Ran an die Eisen. Die Tage sind endlich wieder lang, die Temperaturen perfekt, die letzten Schneefelder geschmolzen. Die ersten
Frühjahrstouren haben für Grundfitness gesorgt – Klettersteige sind nun ideal, um die alpinistische Erfahrung vor den großen Sommertouren zu steigern. Und im Prinzip sind sie für jeden machbar, sagt Eugen Hüsler, der Via-Ferrata-Freak und Buchautor, der in der Szene auch unter dem Ehrentitel »Klettersteig-Papst« geführt wird. »Wer mit offenen Augen und wachem Verstand unterwegs ist, wer Wetter, den Berg, seinen Partner und sich selbst kritisch beobachtet, dem kann eigentlich nichts passieren.«
Probleme mit der Höhe sollte man allerdings nicht haben. »Doch auch Schwindelfreiheit lässt sich trainieren«, muntert Hüsler jene auf, bei denen tiefe Abgründe bisher eher ein Schaudern als Begeisterung hervorrufen, »zum Beispiel im Hochseilgarten«. Ausrüstung braucht es nicht viel: Sitz- und Brustgurt, einen Helm und ein Klettersteig-Set sollte aber jeder dabei haben, der sich an einen mit Stahlseilen abgesicherten Weg durch Felswände und über Grate wagt. »Trotzdem sollte man sich bewusst sein, dass das Klettersteigset keine Totalversicherung gegen Schäden ist, sondern nur eine Absicherung für den Notfall«, sagt Hüsler. »Stürze sind immer gefährlich und Klettersteige keine Sportkletterrouten, bei denen man immer bequem ins Seil springen kann, wenn man an sein Limit kommt.«
Anfängern empfiehlt Hüsler deshalb, es eher sachte anzugehen:
Klettersteige der Kategorie B oder C sollten für den Einstieg reichen. Zumal oft vergessen wird, dass auch der Zustieg zum Steig Kraft kostet, die dann in den Schlüsselstellen fehlen könnte.
50 neue Klettersteige pro Jahr
In Relation zu dem Bergerlebnis, das Klettersteige bieten, ist die Sicherungstechnik ziemlich einfach – das macht ihren Reiz aus und erklärt den Boom, den der Sport in den letzten Jahren erfahren hat: Etwa 50 neue Klettersteige entstehen derzeit jedes Jahr, circa 1500 Eisenwege gibt es allein in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz. Beide Arme des Klettersteigsets werden in das Stahlseil eingeklinkt und in Steilstellen mit einer Hand mit nach oben geführt. Bei der nächsten Zwischensicherung wird erst der eine Karabiner umgehängt, dann der andere. Niemals aber beide gleichzeitig, weil man so einen Augenblick lang ungesichert wäre – vielleicht im falschen Augenblick. Hüsler rät dem Anfänger hier zur Ruhe: »Auch, wenn hinter einem erfahrene Berggeher drängeln, beim Umhängen sollte man sich nie stressen lassen. Wenn es jemandem zu langsam geht, dann soll er eben überholen – der Einsteiger sollte sich aber alle Zeit der Welt nehmen, einen guten Stand zu finden und seine Sicherung dann richtig zu platzieren.« Damit man im Falle eines Falles nicht noch einen Partner mitreißt (und damit das Sicherungsseil dann nicht doppelt belastet wird), sollte zudem immer nur ein Bergsteiger zwischen zwei Sicherungspunkten eingehängt sein – also auch hier bitte nicht drängeln.
Kleine Tritte sparen Kraft am Klettersteig
Den Weg nach oben langsam und mit Übersicht zu suchen, empfi ehlt Hüsler generell. Schon allein deshalb, weil es Kraft spart. Drei kleinere und sorgfältig gewählte Tritte sind ökonomischer als ein großer. Und anstatt sich hektisch am Seil nach oben zu hangeln, wenn es steil und spannend wird, sollte sich der Anfänger daran erinnern, warum es »Klettersteig« heißt und nicht »Kletterzug«: »Jeder Beinmuskel ist stärker als der trainierteste Bizeps. Deshalb: Mit den Füßen steigen und so den Körper nach oben drücken!« Den Armen kommt beim Klettersteig eher die Aufgabe zu, den Körper an der Wand zu halten. Und auch hier lässt sich viel Kraft sparen. »Selbst, wenn es am Anfang etwas Überwindung kostet: Man sollte das Seil bei Querungen mit gestreckten Armen greifen, sich also ein wenig nach hinten lehnen«, rät Hüsler. »Wenn man sich nah an die Wand klammert, ermüden die Arme schnell.« Wer seinen Körperschwerpunkt ein Stück weit von der Wand weg einpendelt, bringt zudem mehr Druck auf die Füße, die ja die Hauptlast des Körpers tragen sollen.
Blockaden vermeiden
Manchmal sind es aber weniger die Anforderungen an Kraft und Klettertechnik, die den Anfänger an seine Grenzen stoßen lassen. Sondern die Psyche, wenn es zu ausgesetzt und luftig wird. Im schlimmsten Fall droht die »Blockade« – dann kommt man weder vor noch zurück und ist oft auf Rettung angewiesen. Hüsler rät daher zum Rückzug, wenn man merkt, dass man sich übernommen hat. »Wenn das nicht möglich ist, hilft immer ein Gespräch mit dem Partner – das beruhigt, wenn sich Panik breitmacht.« Klettersteige sollte man (vor allem als Anfänger) nicht alleine begehen. Aber das wäre sowieso Unsinn: Wenn die Länge der Tage und die Temperaturen wieder im idealen Bereich für Touren sind und die Berge tolle Erlebnisse versprechen – dann will man die ja sowieso mit jemanden teilen. Also: Ran an die Eisen, am besten mit Freunden.