Auf Skitour im Kaukasus, dem Balkon der Kontinente
Am Balkon der Kontinente - Skitour im Kaukasus
© Joachim Stark
Die Ziele fest im Blick: Vom Skigebiet Gudauri lassen sich fantastische Skitourenberge wie der Miketi studieren
Die Ziele fest im Blick: Vom Skigebiet Gudauri lassen sich fantastische Skitourenberge wie der Miketi studieren
Je nachdem, von welcher Seite man sie betrachtet, ist die Globalisierung eine tolle Sache: An der Grenze zu Österreich nehmen sie einem als deutschem Staatsbürger das Auto nicht mehr auseinander, die atmungsaktiven Tourenklamotten sind made in China, und die Waschmaschinen-Hotline sagt einem von Bangalore aus, was kaputt ist. Wenn man einen EU-Pass besitzt, kommt man als Bergsteiger außer einer visums- und stressfreien Einreise nach Österreich in den Genuss weiterer Vorteile: Die Besteigung eines Fünftausenders in Georgien dauert inklusive Anreise aus, sagen wir: München, nicht mehr wesentlich länger als eine Skitour auf einen hohen Westalpengipfel.
Der Kaukasus ist das höchste Gebirge Europas, und wer möchte, kann ihn als Balkon des Kontinents bezeichnen, weil er hineinragt ins angrenzende Asien. Den allermeisten Bergsteigern fällt zum Kaukasus zuerst der Elbrus ein: Der russische Vulkan ist mit seinen 5642 Metern in Bergsteigerkreisen als höchster Europäer sehr begehrt. Im restlichen Kaukasus ist die Frage, auf welchem Kontinent man eigentlich steht, weniger eindeutig. Denn wenn man im Großen Kaukasus von Süden her auf die Gipfel steigen will, checkt man nach Tiflis ein. Diese Stadt liegt in Georgien und damit nach mitteleuropäischer Schulmeinung in Asien.
Die Georgier sehen das freilich wieder ganz anders und suchen den Anschluss nach Europa und an die EU. Ein gewisser Philip Johan von Strahlenberg hat anno 1730 wiederum den gesamten Kaukasus – inklusive des etwas abseits stehenden Elbrus – den Asiaten zugeschlagen. Asien, Europa, Eurasien – im Prinzip bleibt es in Kaukasien jedem selbst überlassen, wo er seine persönliche Grenze zieht. Nirgendwo kann man sich mehr als globalisierter Bergsteiger fühlen als hier, wo selbst Kontinente zu einer Einheit verschmelzen.
Die »Hausberge« von Gudauri sind der Kudebi (3007 m), der von einem Sessellift erschlossen wird, der Sadzele (3307 m), auf dessen Vorgipfel (3270 m) ebenfalls ein Lift führt, und der leicht abseits des Pistengebiets gelegene Bidara (3174 m). Bidara und Sadzele sind echte Skiberge, von denen verschiedene Abfahrtsvarianten hinunter in die kaukasische Einsamkeit führen. Die Abfahrten nach Westen oder Norden sind bei guten Verhältnissen ein zu 1200 Höhenmeter andauerndes Vergnügen. Auf der anderen Talseite, weit weg vom Skigebiet, bilden die Nord- und Osthänge des Miketi das Revier für Traumtouren. Zwar geht es nur bis auf etwa 2900 Meter hinauf, dafür startet man im Tal unterhalb von Gudauri auf 1600 Metern.
Vom Fluss führt der Weg steil auf einen Bergrücken. Plötzlich tauchen mit bunten Flechten bewachsene Steinmauern auf und die Reste eines Turmes: Die Ruinen des alten Wehrdorfs Meketi erinnern an vergangene Tage des Krieges. Hinter Meketi wird es sportlich, und man spurt durch 800 Meter hohe Nordosthänge nach oben zum Miketi.
Die Legenden setzen sich in christlicher Zeit fort: Die Bethlemi-Höhlen auf rund 4000 Meter Höhe im Lavagestein des Kazbeg sind angeblich die älteste Einsiedelei des Christentums. Darin sollen sich Reliquien Abrahams und sogar die Wiege Christi befinden. Bethlemi heißt Bethlehem, Kazbeg bedeutet auf Ossetisch »Berg Christi«. Die Route auf den Berg Christi gliedert sich in zwei Etappen: Von Stepanzminda (das bis 2006 Kazbegi hieß) bis zur Bethlemi-Hütte auf 3650 Metern Höhe. Und von dort zum Gipfel (5047 m). Der Begriff »Hütte« ist eine ziemliche Beschönigung. Übernachtungsgäste müssen die komplette Biwakausrüstung selbst mitschleppen.
