Zum Tod von Ralf Gantzhorn: Ein Nachruf von Bergsteiger-Autorin Nina Ruhland | BERGSTEIGER Magazin

Zum Tod von Ralf Gantzhorn: Ein Nachruf von Bergsteiger-Autorin Nina Ruhland

Am 24. Juni verunglückte der Kletterer und Fotograf Ralf Gantzhorn tödlich in der Schweiz. Ein Nachruf von Bergsteiger-Autorin Nina Ruhland. 
 
Ralf Gantzhorn © Bergsteiger-Archiv/Ralf Gantzhorn
Ralf Gantzhorn (1964 - 2020)

„Moin!“ Selbst im tiefsten Bayern fiel seine Begrüßung norddeutsch aus. Seine fröhliche Stimme klingt noch in meinen Ohren, das Lausbuben-Grinsen sehe ich klar vor mir. Und ich höre seine Geschichten… Wenn Ralf von seinen Projekten erzählte, von Bergen, die ihn fesselten, überschlug sich seine Stimme fast. In den Augen ein Funkeln, seine riesigen Hände gestikulierten wild. Wenn er vom Monte Sarmiento in Feuerland berichtete, zu dem er immer wieder zurückkehrte und der zu seiner persönlichen Obsession wurde, schnitten die Hände ganz besonders impulsiv durch die Luft. Sieben Mal reiste der Wahl-Hamburger an den südlichen Zipfel Patagoniens, um endlich den Gipfel des 2246 Meter hohen Berges zu erreichen. Mit Segelschiff über das raue Meer, mit Machete durch den dichten Urwald, mit Frontzacken durch das mächtige Eis quälte Ralf sich Meter für Meter näher an sein Ziel. Doch er konnte den Ostgipfel nie erreichen. Ralf wollte es ein achtes Mal versuchen, "weil es einfach so geil ist dort". Es wird ein unerfüllter Traum bleiben. 

Andere Berge Patagoniens dagegen waren gnädiger und schenkten Ralf unvergessliche Momente. Dabei war es wahrlich nicht Liebe auf den ersten Blick mit diesem Fleckchen Erde. Denn als Ralf 1985 zum ersten Mal dorthin reiste, war er mit dem Fahrrad unterwegs. Keine gute Idee mit Dreigang-Rad und Windstärke 9… Doch diese vollkommen wilde und unerschlossene Landschaft mit absurden Wolkenformationen, die, getrieben von unberechenbaren Winden, um die gigantischen Felsen tobten, ließ ihn nicht mehr los. Er schrieb seine Diplomarbeit dort, kam immer wieder zum Bergsteigen und Fotografieren. Zum Staunen und Demütigsein. Insgesamt fünf Jahre seines Lebens verbrachte Ralf dort. "Patagonien ist meine persönliche Traumlandschaft", hat er mal gesagt.  

Ähnlich ging es ihm mit den Dolomiten, denen er mit seinen unvergleichlichen Fotos in zahlreichen Bildbänden ein Denkmal setzte. Doch ganz in die Berge ziehen, seiner Wahlheimat Hamburg den Rücken kehren? Das kam für Ralf nie in Frage. Er liebte den nordisch-rauen Charme, das Meer und er blieb auch wegen seiner drei Kinder. Sein Herzenswunsch war, dass auch sie sich für das Draußen- und Unterwegssein begeistern würden. Tochter Carlotta war noch kein Jahr, als sie auf ihrem ersten Dreitausender hockte. Nils hat viele Patagonien-Wochen auf seinem Reisekonto und Finn tourte mit Papa Ralf und Mama Birgit schon mit einem halben Jahr durch Schottland. "Ich will ihnen die Schönheit dieser Welt zeigen", sagte Ralf. Ein Geschenk, das seit Mittwochnachmittag ein Vermächtnis ist.  

Auch mir hat Ralf etwas geschenkt. Die große Liebe. 2012 suchte er jemanden, der für einen Artikel im Bergsteiger Texte zu seinen Bildern von den ersten Messner-Routen schrieb. Wir kannten uns aus der Hamburger Kletterhalle, ich war zwischenzeitlich in die Alpen gezogen. »Hast Du Bock“, fragte er. Hatte ich! Die erste von vielen gemeinsamen Geschichten. Dass ich fünf Jahre später den Chefredakteur eben jenes Magazins heiraten würde, damit hatten wohl weder Ralf noch ich gerechnet. "Ich habe Euch verkuppelt", flötete er bei jedem Treffen und forderte dafür ein kühles Bier oder den obligatorischen "Ohne-ihn-geht-am-Morgen-nix-Kaffee" ein. Ich danke Dir so sehr für dieses Geschenk! 

Vor kurzem hatte ich Geburtstag. Ralf gratulierte mir herzlich, schrieb davon, bald wieder in die Berge kommen zu wollen. Ich hatte noch nicht geantwortet. „So viel los gerade, ich bedanke mich in den nächsten Tagen.“ Eine verpasste Chance, die für immer genau das bleiben wird. Als Ralf Anfang des Jahres zum letzten Mal bei meiner Familie und mir zwischen zwei seiner Vorträge übernachtete, verbrannte sich unser Zweijähriger den Finger am Streichholz. Ralf pustete wie ein Wilder und klebte ein Krokodilpflaster auf die kleine Brandblase. "Bald ist alles wieder gut", sagte er. Ich wünschte, bei Ralfs Unfall an der Cheselenflue hätte nun auch ein Pflaster gereicht und ich könnte diese Worte zu ihm sagen. Nun sitze ich hier und schaue der Sonne zu, die sich glühend von diesem Tag verabschiedet. Die Berge leuchten. Fast wie in den Dolomiten. Das hätte Ralf gefallen. Gute Reise, Du Lieber. Vielleicht gibt’s in einer anderen Welt wieder ein "Moin, Moin" …

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von Nina Ruhland