Wandern in der Berninagruppe
Die große Berninarunde: Rund herum statt hoch hinaus
Am zweiten Tag gehen die Füße von selbst. Jetzt könnten wir ewig so weiterwandern, meine Füße und ich. Sie tragen mich durch eine Wiese, die trockenen Halme der Gräser streifen um die Waden. Ab und an trägt ein großer Stein einen Markierungspunkt, die restliche Zeit wandert das Auge über das Hochtal und sucht die Hänge nach Steinböcken ab. Dass wir noch keine gesehen haben, wundert mich. Wenn ich Steinbock wäre, hier zu Füßen von Piz Bernina, Bellavista und Palü läge mein Paradies. Wie flüssiges Silber fließt der Bach dahin. Das Wasser ist eisig, aber nach einem langen, heißen Tag tut ein Bad einfach zu gut. Auf einer Steinplatte surrt der Kocher. Schon duftet es nach Suppe. In dem Tal kriechen die ersten Schatten herauf.
Am Horizont faucht ein orangeroter Wolkendrache den Piz Roseg an. Während wir unsere Suppe löffeln, wird ihm der Kampf gegen die Felspyramide zu langweilig, er breitet die Flügel aus, das Drachenfeuer verlischt und schließlich löst er sich in Luft auf. Auch wir bleiben nicht, wir schultern – zum zigten Mal heute – die Rucksäcke und steigen bis zum Passo Confinal auf. Hier befindet sich etwas abseits des Wegs ein Biwakhüttchen. Die letzten Schritte leuchtet uns schon der Mond. Genüsslich legen wir die Füße hoch. Sie haben sich nach der Arbeit der beiden letzten Tage ihre Ruhe verdient. Am Malojapass hatte die Umrundung des Berninamassivs gestern begonnen.
Der Abstieg ins Veltlin nach Chiareggio war einfacher als gedacht, denn auf italienischer Seite ist der Wg zum Pass gut ausgebaut. Früher wurden hier Bodenschätze abgebaut, so dass für die Arbeiter und ihre Lasttiere ein breiter Saumpfad angelegt wurde. Wunderbar für die Wanderer, denn der Blick auf die Felsen und Eisflanken des Monte Disgrazia verleitet dazu, wie verliebt diese Bergschönheit zu bewundern. Nach rund 900 Höhenmetern Abstieg ist im kleinen Dorf Chiareggio mit 1612 Metern der niedrigste Punkt der ganzen Wanderung erreicht.
Als wir durch »Chiareggio Downtown« wanderten, hatte der kleine Tante-Emma-Laden noch geschlossen, so begann unser zweiter Wandertag ohne Panini – doch was macht das schon? Bald schon verließen wir die Fahrstraße und wandern über kaum markierte Steige durch Wald hinauf zur Alp Senevedo.
Am Mittag erreichten wir den Lago Palü. Die Südseite des Sees ist leider mit Liften erschlossen, auch die Fahrstraße am Ufer entlang passte nicht zu unserem Bild vom Bergsee. Keine Viertelstunde später sind die Klingeltöne der Handys aber verklungen. Vor einer Almhütte sitzt die Sennerin, den Hund zu Füßen, die drei Kühe suchen im Stall Schutz vor der Mittagshitze. Ein Geruch von Kuhfladen und Milchkannen liegt über dem Almboden. Der Rest des südseitigen Wegabschnitts beinhaltete einen Aufstieg durch Schmetterlingswiesen, ein Stück entlang einer Skipiste hinab und die Querung des untersten Val Scerscen, um nach einer düsteren Schlucht am Parkplatz des Rifugio Zoya zu landen – welch Kontrast!
Da auf dem Passübergang hinüber ins Puschlav unser Biwak steht, hängten wir die dritte Etappe von der Zoyahütte an den Stauseen Campo Moro und Gera entlang gleich am Nachmittag noch an. Erst ab der gigantischen zweiten Staumauer sind die Wanderer wieder unter sich. Vom Großparkplatz waren wir binnen weniger Schritte zurück im Paradies. Und dieses Paradies sieht so aus: ein großer See, gespeist von den beiden riesigen Fellariagletschern. Vor allem der östliche Gletscher sieht vom Tal imposant aus. Seine Zunge reicht momentan direkt bis über einen Felsabbruch, über den zwei Wasserfälle gischten. Zum Paradies gehören Almböden wie die Alp Gembre, Gletscherschliffrücken, ein paar glückliche Kühe, Pferde und Esel – und ganz oben unsere Biwakschachtel.
