Es war an einem eisigen Neujahrstag 1997, als die drei Bertele-Brüder hineingezogen wurden in königliche Familien-Angelegenheiten. Fernab von ihnen lag an der Côte d’Azur ein hoher Adeliger im Sterben: der kinderlose Prinz Eugen von Bayern, Ur-Ur-Enkel von König Ludwig I. von Bayern. Somit besaß der sterbende Prinz große Ländereien – darunter auch die
Willersalpe im Allgäu. Dort hatte einer der drei Brüder, Markus, bereits mehrere Sommer lang im Stall gearbeitet, begeistert vom Leben in den Bergen.
»Als wir gehört haben, dass der Prinz Eugen gestorben ist und die
Willersalpe zum Verkauf stand, haben wir gleich eine Familiensitzung mit Vater und Mutter einberufen«, erinnert sich Christian. Der Vater, ein früherer Postbeamter, sagte seinen Söhnen das nötige Geld zu. Und so kauften sie die Alpe mitsamt 312 Hektar Grund, um dort auf knapp 1500 Metern Höhe ihr eigenes kleines Reich zu errichten.
»Anfangs war’s finanziell schon knapp«, erinnert sich Christian. Seine Mähne von damals hat er etwas gestutzt, nichtsdestotrotz wirkt der 48-Jährige wie ein Student im höheren Semester, der eine etwas kurze Nacht hinter sich hat.
Sennerei unter der Gaststube mit Kerzenlicht: die Willersalpe bei Hinterstein im Oberallgäu
Willersalpe: Ein Haufen Arbeit und Konflikte
Tatsächlich kamen die drei Brüder nach dem Kauf der Alm nur wenig zum Schlafen. Denn eine Besonderheit der Hütte ist ihre doppelte Nutzung: Zum einen dient sie als Alm für Kühe mit Stall und einer Käserei im Erdgeschoss; zum anderen als Gaststube und Schlafstatt für Wanderer. Für letztere birgt diese Nähe zur Landwirtschaft einen besonderen Reiz: Schon an der Eingangstüre steigt ihnen der süßliche Geruch frischer Milch in die Nase und durch eine offene Tür können sie beim Käsemachen zuschauen.
Für die Bertele-Brüder bedeutet die Doppelnutzung vor allem harte Arbeit. In den ersten Jahren begannen die Tage um 4.45 Uhr früh mit dem Melken; und es konnte schon mal drei Uhr nachts werden, denn bis heute ist das Prinzip der Willersalpe simpel: Warmes Wasser, Strom oder anderen Luxus gibt es für die Gäste keinen, dafür aber umso mehr Raum für Geselligkeit – zumindest für die Gäste.
Für Käse zuständig: Senn Markus
»Die ersten Sommer haben wir drei uns fast nicht gesehen«, erinnert sich Christian, »höchstens mal beim Abklatschen auf der Treppe, während wir hoch und runter gehetzt sind.« An den Wochenenden holten sie Freunde aus dem Tal zum Helfen. »Meiner Freundin hab’ ich einfach gesagt: mit gehangen, mit gefangen’«, erzählt Christian, »für sie war’s auch einfach: Nach einem Jahr war sie weg.«
Auch zwischen den Brüdern brachte die Belastung Konflikte. Deswegen beschlossen sie, ihre Aufgaben zu trennen. Markus, mit 42 Jahren der Jüngste, kümmert sich um Käserei und Landwirtschaft: 76 Stück Jungvieh und 24 Milchkühe, die jeden Tag etwa 250 Liter Milch geben. Christians und Stefans Reich liegt eine schmale Holztreppe höher: die Gaststube, in der abends die Kerzen flackern. Anderes Licht gibt es nicht.
Essen auf Hufen
»Meine Stimmung im Sommer ist leicht auszurechnen: Wenn das Geschäft läuft, geht’s mir gut – wenn nicht, dann nicht«, erklärt Christian. Mit dem Gastbetrieb von Anfang Mai bis Ende Oktober verdient er gerade genug, um den Winter in Asien zu verbringen. Der älteste Bruder Stefan (52) indes strahlt mit seinem Vollbart und den langen grauen Haaren, die von einem Stirnband aus dem Gesicht gehalten werden, die Ruhe eines Mönchs in Lederhose aus.
Er pflegt die letzte große Besonderheit der Willersalpe: den Lebensmittel-Transport mit den Pferden. Da weder eine Straße noch eine Materialseilbahn die Alm erschließen, sind die Berteles auf die Hilfe ihrer Lasttiere angewiesen. So legt Stefan auch an diesem Tag seinen Haflinger-Stuten Wanga und Melly die 30 Kilo schweren Sättel der Schweizer Armee auf und führt sie zusammen mit Esel Sandro ins Tal.
Das Essen kommt auf Hufen
Dort lädt er den Tieren neben Nudel- und Müslipackungen vor allem Bierfässer auf, um daraufhin begleitet vom Bimmeln ihrer Glocken zurück zur Alm zu ziehen. Die meisten Touristen, denen die kleine Karawane begegnet, zücken begeistert ihre Fotoapparate. Doch neulich bemitleidete eine Frau die schwer tragenden Tiere – sehr zur Verwunderung von Christian. »Die Pferde haben hier eine neun-Stunden-Woche, mit denen würde ich sofort tauschen«, frotzelt er. Ihr Arbeitsplatz ist auch gesichert; dank der
wachsenden Beliebtheit des Wanderziels.
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