70 Jahre Eiger-Nordwand
© BERGSTEIGER
Der Hinterstoißer-Quergang gilt als eine der Shclüsselstellen an der Eiger-Nordwand
Der Hinterstoißer-Quergang gilt als eine der Shclüsselstellen an der Eiger-Nordwand
Betrachtet man die Ersteigungsgeschichte der Eiger-Nordwand und geht dabei gedanklich die Jahrzehnte durch von den ersten Versuchen bis zu den heutigen Schnell-Begehungen, so wird eines ganz besonders deutlich: An dieser Wand lässt sich nicht nur die alpine Entwicklungsgeschichte ablesen, sondern vor allem erhält man einen einzigartigen Einblick in den Zeitgeist und die Charaktere der jeweiligen alpinistischen Epoche. Gesellschaftliche Hintergründe, verschiedenste Motivationen, die Bereitschaft, Strapazen und Gefahren auf sich zu nehmen, und ungeheure Leidensfähigkeit – all das wird sichtbar.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Annahme, der stärkste Beweggrund für die Durchsteigung der Eiger-Nordwand sei Geltungssucht oder Prestigedenken gewesen, ist schlichtweg falsch!! Eigentlich waren ja die dreißiger Jahre der ideale Nährboden, die Wand ausschließlich aus dem Wunsch heraus anzugehen, etwas darzustellen, sich hervorzutun und Ruhm zu erlangen. Beruflich gab es nur eingeschränkte Perspektiven, und wer nicht parteipolitisch Karriere machen wollte oder sich in zensierter Kunst und Kultur auszudrücken bereit war, für den blieb nicht allzu viel. So ist es nur zu verständlich, wie gut es getan haben muss, im Alpinismus seine Möglichkeiten zu suchen. Gewiss stieg das Selbstwertgefühl der vier Erstbegeher von 1938, als durch Propaganda und Medieninteresse eine Weltöffentlichkeit an dieser Leistung Anteil nahm. Und dass die Trennlinie zwischen dem Stolz, eine solche Aufwertung zu erfahren, und der Vereinnahmung für die unsäglichen Ziele der Nationalsozialisten schmaler war als der Gipfelgrat am Eiger selbst, ist hinlänglich bekannt und ausgeleuchtet worden.
Mit der Eiger-Nordwand hatte sich Anderl Heckmair endgültig als Kandidat des erfüllten, des prallen Lebens gefunden und nicht als Kandidat des Todes, wie den Akteuren damals so oft unterstellt wurde!
Es ist durchaus nachzuvollziehen, dass Eigerwand-Aspiranten als Todeskandidaten eingestuft wurden. Denn groß ist die Zahl derer, die ihr Leben verloren in der »Mordwand«, wie sie gern reißerisch in der Presse tituliert wurde. Unvorstellbare Dramen spielten sich meist hinter einem Nebelvorhang ab oder boten bisweilen durch die Fernrohre der Kleinen Scheidegg für Voyeure ein makaberes Schauspiel. Auch die Versuche noch vor der Erstbegehung waren gekennzeichnet von ums Leben gekommenen Protagonisten und der unfassbaren Leidensgeschichte des Toni Kurz. So bekam die Eigerwand schon früh den morbiden Nimbus, an dem auch der kaltschnäuzige Rückzug eines Hias Rebitsch und Ludwig Vörg von sehr weit oben im Jahr 1937 nichts änderte. »Wäre Hias nicht zum Nanga Parbat gefahren und hätte lieber mit mir die Nordwand gemacht, wir wären sicher mit einem Biwak durchgekommen, vielleicht sogar in einem Tag«, war sich Anderl Heckmair später sicher.