Tuut, tuut! Die Rhätische Bahn fährt quietschend in den Bahnhof von Cavaglia ein und stellt uns auf eine harte Probe. Bis Pontresina könnte man jetzt einen Panoramasitz buchen und diese Teilstrecke mühelos zurücklegen. Ja, wer will, kann bis St. Moritz sitzen bleiben und mit dem Postbus zum Ausgangsort gelangen. Aber die Füße tragen wieder, wir wandern. Von Cavaglia zur Alpe Grüm, unter dem Palügletscher hindurch zum Berninapass hinauf. Zwischen Lago Bianco und Lej Nair folgen wir der Beschilderung zum Schwarzen Meer. Das ist kein Witz, denn hier verläuft die Wasserscheide. Kleinen Almstraßen folgen wir, gemeinsam mit vielen Bikern. Wer meint, die Strecke aus dem Auto zu kennen, täuscht sich. Natürlich sieht man Piz Lagalb und Albris, Cambrena und Trovat auch vom Auto, aber zu Fuß sieht man sie länger!
Am Horizont faucht ein orangeroter Wolkendrache den Piz Roseg an. Während wir unsere Suppe löffeln, wird ihm der Kampf gegen die Felspyramide zu langweilig, er breitet die Flügel aus, das Drachenfeuer verlischt und schließlich löst er sich in Luft auf. Auch wir bleiben nicht, wir schultern – zum zigten Mal heute – die Rucksäcke und steigen bis zum Passo Confinal auf. Hier befindet sich etwas abseits des Wegs ein Biwakhüttchen. Die letzten Schritte leuchtet uns schon der Mond. Genüsslich legen wir die Füße hoch. Sie haben sich nach der Arbeit der beiden letzten Tage ihre Ruhe verdient. Am Malojapass hatte die Umrundung des Berninamassivs gestern begonnen.
Schmugglerwege und Bergseen
Vom Malojapass folgt der erste Teil unserer Tour häufig begangenen Wegen durch Almgelände und am Ausflugsziel Cavlocsee vorbei. Nach der Ziegenalm Alp da Cavloc teilt sich das Tal aber. Während sich das Fornotal direkt im Süden öffnet, zweigt leicht links das unscheinbare Val Muretto ab zum Passo del Muretto, der Grenze zwischen Schweiz und Italien. Einst verlief hier ein Handelsweg, Schmugglerpfad, Verbindungsweg für Saisonarbeiter und in Kriegszeiten eine Fluchtmöglichkeit.Der Abstieg ins Veltlin nach Chiareggio war einfacher als gedacht, denn auf italienischer Seite ist der Wg zum Pass gut ausgebaut. Früher wurden hier Bodenschätze abgebaut, so dass für die Arbeiter und ihre Lasttiere ein breiter Saumpfad angelegt wurde. Wunderbar für die Wanderer, denn der Blick auf die Felsen und Eisflanken des Monte Disgrazia verleitet dazu, wie verliebt diese Bergschönheit zu bewundern. Nach rund 900 Höhenmetern Abstieg ist im kleinen Dorf Chiareggio mit 1612 Metern der niedrigste Punkt der ganzen Wanderung erreicht.
Als wir durch »Chiareggio Downtown« wanderten, hatte der kleine Tante-Emma-Laden noch geschlossen, so begann unser zweiter Wandertag ohne Panini – doch was macht das schon? Bald schon verließen wir die Fahrstraße und wandern über kaum markierte Steige durch Wald hinauf zur Alp Senevedo.
Am Mittag erreichten wir den Lago Palü. Die Südseite des Sees ist leider mit Liften erschlossen, auch die Fahrstraße am Ufer entlang passte nicht zu unserem Bild vom Bergsee. Keine Viertelstunde später sind die Klingeltöne der Handys aber verklungen. Vor einer Almhütte sitzt die Sennerin, den Hund zu Füßen, die drei Kühe suchen im Stall Schutz vor der Mittagshitze. Ein Geruch von Kuhfladen und Milchkannen liegt über dem Almboden. Der Rest des südseitigen Wegabschnitts beinhaltete einen Aufstieg durch Schmetterlingswiesen, ein Stück entlang einer Skipiste hinab und die Querung des untersten Val Scerscen, um nach einer düsteren Schlucht am Parkplatz des Rifugio Zoya zu landen – welch Kontrast!
