Schlechtes Wetter ist noch lange kein Grund, nicht wandern zu gehen
Berge im Regen - Wandern bei Schlechtwetter
© Peter Kuhn
»Am dritten Tag hat Petrus endlich Einsehen und gesteht uns ein paar Stunden Sonnenschein zu...«;
»Am dritten Tag hat Petrus endlich Einsehen und gesteht uns ein paar Stunden Sonnenschein zu...«;
»Na bravo!«
Zwölf Tage Urlaub auf einer einsamen Selbstversorgerhütte und dann dieser Empfang: seit zwei Tagen Dauerregen! Gerade mal beim Ausladen unserer umfangreichen Ausrüstung und Verpflegung hatte Petrus ein Einsehen und unterbrach kurzzeitig die himmlischen Fluten. Der Hüttenbesitzer konnte uns die schwersten Teile mit seinem Jeep bis vor die Tür fahren, unser eigenes Auto steht am Ende einer Fahrstraße, zehn Minuten Fußweg entfernt, auf dem Parkplatz einer bewirtschafteten Hütte – allzu einsam liegt unsere Unterkunft also nicht; aber die Wirtsleute drüben fahren am Nachmittag ins Tal, und dann erinnern uns nur noch die Lichter des gut 1000 Meter unter uns liegenden Inntales daran, dass wir uns immer noch mitten in der Zivilisation befinden. Auf deren technische Errungenschaften verzichten wir jedoch ganz bewusst. Wir haben keinen Strom, Licht gibt es nur aus Gasleuchten und Stirnlampen, das Plumpsklo liegt ein paar Meter hangabwärts im Wald und fließend Wasser spendet uns eine in einen Brunnen gefaßte Quelle direkt vor der Tür. Und natürlich der Himmel über uns!Aber der Schnürlregen hat auch Vorteile. Man hat Zeit, in Ruhe alles auszupacken, sitzt mit einem Buch vor dem knisternden Kaminofen oder übt ein paar schon fast vergessene Stücke auf der Gitarre, deren Mitnahme meine persönliche Bedingung bei der Urlaubsplanung gewesen war. Und wenn dann die Wolken ab und zu einen Blick auf das Inntal freigeben, sehen wir den Innsbrucker Flughafen, die Autobahn, einen vorbei ratternden Zug und merken, dass die Zeit hier oben anders vergeht. Es gibt kein Fernsehen, keine Termine, kein Internet, nur ein kleines Kofferradio, um Nachrichten und Wetterbericht zu hören, und das Einzige, das man verpassen könnte, ist ein spektakulärer Sonnenaufgang über einem nebelverhangenen Tal.
Und genau den verpasse ich nicht, als Petrus am dritten Tag endlich ein Einsehen hat und uns ein paar Stunden Sonnenschein zugesteht. Der wird auch gleich ausgenutzt für eine kleine Tour auf den Hüttengipfel. Unsere Jungs müssen scheinbar überschüssige Kräfte loswerden und lassen es sich nicht nehmen, ihre Mountainbikes bis zum Gipfel zu schleppen. Am Nachmittag geht sogar noch ein warmer Guss aus der Solardusche, doch schon am Abend ist es wieder vorbei. Mein Traum vom lässigen Gitarrezupfen vor der Hütte wird von grauen Wolken erdrückt und statt eines kühlen Bieres gibt es heißen Tee, um sich an der Tasse die klammen Finger zu wärmen.
Kurze Unterbrechung
Doch zwei Tage später hört es tatsächlich auf zu regnen. Zwar ist morgens noch immer alles in grauen Nebel eingepackt, aber der Wetterbericht hat für den Nachmittag ein wenig Sonne versprochen. Also ab in die Bergstiefel, bevor uns noch der Hüttenkoller packt! Wir wandern zu einem See auf fast 2300 Meter Höhe – in aller Ruhe, und es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass man nicht mehr bis ins Tal absteigen muss. Der Wetterbericht behält recht, aber viel wärmer wird es deswegen trotzdem nicht. Ohne Pullover geht gar nichts, und nach der Brotzeit werden sogar die Handschuhe ausgepackt. Dabei haben wir immer noch Hochsommer!Am Ufer haben zwei Künstler in mühevoller Arbeit einen Tempel aufgebaut, ausschließlich aus Steinen der Umgebung. Die Stimmung in dem von hohen Wänden eingerahmten Felskessel erhält dadurch etwas Mystisches, die über den See und um die Gipfel wabernden Nebelfetzen tun ein übriges. Wir hätten es bestimmt noch lange hier ausgehalten, aber die Sonne verschwindet hinter den Felswänden und ein kalter Wind treibt uns wieder hinunter. Es war sicher keine aufregende Tour mit ausgesetzten Klettereien und steilen Graten, nicht mal ein Gipfelkreuz haben wir erreicht, aber der Weg ist ja schließlich das Ziel, und selbst wenn es jetzt wieder fünf Tage regnen würde, haben wir etwas erlebt, was uns keiner mehr nehmen kann. Und da der Wetterbericht immer noch recht behält, können wir am Abend zum ersten Mal den Sternenhimmel bewundern.
