Nach 19 Tagen: Caldwell und Jorgeson befreien Dawn Wall | BERGSTEIGER Magazin
Erfolg am El Capitan

Nach 19 Tagen: Caldwell und Jorgeson befreien Dawn Wall

Nach sechs Jahren Vorbereitungszeit haben sich die US-Kletterer Tommy Caldwell (36) und Kevin Jorgeson (30) ihren großen Traum erfüllt: eine freie Begehung des schwierigsten Wandteils des El Capitan, der Dawn Wall. Mehr als zwei Wochen verbrachten die beiden in der Wand, immer wieder mussten Ruhetage eingelegt werden, um die abgescheuerte Haut an den Fingerspitzen heilen zu lassen. Am Nachmittag des 15. Januar erreichten Caldwell und Jorgeson den Ausstieg.
 
Der grobe Routenverlauf in der Dawn Wall © fotolia/photogolfer, Bearbeitung: www.bergsteiger.de © fotolia/photogolfer, Bearbeitung: www.bergsteiger.de
Der grobe Routenverlauf in der Dawn Wall
Am 27. Dezember 2014 waren Caldwell und Jorgeson in die Ostwand des El Capitan eingestiegen. Wenige Wochen zuvor war ihnen die freie Begehung der Schlüsselseillänge gelungen – nach sechs Jahren Vorbereitung war damit das letzte Puzzlestück gelöst. Was als Ziel verblieb, war die erfolgreiche Aneinanderreihung der 28 Seillängen. Caldwell und Jorgeson starteten im Winter, weil die niedrigeren Temperaturen im Yosemite-Nationalpark mehr Grip am Granitfels ermöglichten.

Freikletterei im 11. Grad

Die gewählte Route "Mescalito" über die Dawn Wall hatten Warren Harding und Dean Caldwell 1970 in 27-tägiger Arbeit erstbegangen – im Stil einer klassischen Bigwall-Besteigung, bei der Trittleitern und unzählige Haken das Fortkommen ermöglichen. Im Gegensatz dazu wollten Tommy Caldwell und Kevin Jorgeson Seile und Haken nur zur Sicherung benutzen, die Route also frei begehen. Von den 28 Seillängen liegen je sieben im Bereich 5.14 und 5.13, leichter als 5.11 ist keine einzige. 5.14 entspricht auf der französischen Schwierigkeitsskala in etwa 9a, auf der UIAA-Skala dem 11. Grad. US-Kletterer Alex Honnold, der zeitweise den Fortschritt der beiden vor Ort beobachtete, vermutete, dass "einige Seillängen schwieriger sind als alles, was ich je geklettert bin."

Über facebook und instagram versorgten die beiden Kletterer ihre Fans täglich mit Bildern und Informationen aus der Wand. Zeitgleich waren mehrere namhafte Fotografen in die Wand eingestiegen, um den Fortschritt der Kletterer zu dokumentieren. Wie Tom Evans in seinem "El Cap Report" berichtete, begannen Caldwell und Jorgeson zeitweise erst am Nachmittag mit dem Klettern, weil die Koordination und Sicherung der Fotografen viel Zeit in Anspruch nahm. Am Silvesterabend waren bereits die ersten zehn, vergleichsweise leichten Seillängen geschafft. An Tag drei schrieb Caldwell auf facebook: "Ich begreife so langsam das Ausmaß dieses Abenteuers. Bin gerade richtig geschockt!"

Fingerspitzen als größtes Hindernis

Jorgeson und Caldwell am El CapitanAm Neujahrstag schafften beide Kletterer die freie Begehung der technisch schwierigsten Seillänge, der 14. – die allerdings ihren Tribut in Form von Hautfetzen forderte. Spätestens ab hier kamen Caldwell und Jorgeson nur noch mit getapten Fingerspitzen voran, was sich als das größte Hindernis für die restliche Begehung herausstellte.

Besonders Jorgeson litt unter den wunden Fingern. Die nahezu strukturlose Dawn Wall fordert in fast jeder Seillänge das Halten von winzigen, aber messerscharfen Leisten. Mehrmals musste Jorgeson einen Ruhetag einlegen – nur um die Haut seiner Finger heilen zu lassen.

Gewaltiges Medienecho: "Es ist der pure Zirkus"

Inzwischen waren auch die großen Medien auf die Besteigung aufmerksam geworden, die Tom Evans im "El Cap Report" mal als "Kletterei des Jahrhunderts", mal als "bisher schwierigste freie Bigwall-Begehung" titulierte. Die New York Times entsandte Reporter ins Yosemitetal, auch die ARD schickte ihren US-Korrespondenten vorbei. Die letzen vier Seillängen wurden von einem US-Fernsehsender live übertragen. "Es ist der pure Zirkus", sagte Caldwell am Ausstieg. Übernachtet wurde in Portaledges, die Versorgung mit Lebensmitteln wurde durch Haulbags vom Talboden aus sichergestellt. Über Solarpanels luden Caldwell und Jorgeson ihre Handys auf, mit denen sie immer wieder Bilder (siehe Fotostrecke) aus der Wand twitterten.

Sieben Tage in Seillänge 15

Die Crux für Caldwell und Jorgeson lag der 15. Seillänge, die Caldwell schnell hinter sich brachte, Jorgeson aber mehrere Tage aufhielt. Jorgeson schrieb am 7. Januar:

"Mein Kampf mit Seillänge 15 geht weiter. Nach 6 Jahren Arbeit reduziert sich die Herausforderung Dawn Wall auf diese Seillänge. Letzte Nacht fühlte ich eine Ruhe und Leichtigkeit wie nie zuvor. Obwohl ich scheiterte, wird es auf ewig eine meiner eindrücklichsten Erinnerungen bleiben. Um 11 Uhr nachts, beim vierten Versuch, rissen die Granitgriffe das Tape und die Haut von meinen Fingern. So enttäuschend das auch ist – ich habe dadurch neue Stufen von Geduld, Umsicht und Sehnsucht gelernt. Ich gebe nicht auf. Ich werde mich ausruhen. Ich werde es erneut versuchen. Ich werde weiterkommen."

Caldwell, der die Crux bereits geschafft hatte, bat seine Fans auf facebook, Jorgeson mental beizustehen und "gute Heilkräfte für die Haut" zu senden. In den Seillängen 14, 15 und 16 liegt die Crux der Route: 14 und 15 sind zwei Traversen, die einer Spur von Mikroleisten im ansonsten völlig grifflosen Granit folgen. In Seillänge 16 muss ein Zug dynamisch zur Seite gesprungen werden, der abermals nur an winzigen Griffen endet. Alle drei Seillängen bewerteten die beiden mit 5.14d. Kaum leichter geht es dann drei Seillängen im Grad 5.13c auf den "Wino Tower", auf dem die Hauptschwierigkeiten enden.

Dementsprechend gelöst waren die Posts von Caldwell beim Erreichen des Wino Towers am 12. Januar: "Morgen verlassen wir das Portaledge und stürmen nach oben. Mit ein bisschen Glück sind wir schon in wenigen Tagen am Ausstieg. Ich freue mich darauf, wieder auf ebener Erde zu laufen."

Glückwünsche von Obama

Am Mittwoch den 14. Januar 2015 erreichten Caldwell und Jorgeson den Ausstieg, wo Freunde und Familienmitglieder der beiden warteten. US-Präsident Barack Obama gratulierte über Twitter: "Ihr erinnert uns daran, dass alles möglich ist." Das Video aus Seillänge 15:

Thomas Ebert
 
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