Robert Bösch: »Man darf Bildern nicht einfach trauen« | BERGSTEIGER Magazin
Robert Bösch im Interview

Robert Bösch: »Man darf Bildern nicht einfach trauen«

Die Kombination beherrschen nur wenige: höchste alpinistische Schwierigkeitsgrade und dabei noch professionell fotografieren. Robert Bösch hat diese Kunst perfektioniert und war unter anderem oft bei Ueli Stecks Projekten mit dabei.
Ein Gespräch über Ehrlichkeit beim Bergsteigen und in der Fotografie.
 
Robert Bösch war auf allen Kontinenten in den Bergen unterwegs – oft mit Top-Athleten. © Robert Bösch
Robert Bösch war auf allen Kontinenten in den Bergen unterwegs – oft mit Top-Athleten.

BERGSTEIGER: Muss ein guter Bergfotograf automatisch ein guter Bergsteiger sein?

ROBERT BÖSCH: Ein einigermaßen versierter Bergsteiger zu sein, ist zumindest hilfreich. Wenn du Tennis fotografierst, muss du kein Tennisspieler sein. Wenn du aber in der Eiger Nordwand fotografieren willst, dann ist es schon von Vorteil, wenn du dich dort selbständig bewegen kannst.

Ein Helikopter reicht nicht?

Vielleicht zum Hinkommen. Aber auch das ist heikel. Ich war oft mit Ueli Steck in der Eiger Nordwand unterwegs, nur zu zweit und oft ungesichert.

Sie sind Bergsteiger und Bergfotograf. Wie unterschiedlich sind diese Welten?

Das Gemeinsame ist, dass sie mir beide in ihrem Bereich ein spannendes Leben ermöglicht haben. Beim Bergsteigen hat mich immer die Intensität fasziniert. Sie rührt daher, dass man sich in einem Gelände bewegt, das prinzipiell gefährlich ist. Der Ehrgeiz, möglichst schwierige Dinge zu machen, ist ganz entscheidend. Man kann es ja nicht einfach ausprobieren, sondern muss sich selbst bestens kennenlernen, vorbereiten und die Gefahrenwelt sehr gut einschätzen lernen.

Und beim Fotografieren?

Da geht es nicht um die Gefahr, sondern mehr darum, sich weiterzuentwickeln. Es ist das Kreative. Das Lernen, Bilder zu sehen. Einen Schritt weiter zu gehen und Neues zu entdecken. Beim Bergsteigen – ich rede nicht vom Genuss-Bergsteigen – muss man bereit sein, Risiken einzugehen. Beim Fotografieren war ich dazu nie bereit.

Verklärt ein Fotograf nicht auch die Bergwelt, wenn er sie ins rechte Licht rückt?

Als Fotograf schummelt man immer etwas vor. Es ist auch gar nicht möglich, in einem Bild alles zu zeigen. Ein Bild ist immer ein Ausschnitt der Wirklichkeit, und den steuere ich…

… zum Beispiel, indem Sie Linien im Bild ordnen…

…oder indem ich den Ausschnitt wähle und den Moment. Im Alpinismus fotografiere ich viele Projekte so, dass sie extrem spektakulär aussehen, vielleicht spektakulärer, als sie gewesen sind. Man darf also Bildern nicht einfach trauen. Ich bin immer auf der Suche nach spektakulären Bildern. Damit meine ich nicht per se die Action. Der Betrachter muss am Bild hängenbleiben. Das kann eine banale Situation sein.

In Ihrem neuen Buch »Mountains« schreiben Sie: »Die Bilder erzählen keine Geschichten. Sie stehen für sich.« Aber Bilder erzählen doch sehr wohl Geschichten!

Häufig sind die Geschichten, die ein Bild erzählt, entweder Lügen oder sie sind beliebig. Ein Bild hat für mich erst zusammen mit der Bildlegende eine Aussage. Mit einem Bild kann man zwei komplett verschiedene Aussagen machen, je nachdem, was du unten hinschreibst. Das ist in der Politik so, aber auch im Sport. Deshalb braucht es ein gewisses Misstrauen gegenüber Bildern. In meinem Buch bin ich von den Bildern hergekommen. Das Bild musste stimmen, die Geschichte dahinter war mir relativ egal.




