Adam Bielecki: "In Polen sind Bergsteiger Superstars" | BERGSTEIGER Magazin

Adam Bielecki: "In Polen sind Bergsteiger Superstars"

In seiner Heimat Polen und in Bergsteigerkreisen ist der Kletterer Adam Bielecki schon lange bekannt. Breite internationale Aufmerksamkeit bekam er im Januar 2018, als er in einer spektakulären Rettungsaktion zusammen mit Denis Urubko die französische Bergsteigerin Elisabeth Revol vom Nanga Parbat rettete.
 
Adam Bielecki © privat

Bergsteiger: Herr Bielecki, Sie beschreiben sich als "Himalaista". Warum?
Adam Bielecki: Das ist die bei uns übliche Nomenklatura. Himalaista ist der, der im Himalaya klettert. Ich betreibe alle Arten des Kletterns, von Bouldern über Mixed- und Eis- bis zum Bigwall-Klettern. Aber meine Spezialität, das, worin ich am besten bin, ist das Höhenbergsteigen, also über 7000 Metern. Ich habe ganz klar eine Vorliebe für Achttausender.

Und das besonders im Winter, zumindest gehen zwei Winter- Erstbesteigungen auf Ihr Konto. Was reizt Sie daran?
Beim Klettern geht es darum, aus seiner Komfortzone herauszukommen. Umso extremer es ist, umso größer ist die Befriedigung hinterher. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum ich diese Berge im Winter besteige. Vielleicht auch einfach, um zu zeigen, dass es möglich ist.

Sehen Sie sich in der Tradition der polnischen "Ice-Warriors"?
Definitiv. Wenn ich kein polnischer Kletterer wäre, wäre ich vielleicht nie aufs Winterbergsteigen gekommen. Die Berge der Hohen Tatra mit bis zu 2600 Metern sind im Sommer nicht die anspruchsvollsten. Aber im Winter verwandeln sie sich in wirklich alpines Terrain. Winterbegehungen waren immer sehr viel angesehener als die im Sommer. Und dann haben die Polen das auf die hohen Berge übertragen und es entstand eine Art Tradition. Von 14 Achttausendern sind bislang 13 im Winter bestiegen worden, zehn davon von polnischen Kletterern. Es ist wirklich unser Nationalsport.

Haben Sie Vorbilder?
Die Geschichte des Kletterns fasziniert mich. Schon immer! Die Helden meiner Kindheit waren Kletterer. Hauptsächlich Polen, aber nicht nur. Es wäre unfair, einen einzelnen hervorzuheben. Ich denke, jede Generation hat Kletterer, die herausstechen. Ich könnte eine lange Liste von Bergsteigern nennen, die mich inspiriert haben. Aber ich denke, dass es für mich jetzt nicht mehr die Zeit ist, jemandes Fußstapfen zu folgen, sondern meine eigenen zu machen. Die Zeit von Vorbildern ist für mich vorbei.

Letztes Jahr waren Sie Teil der polnischen nationalen Winter- Expedition zum K2, die vom Ministerium für Sport finanziert worden ist. Ist Bergsteigen in Polen immer noch eine nationale Angelegenheit?
Wie diese Expedition wohl beweist: ja. Unsere Bergsteiger-Kultur geht über die Gemeinschaft der Bergsteiger hinaus, auch die breite Gesellschaft interessiert sich für das Klettern. Die großen Bergsteiger der 80er wie Jerzy Kukuczka und Wanda Rutkiewicz waren allgemeine Vorbilder. Unzählige Schulen wurden nach ihnen benannt. Es gibt eine breite Medienberichterstattung über das Bergsteigen. Wir haben große, gut besuchte Berg-Festivals. Meine Haupteinnahmequelle sind Vorträge, letztes Jahr hatte ich etwa 50, nicht beim Alpenverein, sondern in den größten Hallen. Das ist wirklich besonders. Mir haben schon einige international bekannte Athleten anderer Länder gesagt, dass sie richtig neidisch sind. Wenn sie in Polen sind, bekommen sie viel mehr Anerkennung und werden öfter erkannt als daheim. Und ich spreche hier von Leuten wie Simone Moro, Denis Urubko, Alex Txikon. Sie alle waren überrascht, dass sie in Polen wie Superstars behandelt werden.



