner und Lienz. In den 30er Jahren wurde zwar der Wiener Höhenweg angelegt, aber wirklich geändert hat sich dadurch jedoch nichts. Gottseidank möchte man sagen. Nur wenige Hütten, ab und zu ein Materiallift, ein Wegweiser, Farbmarkierungen an den Felsen und ab und zu ein paar Meter Drahtseil – das war es schon in Sachen touristische Erschließung. Und seit die Schobergruppe 1981 auf Kärntner und 1992 auch auf Osttiroler Seite Teil des Nationalparks Hohe Tauern wurde, ist auch nicht mehr zu befürchten, dass sich an diesem Stand der Erschließung etwas ändert.
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