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Angst als Benzin für den Erfolg

Angst gehört wie Liebe, Wut, Freude und Trauer zu den zentralen menschlichen Emotionen. Angst wird vom primitivsten Teil unseres Systems gesteuert und kann sogar den hochentwickelten Verstand außer Gefecht setzen. Für Extrem-Bergsteiger wie Alexander Huber ist die Angst jedoch unverzichtbar, um zu überleben. Von Dagmar Steigenberger
Aktualisiert am
24.06.2025
Alexander Huber an der »Hasse-Brandler« (7a+) direttissima durch die Nordwand der Großen Zinne 2002

Alexander Huber an der »Hasse-Brandler« (7a+) direttissima durch die Nordwand der Großen Zinne 2002

Foto von  Heinz Zak

Der Mann hat Angst, ganz klar. Sie steht ihm ins Gesicht geschrieben: Die Augen weit aufgerissen, die Muskeln bis aufs Äußerste gespannt, während er an einem Arm mehrere hundert Meter über dem Boden hängt. Allein beim Betrachten dieses Fotos bekommen wir schweißnasse Hände. »Es ist völlig normal, dass der Körper angesichts einer Gefahr mit Angstsymptomen reagiert«, sagt Borwin Bandelow. Der Psychiater an der Uniklinik Göttingen gilt als einer der führenden Angst-Forscher weltweit. »Das Herz pumpt vermehrt Blut in die Muskeln, damit sie sofort einsetzbar sind. Die erhöhte Atemfrequenz sorgt für eine bessere Durchlüftung. Und den weit aufgerissenen Augen entgeht nichts«, erklärt Bandelow den sinnvollen Hintergrund der Symptome.

Alexander Huber, der die »Hasse-Brandler« (7a+) direttissima durch die Nordwand der Großen Zinne 2002 als erster und bisher einziger free solo kletterte, schätzt seine Angst als weisen Freund: »Angst lässt uns wachsam sein in Situationen, in denen wir um eine potenzielle Gefahr wissen. Die Angst ist da, sobald ich in absturzgefährdetem Gelände unterwegs bin.« Der Extrem-Kletterer, ein Angsthase? Huber schüttelt energisch den Kopf: »Wir müssen wegkommen von dieser negativen Bewertung der Angst. Dank der Aufmerksamkeit, die mich die Angst lehrt, und dank meiner Erfahrung kann ich die Gefahrensituation realistisch einschätzen und weiß somit, ob ich sie beherrschen kann oder nicht.«

Auf der geistigen Stufe eines Huhns

Mit seinem Buch »Die Angst, dein bester Freund« scheint Extrembergsteiger Huber den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Wer sich heutzutage zur Angst bekennt, muss nicht mehr fürchten, als verweichlicht zu gelten. Mit dem Angst-Bewusstsein stieg auch das Bedürfnis, das Risiko zu minimieren. Das Sicherungsmaterial wird strengen Tests unterzogen, sodass ein Sturz ins Seil zumindest im gut gewarteten Klettergarten keine Gefahr mehr darstellt. Trotzdem ist die Angst vor dem Stürzen unter Hobby-Sportkletterern weit verbreitet. Psychiater Bandelow hat dafür eine einfache Erklärung: »Das primitive Angstsystem ist so einfach gestrickt, dass es nicht auf die Vernunft hört. Es befindet sich auf der geistigen Stufe eines Huhns, weil es entwicklungsgeschichtlich aus einer sehr frühen Phase der Evolution stammt.« Auch wenn die Vernunft darum weiß, dass Seil und Sicherungen den Körper vor Verletzungen bewahren, kann sie sich nicht gegen das Angstgefühl durchsetzen. Es signalisiert dem Körper: Sturz im vertikalen Gelände ist gleich Todesgefahr.

Angsthasen sind bessere Bergsteiger


Psychiater Borwin Bandelow
»Menschen suchen die Angst, um sie zu überwinden«, lautet Bandelows These, die er als »Achterbahn-Prinzip« bezeichnet: »Das primitive Angst-System meldet den Menschen in einer Achterbahn, dass sie bei der nächsten Kurve rausfliegen und dass Lebensgefahr besteht. Zugleich werden auch Endorphine – Glückshormone – freigesetzt. Sobald der Wagen die Kurve gekriegt hat, verschwindet die Angst. Das Glücksgefühl aber bleibt.« Auf Bergsteiger angewendet, bedeutet das einen enormen Glücksgewinn in jeder Situation, in der man die Angst erfolgreich gemeistert hat. 

Bandelow nennt die Angst denn auch »das Superbenzin für Erfolg«: Einer psychologischen Gesetzmäßigkeit zufolge, welche nach ihren Entdeckern das Yerkes-Dodson-Gesetz genannt wird, bringt man die beste Leistung bei einem mittleren Angstniveau. Ist die Angst zu groß, lähmt sie. Ist man gänzlich ohne Angst, fällt die Leistung ebenfalls schlecht aus. Unter Umständen kann das Fehlen von Angst sich sogar tödlich auswirken: bei Kindern etwa, die noch nicht gelernt haben, dass von einer stark befahrenen Straße Gefahr ausgeht – oder bei Menschen, die aus mangelnder Kenntnis des Lawinenrisikos arglos in einen gefährdeten Hang hineinfahren.

Dagmar Steigenberger
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