Anna Stöhr: »Ich will in keine Schublade« | BERGSTEIGER Magazin

Anna Stöhr: »Ich will in keine Schublade«

Kurz vor ihrem Heimspiel bei der Kletter-WM in Innsbruck beendete Anna Stöhr im Frühjahr 2018 ihre Wettkampfkarriere wegen einer Verletzung. Nun freut sich die ehemalige Boulder-Weltmeisterin über mehr Zeit am Fels, wo sie vermehrt auch mit Seil unterwegs ist.
 
Anna Stöhr beim Boulderweltcup in Innsbruck © Elias Holzknecht
Anna Stöhr beim Boulderweltcup in Innsbruck
BERGSTEIGER: Vor etwas über einem Jahr haben Sie sich am Rücken verletzt. Wie geht es Ihnen heute?
ANNA STÖHR: Es ist noch nicht wieder genau so, wie es davor war. Aber wenn man sich anschaut, wie es mir vor einem Jahr ging, muss ich sagen, dass es mir sehr gut geht. Ich kann super sportklettern. Beim Bouldern ist die Stoßbelastung beim Abspringen etwas problematisch, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden.

Was ist damals genau passiert?
Ich hatte mich ja entschieden bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck im Herbst 2018 nochmals zu starten. In einem zweitägigen Trainingslager vom Verband hat sich mein Rücken morgens schon etwas steif angefühlt, aber ich hab mir gedacht, das sei nicht so tragisch. Nach zwei Stunden etwa kam dieser eine Sprung, eigentlich nichts Besonderes. Nach dem konnte ich mich nicht mehr aufrichten. Ich bin nicht weiter als so gekommen (springt auf und demonstriert ihre Haltung, den Rücken im 45-Grad-Winkel gebeugt). Nach fünf Tagen im Bett hat ein MRT ergeben, dass es mit den letzten drei Bandscheiben ein Problem gibt.

Also ein Bandscheibenvorfall?
Ja, ein Bandscheibenvorfall, Vorwölbungen und Gleitwirbel. Zuerst dachte ich mir: Das wird schon wieder. Es hat recht lange gedauert, bis ich realisiert habe, was eigentlich los ist.

Wie haben Sie Ihren Rücken dann wieder hinbekommen?
Mit ganz viel Physiotherapie, Wärmebehandlung und Osteopathie. Als ich wieder gut gehen konnte, habe ich vorsichtig angefangen zu klettern, erst im ganz flachen Gelände. Denn je steiler die Wand, umso größer ist die Belastung für das Kreuz. So habe ich mich langsam wieder rangetastet.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie wieder klettern konnten?
Es gab viele Zwischenschritte. Im Februar ist es passiert. Im Mai oder Juni war ich das erste Mal wieder im Schweizer Klettergebiet Voralpsee. Dort sind eher schwere Touren, also bin ich in eine 7c+ eingestiegen, bin auch mal gefallen und das war dann schon zu viel. Danach musste ich erst mal zwei Wochen Pause machen und bin dann wieder viel leichter geklettert.

Wie war es, das erste Mal wieder an der Wand zu sein?
Ich hatte gedacht, es würde sich super anfühlen, wieder am Fels zu sein. Aber tatsächlich war es schrecklich. Es hat eine Zeit gebraucht, bis ich von den Bewegungen wieder so klettern konnte, wie ich es von mir kenne. Sicher hat da auch der Kopf mit reingespielt. Ich war so verunsichert. Im Sommer in Flatanger habe ich dann das erste Mal beim Klettern überhaupt nicht mehr an die Verletzung gedacht, das war super.

In der letzten Zeit waren Sie ja öfter verletzt. Hat es Ihrem Körper vielleicht einfach gereicht?
Man will ja selber nicht wahrhaben, dass es irgendwann ein Ende hat, aber ich glaube schon, dass mein Körper da ein Zeichen gesetzt hat. Es ist wichtig, dass man das akzeptiert. Ich bin eigentlich niemand, der immer Vollgas gibt und habe schon immer versucht, Verletzungen auszuheilen. Aber Spitzensport ist sicher nicht körperschonend. An diesem Punkt war für mich klar: Ich will noch lange klettern, ich habe nur ein Leben und nur einen Körper. Es geht mir nicht nur um diese WM.