Es sollte also die Wand der Könner sein, der besten Eis- und Felsgeher. Das »Who’s who« der Bergsteigerelite fand sich an der Heckmair-Route ein, um das überaus starke Erlebnis dieser Tour zu erfahren, sich an ihr zu messen, auch um das endgültige Reifezeugnis des vollkommenen Alpinisten zu erwerben, das unausgesprochen und einhellig ein gelungener Durchstieg bedeutete! Alle nahmen Eindrücke aus der Wand mit, die sie ihr Leben lang nicht mehr loslassen sollten. Walter Spitzenstätter beispielsweise, dem dies zusammen mit Otti Wiedmann 1962 gelang, erinnert sich ohne lange zu überlegen an die Einzelheiten: »Damals hatte die Eiger-Nordwand den höchsten Stellenwert, jeder wollte sie machen! Irgendwie war alles aufregend. Wie Heckmair und Co. lagen wir im Zelt bei Alpiglen, studierten die Wand, holten den Wetterbericht ein und hörten im Radio, dass die Berliner Mauer gebaut wurde! Die Verhältnisse waren gut, wir kamen locker mit einem Biwak durch. Die Schlüsselpassagen waren sehr eindrucksvoll! Ich habe über 1000 Ausstiege gemacht, aber die Eiger-Nordwand ist etwas, was man nicht mehr vergisst!«
Ja, durch die Eiger-Nordwand erhalten bergsteigerische Höchstleistungen nochmals ein neues Gewicht. Alle Maßstäbe sind hier anders. Nirgendwo auf dieser Welt findet man eine derart alpinistische Dimension, die so nahe und unvermittelt aus einer zivilisiert-lieblichen Umgebung in die Höhe ragt. Am Fuße des gigantischen Konkavs aus Fels und Eis befinden sich die stilvollen Hotels der Kleinen Scheidegg. Hier kamen sie alle vorbei, die großen Namen des Alpinismus, von hier aus wurden sie beobachtet bei ihren spektakulären Taten, bei ihren Rekorden. So, als Reinhold Messner mit Peter Habeler bewies, dass man die Wand an einem Tag als Seilschaft durchsteigen kann, dass man am Nachmittag schon wieder auf der Terrasse der Scheidegg in der warmen Sonne sitzen kann statt kalte Biwaknächte überstehen zu müssen. Oder als die Alleingänger Thomas Bubendorfer und Reinhard Patscheider 1983 jeweils die Wand in unter fünf Stunden durcheilten. Auch Catherine Destivelle logierte 1992 in der Atmosphäre der »Belle Epoque«, bevor sie sich als Alleingängerin der Heckmair-Route stellte.
Das ist die neue Zeit, die neue Generation. Eine sichtbare Leichtigkeit in der sonst so düsteren Wand. Den Top-Athleten vorbehalten. Aber die Eiger-Nordwand wird auch immer die Wand des Scheiterns bleiben.
Doch ist man wirklich gescheitert, wenn man die Größe hat umzukehren? Nein, ganz sicher nicht. Denn alle, die den Rückzug antreten mussten und heil aus der Wand kamen, sei es wegen schlechten Wetters, widriger Verhältnisse oder mangelnder Tagesform, sind innerlich gewachsen, haben an Format dazu gewonnen. Vor allem aber haben sie sich wie einst die Pioniere, wie alle, die sich in ihr versuchten, in eindrücklicher Form selbst erfahren. An einer Wand, die nach wie vor großen Alpinismus ermöglicht und deren Mythos weiterleben wird.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Annahme, der stärkste Beweggrund für die Durchsteigung der Eiger-Nordwand sei Geltungssucht oder Prestigedenken gewesen, ist schlichtweg falsch!! Eigentlich waren ja die dreißiger Jahre der ideale Nährboden, die Wand ausschließlich aus dem Wunsch heraus anzugehen, etwas darzustellen, sich hervorzutun und Ruhm zu erlangen. Beruflich gab es nur eingeschränkte Perspektiven, und wer nicht parteipolitisch Karriere machen wollte oder sich in zensierter Kunst und Kultur auszudrücken bereit war, für den blieb nicht allzu viel. So ist es nur zu verständlich, wie gut es getan haben muss, im Alpinismus seine Möglichkeiten zu suchen. Gewiss stieg das Selbstwertgefühl der vier Erstbegeher von 1938, als durch Propaganda und Medieninteresse eine Weltöffentlichkeit an dieser Leistung Anteil nahm. Und dass die Trennlinie zwischen dem Stolz, eine solche Aufwertung zu erfahren, und der Vereinnahmung für die unsäglichen Ziele der Nationalsozialisten schmaler war als der Gipfelgrat am Eiger selbst, ist hinlänglich bekannt und ausgeleuchtet worden.
