Der Zirbenweg über Innsbruck und Hall | BERGSTEIGER Magazin
Wandern in den Tuxer Voralpen

Der Zirbenweg über Innsbruck und Hall

So beliebt die Aussichtsgipfel Glungezer und Patscherkofel sind, so einsam ist man bisweilen auf den Wanderwegen über Gipfel und Grate, durch Zirbenwälder und Hochtäler in den Tuxer Voralpen unterwegs.
Von Franziska Baumann
 
Hochgenuss: Wandern am Patscherkofel beschert herrliche Aussichten. © Gerald Aichner (2), pixelio
Hochgenuss: Wandern am Patscherkofel beschert herrliche Aussichten.
Weiß, rundlich und zuckersüß – in der Innsbrucker Altstadt präsentiert sich der Patscherkofel zum Reinbeißen. Michael Kaufmann hat die verführerische Kreation aus Himbeeren, Vanillecreme und Baisermasse geschaffen. Das Törtchen »Patscherkofel« ist in seiner Konditorei »Zimt & Zucker« der Renner. Doch die Innsbrucker lieben ihren »Kofl« nicht nur als süße Versuchung. Die Berggestalt mit der baumlosen Gipfelkuppe und dem Antennenstachel ist aus der Kulisse der Tiroler Landeshauptstadt nicht wegzudenken. Der Patscherkofel ist Aussichtsgipfel mit fantastischem Panorama, Familienberg mit leichten Wanderwegen und Skigebiet vor ihrer Haustüre. Dort folgen Wintersportler den Spuren von Skilegenden wie Karl Schranz, Willy Bogner und Franz Klammer. Bei den Olympischen Winterspielen 1964 und 1976 in Innsbruck wurden die Herrenabfahrtsläufe am Patscherkofel ausgetragen.

Noch länger reicht die Geschichte der Patscherkofelbahn mit ihrer Talstation in Igls zurück. Sie ging 1928 in Betrieb und ermöglichte es den Kurgästen und Sommerfrischlern, die Igls auf der aussichtsreichen Mittelgebirgsterrasse über Innsbruck bereits seit der Jahrhundertwende für sich entdeckt hatten, bequem auf fast 2000 Meter hinaufzuschweben. Als in den 1960er- Jahren auch der benachbarte Glungezer mit einem Sessellift erschlossen wurde, lag es nahe, beide Bergstationen mit einem Wanderweg zu verbinden.

Hochalpine Überlebenskünstler in den Tuxer Alpen

Dies war die Geburtsstunde des Zirbenwegs, eines Höhenwegs, der seinem Namen alle Ehre macht. Wie eine Promenade verläuft er auf einer Höhe von gut 2000 Metern und lädt zum genüsslichen Berg- Sightseeing ein – ohne große Steigungen, bequem angelegt und ausgesprochen aussichtsreich. »Der Zirbenweg ist für jedermann begehbar, von jung bis alt«, bestätigt Peter Brugger. Er bewirtschaftet in dritter Generation den Alpengasthof Boscheben, der direkt am Zirbenweg liegt. Den Ausblick hinunter ins Inntal und hinüber auf den felsigen Wall des Karwendels kennt er von Kindesbeinen an. Er begeistert ihn auch heute noch.