Wird das Bergsteigen in Zeiten von zunehmendem Nationalismus von der Politik missbraucht?
Ich denke nicht, dass Parteien oder eine bestimmte Regierung das Bergsteigen benutzen. Wir wurden von der vorherigen Regierung, die quasi das Gegenteil der heutigen war, genauso unterstützt. Klettern ist eine nationale Sache bei uns. Egal ob links oder rechts: Alle unterstützen die Bergsteiger-Nationalmannschaft, in der ich auch Mitglied bin. Ich persönlich liebe diesen Sport einfach und so lange ich aktiv bin, möchte ich nichts mit Politik zu tun haben. Ich denke, das Klettern steht über all diesen politischen Querelen und Streitigkeiten.

Lassen Sie uns über die K2-Expedition sprechen. Wie war die im Vergleich zu Ihren sonstigen Expeditionen?
Je länger ich klettere, umso wichtiger ist es für mich, wie ich einen Berg besteige, nicht welchen. Der Stil wird zu einer Obsession: leichtes Gewicht, Alpinstil, kleine Teams. Und die K2-Expedition war das völlige Gegenteil: 13 Mitglieder, Kilometer an Fixseilen, Tonnen von Material. Für mich war nicht gleich klar, dass ich mitmachen würde, weil es einfach nicht mein Kletterstil ist.

Warum waren Sie dann doch dabei?
Die Winter-Erstbesteigung des K2 wäre das Ende einer Ära der Exploration. Das kann man schließlich nur einmal machen. Außerdem bin ich mit den Büchern über die großen Expeditionen alter Schule aufgewachsen. Und einmal wollte ich das dann doch erleben. Wahrscheinlich auch, um zu sehen, wie ich mich in so einem Team verhalte. Wie das ist, wenn man einen Boss hat, der einem sagt, was zu tun ist. Wenn du in einem Dreier- oder Vierer-Team unterwegs bist, triffst du alle Entscheidungen gemeinsam. In einer großen Expedition geht das nicht, es würde in Chaos und Anarchie enden; du brauchst einen Leiter. Ich bin also froh, dass ich dabei war.

Wie wichtig war Ihnen der Gipfel?
Nun, man macht eine Expedition, um den Gipfel zu erreichen. Das ist das Zweitwichtigste. Gleich nach dem Ziel, sicher wieder nach Hause zurückzukommen.

Bevor Sie den Gipfel in Angriff nehmen konnten, bekamen Sie einen Hilferuf vom Nanga Parbat.
Da war ich gerade zum Ausruhen im Basislager. Wir waren zu zwölft und haben immer abwechselnd in Zweierteams gearbeitet: Hinaufgehen, Seile anbringen, Zelte auf bauen, die Lager mit Nahrung und Brennstoff versorgen. Als der Anruf kam, war Lager 2 auf 6300 Metern bereits aufgebaut, die Fixseile bis dorthin verlegt und ich hatte zwei Nächte dort oben geschlafen.



Wie wurde die Entscheidung zur Rettung getroffen?
Als ich hörte, dass Elisabeth Revol und Tomek Maciewicz in Schwierigkeiten sind, und auf welcher Höhe sie feststecken, war es klar, dass wir ihre einzige Chance sind. Nur wenige können im Winter bis auf 7000 Meter aufsteigen – und dann müssen sie ja auch noch akklimatisiert sein. Zu diesem Zeitpunkt war Alex Txikon am Everest, der die Fähigkeiten und die Akklimatisierung hatte. Und dann gab es die am besten akklimatisierten Mitglieder der K2-Expedition. Niemand hätte das machen können außer Denis Urubko und mir. Ich kannte Elisabeth, ich kannte Tomek. Sie waren nicht irgendwelche Unbekannten. Also sagte ich sofort: »Wir gehen und versuchen zu helfen.«

Ist gegenseitige Hilfe Ehrensache unter Alpinisten?
Ich denke, es ist eine natürlich menschliche Sache, zu helfen, wenn andere in Not sind – sofern du es kannst.