Eiger-Erstbegehung: eine gewaltige Erfahrung
Wer aber das Glück hatte, intensive, weitergehende Gespräche mit Anderl Heckmair zu führen, der erfasste, wie wenig Heckmair letztlich der Erfolg der Erstbegehung bedeutet hat. Was ihn indes bis ins hohe Alter aufgewühlt jene Tage erinnern ließ, waren ganz andere Dinge. Es waren die Erfahrungen, die er mit sich selbst machen konnte: zu spüren, dass Mut, mentale Stabilität und optimale Physis ausreichten, um diese gewaltige Herausforderung anzunehmen. Da war die Planung, das Tüfteln an der Ausrüstung, das Lernen aus den Fehlern jener, die es schon gewagt hatten und gescheitert waren. Da gab es das Treffen mit Hias Rebitsch in dem Bewusstsein, dass wenn sich die Besten zusammentäten, es gelingen müsse. Da war das Training mit guten Partnern, bei dem Freundschaften entstanden und bestehende vertieft wurden. Da war das Unterwegssein zum Berg, das Leben im Zelt oberhalb Alpiglen, das Gefühl der Freiheit und der Spannung vor dem Einstieg. Dann die Kletterei selbst mit großen bergsteigerischen wie zwischenmenschlichen Hürden, die dramatischen Stunden bei Steinschlag und Lawinen, die Heckmair das Äußerste abverlangten, für sich und seine Seilgefährten den Weg nach oben, zurück ins Leben, zu eröffnen. All das war so intensiv, so voller Energie, so weit weg von einer normalen bürgerlichen Daseinsform und so viel mehr wert als die Tatsache, der Erste gewesen zu sein, der die Wand begangen hat.Mit der Eiger-Nordwand hatte sich Anderl Heckmair endgültig als Kandidat des erfüllten, des prallen Lebens gefunden und nicht als Kandidat des Todes, wie den Akteuren damals so oft unterstellt wurde!
Es ist durchaus nachzuvollziehen, dass Eigerwand-Aspiranten als Todeskandidaten eingestuft wurden. Denn groß ist die Zahl derer, die ihr Leben verloren in der »Mordwand«, wie sie gern reißerisch in der Presse tituliert wurde. Unvorstellbare Dramen spielten sich meist hinter einem Nebelvorhang ab oder boten bisweilen durch die Fernrohre der Kleinen Scheidegg für Voyeure ein makaberes Schauspiel. Auch die Versuche noch vor der Erstbegehung waren gekennzeichnet von ums Leben gekommenen Protagonisten und der unfassbaren Leidensgeschichte des Toni Kurz. So bekam die Eigerwand schon früh den morbiden Nimbus, an dem auch der kaltschnäuzige Rückzug eines Hias Rebitsch und Ludwig Vörg von sehr weit oben im Jahr 1937 nichts änderte. »Wäre Hias nicht zum Nanga Parbat gefahren und hätte lieber mit mir die Nordwand gemacht, wir wären sicher mit einem Biwak durchgekommen, vielleicht sogar in einem Tag«, war sich Anderl Heckmair später sicher.
Eiger-Nordwand: nur für die Besten
So ein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, gepaart mit absoluter Fitness und großer Erfahrung, scheint bis heute der Schlüssel zu sein, um unbeschadet die Wand zu packen. Das meint auch Kurt Amacher, Chef der Bergrettung Grindelwald: »Heckmairs enormes Können und seine Überlegenheit am Berg haben schlussendlich den Erfolg gebracht. Ohne Anderl hätte die Erstbegehung zu 99,5 Prozent wohl nicht geklappt, hätte vielleicht wieder ein schlimmes Ende genommen! Man muss mit großer Verantwortung vorgehen, Respekt haben vor der Tour – und der hat heute leider deutlich abgenommen. Man muss so gut und schnell sein, dass man am ersten Tag mindestens bis zum Götterquergang kommt, sonst sind Probleme vorprogrammiert.« Und dann müssen die Retter ihre gefährlichen Einsätze fliegen. »Die Zahl hat eindeutig zugenommen«, sagt Amacher, »im Schnitt bergen wir sechs bis acht Mal pro Jahr Alpinisten aus der Wand.«Es sollte also die Wand der Könner sein, der besten Eis- und Felsgeher. Das »Who’s who« der Bergsteigerelite fand sich an der Heckmair-Route ein, um das überaus starke Erlebnis dieser Tour zu erfahren, sich an ihr zu messen, auch um das endgültige Reifezeugnis des vollkommenen Alpinisten zu erwerben, das unausgesprochen und einhellig ein gelungener Durchstieg bedeutete! Alle nahmen Eindrücke aus der Wand mit, die sie ihr Leben lang nicht mehr loslassen sollten. Walter Spitzenstätter beispielsweise, dem dies zusammen mit Otti Wiedmann 1962 gelang, erinnert sich ohne lange zu überlegen an die Einzelheiten: »Damals hatte die Eiger-Nordwand den höchsten Stellenwert, jeder wollte sie machen! Irgendwie war alles aufregend. Wie Heckmair und Co. lagen wir im Zelt bei Alpiglen, studierten die Wand, holten den Wetterbericht ein und hörten im Radio, dass die Berliner Mauer gebaut wurde! Die Verhältnisse waren gut, wir kamen locker mit einem Biwak durch. Die Schlüsselpassagen waren sehr eindrucksvoll! Ich habe über 1000 Ausstiege gemacht, aber die Eiger-Nordwand ist etwas, was man nicht mehr vergisst!«