Doch nicht nur das Panorama macht den Zirbenweg zu einer der beliebtesten Wanderungen im Süden von Innsbruck und der ehemaligen Salzstadt Hall. Er führt durch einen der größten zusammenhängenden Zirbenbestände der Ostalpen, eine urwüchsige Landschaft wie aus einer anderen Zeit. Felsblöcke, überzogen mit giftgrünen Flechten, liegen verstreut. Die Erosion hat aus dem Urgestein abstrakte Kunstwerke geschaffen. Alpenrosenstauden sorgen im Juni für leuchtend rote Farbtupfer. Bizarr geformte Wurzelstöcke und knorrige Baumskulpturen säumen den Weg. Immer wieder sind Zirben vom Überlebenskampf an ihrem hochalpinen Standort gezeichnet, gebeugt und zerzaust vom Wind, zerrissen von einem Blitzeinschlag. Die dicke, graubraune Rinde ist von Furchen durchzogen wie die rissige Haut eines Greises. Manche der Zirben-Methusalems haben bereits den Bau der Hofburg und des Goldenen Dachls – zweier Innsbrucker Wahrzeichen – im Mittelalter erlebt und standen an Ort und Stelle, als in der Münze zu Hall 1486 der erste Taler geprägt wurde. Die ältesten Bäume im Zirbenurwald an den Hängen von Patscherkofel und Glungezer sind rund 800 Jahre alt. An einem sonnigen Tag hängt eine harzige Duftwolke über dem Wald und weckt Assoziationen an einen Saunaaufguss, eine Zirbelstube oder an einen Zirbenschnaps, der leicht bitter und brennend die Kehle hinunter rinnt.

Ihn genießt man am besten bei Peter Brugger auf Boscheben. Er setzt den rötlichen Schnaps selbst an. »Die größte Herausforderung ist die, an die dazu benötigten Zapfen zu kommen«, erzählt er. Bis zu den Wipfeln der Zirben müssen er und seine Helfer dazu klettern, mit größter Vorsicht, denn die weichen Äste der Bäume brechen leicht. Rund um den Zirbenweg spinnt sich ein Wanderwegenetz, das Varianten nach jedem Geschmack ermöglicht. Für Gipfelsammler sind die »Seven Tuxer Summits« genau das Richtige – sieben Gipfel auf einen Streich in einer großartigen Kammüberschreitung von der Glungezerhütte in die Wattener Lizum. Die Route von München nach Venedig führt über den Grat genauso wie der Inntaler Höhenweg, den Gerald Aichner, Vorsitzender der Alpenvereinssektion Hall, vor fünf Jahren begründet hat. In unmittelbarer Nähe des geschäftigen Inntals erkunden Wanderer sechs Tage lang die wenig besuchten Tuxer Voralpen und übernachten auf kleinen, gemütlichen Hütten. Gerald Aichner kennt im Gebirge vor seiner Haustüre beinahe jeden Winkel. Er schätzt das Unberührte des Gebiets, seine stillen Ecken, die ursprüngliche Landschaft. »Wer die Hauptwege verlässt, trifft oft keine Menschenseele«, ist seine Erfahrung.

Genuss für Augen und Gaumen auf der Glungezer Hütte

Richtig einsam geht es auf dem Glungezer selten zu. In den 1950er- und 1960er- Jahren galt er als einer der meist besuchten Skigipfel in Nordtirol und wurde gar als Münchner Hausberg angesehen, so viel Besuch bekam er aus Bayern. Auch die Glungezerhütte, deren flacher Bau in einem Sattel unter dem Glungezer steht, verdankt ihre Anfänge dem Skisport. Sie entstand aus einem Starthaus, das 1932 für die erste FIS-Ski-WM in Innsbruck errichtet worden war. Heute erfreut sie sich auch im Sommer regen Zuspruchs. Es hat sich herumgesprochen, dass die höchstgelegene Gipfelhütte des Österreichischen Alpenvereins in Tirol eine fantastische Fernsicht zu bieten hat. Hüttenwirt Gottfried Wieser berichtet von einem Versuch, alle Gipfel im Panorama des Glungezer zu zählen. »Bei 500 haben wir aufgehört.« Auf der Glungezerhütte lässt sich auch manch kulinarische Entdeckung machen. Der Favorit vieler Gäste sind Spaghetti Kathmandu, kreiert von einem der Sherpas, die auf der Hütte mitarbeiten. Als Digestif bietet sich natürlich ein Zirbenschnaps an – und als Dessert zurück im Tal der Patscherkofel als süße Verführung.
Franziska Baumann
 
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