Es sollte jedoch der einzige Abend dieser Art bleiben. Zwar war es am folgenden Vormittag noch warm und sonnig und die Jungs, denen noch nie ein Gewässer zu kalt gewesen war, konnten endlich ihre Badehosen in dem nahegelegenen Weiher, der als Wasserspeicher für die Schneekanonen diente, testen; doch dann zog eine Kaltfront mit Starkregen über uns hinweg, und wir befürchteten fast, die Wassermassen würden unsere kleine Hütte ins Tal hinab spülen. Der abendliche Wetterbericht war niederschmetternd: Dauerregen für mindestens die nächsten vier Tage! Aber es sollte noch schlimmer kommen. Die Schneefallgrenze würde im Laufe des folgenden Tages bis auf 1200 Meter sinken. Schweigend sahen wir uns an. Unser Auto stand am Ende einer steilen Schotterstraße in beinahe 1800 Metern Höhe. Bei der Auswahl der Ausrüstung hatten wir eher an Sonnencreme und Solardusche gedacht, aber ganz sicher nicht an Schneeketten! Schon eine geringe Schneeauflage würde das Tal für unser Auto unerreichbar werden lassen. Nach kurzer Diskussion beschlossen wir aufzugeben.
Und jetzt auch noch Schnee
Als wir am nächsten Morgen unsere Sachen packten und zum Parkplatz schleppten, war aus dem Regen tatsächlich ein nasser Schneematsch geworden. Und wenn das graue Wolkengewaber kurzzeitig den Blick auf die umliegenden Berge frei gab, blieb man staunend stehen und bewunderte das makellose Weiß, das sich schon bis auf etwa 1900 Meter hinunter ausbreitete. Nun ja, der Urlaub war gelaufen! Trotzdem ärgerten wir uns nicht, waren nur ein wenig traurig, weil die Elemente so sehr gegen uns waren. Wir hatten bergsteigerisch nicht gerade viel zerrissen, nur zwei kleine Wanderungen geschafft, aber schließlich ist das Wetter immer ein Unsicherheitsfaktor in den Bergen. Und wir waren ja auch keine sponsorenfinanzierte Himalaya-Expedition mit Gipfelzwang! Uns ging es hauptsächlich darum, etwas zu erleben, das heutzutage sehr selten geworden war: die Ruhe im Gebirge, die man nur erleben kann, wenn die Tageswanderer wieder im Tal sind, wenn man allein ist, entweder im Biwak oder eben in einer Selbstversorgerhütte, die Ruhe, die man auch auf einer Alpenvereinshütte eben nicht findet, besonders wenn einige »Bergkameraden« mal wieder eine Bergsteigerunterkunft mit einem Bierzelt verwechseln. Wir haben diese Ruhe gefunden, unsere Batterien damit aufgeladen und wir wissen, dass wir lange davon werden zehren müssen.Wieder zurück in der sogenannten Zivilisation, sieht man bestimmte Dinge wieder mit ganz anderen Augen: Duschen, die mit einem Griff warmes Wasser spenden; Toiletten, die man ohne Bergstiefel und Regenschirm erreichen kann; Schalter, die durch einfaches Drücken Licht entstehen lassen. Doch wenn man dann abends im Bett liegt und die hupenden Autos hört, wünscht man sich insgeheim zurück an einen Ort, an dem aus der nächtlichen Stille das Plätschern eines Brunnens durch das Fenster dringt – und sonst kein anderes Geräusch!
Vorausgesetzt, es regnet gerade nicht…
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Peter Kuhn
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