Immerhin bietet das unbeheizte, steinerne, kasernenartige Gebäude viel Platz, die Zimmer sind mit Doppelstockbetten und Matratzen ausgestattet. In den 1940er-Jahren wurde das Gebäude als meteorologische Station errichtet. Seit 1998 heißt die Unterkunft offiziell Bethlemi-Hütte, ist aber nach wie vor als »Meteo« in vielen Bergsteigerköpfen gespeichert.
Im Sattel vor der Gipfelflanke auf etwa 4850 Meter Höhe beäugt jeder kritisch diesen mit bis über 40 Grad steilsten Teil des Aufstiegs. Zwei Tage vorher war die Flanke noch blank gewesen. Meist geht man die letzten 150 Meter zum Gipfel mit Steigeisen. Wir lassen die Ski angeschnallt. Manchmal muss man sehr genau darauf achten, ob die Kanten unter dem Pulverschnee noch auf Firn oder schon im Eis Halt suchen. Aber der Schnee hält. Und trägt uns bis zum Gipfel. Mit Ski an den Füßen bei solchen Bedingungen auf diesem sagenhaften Gipfel! Wir buddeln einen Logenplatz in den Balkon Europas und lassen uns das wahrlich eisgekühlte Gipfelbier schmecken.
Die Abfahrt hält, was das Spuren versprach: In bestem Pulverschnee zerpflügen wir die Gipfelflanke des Kazbeg und schweben über weite, weiße, im Sonnenlicht glitzernde Flächen über den Gletscher. Und ob dieser Teil Georgiens nun zu Asien oder Europas gehört, ist völlig egal. Hier oben fühlt man sich schlicht wie im Himmel auf Erden.
Der Kaukasus ist das höchste Gebirge Europas, und wer möchte, kann ihn als Balkon des Kontinents bezeichnen, weil er hineinragt ins angrenzende Asien. Den allermeisten Bergsteigern fällt zum Kaukasus zuerst der Elbrus ein: Der russische Vulkan ist mit seinen 5642 Metern in Bergsteigerkreisen als höchster Europäer sehr begehrt. Im restlichen Kaukasus ist die Frage, auf welchem Kontinent man eigentlich steht, weniger eindeutig. Denn wenn man im Großen Kaukasus von Süden her auf die Gipfel steigen will, checkt man nach Tiflis ein. Diese Stadt liegt in Georgien und damit nach mitteleuropäischer Schulmeinung in Asien.
Die Georgier sehen das freilich wieder ganz anders und suchen den Anschluss nach Europa und an die EU. Ein gewisser Philip Johan von Strahlenberg hat anno 1730 wiederum den gesamten Kaukasus – inklusive des etwas abseits stehenden Elbrus – den Asiaten zugeschlagen. Asien, Europa, Eurasien – im Prinzip bleibt es in Kaukasien jedem selbst überlassen, wo er seine persönliche Grenze zieht. Nirgendwo kann man sich mehr als globalisierter Bergsteiger fühlen als hier, wo selbst Kontinente zu einer Einheit verschmelzen.
Perfekte Variantenbedingungen im Kaukasus
Vom Kofferpacken daheim dauert es – dank Direktflügen – keine zehn Stunden, bis man sich hier mitten im Kaukasus die Ski anschnallen kann. Der Skiort Gudauri, das größte, bekannteste und mittlerweile auch modernisierte Skigebiet Georgiens, ist von Tifl is aus in rund zwei Stunden mit dem Auto erreichbar. Und auch zum Tourengehen bietet sich Gudauri aus mehreren Gründen an: Es liegt auf über 2000 Metern Höhe und ist sehr schneesicher. Die Gipfel rundum sind bis 3300 Meter hoch, die Hänge gleichmäßig in alle Richtungen exponiert. Es gibt kaum Steilabbrüche oder lästige Waldgürtel. Zudem erlaubt das ausgedehnte Pistengebiet Skitouren bei allen Bedingungen. Nun fliegt zugegebenermaßen garantiert niemand für Pistenskitouren in den Kaukasus. Aber bei guten Schneeverhältnissen sind die Bedingungen für Varianten perfekt.Die »Hausberge« von Gudauri sind der Kudebi (3007 m), der von einem Sessellift erschlossen wird, der Sadzele (3307 m), auf dessen Vorgipfel (3270 m) ebenfalls ein Lift führt, und der leicht abseits des Pistengebiets gelegene Bidara (3174 m). Bidara und Sadzele sind echte Skiberge, von denen verschiedene Abfahrtsvarianten hinunter in die kaukasische Einsamkeit führen. Die Abfahrten nach Westen oder Norden sind bei guten Verhältnissen ein zu 1200 Höhenmeter andauerndes Vergnügen. Auf der anderen Talseite, weit weg vom Skigebiet, bilden die Nord- und Osthänge des Miketi das Revier für Traumtouren. Zwar geht es nur bis auf etwa 2900 Meter hinauf, dafür startet man im Tal unterhalb von Gudauri auf 1600 Metern.
