Dolpo - Meine Reise fernab des Trubels | BERGSTEIGER Magazin
Teil 2

Dolpo - Meine Reise fernab des Trubels

Chharka Bhot © Gerda Pauler
Die alte Siedlung der Chharka Bhot: wie eine mittelalterliche Festung
Da erinnere ich mich plötzlich daran, dass damals Einheimische von  einem “Loch in der Wand”, gesprochen hatten, aber wir hatten ja die Flussdurchquerungen geschafft und die Sache nicht weiter verfolgt.

Nun machen wir uns auf die Suche und folgen einem schmalen Steig steil bergauf. “Hier ist es”, ruft Mingma voller Freude. Während es Binod und mir gelingt, uns durch den engen Tunnel zu quetschen, ist der Durchgang für die Träger mit ihren Körben zu eng. Mingma führt sie sicher über die Felsen auf die andere Seite des Berges. 

Das modernisierte Dho Tarap

Wir überqueren den Chan La (5378m), und als wir schließlich in Dho Tarap ankommen, kann ich nicht nur alte Traditionen bei meinem Besuch der Ribum Gompa und des Regu Chörten bewundern, sondern auch die Ankunft des 21. Jahrhunderts. Hilfsorganisationen aus dem Westen, Einnahmen vom Handel mit Yartsa Gunbu und Tourismus haben die Dorfbewohner innerhalb von 20 Jahren vom Mittelalter in die Neuzeit katapultiert.

Gewächshäuser, Solaranlagen, Windkraft, auf Satelliten basierende Kommunikation sind nach Dolpo gekommen, und bis dahin unbekannte Güter wie Handys, Flachbildschirme, Computer, Getränke und Essen in Dosen, Fertigsuppen, Mountainbikes und Motorräder sind keine Seltenheit mehr.  Dolpo wurde zu einem Ort, an dem die Vergangenheit den Weg der Moderne kreuzt. 2012 war ich zum Phoksundo Lake im Shey Phoksundo National Park gewandert. Man hatte ihn 1984 ins Leben gerufen, um die Natur und ihre Vielfalt zu bewahren.
 
Von Ringmo, dem Hauptort am südlichen Ufer des Sees waren wir dem Weg zur Shey Gompa und weiter nach Bhijer gefolgt, bevor wir über den Nyingma Gyanzen (5563m), Yala La (5414m) und Chyargola Bhanjyang (5150m) nach Mugu gingen. Auf der diesjährigen Tour möchte ich die Gegend nördlich von Dho Tarap erkunden.

Etwa eine halbe Gehstunde von Dho Tarap liegt die berühmte Crystal Mountain School, die 1994 von der französischen Organisation Action Dolpo gegründet worden war. Im Gegensatz zu Schulen die der Staat unterhält, wird hier Rücksicht auf lokale Kultur und Sprache genommen. Von der ersten Klasse an lernen die Schüler Tibetisch, Englisch und Nepalesisch.

„Weißt du, was Eiscreme ist?“, frage ich einen Schüler. „Na klar“, antwortet er, „ich habe da ein Bild in meinem Englisch-Buch“. „Ich meine eigentlich ob du schon einmal Eis gegessen hast“, sage ich. „Nein, Ich habe Eis weder in Wirklichkeit gesehen, noch weiß ich wie das schmeckt“, erwidert er. Derartige Antworten sind In Dolpo keine Seltenheit. Viele habe noch nie ein Auto oder elektrische Straßenbeleuchtung gesehen.

Ich darf zwei Schulklassen in den Pausenhof entführen, wo wir riesigen Spaß mit einigen Liedern und Bewegungsspielen haben. Allerdings stelle ich schnell fest, dass (trotz guter Akklimatisierung) Singen, Tanzen, Laufen und Hüpfen enorm anstrengend sind. Die Einladung später mit den Kindern Fußball zu spielen, lehne ich dankend ab.
Drei Tage später erreichen wir Saldang.

Obwohl es einige ältere Publikationen und Bücher über Dolpo gibt (David Snellgrove ‘Himalayan Pilgrimage‘; 1961, Karna Sakya ‘Dolpo – The World Behind The Himalayas’; 1978 and Peter Mathiessen ‘The Snow Leopard’; 1978, George Schaller `Stones of Silence`) verblieb diese Region lange Zeit ein weisser Fleck auf der Landkarte.

Die Helden Dolpos

Weltweite Aufmerksamkeit und Interesse an Dolpo kamen 1999 mit dem Film ‘Caravan’; in einigen Ländern lief er unter dem Titel ‘Himalaya’. Der französische Filmemacher Eric Valli, hatte längere Zeit in Saldang gelebt, und drei der Hauptdarsteller sind aus dem Ort. Da sich mein Dolmetscher Binod seit 15 Jahren für Kinder, Jugendliche und deren Ausbildung in Dolpo einsetzt, kennt ihn jeder Mensch, und überall begrüßen uns die Dorfbewohner mit herzlichem Lächeln, gefolgt von zahlreichen Einladungen zu frischem Tsampa (geröstetes Gerstenmehl) und Buttertee. Und so erhalte ich die einzigartige Möglichkeit Thinley (verstarb 2016), Labang Dhondrup und Karma Rhapkya zu interviewen.

Sie waren die ersten modernen Helden Dolpos. Aber Dolpo hat viele Helden. Helden, die wir niemals in einem Film sehen werden, und deren Gesicht niemals die Titelseite eines Magazins schmücken wird. Dondul ist einer dieser Alltaghelden. Er erzählt mir von seiner Frau, die vor mehr als 30 Jahren verstarb, vom Tod aller Kinder (abgesehen von einem Sohn, der immer schwach und kränklich war) und wie er im Laufe der Jahre Tiere und Felder verkaufte, um die medizinische Behandlung seines Sohnes finanzieren zu können. Aber in Donduls Stimme entdecke ich weder Verbitterung noch Traurigkeit. “Eine kleine Familie zu sein, hat Vorteile. Wir haben genügend Kartoffeln, Gerste und Buchweizen auf unseren Feldern, um durch das Jahr zu kommen,“ erklärt er fröhlich.

