Elisabeth Revol: »Der Rückweg hat meinen Geist zerstört«
Wegen der ganz besonderen Gefühle dort oben wird Elisabeth Revol irgendwann sicher wieder bergsteigen.
BERGSTEIGER: Frau Revol, Sie haben einiges durchgemacht in der letzten Zeit. Wie geht es Ihnen?
Elisabeth Revol: Das ist gerade eine furchtbare Zeit. Allmählich erhole ich mich, es wird besser, aber sehr langsam. Erfrierungen sind ein sehr langwieriges Problem.
Können Ihre Hände gerettet werden?
Ich möchte darüber im Moment nicht reden. Tut mir leid.
Sprechen wir über das Bergsteigen, über den Nanga Parbat. Was hat Sie an diesem Berg so fasziniert? Und warum wollten Sie ihn unbedingt im Winter besteigen?
Es war Faszination auf den ersten Blick: so ein riesiger, schöner, freistehender Berg. Der Diama-Gletscher ist eine sehr lange Route, an den Seracs sehr technisch. Eine Winterbesteigung stellt einen noch mal vor andere Herausforderungen. Ich wollte wissen, schafft mein Körper das? Halte ich das durch? 2015 waren wir auf 7800 Meter, mussten aber wegen schlechtem Wetter aufgeben. 2018 war die erste Winterbesteigung schon geschafft, aber das war mir egal. Ich wollte einfach mein Projekt zu Ende bringen. Unseren Traum verwirklichen. Für Tomek war es noch intensiver. Er war total mit diesem Berg verbunden.
Sie haben einen Gipfel mal mit der Kirsche auf dem Sahnehäubchen verglichen.
Ich habe dieses Bild 2016 gebraucht. Ich fand es schön, weil der Gipfel zwar die Krönung, aber letztlich nur ein kleiner Teil ist – die Kirsche eben. Während die Expedition mit der ganzen Vorbereitung, all den Emotionen, Herausforderungen und intensiven Momenten der Kuchen ist.
Beim Nanga Parbat war es eine verdorbene Kirsche?
Dieses Mal war es ganz anders, hier kann ich das Bild nicht gebrauchen. Denn ich akzeptiere diesen Gipfel für mich nicht. Ich bin glücklich über Tomeks Gipfelerfolg, aber nicht über meinen. Ich freue mich, dass sich Tomeks Traum erfüllt hat und er sein Ziel erreicht hat. Für meinen Teil sind da keine positiven Gefühle, der Rückweg hat meinen Geist völlig zerstört.
Wie konnte es zu dieser Tragödie kommen? Sehen Sie im Nachhinein einen Moment, an dem Sie hätten umdrehen sollen?
90 Meter unterhalb des Gipfels machte ich eine Pause und wartete auf Tomek. Wir beschlossen, den Gipfel zu versuchen, obwohl es schon dunkel wurde. Tomek hatte da noch kein Problem mit der Höhe, sein Körper funktionierte. Er war zwar langsamer als ich, aber es war so wie gewöhnlich. Ich habe im letzten Teil oft angehalten und gewartet. Am Gipfel angekommen, sagte er, dass er nichts mehr sehe. Da habe ich sofort gemerkt, dass er krank war. Aber das war eben erst ganz oben.
Da war es dann schon zu spät.
Ja, es war furchtbar. Es ist ein gefährlicher Ort: sehr, sehr kalt und hoch. Also sagte ich, er solle sich auf meine Schulter stützen. »Wir steigen sofort ab!«
Haben Sie gefragt, warum er keine Brille getragen hat?
Ja, aber auf dem Runterweg ging es mir nur noch darum, ihn zum Weitergehen zu motivieren: »Denk an deine Kinder, an deine Frau! An deinen Gipfel!« Ich sprach nicht von der Maske und von solchen Sachen. Ich wollte ihm einfach nur helfen, seine Füße ordentlich zu setzen, das Gleichgewicht zu halten. Wenn man nichts sieht, ist das Gehen in diesem Gelände sehr schwierig. Noch dazu ging es ihm sehr schlecht. Also habe ich die ganze Zeit auf ihn eingeredet, aber er reagierte kaum noch.
Wie war die Beziehung zwischen ihnen?
Wir hatten eine sehr innige Bindung. Er hatte ein großes Herz und so viel zu erzählen. Er war ganz anders als ich, aber wir haben uns gut ergänzt. Am Berg waren wir sehr stark, perfekt eingespielt: Er konnte mehr tragen, ich ging vor, um die beste Route zu suchen. Wir mussten nicht reden, Blickkontakt reichte.
Fühlten Sie sich verantwortlich füreinander?
Wir haben viel über dieses Thema gesprochen, und über unseren Gewichtsunterschied– auch wegen der Gletscherspalten. Tomek wog 80 Kilo und ich während Expeditionen nur 40. Er sagte stets, wenn mir etwas passiert, könntest du mich nicht runterbringen. Aber andersherum hätte er mich auch nicht runtertragen können. Wir waren uns bewusst: Am Berg sind wir zwar durch das Seil verbunden, aber letztlich doch alleine. Wenn auf 8000 Metern etwas passiert, ist es einfach nicht möglich, den anderen zu retten.
Am Ende ist dann genau das passiert.