War dieser Schritt hart?
Nach so langer Zeit im Wettkampfsport nimmt man das nicht auf die leichte Schulter. Ich habe ja schon davor ans Aufhören gedacht, aber die WM in Innsbruck war eine Motivationsquelle. Das ist ganz speziell, wenn alle Freunde und Verwandten im Publikum sind und man danach mit ihnen anstoßen kann.



Viermal Gesamtweltcup-Siegerin, je zweimal EM und WM – wäre Olympia 2020 da nicht die Krönung gewesen?

Nein, ganz sicher nicht. Ich wäre auch ohne die Rückenverletzung in der Kombination nicht an den Start gegangen.

Dabei sind Sie zu Beginn Ihrer Karriere auch im Speed angetreten und bei der Junioren-WM sogar Zweite geworden.
Ja stimmt, gut recherchiert (lacht). Früher gab es bei den Junioren nur Vorstieg und Speed. Speed habe ich immer dann mitgemacht, wenn ich im Vorstieg rausgeflogen bin.

Da wäre der Grundstein ja schon gelegt gewesen ...
Speed war damals einfach irgendeine Route, die man schnell geklettert ist. Ich bin die heute übliche standardisierte Speedroute noch nie geklettert und kann dazu nicht so viel sagen, aber für mich wäre das Einschleifen einer einzelnen Route sicher zu eintönig. Außerdem bin ich wohl zu alt, um wirklich schnell zu sein. Generell ist es für mich zu weit weg vom Klettern.

Warum haben Sie sich damals fürs Bouldern entschieden?
Mit 16 war ich mit Freunden eigentlich jedes Wochenende im Zillertal, wir haben Blöcke geputzt, Sachen erstbegangen, abgehangen, sind gebouldert – das war der volle Boulder-Spirit, genau meins. Zum Wettkampf-Bouldern kam ich eher zufällig bei der Europameisterschaft in Lecco. Das war mein erster Wettbewerb bei den Erwachsenen. Eigentlich wollte ich im Vorstieg starten, aber sie sagten mir, dass ich als Jüngste doch bouldern solle, sie hätten keinen Platz im Vorstiegs-Kader. Da war ich erst mal ziemlich enttäuscht, bin aber trotzdem gestartet – und Vize-Europameisterin geworden. Und dann bin ich dabeigeblieben, sicher auch, weil der Erfolg gleich da war.

Es folgten 15 Jahre Wettkampfsport.
Ja, aber ich finde es schade, wenn man so in Schubladen gesteckt wird. Früher hat es mich sehr gestört, dass immer gesagt wurde, ich sei Wettkampfkletterin. Ich wollte einfach als Kletterin wahrgenommen werden und diesen Wettkampfstempel nie haben, weil ich ja immer auch viel draußen war. Denn draußen klettern, das ist einfach ein anderes Gefühl. Da geht es neben der Bewegung auch darum, in der Natur zu sein, diese Energiequelle zu nutzen und neue Gebiete kennenzulernen.

Heute wirbeln die Boulderer fast nur noch durch die Gegend, springen herum. Taugt Ihnen das?
Das ist schon cool. Das Bouldern hat sich als Sportart drinnen stärker weiterentwickelt als am Fels, wo die natürlichen Strukturen vorgeben, dass du Leisten hast, oder Aufleger oder Zangen. Draußen kannst du nie so verrückt springen wie drinnen, auch wegen der Absicherung, so viele Matten kann man gar nicht mitnehmen. Mir fallen ein paar Boulder in Südafrika mit wirklich funky moves ein. Aber das ist selten zu finden. Es macht ja keinen Sinn zu sagen, diesen und jenen Griff lassen wir weg. In der Halle kann man es dagegen so bauen, dass auch größere Herren die Griffe anspringen müssen.

Welche Rolle spielt Geld?
Geld spielt sicher eine Rolle. In Österreich ist unser Verband mit Förderungen vom Bund und Land mittlerweile sehr gut aufgestellt. Deshalb hat er jetzt das Kletterzentrum in Innsbruck, wo er trainieren darf und gute Strukturen bieten kann. Früher haben wir bei internationalen Wettkämpfen nur ein T-Shirt bekommen, auf dem Austria stand, und erst wenn man ins Finale kam, wurde der Flug übernommen. Da ist man nach Amerika geflogen und wusste nicht, ob man die Kosten selbst tragen muss.