Eiger im Winter und solo
Natürlich bekam die Route der Erstdurchsteiger die begehrten Wiederholungen mit besonderer Anforderung: 1961 durchstiegen Walter Almberger, Toni Hiebeler, Toni Kinshofer und Anderl Mannhardt die Riesenmauer im Winter. 1963 gelang dem jungen Schweizer Bergführer Michel Darbellay die erste Alleinbegehung, nachdem es zuvor Fehlversuche von anderen mit leider auch wieder tragisch-tödlichem Ausgang gegeben hatte. Selbst der Ausnahmealpinist Walter Bonatti musste seinen Versuch einer Alleinbegehung aufgeben! Mehr Glück hatte Daisy Voog, die als erste Frau zusammen mit Werner Bittner 1964 über die klassische Route den Gipfel erreichte!Ja, durch die Eiger-Nordwand erhalten bergsteigerische Höchstleistungen nochmals ein neues Gewicht. Alle Maßstäbe sind hier anders. Nirgendwo auf dieser Welt findet man eine derart alpinistische Dimension, die so nahe und unvermittelt aus einer zivilisiert-lieblichen Umgebung in die Höhe ragt. Am Fuße des gigantischen Konkavs aus Fels und Eis befinden sich die stilvollen Hotels der Kleinen Scheidegg. Hier kamen sie alle vorbei, die großen Namen des Alpinismus, von hier aus wurden sie beobachtet bei ihren spektakulären Taten, bei ihren Rekorden. So, als Reinhold Messner mit Peter Habeler bewies, dass man die Wand an einem Tag als Seilschaft durchsteigen kann, dass man am Nachmittag schon wieder auf der Terrasse der Scheidegg in der warmen Sonne sitzen kann statt kalte Biwaknächte überstehen zu müssen. Oder als die Alleingänger Thomas Bubendorfer und Reinhard Patscheider 1983 jeweils die Wand in unter fünf Stunden durcheilten. Auch Catherine Destivelle logierte 1992 in der Atmosphäre der »Belle Epoque«, bevor sie sich als Alleingängerin der Heckmair-Route stellte.
Die neue Leichtigkeit
Andreas von Allmen, Hotelier auf der Kleinen Scheidegg, sieht auch die wichtigste Veränderung: »Der neue Trend sind die Begehungen im Winter. Die Akteure minimieren das Risiko des Steinschlags und nutzen die stabilen Winterhochs. Aufgrund der guten Ausrüstung und neuer Technik (›dry tooling‹) kommen sie meist sehr schnell durch.« Und wie schnell! Die jüngsten Rekorde sind atemberaubend und kaum noch zu begreifen. Ueli Steck, der jeden Stein in der Eiger-Nordwand kennt, übertraf in diesem Jahr seinen eigenen Rekord – mit 2:47 Stunden einer Fabelzeit, vergleichbar mit Bob Beamons Superweitsprung-Weltrekord über 8,90 Meter von 1968. »Ich war in einem Flow-Zustand, brauchte Tage, um es richtig zu realisieren.« Ähnlich ging es Roger Schäli und Simon Anthamatten! Als Seilschaft erreichten sie nach 6:45 Stunden den Gipfel. »Am Ende sind wir fast gerannt – es war eine der schönsten Aktionen, so mit einem Freund zu klettern«, sagte Roger Schäli danach!Das ist die neue Zeit, die neue Generation. Eine sichtbare Leichtigkeit in der sonst so düsteren Wand. Den Top-Athleten vorbehalten. Aber die Eiger-Nordwand wird auch immer die Wand des Scheiterns bleiben.
Doch ist man wirklich gescheitert, wenn man die Größe hat umzukehren? Nein, ganz sicher nicht. Denn alle, die den Rückzug antreten mussten und heil aus der Wand kamen, sei es wegen schlechten Wetters, widriger Verhältnisse oder mangelnder Tagesform, sind innerlich gewachsen, haben an Format dazu gewonnen. Vor allem aber haben sie sich wie einst die Pioniere, wie alle, die sich in ihr versuchten, in eindrücklicher Form selbst erfahren. An einer Wand, die nach wie vor großen Alpinismus ermöglicht und deren Mythos weiterleben wird.
Uli Auffermann
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 08/2008. Jetzt abonnieren!
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