Vom Fluss führt der Weg steil auf einen Bergrücken. Plötzlich tauchen mit bunten Flechten bewachsene Steinmauern auf und die Reste eines Turmes: Die Ruinen des alten Wehrdorfs Meketi erinnern an vergangene Tage des Krieges. Hinter Meketi wird es sportlich, und man spurt durch 800 Meter hohe Nordosthänge nach oben zum Miketi.
Prometheus in Ketten
Im Grunde ist Gudauri und seine angrenzenden Tourengebiete aber nur die stressfreie Vorbereitung für ein weit größeres Ziel namens Kazbeg (5047 m). Der erloschene Vulkan ist das Paradeziel für Skibergsteiger in Georgien und nicht einfach nur ein Berg mit einer für meterzählende Alpinisten so reizvollen Höhe. Er ist ein legendärer Berg, der sowohl in der griechischen Mythologie als auch der christlichen Historie eine große Rolle spielt. Der Sage nach wurde Prometheus, der Schöpfer des Menschen, von Göttervater Zeus an die Felsen des Kazbeg gekettet, weil er gegen Zeus’ Willen den Menschen das Feuer auf die Erde brachte.Die Legenden setzen sich in christlicher Zeit fort: Die Bethlemi-Höhlen auf rund 4000 Meter Höhe im Lavagestein des Kazbeg sind angeblich die älteste Einsiedelei des Christentums. Darin sollen sich Reliquien Abrahams und sogar die Wiege Christi befinden. Bethlemi heißt Bethlehem, Kazbeg bedeutet auf Ossetisch »Berg Christi«. Die Route auf den Berg Christi gliedert sich in zwei Etappen: Von Stepanzminda (das bis 2006 Kazbegi hieß) bis zur Bethlemi-Hütte auf 3650 Metern Höhe. Und von dort zum Gipfel (5047 m). Der Begriff »Hütte« ist eine ziemliche Beschönigung. Übernachtungsgäste müssen die komplette Biwakausrüstung selbst mitschleppen.
Immerhin bietet das unbeheizte, steinerne, kasernenartige Gebäude viel Platz, die Zimmer sind mit Doppelstockbetten und Matratzen ausgestattet. In den 1940er-Jahren wurde das Gebäude als meteorologische Station errichtet. Seit 1998 heißt die Unterkunft offiziell Bethlemi-Hütte, ist aber nach wie vor als »Meteo« in vielen Bergsteigerköpfen gespeichert.
Daune statt Stroh am Kazberg
Wer angesichts der Höhe und der Wettervorhersage einen kompletten Ruhetag zur Akklimatisation einplant, verbringt ihn mit dem üblichen Programm für kalte Hütten bei schlechtem Wetter auf 3650 Metern: Schnee schmelzen, lesen, schlafen. Daune statt Stroh, Matratze statt Krippe: Zu einer unchristlichen Zeit quält man sich am nächsten Morgen aus den warmen Schafsäcken in der »Hütte Bethlehem«. Kein Schneefall mehr, dafür Eiseskälte. Der Neuschnee ist gerade so tief, dass das Spuren problemlos vonstatten geht. Die Sicht ist perfekt, es geht schnell voran. An steileren Stellen ist die Schneeauflage nicht immer perfekt mit dem Eis verbunden.Im Sattel vor der Gipfelflanke auf etwa 4850 Meter Höhe beäugt jeder kritisch diesen mit bis über 40 Grad steilsten Teil des Aufstiegs. Zwei Tage vorher war die Flanke noch blank gewesen. Meist geht man die letzten 150 Meter zum Gipfel mit Steigeisen. Wir lassen die Ski angeschnallt. Manchmal muss man sehr genau darauf achten, ob die Kanten unter dem Pulverschnee noch auf Firn oder schon im Eis Halt suchen. Aber der Schnee hält. Und trägt uns bis zum Gipfel. Mit Ski an den Füßen bei solchen Bedingungen auf diesem sagenhaften Gipfel! Wir buddeln einen Logenplatz in den Balkon Europas und lassen uns das wahrlich eisgekühlte Gipfelbier schmecken.
Die Abfahrt hält, was das Spuren versprach: In bestem Pulverschnee zerpflügen wir die Gipfelflanke des Kazbeg und schweben über weite, weiße, im Sonnenlicht glitzernde Flächen über den Gletscher. Und ob dieser Teil Georgiens nun zu Asien oder Europas gehört, ist völlig egal. Hier oben fühlt man sich schlicht wie im Himmel auf Erden.
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Am Balkon der Kontinente - Text und Fotos: Joachim Stark