Robert Bösch in der Wand: in »Elysium« im Alpstein und im Hängebiwak am Chalchschijen

»Wirkliches Abenteuer ist kein Vergnügen«, schreiben Sie im Buch. Klingt heroisch.

Wenn du in einem Abenteuer drinnen steckst, ist es meist eine unangenehme Situation. Ein Abenteuer ist es ja immer dann, wenn dir bewusst ist: Es kann jetzt auch schieflaufen. Und zwar massiv. Organisierte Abenteuerferien sind also Blödsinn. Beim Bergsteigen manövriert man sich an Orte, an denen man nicht auf Dauer sein kann.

Ganz nach Messners Credo: die Berge als der archaische Raum, in dem der Einzelne auf sich und sein Können zurückgeworfen ist?

Man muss sich richtig verhalten und man hat keine Garantie, dass es gut ausgeht. Das ist das, was das Abenteuer beim Bergsteigen ausmacht. Mit dieser Situation umzugehen, das ist das Herausfordernde.

Vor allem mental?

Die Nacht vor der Tour musste ich mich immer viel mehr plagen als später in der Wand. In der Wand kannst du handeln, in der Nacht davor nicht. Das musst du aushalten. Wenn ein Ueli Steck solo in die Annapurna-Südwand einsteigt oder ein Alexander Huber free solo die »Hasse-Brandler« an der Großen Zinne klettert, dann ist es die Zeit davor, die sie bestehen müssen. Wenn du drin bist, ist klar: Du darfst nicht in Panik geraten, du darfst keine Fehler machen. Aber immerhin: Du kannst handeln.

Letztlich ist Bergsteigen für Sie immer erst einmal eine Überwindung gewesen?

Du träumst von der Wand, vom schwierig zu erreichenden Gipfel; du weißt, wie ausgesetzt es sein wird. Du träumst, du trainierst, du setzt alles daran, dass du in die Wand einsteigen kannst. Dann bist du drin und willst nur noch eines: Durch und raus! Und kaum bist du draußen, kommt das nächste Ziel.

Bergsteigen heißt vorsteigen – noch so ein Bösch-Satz. Heißt: Wer sich von einem Bergführer auf einen Gipfel führen lässt, war nicht wirklich oben?

Doch er war oben. Aber er hatte nicht das gleiche Erlebnis, wie wenn er es alleine gemacht hätte. Das bezieht sich natürlich auf das leistungsorientierte Bergsteigen. Ich sage auch gar nichts gegen geführtes Bergsteigen, das kann sicherlich auch Spaß machen. Was es aber heißt, eine Tour an deinem Limit zu machen, das erlebst du nur, wenn du im Vorhinein eines weißt: Du entscheidest selbständig und du musst bereit sein, die schwierigsten und gefährlichsten Passagen der Tour im Vorstieg selbst zu klettern. Das Erlebnis ist dann ein ganz anderes – und zwar lange bevor du einsteigst.

Bereitschaft zum Risiko macht für Sie einen erfolgreichen Bergsteiger aus. Also blickt der erfolgreiche Bergsteiger immer wieder dem möglichen Tod in die Augen?

Wenn du in die Berge gehst, ist der Tod immer eine Möglichkeit. Das Heimtückische ist, dass er da am nächsten ist, wo man ihn gar nicht erwartet. Es passiert nur selten dort der Unfall, wo man bewusst ein ganz großes Risiko eingeht.

Klingt ziemlich martialisch.

Das Bergsteigen ist halt keine Unternehmung, die man einfach mal so ausprobieren kann. Einen Marathon kann ich versuchen und schauen, ob’s geht. Bergsteigen ist eher wie Weitsprung über eine Schlucht. Und du sagst, wie breit die Schlucht sein darf. Dann musst du aber auch sicher sein, dass du es schaffst. Wenn du fähig bist, über acht Meter zu springen, traust dich aber nur über eine zwei Meter breite Schlucht, dann kriegst du nichts Gescheites hin. Aber wehe, du überschätzt dich.

