Vom Standpunkt an einem der südlichen Gipfel des Villgratentals folgen Christofs Augen den Bergketten am Horizont.
An den Drei Zinnen im Süden bleiben sie hängen. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus: weil das gerade Erlebte so gänzlich gegensätzlich zu dem ist, was in den Sextener Dolomiten im Sommer Tag für Tag passiert. Während die Menschen für ein Erinnerungsfoto mit dem Smartphone an der Auronzohütte nur aus dem Auto fallen müssen – und aufpassen, dass sie niemandem anderen auf die Füße treten – wollen die Gipfel rund um das als Bergsteigerdorf ausgezeichnete Inner- und Außervillgraten allesamt ehrlich bezwungen werden. Diese Mühe zahlen sie mit einem Naturerlebnis zurück, das man in den touristisch mehr erschlossenen Regionen der Alpen sonst selten findet.
»Bei uns ist der Hauptdarsteller der Berg, wir Menschen drum herum sind die Nebendarsteller«, sagt Christof Schett. Er ist Umwelt- und Automatisierungstechniker, war Profisnowboarder, betreibt eine Reise-Agentur mit Büro in Innsbruck, kurz: Er war auf der ganzen Welt unterwegs – ist aber mit dem Herzen von seinem Geburtsort nie fortgegangen. Und hat, bald mit einem zweiten Büro in Innervillgraten, es sich zur Aufgabe gemacht, den Tourismus in seiner Heimat mit zu prägen: auf dem schmalen Grat zwischen Ursprünglichkeit und der Vermarktung ebendieser, sodass gerade genug Gäste kommen, um davon gut leben zu können. »Wir haben uns ganz klar für den Naturtourismus entschieden – und nicht, auf den Zug der Massen mitaufzuspringen «, sagt Schett.
Touren mit Anspruch
Es sind nicht die bergsteigerischen Superlative, die Ferratae und Flying Foxes, die anderswo locken. Es ist der weite, klare Blick vom Gipfel, ohne künstliche Spuren des Menschen, der das Villgratental besonders macht. Die Gipfel mögen weniger schroff als anderswo sein – doch viele Touren fordern durch ihre ordentliche Länge eben einen gestandenen Bergsteiger. Natürlich gibt es auch gemütliche Routen, etwa auf den Spuren der Schmuggler nach Südtirol. Doch einen Lift, der einem ein paar Höhenmeter abnehmen könnten, gibt es nicht. Wer ins Villgratental kommt, der weiß: Er wird so lange einen Fuß vor den anderen setzen müssen, bis er da ist, wo er hinmöchte.
Die schönsten Gipfel und spektakulärsten Aussichten findet man auf der Herz-Ass-Runde. Die 99 Kilometer und mindestens 4000 Höhenmeter absolvieren trainierte Wanderer in sechs Etappen entweder jeweils vom Tal aus oder ohne Auf- und Abstiege, dafür mit Hüttenübernachtungen und einem Biwak. Ein Shuttle-Service bringt die Gäste dann zum Start oder am Abend zur Unterkunft. Herz-Ass heißt die Runde, weil ihre Wege das Tal in Herzform umschließen.
Jede Etappe ist eine bewusste Entscheidung für Entschleunigung. »Es gibt keine Discos, keine größeren Bars«, sagt Schett. »Smartphones haben an vielen Plätzen keinen Empfang. Aber für uns ist das fast schon ein Glück: Dass nicht jeder gleich sein Panorama, sein Erlebnis an die Welt verschickt und Likes und Kommentare sammelt, sondern erst einmal für sich selbst genießt.«
Ohne Supermarkt und Smartphone
Einer dieser Genießer ist Konrad Walder. Der Einheimische begleitet Bergsteiger seit Jahrzehnten als Wanderführer. »Der Villgrater an sich mag gegenüber Gästen erstmal reserviert wirken, aber er taut schnell auf «, sagt Walder. Er selbst ist das beste Beispiel: Beim Kennenlernen noch ein freundliches, aber beobachtendes Hallo. Auf dem Weg der Quellen und des Wassers erzählt er dann schon Geistergeschichten aus dem Tal, auf der Volkzeinerlenke singt er ein Ständchen und bis zum Ende der Tour kennen seine Gäste nicht nur seine Leidenschaft für Hausmusik, sondern auch seine tollsten Erlebnisse als Gebirgsjäger beim Bundesheer. »Der Villgrater an sich ist eher zurückhaltend, aufgrund seiner Lebensbedingungen. Er hat keinen großen Verdienst und ein karges Leben geführt«, sagt Walder.
Einen großen Supermarkt etwa gibt es im Tal nicht. »Kommen Sie zu uns, wir haben nichts – aber davon viel«, heißt ein Spruch, der im Tal gerne zitiert wird. Eine Unterkunft, eine Mahlzeit, ein Berg. Keine Inszenierung, keine Attraktionen um der Touristen Willen. Dafür Wanderungen in den unterschiedlichsten Schwierigkeitsgraden, aber allesamt konditionell fordernd. Wer die großen Ausblicke genießen will, sollte einen Blick für das Wetter und Orientierungssinn mitbringen.
Und wenn das Smartphone in die Tasche kommt, dann nur als Fotoapparat. »Wer bei uns ist, der entscheidet sich bewusst dafür, nicht immer erreichbar zu sein«, sagt Schett. Sondern er erreicht alles, was er braucht, selbst – indem er einen Fuß vor den anderen setzt.
Basiswissen: das Villgratental
- Wie hinkommen? Aus München über den Tauerntunnel, bei Lienz ins Pustertal abbiegen und eine halbe Stunde später ins Villgratental. Theoretisch ist auch eine Anfahrt über den Brenner oder die Tauern-Autobahn möglich. Schneller geht das, gerade in Ferienzeiten, nicht.
- Wo Essen und schlafen? Der Gannerhof ist ein Haubenlokal, lässt sich das aber – im besten Sinne – nicht anmerken. Die Gastgeber sind urig-freundlich, das Miteinander ist unkompliziert und gesellig. Das Essen hält ambitioniert gehobenen Ansprüchen stand. Und eine extra-frühe Bergsteiger-Verpflegung gibt es morgens auch (www.gannerhof.at)
- Wann hinreisen? Wann immer man einen Berg besteigen will – entweder in Bergschuhen oder mit Tourenski. Etwas schwieriger wird das möglicherweise in den Übergangsphasen im Frühjahr und Herbst, wenn Schnee fällt oder taut.
- Sich orientieren: Kompass-Karte 1:50 000, Blatt 45 »Defereggental – Villgratental«
- Mehr erfahren: Alles Wissenswerte zur Herz-Ass-Runde: www.villgratental.com, Buchungsmöglichkeiten über www.leisespuren.at
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