Einsame Schobergruppe | BERGSTEIGER Magazin
Geheimtipp: Bergsteigen in der Schobergruppe

Einsame Schobergruppe

Wenn Berge im Schatten berühmter Nachbarn stehen, werden sie meist in Ruhe gelassen – denn was gemeinhin zählt, sind berühmte Namen und spektakuläre Gipfel. Beides gibt es in der Schobergruppe nicht, dafür aber Bergeinsamkeit zur Genüge und grandiose Ausblicke auf die berühmten Paradeberge der Hohen Tauern. Von Andrea (Text) und Andreas Strauß (Fotos)

 
Der Großglockner, vom Gernot-Röhr-Biwak aus gesehen © Andreas Strauß
Der Großglockner, vom Gernot-Röhr-Biwak aus gesehen
Mit der Schobergruppe ist es wie mit dem berühmten Stück nasse Seife: Man kann sie einfach nicht packen. Sie macht sich unsichtbar, versteckt sich hinter den größeren, schöneren Nachbarn. Lässt die ewigen Blender nach vorne und scheint ihr Dasein in der letzten Reihe zu genießen. Nach dem Motto: normal sein, keine Rekorde, nicht auffallen.

Namen, die auch Google nicht kennt

Wir sind auf einer langen Gebirgsdurchquerung unterwegs. Unterschiedlichste  Landschaften wollten wir kennenlernen, spektakuläre und weniger spektakuläre Berge und als Krönung sozusagen die Glockner- und die Schober­gruppe. Obwohl wir in beiden Gegenden schon öfters waren, bin ich auf die Schobergruppe besonders gespannt, denn ich habe den Eindruck, sie trotzdem nicht zu kennen.

Der erste Blick tut sich von der Stockerscharte in der Nähe von Heiligenblut auf, wo man ins Leitertal mit seinem Seitenast, dem Peischlachtal, hinuntersieht. Peisch­lachtal und Bergertal sind die nördliche Grenze der Schobergruppe, sie trennen den Gebirgsstock vom Glocknermassiv ab. Ein schroffer, rötlich-schwarzer Höhenrücken steht jenseits des Leiterbachs, versperrt den Blick nach Süden. Bis knapp unter die Gipfelregion greifen die Almmatten hinauf ins steinige Gelände. Wege sieht man keine. Die Gipfel sind deutlich niedriger als der fünf Kilometer Luftlinie entfernte Großglockner, aber dafür genauso steil und zudem einsam. Saukopf, Gremul, Tramerkamp, Zinketz: Berge mit Namen, aber ohne Weg und ohne Eintrag im Internet. Auch unser Blick geht zunächst noch nach Nordwesten zum Großglockner. Denn für ihren berühmten Nachbarn sind die Schoberberge der ideale Logenplatz.

Ein paar Stunden später betreten wir am Peischlachtörl die Schobergruppe dann wirklich. Fast schlagartig wird der Weg zum Steig, die Beschilderung reduziert sich aufs unbedingt Nötige. Einmal noch sehen wir an diesem Tag in einer fernen Bergflanke eine Gruppe Bergwanderer, an der nächsten Biegung sind sie spurlos verschwunden. Wir steigen auf in den Kesselkeessattel, wo das Gernot-Röhr-Biwak steht. Wenn man die beiden Biwakschachteln mitrechnet, so gibt es gerade einmal neun Unterkunftsmöglichkeiten, verteilt auf eine Fläche, die so groß ist wie Wetterstein und Mieminger Berge zusammen.