Für mich ist es sehr schwer, das zu akzeptieren. Ich habe mein Bestes gegeben, war überzeugt, dass er es schafft. Wir hatten 2015 eine ähnliche Situation. Tomek hatte nach einem Sturz in eine Spalte Schmerzen im Fuß und beim Atmen. Damals konnte ich ihn motivieren. »Beiß deine Zähne zusammen!« Dieses Mal versuchte ich es wieder, aber er war völlig erschöpft und in furchtbarer Verfassung.
Auch 2009 haben Sie an der Annapurna mit Martin Minarek einen Partner verloren. Ist das jetzt wie ein Déjà-vu?
Die Situation mit Martin war anders. Weil der Abstieg auf der Anstiegsroute zu gefährlich war, entschieden wir uns für eine Überschreitung. Am Grat fühlte sich Martin sehr schlecht. Ich ging vor, um den einfachsten Weg zu suchen, er langsam hinterher. Irgendwann kam er einfach nicht. Ich wartete 20 Minuten. Es schneite wie verrückt, die Sicht war schlecht. Ich ging zum letzten Punkt, an dem ich ihn gesehen hatte, aber er war weg und wegen des Schnees gab es keine Spuren. Bis heute weiß ich nicht, was passiert ist. Ist er in eine Spalte gefallen? Abgestürzt? Was mit Tomek passierte, weiß ich – bis auf die letzten Momente. Ich frage mich: Wie ging es ihm da? Was fühlte er? So wie damals bin ich völlig zerstört und in sehr schlechter Verfassung.
Damals dauerte es Jahre, bis Sie wieder kletterten.
Im Moment muss ich Pause machen, um gesund zu werden, um all diese Fragen für mich zu beantworten, um erneut Motivation zu finden. Aber eines Tages fange ich wieder an, das weiß ich genau. Am Berg habe ich wahnsinnig starke Gefühle.
Sie selbst hatten unfassbares Glück, dass Denis Urubko und Adam Bielecki Sie gerettet haben. Kannten Sie sich zuvor?
Ja, das war großartig. Ich kenne Adam seit 2016. Wir verbrachten damals viel Zeit zusammen im Basecamp. Letztes Jahr wollten wir zum Everest, aber er verletzte sich an der Hand. Denis hatte ich davor nie getroffen. Er hat etwas Übermenschliches für mich, er ist so ein grandioser Bergsteiger. Als Ludo (Ludovic Giambiasi, Bergpartner Revols, der die Rettung organisierte, Anm. d. Red.) mir sagte, dass Denis kommen werde, um mir zu helfen, war das etwas sehr Besonderes. Mir wurde richtig warm ums Herz. Wunderbar, als sie dann da waren. Beim Abstieg benutzte Denis schöne, warme Worte, um mich aufzubauen. Sie sind beide wirklich fantastisch.
Sie wirken so unglaublich stark, körperlich wie geistig. Woher nehmen Sie diese Kraft?
Ich weiß nicht. Vor Expeditionen trainiere ich wirklich extrem viel und intensiv: Laufen, Radfahren, Bouldern, Intervalltraining. Ich bringe meinen Körper über Stunden an seine Grenzen. Das spielt sicher eine Rolle.
Und die mentale Stärke?
Während des Abstiegs habe ich an meinen Mann gedacht. Und daran, dass ich nicht oben bleiben kann. Als ich die Nachricht von Ludo bekam, dass das polnische Team erst am nächsten Morgen von Camp 1 aufsteigen würde, war mir klar, dass ich weiter runter musste. Es war schon Nacht und ich war ganz darauf fokussiert, vorsichtig zu gehen und beim Seil-Handling keinen Fehler zu machen. Aber mir war klar, dass es möglich ist, das Basecamp zu erreichen. Mein Mann hatte mir vor dem Gipfelsturm eine Nachricht geschrieben, dass ich unbedingt am 27. im Basecamp sein müsse, weil sich dann das Wetter ändern werde. »Bitte Eli, sei dann zurück.« An diese Worte habe ich die ganze Zeit gedacht, das hat mir geholfen.
Tragisches Ende eines Traums
Elisabeth Revols Rettung am Nanga Parbat
Die Turnlehrerin Elisabeth Revol, 37, kam durch ihren Mann zum Bergsteigen. Als erster Frau gelang ihr eine Winterbesteiung des Nanga Parbat (8126 m). Für ihren Partner, den Polen Tomek Mackiewicz, 43, war es der siebte Versuch, für sie der dritte. Als sie den Gipfel am 25. Januar erreichten, war Mackiewicz in extrem schlechter Verfassung. Die 1,56 Meter große Revol brachte ihn bis auf 7200 Meter, wo sie ohne Ausrüstung in einer Gletscherspalte übernachteten. Dann kam die Anweisung, Revol solle allein auf 6000 Meter absteigen. Mackiewicz, der mittlerweile an einem akuten Höhenödem litt, werde dann von einem Helikopter geholt. Revol sicherte ihn mit ihren Eisgeräten, gab ihm ihre Ersatzhandschuhe und stieg ab. Wegen schlechten Wetters verzögerte sich die Rettung um einen weiteren Tag und Revol zog sich schwere Erfrierungen zu. Unterstützt von Denis Urubko und Adam Bielecki (polnische K2-Expedition) schaffte sie es auf 4800 Meter, wo sie ein Helikopter abholte. Da es aussichtslos schien, dass Mackiewicz noch lebe, sah man von einem Rettungsversuch ab. Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder.