Auf Granatsuche im Zillertal | BERGSTEIGER Magazin
Steinreiches Stilluptal

Auf Granatsuche im Zillertal

Seit er zehn Jahre alt ist, sucht Walter Ungerank nach Mineralien. Doch mittlerweile will der 67-jährige »Stoansuacher « aus dem Zillertal noch etwas anderes finden als weiße Bergkristalle, rote Granate und violette Amethyste. Bergsteiger-Redakteurin Dagmar Steigenberger hat sich mit ihm auf die Suche gemacht.
 
Das wilde Stilluptal. © Adobe Stock / topics
Das Stilluptal ist sowohl für Wanderer als auch für Geologen interessant.
Gestrüpp zerkratzt die Gesichter und die Beine, die Hände krallen sich haltsuchend in die wilden Pflanzenbüschel am steilen Hang. Von Wanderweg keine Spur. Doch kaum jemand aus der kleinen Gruppe kümmert das. Denn ihr Ziel ist an diesem Tag nicht der herrliche Aussichtsgipfel. Auch nicht die gemütliche Hütte oder der gepflegte Wanderweg. Nein, das Ziel ist blutrot und kantig, mit einer Größe irgendwo zwischen Kieselstein und Golfball.

Walter Ungerank hat es ihnen am Morgen gezeigt: raue, dunkelrote Granat- Quader, die mal im Schiefer eingebacken sind, mal bereits freigespült vom weicheren Gestein. Sie wollen wir finden. »Man muss die Steine lesen können.« So lautet die wichtigste Regel, die der passionierte Steinsucher Ungerank uns auf den Weg von der Grüne-Wand-Hütte Richtung Talschluss mitgab, als es noch bequem auf einer breiten Forststraße dahin ging, weit weg von jeglichem Abenteuer.

Beim »Lesen« komme es auf das Muttergestein an, in dem die Kristalle Jahrtausende lang wachsen. »Rund um die Stapfenalm im Stillupgrund findet man Granate am ehesten im Glimmerschiefer «, gibt Ungerank einen Hinweis. Als Zehnjähriger wurde der heute 67-Jährige, der mit seinem grauen Vollbart und dem harten Dialekt gut als Heidis Almöhi durchgehen könnte, zum »Stoansuacher «: Die Begeisterung packte ihn angesichts der Mineraliensammlung eines Freundes seines Vaters. »Ich habe geglaubt, das muss der reichste Mann der Welt sein.«

Seither hat Ungerank um die 3000 Fundstücke gesammelt. Nicht nur Granate, auch Bergkristalle, Rauchquarze, Amethyste, Smaragde lagern im Keller seines Hauses in Aschau im Zillertal.

Die Leidenschaft ist geweckt

»Da oben liegt ein berühmter Granat-Fundplatz. Und in dem Joch dort drüben gibt’s schöne Bergkristalle.« Ungerank zeigt mit seinem Wanderstock – einem grob zurecht geschnitzten, mannshohen Ast – auf die Kämme und Gipfel ums Stilluptal. Manche tragen schmutzig weiße Gletschermäntel, die meisten jedoch bestehen aus nacktem, grauen Fels. Wasserfälle stürzen durch die steilen Wände bis dorthin, wo die ersten Pflanzen Halt finden.

Am Stillupgrund hat das Grün längst die Oberhand gewonnen über die Gesteinsbrocken. Und irgendwo unter dem wilden Grün, zwischen dem kantigen Schutt liegen sie: Halbedelsteine mit der typischen Quaderform und der meist tiefroten Farbe. Die Zillertaler haben diesen Schatz vor gut 250 Jahren entdeckt und begonnen abzubauen.

Granatsuche Zillertal
Bei Granatsuchern beliebt: das Gebiet rund um die Kasseler Hütte. Foto: Dagmar Steigenberger

1745 fand ein Mayrhofener Bauer bei der Jagd auf Gämsen am Roßrücken nahe der Berliner Hütte funkelndrote Granatkristalle im silbernen Tonschiefer. Zunächst verkaufte er sie als Feuersteine für Flinten. Erst später wurde der Granat zu Schmuck verarbeitet.

Von der Waffe zum Schmuck

Doch der Schmuck will verdient sein. Gut eineinhalb Stunden, nachdem wir den Wanderweg zur Kasseler Hütte verlassen und uns durch wildes Gestrüpp den Hang empor geschlagen haben, bleibt Walter Ungerank stehen und hebt seinen Stock. »Hier ist es.« Eine Felswand ragt aus dem Grün, darunter hat sich auf einer kleinen Plattform loser Schotter gesammelt. Der Spalt zwischen den Felsen ist nicht natürlich.

»Hier war früher eine der wichtigsten Fundstellen der Granate. Die Kluft haben die Steinsucher nach und nach herausgesprengt, gemeißelt und gespült«, sagt Ungerank. Gleich daneben rauscht ein Wasserfall in die Tiefe, an dessen nassen Felsen wir abseilen zu einer feuchten Halbhöhle, deren Wände dick bemoost sind – eine Fundstelle, die sich für professionelle Granatsucher laut Ungerank nicht mehr lohnt, die aber für Hobbysucher noch den ein oder anderen kleinen Schatz birgt.