Man könnte ja auch sagen, in so gefährlichem Gelände ist jeder für sich selbst verantwortlich …
Lassen Sie es mich andersherum sagen: In den Bergen ist es eine Tradition, einander zu helfen. Wenn ich in Schwierigkeiten bin, erwarte ich, dass andere mir helfen. Aber wie könnte ich das, wenn ich selbst nicht dazu bereit bin? Für mich war es selbstverständlich und da waren keine Hintergedanken oder Berechnungen. Es war eine sehr emotionale Situation. Ich kannte diese Menschen in Not, also musste ich einfach hin und helfen.

Bei der Rettungsaktion sind Sie unglaublich schnell aufgestiegen. Haben Sie dabei Flaschensauerstoff verwendet?
Wir haben darüber nachgedacht. Aber wir hatten beide noch nie künstlichen Sauerstoff benutzt und wir wollten in dieser Situation lieber keine Experimente machen. Wir nahmen an, dass wir bis auf gut 7000 Meter aufsteigen würden, eine Höhe, auf der wir schon so oft waren. Also dachten wir, wir gehen besser ohne. Ich hatte eine Sauerstoffflasche für Eli im Rucksack, die ich aber im ersten Drittel der Kinshofer-Route zurückgelassen habe. Es ist ziemlich schwer mit Denis mitzuhalten, wenn man acht Kilo mehr im Rucksack hat als er.

Können Sie den Moment beschreiben, als Sie Elisabeth Revol gefunden haben?
Es war eine große Überraschung: Wir hatten ja erwartet, sie auf 7700, 7600 Metern zu treffen, aber wir fanden sie auf 6200! Denis stieg vor, es war völlig dunkel, es war 2 oder 3 Uhr morgens. Auf einmal rief er: »Adam, ich habe sie!« Ich war mir ziemlich sicher, dass er etwas sah, das nicht da war. Aber dann sah ich Elis Umriss im Licht von Denis Stirnlampe. Ich setzte mich hin und wartete, bis die beiden zu mir runterkamen. Ein extrem bewegender Moment. Zuerst war es nur riesige Freude und Erleichterung, dass wir sie gefunden hatten und es ihr gut ging.

Und dann?
Dann fragte ich nach Tomek, wie es ihm gehe, ob er mit Hilfe absteigen könne. Eli antwortete, dass sein Gesicht schon voller Erfrierungen war, genauso wie seine Hände und Füße, dass Blut aus seinem Mund lief und er bewusstlos war, als sie ihn verließ. Das war wohl der schlimmste Moment der ganzen Expedition.

Sie wussten, dass Sie nichts mehr für ihn tun konnten?
Ja. Aus mehreren Gründen. Erstens war Eli bereits seit drei Tagen ohne Essen und Trinken, dies war ihre dritte Nacht ohne Biwakausrüstung in extremer Höhe. Das ist etwas, das nur wenige Menschen überleben würden. Ich glaube, ich persönlich würde das nicht überleben, trotz vier Winterexpeditionen. Wir hätten sie nicht am Grat zurücklassen können, eine weitere Nacht hätte sie nicht durchgestanden. Wir hatten auch keine Biwak-Ausrüstung dabei, die wir ihr hätten geben können, keinen Schlafsack, keine Isomatten, kein Zelt. Also mussten wir uns um Eli kümmern und sie in Sicherheit bringen. Sie hatte ja schon Erfrierungen, sie konnte nicht mehr mit dem Seil hantieren oder die Karabiner ein- und ausklinken, keine Knoten machen, nichts.