Ist das Sponsoring auch mehr geworden?
Bestimmt. Wenn man jetzt um Olympia klettert, hat man die Chance, in den Medien groß präsent zu sein. Darauf springen die Sponsoren natürlich an. Das ist eine klare Rechnung. Das wirkt sich monetär sicher aus.

Wie hat sich Ihr Leben seit der Wettkampfzeit verändert?
Es ist radikal anders. Während der Wettkampfzeit war ich beim Bundesheer und habe sehr viel trainiert. Gerade mache ich als Abschluss meines Lehramtstudiums das Unterrichtspraktikum. Ich freue mich schon darauf, ab Juli wieder ganz viel klettern zu können – diesmal ohne die Restriktion zu haben, dass der nächste Wettbewerb kommt und ich heimkommen muss, um zu trainieren. Darauf, dass ich wirklich die Freiheit habe, alles auf Projekte draußen zu fokussieren. Im Herbst möchte ich mal stärker ins Mehrseillängenklettern reinschnuppern und ausprobieren, wie ich mich in langen Touren mache. Das ist für mich ein weiterer Schritt dahin, eine ganzheitlichere Kletterin zu sein.

Alpinere Wege einzuschlagen passt ja gut zu Ihrem neuen Sponsor Salewa.
Ich bin sicher keine Hardcore-Alpinistin, die nach Patagonien fährt. Aber es war schon cool, dass Salewa gesagt hat, ich habe Potenzial und dass sie mich unterstützen wollen. Mal schauen, wohin die Reise geht.



Sehen Sie sich als Lehrerin? Oder möchten Sie lieber beim Profisport bleiben?
Ich habe gelernt, dass es echt schwer ist, die Zukunft vorauszuplanen. Ich denke, es ist nicht schlecht, wenn man ein zweites Standbein hat. Eine gewisse Absicherung zu haben, macht frei im Kopf. Was ich in 20 Jahren beruflich mache, ist jetzt schwer zu sagen. Aber ich bin froh, dass ich Studium und Unterrichtspraktikum gemacht habe, weil mich das auch prägt und mir neue Perspektiven eröffnet.

Vorträge und Motivationstraining wie viele andere Sportler, wäre das nichts für Sie?
So genau habe ich mir das noch gar nicht überlegt. Aber ich muss schon sagen, dass es mir gefällt in der Schule. Das ist ein cooler Job. Es ist sicher auch gut, mal andere Sachen zu sehen, zu merken, was es sonst noch gibt auf der Welt. Aber wie gesagt, ich freue mich schon wieder auf die freie Zeit zum Klettern.

Ihr Freund Kilian Fischhuber war auch ganz groß im Wettkampfsport und hat sich schon vor ein paar Jahren zurückgezogen. Hat Sie das beeinflusst?
Ja, sicher. In gewisser Weise war die Zeit, als Kilian und ich zusammen unterwegs waren, die Blütezeit, da fällt mir jetzt leider kein anderes Wort ein. Das war der Wahnsinn, damals war das ganze Team befreundet, der Partner war immer dabei, das war etwas ganz Spezielles.

In Medaillen gemessen waren Sie erfolgreicher als Ihr Freund.
Darum konnte ich es ja nicht lassen. Wir waren gleich auf und ich habe mir gedacht, eine brauche ich noch (lacht).

Waren Konkurrenz und Erfolg Thema in Ihrer Beziehung?
Ich ziehe Kilian schon gerne damit auf, dass ich eine Medaille mehr habe. Aber vielleicht kommt er ja zu Olympia zurück. Nein, das war ein Scherz. Gar nicht. Das war immer eine gesunde Konkurrenz und es hat Spaß gemacht, gemeinsam zu trainieren. Manchmal ist das Training doch eintönig und langweilig, und wenn man den Partner dabei hat, dann kommt es einem etwas spannender vor.

Pärchenabend am Campusboard?
Genau (lacht). Wir haben sehr viele Felstrips gemacht und immer versucht, das Training abwechslungsreich zu gestalten, um eine coole Zeit zu haben. Und das war es auch.
 
Interview: Franziska Haack