Wandern zwischen Lago Maggiore und der Schweiz

Das Nationalparkprojekt Locarnese

In einem einzigartig abwechslungsreichen Wandergebiet vom Lago Maggiore bis Bosco Gurin soll der zweite Nationalpark der Schweiz entstehen. Frühestens 2016 dürfen die Bewohner über das Vorhaben entscheiden.
Von Diana Gäntzle
 
Nördlich des Lago Maggiore soll ein neuer Nationalpark entstehen © Parco Nazionale del Locarnese / Djamila Agustoni, Glauco Cugini, Paola Valchera
Nördlich des Lago Maggiore soll ein neuer Nationalpark entstehen
Wenn Samantha Bourgoin von der Schönheit ihrer Tessiner Heimat schwärmt, beschreibt sie etwa den Sternenhimmel über den Centovalli. Dort, wo weit und breit keine Häuser mehr zu finden sind, »ist es in der Nacht völlig dunkel«, sagt die 42-Jährige. Gewaltig breitet sich das strahlende Firmament über diese einsame Region der südlichen Schweiz. Die wilde, ursprüngliche Tessiner Natur begeistert Bourgoin nicht nur privat aus tiefster Seele. Sie hat sich deren Schutz zum Beruf gemacht: Seit 2007 leitet Bourgoin das Nationalpark-Projekt Locarnese. Dabei soll neben dem vor einem Jahrhundert gegründeten Schweizerischen Nationalpark im Engadin der zweite Nationalpark der Schweiz entstehen.

Über 35 Kilometer und 13 Gemeinden erstreckt sich das außergewöhnlich schöne Gebiet des Projekts Locarnese. Es vereint eine einzigartige Mischung von Klimazonen und damit auch eine gigantische Bandbreite an Vegetation. »Meine Oma hat Pampelmusen im Garten«, veranschaulicht Bourgoin, die selbst im Maggiatal groß geworden ist, die Vielfalt. Sie berichtet von den subtropischen Bedingungen am Lago Maggiore, dem Mikroklima der Brissago-Inseln, den über 2000 Meter hohen Alpengipfeln und den wilden Wäldern, die der Park umfasst. 

Naturschutz und nachhaltiger Tourismus im größten Nationalpark der Schweiz

Die teilnehmenden Gemeinden bewarben sich selbst um die Förderung als Nationalpark, wie es seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2007 möglich ist. Neben Locarnese ist auf Tessiner Boden noch das Projekt Adula im Rennen, das das Gebiet um das Rheinwaldhorn im Tessin und in Graubünden schützen soll. Auf einer Gesamtfläche von 1230 Quadratkilometern soll dort der größte Nationalpark der Schweiz entstehen. 17 Gemeinden um den Adulagipfel haben sich zusammengeschlossen, um Naturschutz und nachhaltigen Tourismus in ihrer Heimat voranzubringen. Obwohl die Menschen der jeweiligen Region selbst die Park-Projekte angestoßen haben, leben auch genau dort deren größte Kritiker. Bourgoin sucht das Gespräch mit den Bewohnern, die sich vor zu viel Reglementierung fürchten. Immer wieder erklärt sie, dass sie nicht einfach die Käseglocke über die Region stülpen will, damit alles verharrt, wie es ist. Dies wäre in der Kulturlandschaft mit seinen Dörfern und alleine mehr als 4000 Rustici auch gar nicht möglich.

»Unser Park wird lebendig sein«, versichert sie und gerade die »ökonomisch sehr schwachen Randgebiete« sollen profitieren. »Wir wollen durch Natur Leben fördern. Das ist ein neues Konzept zum Verhältnis zwischen Mensch und Natur.« So sollen Alpanlagen und Alphütten mehr Unterstützung erfahren und Gelder für die Landschaftspflege fließen. »Es wird nicht alles verwildern«, versichert Bourgoin. Neue Dienstleistungen sollen mehr Besucher locken. Dass man dann etwa in den Kernzonen die Wanderwege nicht verlassen darf, sieht Bourgoin eher als »Problem in den Köpfen als ein praktisches Problem«. Denn: »Wir haben 500 Kilometer Wanderwege!«

Trotzdem will die Politologin, die zuvor in Management und Kommunikation bei Verlagen tätig war, die Kritiker nicht einfach überzeugen, sondern sucht nach Lösungen für deren Bedenken. »Wir möchten einen Nationalpark haben, der demokratisch entsteht«, betont sie. Dazu gehöre es auch, alle Anliegen und Aspekte zusammenzubringen. Ihre Arbeit ist ein ständiges Ausloten. Der Charakter des Nationalparks bildet sich praktisch im Lauf des Diskurses. So bleiben etwa die traditionellen Rustici in bestimmten Zonen erlaubt. Jagd, Holzwirschaft und Fischfang sollen lediglich in den Kernzonen des Parks verboten sein.