Der steinige Weg führt auf eine Rampe links über dem Talgrund. So umgeht er das Peisch­lachkesselkees, einen der etwa 20 Gletscher der Schober­gruppe. Die Zahl trügt, denn es handelt sich meist nur um winzige Gletscherreste, die versteckt in stillen, abgelegenen Karen schlummern, unter Felsschutt verborgen. Sie bedecken lediglich ein Prozent der Gesamtfläche der Schobergruppe – kein Vergleich mit den Glocknerbergen, die sich einer Vergletscherung von rund zehn Prozent rühmen können. Dass die Berge der Schobergruppe niedriger sind, ist ein Grund für diesen Unterschied; vor allem aber sind die Bergflanken so steil, dass die Gletscher nach Ende der Eiszeiten nicht genug Nährgebiet fanden. 

Seenlandschaften in der Schobergruppe

Ein Dach über dem Kopf, eine ebene Liegefläche und ein paar Decken – mehr Komfort bietet das Röhr-Biwak nicht. Der versteckte Luxus wird erst am nächsten Morgen deutlich. Gerade mal eine Stunde benötigt man vom Kesselkeessattel aufs Böse Weibl – selbstverständlich über mühsam-steiles Blockgelände, wie bei fast allen Bergen der Schobergruppe. »Schober­gruppe = Schottergrube«, so  wird der südliche Ausläufer der Tauern gerne verballhornt. Aber das Panorama! Das versöhnt im Nu. Majestätisch erhebt sich der Glockner, würdevoll sonnt sich das weiße Haupt des Venedigers, und im Osten spitzt die Sonne über den Sonnblick herüber. Erst als wir die berühmten Gipfel ringsum einzeln aufgezählt haben, fällt der Blick auf die nahen Berge. Für einen Moment bin ich fast enttäuscht: Steile Schrofengipfel und schwarzes Blockwerk werden auch heute den Weg durch die Schobergruppe dominieren.

Türkisfarben leuchtet ein See aus dem Tramerkar herauf, dessen Farbe in der kargen Landschaft ringsum erst richtig zur Geltung kommt. Die Seen sind eine der Hauptattraktionen in der Schober­gruppe. Sämtliche sind natürlichen Ursprungs, kein einziger Stausee ist darunter. Nach der türkisfarbenen Wasserfläche im Tramerkar treffen wir in einer Grube unter dem Roten Knopf auf einen milchig hellblauen See. Dieser ist sozusagen eine Zufallsbekanntschaft, denn an der Elberfelder Hütte, an der wir am späten Vormittag vorbeikommen, empfiehlt man uns, von unserer bisherigen Planung abzuweichen und nicht auf dem Wiener Höhenweg über die Hornscharte zu gehen, weil  der Weg aufgrund der Gletscher- und Permafrostschmelze einige Risiken birgt. Wir steigen also über die Gößnitzscharte ins Debanttal. Und so wandern wir wenig später über polierte Gletscherschliff­rücken und ein buntes Felsschuttfeld ins Tal zwischen Großem Hornkopf und Rotem Knopf, mit 3281 Metern der zweithöchste Gipfel der Schobergruppe.

Und zwischen diesen beiden Bergen finden wir den erwähnten verzaubert-milchblauen See. Und wenig später, direkt vor der Eisfläche des  Gößnitzkees, verblüfft uns der Konmal   seicht und dunkelgrün. Gößnitzscharte heißt unser nächstes Ziel. Hier befindet man sich nun im Zentrum der Schobergruppe. Aus der Luft gesehen erinnern die Schoberberge an ein schlampig geschriebenes großes »H«: zwei parallel verlaufende Bergkämme, die durch eine Mittelachse miteinander verbunden werden, welche auf beiden Seiten etwas übersteht. Am östlichen Kreuzungspunkt steht der Rote Knopf, am westlichen der Hochschober, ebenfalls ein imposanter Dreitausender und zugleich Namensgeber für eines der einsamsten Bergmassive in den Ostalpen. Außer dem Wirt der Elberfelder Hütte sind wir noch immer niemandem begegnet, dabei ist Mittag längst vorbei und wir sind sozusagen auf dem »Schober-Highway«…

