Der große Hüttenknigge | BERGSTEIGER Magazin
Was darf man auf der Hütte, was sollte man vermeiden?

Der große Hüttenknigge

In alpinen Hütten kommen viele Menschen zusammen. Das ist schön – oder schrecklich? Auf ein paar grundsätzliche Regeln kommt es an.
Von Sebastian Eicher
 
Wer sich an gewisse Regeln hält, kann auf der Hütte schöne Stunden verbringen © Illustration: Eberhard »Erbse« Köpf
Wer sich an gewisse Regeln hält, kann auf der Hütte schöne Stunden verbringen
Wahrscheinlich geht das gesamte Abendland unter. Mit Pauken und Trompeten. Nicht erst in fernen Zeiten, sondern schon bald. Und warum? Weil keiner sich mehr an Regeln halten mag. Weil jeder nur mehr auf sich selber schaut und weil allen im Grunde alles wurscht ist. Nehmen wir die Alpen! Bei Stufe vier fahren die Freunde der breiten Bretter mit Vollgas in hochschwangere Hänge hinein, und ob sich darunter eine Piste samt potenzieller Verschüttungsopfer befindet, interessiert diese Alpin-Zyniker nur insofern, als Pisten gute Zubringer zur Talstation der Seilbahn sind. Lawinengefahr? Man hat ja den Airbag am Buckel, was soll schon passieren – einem selber, wohlgemerkt. Da hilft erfahrungsgemäß nur eins: harte Strafen. Und strenge Kontrollen. Technisch machbar wäre das inzwischen selbst in abgelegenen Gebirgsregionen, GPS sei Dank.

Und was ist schon dabei, Navi-Pflicht unter Bergsportlern einzuführen? Wer sich an die Regeln hält, hätte doch nichts zu befürchten – im Gegensatz zu jenen Zeitgenossen, die auf Verbote pfeifen und ohne Rücksicht auf Verluste in gesperrte Zonen einfahren. Auf die würden nämlich grimmig dreinsehende Sonderkräfte der Polizei warten. Wie das konkret aussähe, kann man übrigens schon jetzt in manchen Regionen südlich des Brenner anschauen. Die Erfahrung lehrt allerdings auch, dass Geldstrafen alleine nicht nachhaltig wirken. Wiederholungstätern sollte deshalb befristet (im ersten Wiederholungsfall) oder unbefristet (bei weiteren Vergehen) die Erlaubnis entzogen werden, überhaupt ins freie Skigelände zu fahren. Deshalb auch dringend nötig: der Freeride- Führerschein. Denn wo nichts ist, kann auch nichts entzogen werden.

A propos Führerschein. Mit etwas Nachdenken leuchtet jedem Kenner der Berge und der dortigen Geschehnisse sofort ein, dass die Idee des Führerscheins nicht nur für Skifahrer und den Winter sinnvoll wäre. In Anbetracht der Unfallzahlen im gebirgigen Terrain und der Dilettantendichte unter Bergsportlern sollte es einen Bergsteiger-Führerschein geben – oder besser noch einen generellen Bergschein für alpine Verrichtungen aller Art. Ein besonders wichtiges Kapitel im Bergschein beträfe das Benehmen auf Berghütten. Denn dass es dort mitunter schlecht bestellt ist um das menschliche Miteinander, weiß jeder, der bereits eine Übernachtung an nämlicher Stelle erlebt hat. Nur zu gut dürfte er dann die abendliche Situation kennen, wenn das Einschlafen nach langem Ringen mit dem eigenen Bewusstsein endlich zu gelingen scheint und plötzlich ein Hüttengenosse unter Aufbietung maximaler Ungeschicklichkeit ins Lager torkelt.

Fairerweise muss man allerdings sagen, dass solcherart geräuschvolles Stolpern nur selten die Schuld des Stolpernden alleine ist. Beträchtliche Schuldanteile tragen nämlich meist auch andere, die den Schlafraum mit einem Materiallager verwechseln und ihre sperrigen Utensilien überall verteilen. Eigentlich gehört die Ausrüstung des Alpinisten nämlich in die dafür vorgesehenen Fächer, die sich mitnichten im Schlafraum befinden, sondern zumeist in der Nähe des Hütteneingangs. Womöglich hat aber der eine oder andere Material- Anarchist schlechte Erfahrungen mit einem anderen, auch nicht sehr erfreulichen Hütten-Vorkommnis gemacht, das darauf gründet, dass so mancher Bergfreund seine Ausrüstung von der anderer Bergfreunde nicht unterscheiden kann. Es sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen hochmotivierte Gipfelaspiranten beim Suchen der eigenen Bergschuhe in Verzweiflung ausbrachen, weil diese nicht nur nicht mehr da waren, sondern darüber hinaus sämtliche noch vorhandenen Schuhe zu klein waren.