Und die anderen Gründe?
Wir hätten mindestens weitere 1000 Höhenmeter aufsteigen müssen, was wirklich komplett außergewöhnlich gewesen wäre. 2300 Höhenmeter ohne Pause bis auf 7000, 8000 Meter aufzusteigen. Im Winter! Wir hätten sicher nochmal 25, 30 Stunden gebraucht. Wenn wir das geschafft hätten, wären wir nach 40 Stunden nonstop Klettern, der härtesten Tour unseres Lebens, auf den bewusstlosen Tomek gestoßen. Und dann? Für zehn Leute wäre es im Sommer eine schwierige, gefährliche Aufgabe gewesen, einen leblosen Körper hinunterzubringen. Aber zu zweit? Im Winter? Wir hätten das einfach nicht geschafft.

Haben Sie selbst mal einen Partner verloren?
Ja, am Broad Peak, bei der Winter-Erstbesteigung. Wir waren zu viert auf dem Gipfel, haben uns aber im Abstieg getrennt. Zwei meiner Freunde kamen nie in Lager 4 an. Wir wissen bis heute nicht, was geschehen ist, haben aber in Polen sehr viel Kritik dafür bekommen – von Leuten, die wohl nicht wirklich verstehen, was in solchen Höhen passiert. Das macht es für mich einfacher, Eli zu verstehen.

Zurück zum Basislager des K2. Gab es nach der Rettung überhaupt noch eine reelle Chance auf den Gipfel?
Ich glaube nicht, dass die Rettungsaktion einen wirklichen Einfluss auf den K2 hatte. Als wir den Anruf bekamen, war der K2 nicht wichtig, es war wichtig zu helfen. Hinterher kamen wir zurück im Glauben, den Gipfel noch machen zu können.



Denis Urubko wollte Sie zu seinem unautorisierten Gipfelversuch mitnehmen. Warum sind Sie nicht mitgegangen?
Weil ich fand, dass es kompletter Unfug ist. Die Wettervorhersage war richtig schlecht. Warum Kraft bei einem aussichtslosen Gipfelversuch verschwenden? Ich wollte lieber auf ein Schönwetterfenster warten. Denn ich war überzeugt, dass wir gute Chancen hätten. Unsere Akklimatisation hätte den Gipfel auf jeden Fall erlaubt.

Warum waren Sie im Winter 2019 nicht wieder am K2? Mit Alex Txikon zum Beispiel?
Ich möchte nicht jedes Jahr eine Winterexpedition machen. Die dauern drei Monate und sind geistig und körperlich sehr anstrengend. Kaum vom K2 zurück, hätte ich schon wieder mit der Vorbereitung beginnen müssen. Ich brauchte eine Pause.

Was sind Ihre nächsten Pläne?
Im April möchte ich zur Annapurna-Nordwestwand, eine jungfräuliche Wand, die noch nie beklettert worden ist. Das ist eine Art Obsession von mir: im Alpinstil neue Routen auf Achttausender zu eröffnen. Ich habe das am Kangchendzönga, an der Annapurna und am Gasherbrum II versucht – nie erfolgreich. Am Gasherbrum II habe ich immerhin eine Variation der Westwand gemacht, aber das reicht mir nicht, es ist keine völlig unabhängige Route. Deshalb will ich zurück zur Annapurna – ein wunderbares, schön ehrgeiziges Ziel.

Sie haben Psychologie studiert. Haben Sie in der Universität irgendetwas gelernt, das Ihnen in den Bergen hilft?
Hoffentlich, sonst wären die neun Jahre bis zum Master Zeitverschwendung gewesen. Kletterer sind generell starke Persönlichkeiten. Wir müssen unter harten Bedingungen als Team zusammenarbeiten, unter viel Stress, auf wenig Raum. Ich denke, die Psychologie hilft mir, verschiedene Standpunkte zu verstehen, auf Dialog statt auf Konfrontation zu setzen, mit Menschen zusammenzuarbeiten, zu kooperieren.