Ihr Leitsatz: Handle stets so, dass du das Glück nicht brauchst, aber wenn du einmal Glück gehabt hast, dann sei dankbar.

Man darf nicht darauf zählen, aber in der Rückschau werden alle Alpinisten sagen: Bei der einen oder anderen Situation habe ich Glück gehabt.

Ueli Steck war zweifelsohne ein sehr erfolgreicher Bergsteiger. Sie waren bei vielen seiner Projekte dabei, zu seinem letzten im Himalaya waren Sie gerade auf der Anreise, als der Absturz passierte. Wie sehr belastet Sie
sein Tod noch?


Ich habe mich daran gewöhnt, dass Ueli fehlt. Ich war bei dem Unfall nicht so nah dran, dass es mich traumatisiert hätte. Wir waren eng befreundet. Viele Bergsteiger, die ich gekannt habe, sind gestorben. Aber es war bis zu Uelis Tod nie ein ganz enger Freund dabei. Beim Arbeiten an dem Buch sind sehr viele Erlebnisse wieder hochgekommen – er ist schon immer noch extrem präsent.

Steck war in der Szene vor allem durch die Annapurna-Südwand-Solodurchsteigung in die Kritik geraten. Viele glaubten ihm nicht und tun es auch posthum nicht. Hat er darunter arg gelitten?

Ja natürlich, das war absolut brutal. Stell dir vor, du hast dieses Projekt über Jahre. Beim ersten Mal war ich ja dabei. Damals wurde Ueli vom Stein getroffen und stürzte ab. Danach ging er wieder hin mit Simon Anthamatten. Damals brachen sie das Projekt ab, weil sie einer benachbarten Seilschaft halfen. Dann ist er wieder dort, dieses Mal mit Don Bowie, der aber am Bergschrund abbricht. Ueli geht und zieht das Projekt durch. Das war ein Gang am, nein über dem Limit. Dann kommt er zurück und muss realisieren, dass einige Leute ihm nicht glauben. Er weiß in dem Moment, dass er es nie wirklich wird beweisen können, dass er dem Vorwurf, er sei ein Lügner, nicht entgegentreten kann. Das ist der schlimmste Vorwurf, den es für einen Alpinisten gibt.

In dubio pro Alpinist?

Prinzipell gilt das Wort des Bergsteigers. Aber, ich bin schon auch misstrauisch, und ich weiß, dass beim Bergsteigen ganz viel geschummelt wird. Ich habe aber Ueli bei keiner einzigen Geschichte erlebt, bei der ich das Gefühl hatte, sie stimme nicht ganz. Ich habe ihm immer sehr genau zugehört bei dieser Begehung, und es hat nie einen Punkt gegeben, an dem er sich widersprochen hätte. Er hat mir auch erzählt, dass er oben am Gipfel in der Nacht drei Schneekuppen sah. Er ging auf die seiner Ansicht nach höchste, könne das aber auch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Das fand ich in seiner Unsicherheit gerade sehr glaubwürdig. Und es gibt natürlich stichhaltige Argumente gegen die »scharfsinnige Logik und Beweisführung« einiger sich in der Öffentlichkeit äußernden Journalisten.

Manche argwöhnten, Steck habe in der Folge der Annapurna-Kritik seinen Tod billigend in Kauf genommen, indem er das Risiko erhöhte. Wie hatten Sie ihn erlebt?

Sein Projekt Everest-Lhotse-Überschreitung fand ich alpinistisch nicht so prickelnd. Einfach, weil es nicht die absolute Ausgesetztheit bedeutet. Es ist eher eine gewaltige höhenmedizinisch sportliche Herausforderung. Ueli hatte aber ursprünglich geplant, das Hornbein-Couloir, also die Überschreitung des Everest zu machen. Ich hatte ihm vorweg gesagt, dass ich das Hornbein-Couloir – und dann noch der Lhotse – für eine alpinistisch herausragende Leistung hielte. Er hatte mir noch eine SMS geschrieben, dass sein Partner ausgestiegen sei und er deshalb vom Couloir absehen werde. Er war also ganz sicher nicht auf einer Kamikaze-Tour unterwegs. Er wollte nie mehr wieder so ans Limit gehen wie an der Annapurna-Südwand.