Abstecher zur Perle

Das Debanttal. Es ist das längste Tal weit und breit und führt mitten hinein in unser verstecktes Paradies. Von Debant etwas östlich von Lienz zweigt es aus dem Drautal ab und gewinnt bis zur Lienzer Hütte auf gut 20 Kilometer 1300 Höhenmeter. Etwa eine Stunde Fußweg unterhalb der Hütte beginnt das Gebiet des Nationalparks Hohe Tauern, und hier endet die Fahrstraße Kein Wunder also, dass die Lienzer Hütte uns mit einer übervollen Terrasse empfängt. Wenig unterhalb der Hütte glitzert der Debantbach in der Nachmittagssonne, hinten im Tal stehen Hochschober, Debantgrat und Glödis. Ein zauberhaftes Fleckchen Erde!

Zwei Stunden steigt der Pfad immer in östlicher Richtung auf, dann erreichen wir mit dem letzten Abendlicht die Untere Seescharte. Ja, der Abstecher hat sich gelohnt. Denn uns zu Füßen liegt der schönste Fleck der Schobergruppe: die Wangenitzhütte mit dem Kreuzsee und dem Wangenitzsee. Die kleine Hütte ist zwar auch alles andere als leer, aber die Stimmung ist locker. Vielleicht liegt es ja an den leckeren (und reichlichen) Portionen, die aus der Küche kommen? Die meisten Gäste werden morgen aufs Petzeck steigen, 800 Höhenmeter auf den höchsten Gipfel der Gruppe. Ein paar gehen den Kärntner Grenzweg hinüber zur Elberfelder Hütte, andere genießen die Seen, machen vielleicht noch den Seenklettersteig und steigen ins Wangenitztal ab. Die Gruppe aus den Niederlanden am Nachbartisch wollte einfach eine Nacht auf der einzigen Hütte in den Alpen verbringen, die im Besitz des Niederländischen Alpenvereins ist. Und wir werden uns auf den Weg nach Lienz machen, in die Osttiroler Sonnenstadt.

Der lange Weg hinab

Sie sind schon immer abseits des großen Bergtourismus gestanden, die Berge zwischen Glockner und Lienz. In den 30er Jahren wurde zwar der Wiener Höhenweg angelegt, aber wirklich geändert hat sich dadurch jedoch nichts. Gottseidank möchte man sagen. Nur wenige Hütten, ab und zu ein Materiallift, ein Wegweiser, Farbmarkierungen an den Felsen und ab und zu ein paar Meter Drahtseil – das war es schon in Sachen touristische Erschließung. Und seit die Schobergruppe 1981 auf Kärntner und 1992 auch auf Osttiroler Seite Teil des Nationalparks Hohe Tauern wurde, ist auch nicht mehr zu befürchten, dass sich an diesem Stand der Erschließung etwas ändert.

Als wir am nächsten Morgen in der Oberen Seescharte stehen und zurückblicken auf Petzeck und Wangenitzseehütte, freuen wir mit den Schoberbergen, dass sie auch in Zukunft ein angenehmer Kontrast zu den benachbarten Bergen der Glocknergruppe bleiben dürfen. Nun heißt es, Abschied nehmen von den »ganz normalen Bergen«, wozu uns immerhin rund vier Stunden Zeit bleiben, auf dem südlichen Abschnitt des Wiener Höhenwegs hinab zur Winklerner Hütte am Rande des Nationalparks. Der Blick richtet sich auf das Debanttal unter uns, auf den südwestlichen Höhenkamm jenseits, der von Meter zu Meter sanfter und niedriger wird – das Spiegelbild unseres Höhenrü­ckens. Und natürlich schweift der Blick auch nach Süden auf die Gipfel  der Lienzer Dolomiten – noch eine Gebirgsgruppe, die wir unbedingt einmal kennenlernen wollen, aber das ist eine ganz andere Geschichte…

Unterwegs in der Schobergruppe (Fotos von Andreas Strauß)
 
Mehr zum Thema