Ich weiß, dass weniger als zehn Prozent der Dolpo-pas genügend ernten, um von den Erträgen ihrer Felder zwölf Monate leben zu können. In vielen Familien reichen sie gerade einmal für vier oder fünf Monate.
Wir lassen Saldang hinter uns und wandern in Richtung Nisal weiter, ein einfacher, aber langer Spaziergang ohne große Steigung.

Binod hat hier mit einigen begeisterten, jungen Männern ein Schulprojekt gestartet. Die Unterrichts- und Übernachtungsräume für Kinder aus dem Nachbardorf werden vom örtlichen Kloster bereitgestellt, die Gehälter werden durch Spenden finanziert und befreundetet Hubschrauberpiloten, die gelegentlich den einen oder anderen Einsatz in dieser Gegend haben, nehmen das erforderliche Schulmaterial aus Kathmandu mit.
Wir richten uns häuslich ein und nachdem alles fertig ist, führen die Schüler und ihre Lehrer Lieder und Tänze auf …. Und die Dorfbevölkerung schließt sich der fröhlichen Vorstellung an.

Der Rückweg

Unser Ruhetag an darauffolgenden Tag vergeht schnell. Mein Plan ist es, via Shimen,Tinje und Chharka Bhot nach Kagbeni zurückzuwandern. Allerdings beginnt es nach unserer Ankunft im nächsten Dorf, Musi, heftig an zu schneien.

Während ich den Tanz der Schneeflocken bewundere, jagt - nur etwa 80 km Luftlinie von Musi entfernt - ein fürchterlicher Blizzard durch die Annapurna- und  Dhaulagiri-Region; mehr als 30 Menschen kommen ums Leben. Musi ist jedoch das nördlichste und isolierteste Dorf in Dolpo und ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit. Die traurige Nachricht erreicht uns hier nicht. Erst viele Tage später erfahren wir, was sich zugetragen hat.

Die Dorfbewohner wollen mit ihren Yaks den Weg nach Shimen freimachen, aber keiner kann uns sagen, wann das möglich ist. Nach zwei Tagen, die wir mit Besuchen bei Familien verbringen, beschließen wir, den Rückweg in Richtung Saldang und Dho Tarap anzutreten.

Bedingt durch den Wetterumsturz liegt Schnee bis ins Tal hinab, und Flussdurchquerungen werden zu einer eiskalten Angelegenheit. Nun ist es bedeutend anstrengender, den Jyanta La (5220m) zu überschreiten. Stundenlang stapfen wir durch den Schnee und wechseln uns beim Spuren ab.

In Dho Tarap angekommen, versuchen wir Information über die Pässe in Richtung Kagbeni zu bekommen, aber seit dem Schneesturm war keine Gruppe aus dieser Richtung angekommen und wir beschliessen den einfachsten Weg zu nehmen; wir folgen dem Tarap Kola. Im Laufe von (vielleicht) mehreren Millionen Jahren  hat der Fluss eine atemberaubende tiefe Schlucht durch die Berge gegraben. Einige fast senkrechte Abbrüche sind hervorragende Aussichtspunkte, aber bei etwas ängstlichen Trekkern können sie die Herzfrequenz enorm beschleunigen und Panik auslösen.

Auf dem Weg ins Ernährungsparadies

In meinen Interviews kam es von Seiten der Dolpo-pa ganz deutlich zum Ausdruck, dass Straßen an oberster Stelle ihrer Wunschlisten stehen, denn Reisen wären ungefährlicher und der Warentransport einfacher und billiger. Während wir durch die Schlucht wandern, frage ich mich immer wieder, wie Straßenbau-Ingenieure hier eine Trasse konstruieren könnten und wie sehr das wohl die Landschaft verändern würde. 
Stundenlang begleitet uns das Tosen und Brausen des Wassers bis wir endlich am anderen Ende der Klamm ankommen. Mir erscheint es fast so, als wäre diese Schlucht eine Zeitreise-Maschine, die Trekker nicht nur in eine andere Landschaft sondern auch in eine andere Zeit ausspuckt.

Nach vielen Wochen kommen wir durch den ersten Wald und Landwirtschaft beschränkt sich nicht mehr auf Gerste und Spinat. Hier pflanzen die Bauer Reis, Quinoa, Amaranth und die verschiedensten Gemüsesorten an. Ein Paradies. 

Die Orte Dunai und Juphal, die mit einem Pendel-Jeep miteinander verbunden sind, empfangen den Touristen mit allem nur erdenklichen Luxus, heißen Duschen, komfortablen Unterkünfte, gutem Kaffee und Kuchen. Ich lasse mich gerne verführen, und es würde mir auch nichts ausmachen, hier ein oder zwei Tage auf einen Flug in Richtungung Nepalgunj und weiter nach Kathmandu warten zu müssen.

Das Glück haben wir jedoch nicht, denn bereits am nächsten Tag bekommen wir Plätze in einem der kleinen Flugzeuge und wir verlassen Dolpa.

Sie wollen mehr von Gerda Pauler lesen? Sie ist Autorin der Bücher Dolpo - People and Landscape (auf Englisch) und Great Himalaya Trail - auf der höchsten Trekkingroute der Welt durch Nepal

 
Gerda Pauler
Fotos: 
Gerda Pauler