Projekt Locarnese: Rückschläge und Rückenstärkungen

Derzeit sieht es so aus, als ob der demokratische Prozess 2016 in eine Volksabstimmung mündet. Bourgoin ist überzeugt: »Wenn wir gut arbeiten, stimmen die Menschen für den Park.« Doch trotz ihres Optimismus kam auch die Projektleiterin während der Jahre der Diskussion schon ins Zweifeln. Als 2009 die Gemeinde Cevio und damit ein enormer Teil des Maggiatals ausstieg, »habe ich gedacht, wir haben keine Zukunft«, räumt sie ein. Dann hätten ihr die Gemeindepräsidenten aus den Centovalli und dem Onsernonetal aber den Rücken gestärkt und beteuert: »Wenn Cevio ›nein‹ sagen darf, dann dürfen wir ›ja‹ sagen. Wir glauben, dass unsere Täler Potenzial haben.« Selbst wenn die Entscheidung am Ende gegen den Nationalpark ausfallen sollte, sieht sich Bourgoin nicht als Verliererin. »Unser Projekt ist in vielleicht 200 kleine Projekte unterteilt«, sagt sie und zählt Pilotvorhaben auf: Alpentaxis, wo es keinen Busverkehr gibt, einen Infopoint mit Verkaufsstelle für lokale Produkte oder einen Imker, der neuerdings auch Nougat herstellt. »Meine tägliche Arbeit ist es, diese kleinen Projekte umzusetzen«, sagt Bourgoin. »Sie existieren auch ohne Park. Wir haben also in jedem Fall einen konkreten Effekt.«

Das Nationalpark-Projekt Locarnese

Wanderkarte Trekking Nationalpark Locarnese Der »Nationalpark des Locarnese« ist ein Gemeinschaftsprojekt von 13 Gemeinden und 13 Bürgergemeinden auf einem Gebiet von den Brissago-Inseln des Lago Maggiore bis zur Ortschaft Bosco Gurin, der einzigen Walser-Siedlung im Tessin. Auf einer Strecke von nur 35 Kilometern umfasst die Projektfl äche subtropische Regionen ab 193 m bis zu alpinen Gegenden. Höchster Punkt ist mit 2863 m der Gipfel des Wandfluhhorns (Pizzo Biela). Die Entwicklung der Region soll durch die Förderung von Tourismus und regionalen Produkten neue Impulse erhalten. Voraussichtlich 2016 wird in den teilnehmenden Gemeinden über die Errichtung des Parco Nazionale del Locarnese für eine Betriebszeit von zunächst zehn Jahren abgestimmt.

Touren: Es gibt zwei geführte Mehrtagestouren durch das Parkgebiet: Beim fünftägigen »Trekking dei fiori« durchqueren die Wanderer das gesamte Gebiet des Nationalparkprojekts. Es beginnt am Lago Maggiore und den Brissago-Inseln und führt auf den Monte Ghiridone, durch die malerischen Dörfer entlang der historischen Marktstraße in die Centovalli und das Onsernonetal mit Zwischenhalt bei den Bädern von Craveggia (auf italienischem Terrain) und endet im Walserdorf Bosco Gurin. Das jeweils zeitgleich stattfindende »Trekking delle valli e dei villaggi« verläuft durch Täler und Dörfer. Die Tour beginnt in Ascona, führt durch die Centovalli und das Onsernonetal. Nach vier Tagen treffen die Wanderer auf der Alpe Salei auf die Teilnehmer des »Trekking dei fiori« und schließen sich dieser Gruppe nach Bosco Gurin an – oder kehren direkt nach Ascona zurück.

Termine und weitere Informationen: Tel.: 00 41/91/751 83 05, www.parconazionale.ch, agenzia@parconazionale.ch

Weitere Informationen zu Trekkingtouren im Nationalparkgebiet Locarnese
 
Diana Gäntzle
 
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