Wie beurteilen Sie seinen Absturz am Nuptse?

Das war wohl einfach Pech. Als ich ihm sagte, dass ich kommen würde, schlug er mir vor, gemeinsam auf den Nuptse zu gehen. Wenn ich in meinem Alter noch auf den Nuptse steigen könnte, dann ist das sicher nicht an Uelis Limit.


Mit Ueli Steck (li.) bei dessen erstem Solo-Versuch an der Annapurna

Rotpunkt, »by fair means« – zwei Synonyme für Bergsteigen mit ehrlichem Anspruch. In der Fotografie gibt es Bildbearbeitung. Sie bezeichnen Photoshop als »Bohrhaken der Moment-Fotografie« und prophezeien den Untergang der Berg- und Naturfotografie. Was wäre ein Ausweg?

Wo alles machbar ist – aus jedem guten Foto ein außergewöhnliches zu machen –, wird es schnell beliebig. Beim Bergsteigen hat die Beschränkung darauf, nicht alles zu machen, was technisch möglich ist, die Sache wieder spannend gemacht. Für die Fotografie weiß ich die Lösung nicht. Es gibt nun mal die digitale Fotografie und Bildbearbeitung, was dazu führt, dass unglaublich viel mehr spektakuläre und außergewöhnliche Bilder entstehen.

Was ist die Konsequenz?

Eigentlich müsste man das Bild so wiedergeben, wie es im Moment, als der Auslöser gedrückt wurde, entstanden ist. Durch die Bildbearbeitung verliert die Fotografie ihren Reiz und schadet sich letztlich selbst, weil sie nicht mehr als das wahrgenommen wird, was ihre Faszination ausmachte: Jemand hat den Moment erwischt. Ich fürchte, dass man das Problem nicht angehen kann. In der Fotografie wird man mit der Bildbearbeitung leben müssen. Mir hat es den Reiz an Sonnenauf- und Untergangsstimmungen weitgehend genommen, weil sie in Photoshop beliebig herstellbar sind.

Letztlich entscheidet der Betrachter, ob ein Bild toll ist.

Was man definitiv sagen kann: Die Fotografie ist einfacher geworden. Vor allem aus zwei Gründen: Wegen der Bildbearbeitung, aber auch, weil du unmittelbar nach dem Auslösen das gemachte Bild am Monitor kontrollieren kannst. Das erleichtert die Arbeit ungemein.

Ihr Opus »Mountains« ist eine Zusammenschau aus 30 Jahren Bösch-Fotografie und damit Ihr Lebenswerk. Was kann darauf noch folgen?

Als Lebenswerk hatte ich es gar nicht geplant. Die Idee entstand schon vor acht Jahren. Ich wollte mit meiner Erfahrung möglichst viel neues Bildmaterial kreieren. Deshalb bin ich zum Beispiel auch zum Ueli an den Everest gekommen – in der Hoffnung auf gutes Bildmaterial. Ich war mit vielen anderen Spitzensportlern unterwegs. In dieses Buch sind meine ganzen fotografischen Erfahrungen eingeflossen und nicht einfach die besten Bilder der letzten 30 Jahre.

Zur Person: Robert Bösch

Seit mehr als dreißig Jahren ist Robert Bösch als Profi-Fotograf in der Welt der Berge unterwegs. Geboren 1954, arbeitet er neben Aufträgen aus Industrie und Werbung für internationale Magazine wie »National Geographic«, »Geo« und »Stern«. Er ist seit vielen Jahren Nikon-Ambassador. Bösch ist verheiratet und hat zwei Kinder.



 
Interview: Michael Ruhland
Fotos: 
Robert Bösch
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 11/2018. Jetzt abonnieren!