Sean Villanueva und Nico Favrese in der Big Wall
Der Monster-»Off Width«
© Ben Ditto
Sean Villanueva fightet mit dem »Monster offwidth« in der Seillänge über dem Camp 2
Sean Villanueva fightet mit dem »Monster offwidth« in der Seillänge über dem Camp 2
»In zehn Minuten geht’s los!«, sagt Sean. Und schweigt weiter. Und atmet tief durch. Er konzentriert sich, die Spannung ist förmlich greifbar. Über uns schwingt sich ein Monster von einem Riss in die Höhe. Einer von jener grausamen Sorte, die ganz schmal beginnt und nach oben hin gnadenlos immer weiter wird. 60 Meter misst das »Offwidth«-Monstrum, und die schwierigsten letzten 15 Meter müssen ohne jede Sicherungsmöglichkeit geklettert werden: eine phantastische Linie, für den Vorsteiger allerdings ein fürchterlicher Kampf. Von seinem Ausgang wird der Erfolg unserer Expedition abhängen. Sean sortiert pedantisch genau seine Klemmkeile, atmet tief durch…
Sean: Ich krieche auf allen Vieren, um vorwärtszukommen. Der patagonische Sturm will uns wohl daran hindern, an den Wandfuß des Großen Paine-Towers zu kommen. Unglaublich! Der Sturm wirbelt Kieselsteine durch die Luft. Die Böen prügeln meinen Körper. Es ist der pure Wahnsinn – ich fühle mich winzig klein angesichts dieser Urkräfte, klein wie eine Ameise, ein Krümel, ein Nichts. Und wie zum Hohn hängt über uns die Wahnsinnsverschneidung der »South African Route«, wegen der wir uns diese ganze Quälerei überhaupt antun, wie Maultiere unsere zentnerschwere Ausrüstung unter die Ostwand schleppen.
Nico: Vor drei Jahren hatten Sean und ich den gewaltigen Riss entdeckt, der die Ostwand des Großen Paine-Towers exakt in der Mitte spaltet. Damals kletterten wir die Route »Riders on the Storm«, die knapp neben der »South African Route« verläuft. Wir wussten sofort: Diesen Riss müssen wir versuchen! Die Route war im Jahr 1974 von Südafrikanern in teilweise hakentechnischer Kletterei begangen worden und seither nur einmal wiederholt worden. Und nun stehen wir am Einstieg, über uns ein Ozean aus Granitplatten, heikel abzusichern, ab und zu steckt ein Normalhaken – ob das alles wirklich frei kletterbar ist? Nein, keinen Zweifel aufkommen lassen! Wir müssen ganz fest daran glauben, dass wir den Gipfel über die »South African Route« in freier Kletterei schaffen. Wir, das sind der amerikanische Kletterer und Fotograf Ben Ditto, mein alter Big-Wall-Kumpel Sean Villanueva und meine Wenigkeit. Noch mit von der Partie sind Pete und Mason, die eine andere Route frei klettern wollen.
Sean: Verdammt, was ist das? »Was machst du da! Mit diesem Scheiß’ gefährdest du den Erfolg unserer Expedition!« Wutentbrannt brülle ich Mason an, der mit einem Mädchen am Tisch sitzt. »Hast du die erste Regel unserer Expedition denn vergessen? Keine Mädchen!!« Mason stottert: »Aber ich liebe sie doch…« Keuchend wache ich auf – es war Gottseidank nur ein Alptraum! Es dauert einige Augenblicke, bis ich realisiere, wo ich eigentlich bin. Ich hänge am »Shattered Pillar« nach der zehnten Seillänge der »South African Route« in meinem Portaledge, einige hundert Meter über dem Gletscher. Für uns das schönste Schlafzimmer der Welt – und neben mir schnarchen Nico und Ben. Nein, ich habe nichts gegen Mädchen – im Gegenteil. Aber ich bin der Expeditionsleiter und für den Erfolg unseres Unternehmens verantwortlich. Da ich genau weiß, dass mindestens drei Mitglieder meiner Mannschaft bei Anwesenheit weiblicher Geschöpfe größte Probleme hätten, sich aufs Klettern zu konzentrieren, musste ich diese Regel aufstellen. Für mich kann ich nur sagen, dass ich keinerlei Probleme hätte, mich zu beherrschen. Regeln sind für die Schwachen unter uns. Deshalb auch die zweite Regel: Homosexuelle Aktivitäten sind verboten! Ich habe nichts gegen schwule Bergsteiger – ich kenne zwar keinen, außer Mason, der vielleicht schwul ist ohne es zu wissen. Aber diese Regel wurde aus dem gleichen Grund aufgestellt wie die erste. Außerdem habe ich gehört, dass manche Expeditionsmitglieder Dummheiten machen, wenn allzu lange keine Frauen im Umkreis sind. Und schließlich gibt es eine dritte Expeditionsregel: Der Expeditionsleiter hat immer Recht. Diese Regel ist dazu da, mein Selbstwertgefühl zu schützen und zu steigern. Ich fühle mich so mächtig und wichtig, und ich liebe es, Anweisungen zu erteilen – deshalb bin ich hier der Chef, punktum!
