Die Heidelberger Hütte | BERGSTEIGER Magazin
Serie: Hüttenzauber - Die Heidelberger Hütte in Ischgl

Das Herz der Krake - Die Heidelberger Hütte

Alle reden vom Skitourentrend. Der Wirt der Heidelberger Hütte spürt davon wenig. Dabei bietet seine Unterkunft beste Voraussetzungen für ein Winterwochenende. Die Heidelberger Hütte im Porträt.
 
Die Heidelberger Hütte: Auf den ersten Blick ist die Heidelberger Hütte nicht gerade das, was man urig nennt. Die inneren Werte zählen – und die Tourenmöglichkeiten der Umgebung. © Dominik Prantl
Die Heidelberger Hütte im Porträt
Vierzehnkommadrei Kilometer. 14,3 verdammte Kilometer zeigt das GPS am Ende für den Weg von Ischgl hoch zur Heidelberger Hütte an. Und man muss die Berge oder den Bergpartner schon wirklich sehr lieben, wenn man diesen Hatscher auf Tourenskiern als bereichernd empfindet. Weil gerade einmal 900 Höhenmeter zu überwinden sind, geht es meist flach bergan, mal an der Piste, mal neben der Piste, dann durch das weitläufige Fimbatal, sanft ansteigend wie auf einer mittelschweren Loipe, über die Grenze in die Schweiz, weiter immer weiter, hinein in merkwürdige Gedanken: Darf man als EU-Immigrant die einzige DAV-Hütte auf Schweizer Boden überhaupt noch besuchen? Wird der Sektion Heidelberg ihr Recht, die Hütte auf »weltewige Zeiten« (Hütten-Webseite) zu unterhalten, demnächst möglicherweise doch per Volksentscheid entzogen? Und warum ist das Wetter so miserabel?

Irgendwann, wenn der Graupel die verrückten Phantasien vertrieben hat, taucht sie dann doch auf: die Heidelberger Hütte (2264 m). Man muss auch Bergunterkünfte sehr lieben, wenn man ihr so aus der Ferne etwas Besonderes abgewinnen möchte, zumindest auf den ersten Blick. Sie ist ein eher schmuckloser Bau, weiß und groß wie ein Mehrfamilienhaus einer bayerischen Kleinstadt. Paul Huber, der Senior der Wirtsfamilie, wird das Manko seines Reichs in der warmen Stube später selbst mit den Worten erklären: »Es wurde seit 20 Jahren nichts mehr getan und damit einiges eigentlich verschlafen.« Wer aber auf eine Karte blickt, erkennt den Wert dieser Hütte: Wie die Arme einer Krake erstrecken sich rote Wanderwege und blaue Skitourenlinien in verschiedene Richtungen. Das Gebäude an sich bildet gewissermaßen das Herz für die Routententakeln. Und 600 Meter weiter oberhalb befindet sich mit dem Piz Val Gronda im Osten jener Berg, den sich seit diesem Winter das Skigebiet von Ischgl mit einer 20-Millionen-Gondel einverleibt hat.

Das Projekt am Piz Val Gronda, das Naturschützer und Seilbahner 30 Jahre lang einen geschichtsträchtigen Konflikt über den Sinn und Unsinn der Erschließung der Alpen führen ließ und erst vor eineinhalb Jahren mit einem Sieg für das Großkapital endete, stößt sogar in der Wirtsfamilie auf unterschiedliche Meinungen. Fragt man beispielsweise Huber senior, wie er die umstrittene Skigebietserweiterung denn bewerte, so sagt der ziemlich entschieden: »Wir waren schon immer für den Lift.« Stellt man seiner Frau Inge wenig später die gleiche Frage, so antwortet die wohl eher zur Diplomatie neigende – O-Ton Inge Huber – »kleine Chefin«: »Wir waren nicht dafür und nicht dagegen.« Andererseits behauptet der Senior wiederum: »Ob Seilbahn oder nicht, das ist für uns nicht der große Unterschied.« Und überhaupt: »Alle reden über den Piz Val Gronda – und wir haben hier so ein super Tourengebiet.«
 

Die Profis werden seltener

Piz Davo Lais, Lareinfernerspitze und Piz Tasna sind nur drei der umliegenden Dreitausenderziele für Skitourengeher mit Hängen in jedem Schwierigkeitsgrad (siehe Tourentipps). Allerdings weiß auch Huber, welch wichtige Rolle das nahe gelegene Skigebiet in der Bilanz seines Betriebs spielt. Etwa die Hälfte der 5000 Übernachtungen pro Wintersaison geht auf das Konto von abfahrtsorientierten Pistenabenteurern, und vor allem im Frühwinter ist der Anteil der Liftfans sogar noch höher.

Die Geschichte vom schier unglaublichen Skitourentrend, die von Tourismusgemeinden und Skiherstellern gerne mantrenmäßig wiederholt und von Medien oft ungeprüft weiter posaunt wird, kann Paul Huber jedenfalls nicht bestätigen. So habe die nicht weit entfernte Friedrichhafener Hütte den Winterbetrieb eingestellt. »Wenn das Skitourengehen boomen würde, hätten sie dort sicher Betrieb.«

Auch ihm rennen die Winterbergsteiger trotz der Tourenmöglichkeiten der Umgebung nicht die Bude ein. Eher das Gegenteil sei der Fall. »Es werden immer weniger, die zu Fuß hochgehen.« Vor allem die Profi s würden seltener werden. Dabei bietet die 1889 erbaute Heidelberger Hütte nicht nur etliche Ziele in allen Himmelsrichtungen und für jede Jahreszeit; sie besitzt auch eine lange Tradition als Winterdomizil für Bergsteiger. Schon 1910 – und damit lange vor der Gründung jedes Skigebiets der Alpen – war das »ideale Skigelände im Fimbertal« entdeckt und die Heidelberger für den Winterbetrieb eingerichtet worden, wie es auf der Webseite der Hütte heißt.

Während sich die Gäste damals allerdings noch selbst versorgen mussten, steht heute Robert Huber als einer von zwei in der Hütte tätigen Hubersöhnen in der Küche. Robert hat im Fünf-Sterne-Hotel Trofana Royal unten in Ischgl gelernt und kredenzt einen Kaiserschmarrn, der einem schlicht die Socken auszieht – sofern man nach der üppigen Brotzeitplatte überhaupt noch Platz im Magen hat.

Kleiner Tipp: Zu dritt zwei Gerichte bestellen und notfalls nachordern. Die Gefahr eines Kaloriendefizits besteht hier oben sicher nicht. Wer dann gut gesättigt den 14,3 Kilometer langen Rückweg antritt und sich stellenweise per Armkraft ins Tal schiebt, sieht möglicherweise, wie der Hüttenzustieg im Zeitalter des Skitourentrends aussieht: Ein Schneemobil schleppt zehn behelmte Skifahrer an einem Seil bergan bis vor die Eingangstür. Wer will da noch zu Fuß gehen?

Text: Dominik Prantl
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 04/2014. Jetzt abonnieren!
 
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