Begehrlich wühlen die Hände im Schlick– dass sie klamm vor Kälte sind, ist jetzt nicht wichtig. Walter Ungerank hat schon einige Unannehmlichkeiten auf sich genommen, um an die steinernen Schätze zu kommen: Seine Erzählungen von 40 Kilogramm schweren Rucksäcken und einem daraus folgenden Leistenbruch, von Steinschlag und von einer ausgekugelten Schulter beeindrucken seine Schützlinge. Abschrecken vom Steinesuchen tun sie sie nicht. Seit an den Ruinen, die Walter Ungerank als ehemalige Granatmühle vorgestellt hat, die ersten roten Steine aufgetaucht sind, kleben die Blicke aller am Boden.

Bergkristall-Messer aus der Steinzeit

Der Stoansuacher lächelt zufrieden. Er hat die Gruppe angesteckt mit einem Fieber, das ihn seit seiner ersten Kristallsuche regelmäßig überkommt. Gestillt werden kann es nicht. Nur weiter geschürt: von Funden wie Granaten oder auch Bergkristallen. Letztere bescherten ihm vor elf Jahren ein ganz besonderes Hochgefühl.

Granatsuche Zillertal
Granate wachsen in Quadern im Schiefergestein. Foto: Dagmar Steigenberger

Auf dem Schlegeiskees entdeckte er damals einen großen Haufen an Bergkristallsplittern mit messerscharfen Kanten: keine  Schmucksteine, dafür Werkzeuge aus der Steinzeit, wie sich später bei der archäologischen Untersuchung herausstellte.»Sie sind über 8000 Jahre alt«, sagt Ungerank stolz,»fast 3000 Jahre älter als der Ötzi«.

Am selben Ort fand er später verblichene Knochen und Bekleidungsreste, deren Herkunft noch immer nicht eindeutig geklärt werden konnte. »Vielleicht finde ich ja irgendwann die »Zilli«, spaßt Ungerank. Dass das nicht bloß ein Witz ist, zeigt seine Leidenschaft für Archäologie, mit der er die historischen Funde bis ins Detail erklärt. Die »Zilli«, eine über die Jahrtausende konservierte Menschenmumie, wäre der Höhepunkt von Ungeranks Karriere.

Großer Fund

Nach und nach entdecken die Hobbymineralogen Granate, kleine und größere, halb in Schiefer eingebackene mit exakten Quadern und bereits freigespülte mit abgeschliffenen Kanten. Mitten im Schlick greifen die Hände einen von weichem Glimmerschiefer ummantelten Brocken von der Größe eines Golfballes. Seine Form fühlt sich seltsam ebenmäßig an, an einer Seite ist er glatt und kantig. Nach der groben Wäsche im eiskalten Bach glänzt sie – rot.

Als der Stoansuacher den Fund inspiziert, beginnen seine Augen zu glänzen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Brocken tatsächlich besonders sein muss. »Den würde sogar ich noch mitnehmen für meine Sammlung!«
Granatsuche Zillertal
Das Stilluptal ist auch für Wanderer eine gute Adresse. Foto: Dagmar Steigenberger

Der geografische Höhepunkt des Tages – die Kasseler Hütte – spielt jetzt keine große Rolle mehr. Bergkristalle zieren den Brunnen vor der Hütte, an dem die Funde nun vorsichtig mit Hilfe des Taschenmessers vom weicheren Schiefermantel befreit werden. Unten im Tal gibt es diverse Mineralien in den Souvenirshops zu kaufen – zu Preisen, die uns stolze Steinsucher ein wenig enttäuschen. Das Einzigartige ist wohl nicht der Stein an sich. Sondern die persönliche Geschichte, die den Finder mit dieser jahrtausendealten Existenz verbindet.

Basiswissen: Steine im Stilluptal

  • Wie ankommen? Mit dem Zug über Jenbach bis Mayrhofen im Zillertal; weiter mit dem Linienbusverkehr Otto Kröll ab 8:30 bis 11.30 Uhr stündlich zum Gasthof Wasserfall im Stilluptal, Rückfahrt zwischen 14 und 17 Uhr stündlich (Tel. 0043/5285/62967). Mit Wandertaxi Hermann Thaler von Mayrhofen bis Grüne-Wand-Hütte um 8, 8.30, 11 und 11.30 Uhr oder nach Anfrage (Tel. 0043/664/2006596).
  • Wo Wohnen und Essen? Entweder in Mayrhofen oder direkt im Stilluptal auf der Grüne-Wand-Hütte (1438 m), die nach einem Lawinenabgang 2009 aufwändig renoviert wurde. Die Hütte genießt übrigens auch kulinarisch einen hervorragenden Ruf. Privat bewirtschaftet, Mitte Mai bis Mitte Oktober geöffnet, Tel. 0043/664/1051404. Etwas weiter oben liegt die Kasseler Hütte (2177 m) direkt am Berliner Höhenweg, weshalb eine Vorreservierung empfehlenswert ist. DAV, 20. Juni bis Ende September geöffnet, Tel. 0043/561/104046, www.kasselerhuette.de
  • Mineralien finden: Walter Ungerank gibt sein Wissen auf Anfrage gern an kleine Gruppen weiter. Kontakt über den örtlichen Tourismusverband: Dursterstr. 225, A-6290 Mayrhofen, Tel. 0043/5285/6760, www.mayrhofen.at. Die schönsten Funde kann man in der Ausstellung »Zillertaler Kristallschätze« im Untergeschoss des Europahauses Mayrhofen bewundern (www.europahaus.at).
Dagmar Steigenberger
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