Das Leiden der Hüttenwirte

Dass es auf der Hütte ausschließlich harmonisch und romantisch zugeht, glaubt also keiner, der die Situation vor Ort kennt. Schon gar nicht der Hüttenwirt. Der hat mit dem Missverhalten seiner Gäste bereits zu tun, wenn sie noch gar nicht da sind. Den Anfang nimmt sein Leiden an der Gästeschaft schon mit der Reservierung. Diese ist nämlich so zuverlässig wie der Wetterbericht. Flexibilität und Mobilität sind eben keine Privilegien des Neo-Liberalismus. Erfreulich an diesem Umstand ist nur, dass nicht annähernd so viele Menschen die Berge bevölkern, wie die Anzahl der Reservationen nahelegt. Sondern vermutlich nicht mehr als ein Drittel. Dass dieses Drittel wiederum vollkommen ausreicht, um flächendeckende Bergsteigerpräsenz an den neuralgischen Punkten des gelebten Alpinismus zu bewirken, gehört zu den ungelüfteten Geheimnissen der Berge. Diese neuralgischen Punkte des gelebten Alpinismus sind übrigens mitnichten die Berge an sich. Gelebt wird der Alpinismus nämlich in den Hütten. Erst dort verwandeln sich durchlittene Wandertouren in romantische Bergabenteuer, mutieren nervenaufreibende Bruchrouten zu Genussklassikern, die man unbedingt gemacht haben muss, und wird aus Bruchharschgewürge ein Abfahrtsrausch im tiefen Pulver. Bergsteigen ist eben erst schön, wenn man wieder unten ist. Und wenn man davon erzählen kann.

Wenn allerdings auf den Hütten nur noch Bergscheinabsolventen hocken, ist es bald vorbei mit dem Bergmannsgarn. Der gelernte Alpin-Analyst rümpft nämlich die Nase angesichts zwar hin und wieder offensichtlicher, gleichwohl unterhaltsamer Übertreibungen. Der Eros der Berge ist ihm fremd, das Lustvolle am Schwärmen und Schwadronieren kennt er nicht. Ein Gipfel ist für ihn der höchste Punkt –mehr nicht. Au weia! Vermutlich ist der Bergschein doch keine gute Idee. So schlimm ist das allerdings auch wieder nicht. Weil es in den Bergen nämlich gar nicht so katastrophal zugeht, wie einen so mancher Medienbericht glauben machen mag. Freerider sind keine amoklaufenden Lawinensprengsätze. Klettersteiggeher sind nicht in Mehrheit mit Sandalen und ohne Ahnung unterwegs. Bergläufer haben nicht generell eine Seelenverwandtschaft mit Lemmingen. Und auf Berghütten ist es doch recht schön. Zumindest, solange sich die Gäste an gewisse Regeln halten. Und jetzt mal ehrlich: Die meisten tun das auch, ganz ohne Bergschein. Weil es sich dabei um Regeln handelt, die auf einen ganz einfachen gemeinsamen Nenner hinauslaufen: Respekt und Rücksichtnahme. Und dem normalsozialisierten Durchschnittsbergfreund darf man durchaus unterstellen, dass er weiß, wie man seinen Mitmenschen mit Respekt und Rücksicht begegnet. Am Berg ge- nauso wie im Tal. Vielleicht hat das Abendland ja doch noch eine Chance.

Das sollten Sie auf der Hütte beachten: 

- nicht beanspruchte Reservierungen absagen
- Übernachtungsbeleg/Schlafkarte anfordern
- Hüttenschlafsack mitbringen
- dreckige Bergschuhe im Vorraum lassen
- ins Hüttenbuch eintragen
- Ausrüstung beisammen halten
- angemessen konsumieren – der Hüttenwirt dankt es!
- mit Wasser und Strom sparsam umgehen
- Hüttenruhe respektieren
- rücksichtsvoll und leise zu Bett gehen
- eigenen Müll wieder mit ins Tal nehmen

Das sollten Sie vermeiden:

- Rauchen in der Hütte
- mitgebrachte alkoholische Getränke konsumieren
- offenes Feuer (Kocher) und essen im Schlafraum
- vom Frühstücksbuffet große Brotzeit schmieren
- Toiletten und Sanitärbereich verschmutzen
- mit Bergschuhen ins Schlaflager laufen
- Lärm machen
- Ausrüstung vertauschen

Praktische Tipps für den nächsten Hüttenbesuch:

- Oropax dabei haben
- Hüttenschlappen nicht vergessen
- Hunde: unbedingt vorher beim Hüttenwirt anrufen und fragen, ob eine Unterbringung möglich ist
- Schlafplatz reservieren
Sebastian Eicher
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