Da auf dem Passübergang hinüber ins Puschlav unser Biwak steht, hängten wir die dritte Etappe von der Zoyahütte an den Stauseen Campo Moro und Gera entlang gleich am Nachmittag noch an. Erst ab der gigantischen zweiten Staumauer sind die Wanderer wieder unter sich. Vom Großparkplatz waren wir binnen weniger Schritte zurück im Paradies. Und dieses Paradies sieht so aus: ein großer See, gespeist von den beiden riesigen Fellariagletschern. Vor allem der östliche Gletscher sieht vom Tal imposant aus. Seine Zunge reicht momentan direkt bis über einen Felsabbruch, über den zwei Wasserfälle gischten. Zum Paradies gehören Almböden wie die Alp Gembre, Gletscherschliffrücken, ein paar glückliche Kühe, Pferde und Esel – und ganz oben unsere Biwakschachtel.
Tiefblicke und Ausblicke
2628 Meter. Der Passo Confinal gibt sich unspektakulär, auch wenn der Blick auf die Livignoberge jenseits des Puschlavtals schön ist. Dank der gestrigen langen Etappe beginnt dieser Tag mit einem Abstieg. Seit der Alp Gembre haben wir keine Menschenseele mehr gesehen und so wird es auch bleiben, bis wir am Mittag in Cavaglia ankommen. Dann ist über die Hälfte der Wegstrecke durchs Puschlav hinauf zum Berninapass zurückgelegt. Bis dahin haben wir einen jungen Fuchs aufgescheucht, ein ganzes Heer von Apollofaltern ist vor uns durch die Disteln geflogen, auf einer Waldlichtung gab’s frische Erdbeeren und auf den Almböden immer wieder Tiefblicke ins Tal.Tuut, tuut! Die Rhätische Bahn fährt quietschend in den Bahnhof von Cavaglia ein und stellt uns auf eine harte Probe. Bis Pontresina könnte man jetzt einen Panoramasitz buchen und diese Teilstrecke mühelos zurücklegen. Ja, wer will, kann bis St. Moritz sitzen bleiben und mit dem Postbus zum Ausgangsort gelangen. Aber die Füße tragen wieder, wir wandern. Von Cavaglia zur Alpe Grüm, unter dem Palügletscher hindurch zum Berninapass hinauf. Zwischen Lago Bianco und Lej Nair folgen wir der Beschilderung zum Schwarzen Meer. Das ist kein Witz, denn hier verläuft die Wasserscheide. Kleinen Almstraßen folgen wir, gemeinsam mit vielen Bikern. Wer meint, die Strecke aus dem Auto zu kennen, täuscht sich. Natürlich sieht man Piz Lagalb und Albris, Cambrena und Trovat auch vom Auto, aber zu Fuß sieht man sie länger!
Der Höhepunkt zum Schluss
Was jetzt noch fehlt im Kreis der Bergprominenz, das sind Piz Palü und die Bellavista. In Morteratsch bietet sich die Gelegenheit, sie bei einem Kaffee auf der Sonnenterrasse des gleichnamigen Hotels ausgiebig zu betrachten. Was auch noch fehlt, sind Piz Bernina und Roseg. Um sie von ihrer zweitschönsten Seite zu sehen (noch schöner ist’s nur auf dem Gipfel), steigen wir zuletzt durchs Val Roseg auf zur Fuorcla Surlej. Luftlinie sind wir nur noch zehn Kilometer vom Ausgangsort entfernt. Die letzte Tagesetappe ist lediglich ein langer Panoramaweg nach Sils hinab und eine einfache Wanderung am Silser See entlang. Deshalb sollte man an der Fuorcla Surlej die Runde gemütlich ausklingen lassen und im Berghaus Fuorcla Surlej übernachten. Auf 2755 Meter ist hier geographisch der Höhepunkt der Runde. Und wem der Blick auf Piz Boval, Morteratsch, Prievlus, auf den Piz Bernina mit dem Biancograt, auf Scerscen, Roseg, Piz Sella, Dschimels, La Sella und Glüschaint nicht gefällt, für den kommt jede Rettung zu spät – der ist einfach kein Bergsteiger!
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