Erste Hilfe am Berg Teil 10: Versorgung eines Lawinenopfers
Alpine Erste Hilfe

Erste Hilfe am Berg Teil 10: Versorgung eines Lawinenopfers

Trotz größter Vorsicht, guter Tourenplanung und Aufmerksamkeit auf Skitour oder beim Schneeschuhwandern, kann es zu Lawinenabgängen kommen. Wird dabei eine Person verschüttet, ist schnelle Hilfe durch die Kameraden gefragt. 

 
Menschen schaufeln Lawinenopfer frei © Daniela Hornsteiner
Die Atemwege müssen immer möglichst schnell freigelegt werden.

Voraussetzung für eine schnelle Kameradenbergung ist, dass jeder auf jeder Tour die komplette Lawinenausrüstung dabei hat:

• ein funktionstüchtiges Lawinenverschüttetengerät mit mindestens 50 Prozent Batterieleistung
• eine Lawinenschaufel aus Metall
• eine stabile Sonde mit min. 2,40 Meter Das LVS-Gerät wird zu Beginn der Tour eingeschaltet, die Funktionstüchtigkeit und Batterieleistung wird mittels eines großen LVS-Checks sichergestellt.
Jeder sollte zur Beginn der Skitouren- oder Schneeschuhsaison einen Tag in einem Kurs oder mit Freunden die LVS- Suche, das Sondieren und Ausschaufeln üben!
 

→ Finden und ausgraben

Kommt es zu einem Lawinenabgang mit einem oder mehreren Verschütteten, ist die Kameradenrettung sofort einzuleiten. Zeit ist in diesem Fall Leben!

Im Körper ist nach dem Eintreten von Sauerstoffmangel noch für etwa drei Mi- nuten genügend Sauerstoff vorhanden, um das Gehirn ausreichend zu versorgen. Danach sinkt die Überlebenschance mit jeder abgelaufenen Minute ohne Sauerstoffzufuhr um etwa 10 Prozent. Statistisch gesehen hat ein Verschütteter damit in den ersten zehn bis 15 Minuten die höchste Chance zu überleben. Danach sinkt diese eklatant.

Damit ist auch klar, dass nur die Menschen das Leben der verschütteten Person retten können, die mit auf Tour sind, wenn der Unfall passiert. Es kann nicht oft genug betont werden, wie überlebenswichtig es ist, dass jeder wirklich gut mit seinem LVS-Gerät umgehen kann und die verschüttete Person schnell punktgeortet hat. Auch das zielgerichtete Sondieren und die richtige Schaufelmethode können den Unterschied zwischen Leben und Tod machen.
 

Notruf absetzen

Während die Kameraden sofort auf LVS-Suche gehen, sollte eine Person so schnell wie möglich einen Notruf absetzen. Je schneller der Notruf abgesetzt wird, desto schneller ist professionelle Hilfe mit allen benötigten Hilfsmitteln einschließlich Lawinenhunden und so weiter vor Ort.
 

Immer zum Kopf hin schaufeln!

• Beim Schaufeln solltest du nicht von oben an der Sonde entlang nach un- ten ein Loch zur verschütteten Person schaufeln, sondern von seitlich zur Person hin ein Podest bzw. eine große ache Stelle graben. Damit stellst du sicher, dass
– ihr möglichst nicht auf der verschüt- teten Person steht und dadurch die Atemhöhle zerstört.
– ihr die verschüttete Person seitlich heraus holen könnt, anstatt mühsam zu versuchen, sie nach oben heraus zu heben.
• Sobald du mit der Schaufel Kontakt zum Körper hast, schaffe dir eine Übersicht in welcher Richtung der Kopf liegt – schaufle in diese Richtung.
• Sei trotz deiner Aufregung und deines Adrenalinspiegels vorsichtig, damit du keine Zusatzverletzung zufügst.

Sprich mit der verschütteten Person. Sie kann dich hören. Sie ist gerade in ihrer persönlichen Hölle, es ist dunkel, sie kann sich nicht bewegen und sie hat wahrscheinlich nicht genug Luft zum Atmen. Allein dadurch, dass sie dich hört, entsteht Hoffnung, Kraft zum Durchhalten und Wachbleiben, sie weiß, sie ist nicht allein, ihr wird geholfen und sie wird wieder Tageslicht sehen. Erzähl ihr was du machst, beruhige sie, dass du da bist und sie so schnell wie möglich befreist! 


Beim Freilegen einer verschütteten Person immer von der Seite graben. Foto: Daniela Hornsteiner

Atemhöhle vorhanden?

Hast du dich zum Kopf vorgearbeitet, leg diesen vorsichtig frei. Wenn möglich, achte darauf, ob sie eine Atemhöhle hat; d. h. einen freien Raum vor dem Mund. Greif gerne kurz an die Decke dieser Atemhöhle und schau, ob diese leicht angefroren ist, ähnlich wie im Gefrierfach die Wände. Das bedeutet, dass die Person nach der Verschüttung noch geatmet hat.
 

→ Versorgen und betreuen

Sprich die Person entsprechend des Erste-Hilfe-Algorithmus an. Hast du eine Reaktion, spricht sie sogar mit dir, ist das der beste Grund aufzuatmen. Dann:
 
• grabe sie komplett frei
• frage nach Schmerzen und führe einen Body-Check durch
• versorge sie entsprechend der Verlet- zungen
• packe sie warm ein
• und betreue sie mit Herzenswärme, sei für sie da
• wartet gemeinsam auf die Bergrettung
• Reagiert die Person nicht mehr oder kaum, führe eine Atemkontrolle durch und lege die Person anschließend komplett frei.
• Atmet die Person noch regelmäßig, lege sie in die Seitenlage und kontrolliere alle 20 Sekunden die Atmung. Pack sie warm ein und sprich mit ihr weiter, bis die Bergrettung eintrifft. 
• Atmet die Person nicht mehr regelmäßig, leg sie flach auf den Rücken (du hattest dir ja ein Podest geschaufelt), lege den Oberkörper frei und beginne mit der Reanimation. Führe diese bis zum Eintreffen und der Übernahme durch die Rettungskräfte durch.

Hochwinterlawinen sind staubiger, luftiger und führen in der Regel wenig oder kein anderes Material mit sich. Zusatzverletzungen sind daher vor allem im Frühjahr und Spätfrühjahr wahrscheinlicher, wenn die schweren Nassschneelawinen, die am Grund abgehen, Steine, Felsen und Bäume mit sich führen. Ausnahme bilden schneearme Winter, in denen es zu Zusatzverletzungen durch Absturz über Felsen oder Felskanten kommt. 

Die Serie »Erste Hilfe am Berg« entsteht in Zusammenarbeit mit dem VDBS (Verband Deutscher Berg- und Skiführer) und der Firma Ortovox.

Ortovox bietet mit der Safety Academy kostenlose Online-Tutorials zu Sicherheitsthemen an und veranstaltet alpine Erste-Hilfe-Kurse mit der Autorin Daniela Hornsteiner an. Alle Termine gibt es hier.

Artikel aus Ausgabe 3/20. Hier geht es zurück zu Teil 9 der Serie und weiter zu Teil 11.
Daniela Hornsteiner
 
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