Nico: Meine Hände und Füße spüre ich nicht mehr, dafür aber die Kälte! Es dämmert langsam, und das Wasser auf dem Fels verwandelt sich allmählich in eine dünne Eisschicht. Die einzige Seillänge unter dem gewaltigen »offwidth«-Riss, die noch nicht frei geklettert ist, wartet auf mich. Sie hatte uns einiges Kopfzerbrechen bereitet, bis wir ein kleines Kristallloch inmitten einer glatten Granitplatte fanden, das diese »unmögliche« Passage frei möglich macht. Und jetzt soll ich die Länge »punkten« – aber wie? Der Körper schmerzt von den Anstrengungen der letzten Stunden, die Finger sind gefühllos. Aber ich muss jetzt angreifen, bevor es dunkel wird. Bis zum Kristallloch ist es nicht übermäßig schwer, dafür aber recht tricky und schlecht abgesichert. Bei fast jeder Bewegung spüre ich Krämpfe in den Armen – kurz ausruhen, Arme abwechselnd schütteln, volle Konzentration! Dann einen Henkel schnappen, Kreuzzug ins Loch, schon wieder diese Krämpfe, nur nicht loslassen! Eine Reihe kleiner Leisten, an denen ich wieder in die Riesenverschneidung zurückhangle. Wann lassen die gequälten Finger los? Ich gebe alles, die Ausgesetztheit zehrt an den Nerven, 700 Meter senkrechter Granitwand unter meinen Sohlen, dann der Gletscher. Die letzten Meter zum Stand sind der pure Kampf, ich schaff’s schließlich doch noch, hänge, von Krämpfen geschüttelt, die Selbstsicherung ein. Ein unglaubliches Gefühl der Befriedigung macht sich breit – so knapp am Limit und doch nicht gestürzt …
Sean: Ich krieche auf allen Vieren, um vorwärtszukommen. Der patagonische Sturm will uns wohl daran hindern, an den Wandfuß des Großen Paine-Towers zu kommen. Unglaublich! Der Sturm wirbelt Kieselsteine durch die Luft. Die Böen prügeln meinen Körper. Es ist der pure Wahnsinn – ich fühle mich winzig klein angesichts dieser Urkräfte, klein wie eine Ameise, ein Krümel, ein Nichts. Und wie zum Hohn hängt über uns die Wahnsinnsverschneidung der »South African Route«, wegen der wir uns diese ganze Quälerei überhaupt antun, wie Maultiere unsere zentnerschwere Ausrüstung unter die Ostwand schleppen.
Nico: Vor drei Jahren hatten Sean und ich den gewaltigen Riss entdeckt, der die Ostwand des Großen Paine-Towers exakt in der Mitte spaltet. Damals kletterten wir die Route »Riders on the Storm«, die knapp neben der »South African Route« verläuft. Wir wussten sofort: Diesen Riss müssen wir versuchen! Die Route war im Jahr 1974 von Südafrikanern in teilweise hakentechnischer Kletterei begangen worden und seither nur einmal wiederholt worden. Und nun stehen wir am Einstieg, über uns ein Ozean aus Granitplatten, heikel abzusichern, ab und zu steckt ein Normalhaken – ob das alles wirklich frei kletterbar ist? Nein, keinen Zweifel aufkommen lassen! Wir müssen ganz fest daran glauben, dass wir den Gipfel über die »South African Route« in freier Kletterei schaffen. Wir, das sind der amerikanische Kletterer und Fotograf Ben Ditto, mein alter Big-Wall-Kumpel Sean Villanueva und meine Wenigkeit. Noch mit von der Partie sind Pete und Mason, die eine andere Route frei klettern wollen.
