1. BERGSTEIGER Fototage - Goldene Schnitte
Tricks vom Profi - bei den BERGSTEIGER Fototagen
Die Ansage ist unmissverständlich: »Mir geht’s ums Bild. Um die richtige Komposition. Bevor wir jetzt also alle auf den Rädchen der Kamera rumdrehen, überlegen wir erst einmal, was wir wollen.« Wolfgang Ehn steht inmitten des Großen Ahornboden in der Eng im Karwendel, und seine Schüler scharen sich im Halbkreis um ihn.
Der Profi-Fotograf aus Mittenwald hat einen der bis zu 600 Jahre alten Bergahorne als erstes Motiv ausgewählt, ein innen ausgehöhltes und von Moos überwuchertes Exemplar. Die Fotobedingungen sind alles andere als ideal: Der Himmel grau, die Blätter trotz spätem September immer noch grün; kein Farbspektakel also, für das der Ahornboden im Herbst eigentlich berühmt ist.
Doch Wolfgang Ehn spornt genau das an. »Bei strahlendem Himmel kann jeder fotografieren«, sagt er. Am Ende kämen dann viele ähnliche Motive heraus. Schwierigere Bedingungen seien dagegen viel spannender.
Wir sind mitten drin in den 1. BERGSTEIGER-Fototagen. Der Kurs für BERGSTEIGER-Leser war im Nu voll, die 13 Teilnehmer kommen aus allen Teilen der Republik, auch aus der Zentralschweiz ist ein junger Fotobegeisterter für den viertägigen Kurs angereist. Am Ende der Theorie- und Praxiseinheiten werden die Teilnehmer so elementare Dinge gelernt haben, wie welche Bildwirkung man mit einem Weitwinkelobjektiv erzielen kann und welche mit einem Tele; wie man durch Bildausschnitt und -komposition Tiefe in die Aufnahme bringt und so bewirkt, dass der Betrachter einen dreidimensionalen Eindruck gewinnt; wie man den »Goldenen Schnitt« richtig einsetzt, indem man auf eine 1/3- zu 2/3-Verteilung im Bildausschnitt acht gibt; welche Rolle die Farbigkeit in der Fotografie spielt, so dass zum Beispiel Rot mit Grün kombiniert harmonisch aussieht; wie man durch besondere Lichtverhältnisse einen Scherenschnitt erzeugt; wie durch Schärfe-Unschärfe-Abbildungen aus eher faden Motiven plötzlich spannende werden; wie man Linien in der Landschaft geschickt im Bild nutzt; wie man Wasser durch unterschiedliche Belichtungszeiten entweder einfrieren oder zum Fließen bringen kann.
Doch zurück zum ersten Motiv, dem knorrigen Bergahorn. Wolfgang Ehn lässt seinen Kurs überlegen, was an dem Baum aus fotografischer Sicht interessant sein könnte. »Das Moos und seine Struktur sind spannend«, sagt ein Teilnehmer, der bereits sein Riesen-Teleobjektiv aufs Kameragehäuse geschraubt hat. Zustimmendes Nicken des Profis, der angesichts der trüben Lichtverhältnisse sein Augenmerk ebenfalls auf Details gelegt hat.
Er wäre aber nicht der Profi, wenn er nicht noch ein besonderes Motiv entdeckt hätte. »Seht ihr den abgebrochenen Ast mit dem Moos drauf?« 14 Augenpaare scannen den Baum. Und die meisten entdecken, was Wolfgang Ehn längst gesehen hat: einen jungen Ahorntrieb, der aus dem Moos senkrecht gen Himmel wächst. »Das ist ein schönes Thema von Sterben und Werden, außerdem hat’s tolle Grüntöne«, erklärt der Fotograf.
Noch während sich die Teilnehmer des Themas annehmen und den alten Baum samt junger Triebe in allen erdenklichen Variationen ablichten, geschieht das, worauf alle weit vor dem Workshop-Wochenende gehofft hatten: Die Sonne bricht sich für kurze Augenblicke durch den zähen Nebel Bahn. Und schon hat Ehn das passende Thema parat.
Ein weiter entfernter Ahorn mit immerhin etwas gelblicher Blattfärbung erstrahlt in dem weichen Sonnenlicht. Dahinter steigt ein Nordhang auf, der komplett im Schatten liegt. Stellt man die Belichtungszeit auf den hellen Baum ein und rückt das Motiv dann im Kontrast zu dem dunkleren Hintergrund in den Goldenen Schnitt, dann ist der Effekt ideal im Kasten, will heißen auf der Speicherkarte.
Am Display kann man sich hernach gar nicht satt sehen. Der Baum sieht sphärisch aus. Wie aus einer anderen Welt. So schön kann Fotografieren sein.
Foto: Michael Ruhland