Sean: Verdammt, was ist das? »Was machst du da! Mit diesem Scheiß’ gefährdest du den Erfolg unserer Expedition!« Wutentbrannt brülle ich Mason an, der mit einem Mädchen am Tisch sitzt. »Hast du die erste Regel unserer Expedition denn vergessen? Keine Mädchen!!« Mason stottert: »Aber ich liebe sie doch…« Keuchend wache ich auf – es war Gottseidank nur ein Alptraum! Es dauert einige Augenblicke, bis ich realisiere, wo ich eigentlich bin. Ich hänge am »Shattered Pillar« nach der zehnten Seillänge der »South African Route« in meinem Portaledge, einige hundert Meter über dem Gletscher. Für uns das schönste Schlafzimmer der Welt – und neben mir schnarchen Nico und Ben. Nein, ich habe nichts gegen Mädchen – im Gegenteil. Aber ich bin der Expeditionsleiter und für den Erfolg unseres Unternehmens verantwortlich. Da ich genau weiß, dass mindestens drei Mitglieder meiner Mannschaft bei Anwesenheit weiblicher Geschöpfe größte Probleme hätten, sich aufs Klettern zu konzentrieren, musste ich diese Regel aufstellen. Für mich kann ich nur sagen, dass ich keinerlei Probleme hätte, mich zu beherrschen. Regeln sind für die Schwachen unter uns. Deshalb auch die zweite Regel: Homosexuelle Aktivitäten sind verboten! Ich habe nichts gegen schwule Bergsteiger – ich kenne zwar keinen, außer Mason, der vielleicht schwul ist ohne es zu wissen. Aber diese Regel wurde aus dem gleichen Grund aufgestellt wie die erste. Außerdem habe ich gehört, dass manche Expeditionsmitglieder Dummheiten machen, wenn allzu lange keine Frauen im Umkreis sind. Und schließlich gibt es eine dritte Expeditionsregel: Der Expeditionsleiter hat immer Recht. Diese Regel ist dazu da, mein Selbstwertgefühl zu schützen und zu steigern. Ich fühle mich so mächtig und wichtig, und ich liebe es, Anweisungen zu erteilen – deshalb bin ich hier der Chef, punktum!
Nico: Meine Hände und Füße spüre ich nicht mehr, dafür aber die Kälte! Es dämmert langsam, und das Wasser auf dem Fels verwandelt sich allmählich in eine dünne Eisschicht. Die einzige Seillänge unter dem gewaltigen »offwidth«-Riss, die noch nicht frei geklettert ist, wartet auf mich. Sie hatte uns einiges Kopfzerbrechen bereitet, bis wir ein kleines Kristallloch inmitten einer glatten Granitplatte fanden, das diese »unmögliche« Passage frei möglich macht. Und jetzt soll ich die Länge »punkten« – aber wie? Der Körper schmerzt von den Anstrengungen der letzten Stunden, die Finger sind gefühllos. Aber ich muss jetzt angreifen, bevor es dunkel wird. Bis zum Kristallloch ist es nicht übermäßig schwer, dafür aber recht tricky und schlecht abgesichert. Bei fast jeder Bewegung spüre ich Krämpfe in den Armen – kurz ausruhen, Arme abwechselnd schütteln, volle Konzentration! Dann einen Henkel schnappen, Kreuzzug ins Loch, schon wieder diese Krämpfe, nur nicht loslassen! Eine Reihe kleiner Leisten, an denen ich wieder in die Riesenverschneidung zurückhangle. Wann lassen die gequälten Finger los? Ich gebe alles, die Ausgesetztheit zehrt an den Nerven, 700 Meter senkrechter Granitwand unter meinen Sohlen, dann der Gletscher. Die letzten Meter zum Stand sind der pure Kampf, ich schaff’s schließlich doch noch, hänge, von Krämpfen geschüttelt, die Selbstsicherung ein. Ein unglaubliches Gefühl der Befriedigung macht sich breit – so knapp am Limit und doch nicht gestürzt …
So bleiben Sie immer auf dem neuesten Stand!
Die aktuellen Neuigkeiten von BERGSTEIGER
auch auf Facebook.
Klicken Sie auf
Nein, ich möchte kein Facebook Fan werden.
Ich bin schon Fan.
Vielen Dank.
Der Monster-»Off Width«
Bildergalerie
Mehr zum Thema