Ihr Lieblingsmagazin zum Vorteilspreis direkt vom Verlag:  Jetzt abonnieren

Stubaier Alpen: Die Tribulaune und ihre zwei Hütten entdecken

Wer sich in den Stubaier Alpen an der Grenze von Nord- und Südtirol ins Reich der Tribulaune aufmacht, erlebt zwei gleichnamige Hütten und eine faszinierend wilde Bergwelt mit einer ganz eigenen Geschichte.
Veröffentlicht am
Juni 30, 2025
Tribulaun Hütten Stubai Tal

Auf der Wiese vor dem CAI-Schutzhaus hat man den Pflerscher Tribulaun wahlweise im Rücken oder direkt vor der Nase.

Foto von  Günter Kast

Beim Aufstieg zum Pflerscher Tribulaun warten einige nicht ganz banale Quergänge – besser anseilen!
Foto von Günter Kast

»Deutlich schwieriger als der Normalweg auf die Große Zinne«, hatten er und Hanspeter gewarnt. Ja, da möchten wir nicht widersprechen. Die Wolkenfetzen, tun ein Übriges, um die mystisch-bedrohliche Stimmung zu verstärken. Im oberen Teil helfen zwei Drahtseile über die Schlüsselstellen hinweg.

Niemand weiß, wer sie vor langer Zeit montierte. Es war ein gewagter Versuch, aus einem echten Kletterberg einen domestizierten Touristenberg zu machen, was zum Glück misslang. Dann stehen wir am Gipfel. Und wundern uns abermals, wie es Watzmann-Ostwand-Ersttäter Johann Grill bereits 1874 hier hoch schaffte, zumal der »Kederbacher« barfuß unterwegs war. Im Gipfelbuch zählen wir die Einträge dieser Saison: noch immer nur zweistellig, dabei ist der Sommer schon bald vorbei. Ein Charakterberg eben.

Gut, dass uns Wirtin Daniela Eisendle (die mit Hanspeter nicht verwandt ist) nach dem fordernden Abstieg mit ihrem himmlischen Mürbteig-Apfelstrudel erstversorgt. Zu sagen, Daniela ist mit der Hütte aufgewachsen, wäre untertrieben. Der Sommer 2024 war ihre 52. (!) Saison.

Bereits als Achtjährige packte sie kräftig mit an, half den Eltern. Im Jahr 2000 übernahm sie dann mit ihrem Mann Fabrizio das CAI-Schutzhaus am Sandessee zu Füßen des Pflerscher Tribulaun. »Südtirol war damals noch nicht so wohlhabend«, erinnert sie sich. Wenn unten im Tal, wo ihre Mama eine Frühstückspension führte, deutsche Touristen kamen, brachten diese gebrauchte Kleidung für die Kinder der Eisendles mit: »Wir müssen wohl sehr arm ausgesehen haben«, lacht Daniela.

 

Gschnitzer Tribulaun
Beim Abstieg zur Hütte auf Nordtiroler Seite genießt man freie Sicht auf den Gschnitzer Tribulaun (2946 m).
Foto von Günter Kast
Beim Abstieg zur Hütte auf Nordtiroler Seite genießt man freie Sicht auf den Gschnitzer Tribulaun (2946 m).
Die Gschnitztaler Tribulaun-Hütte gehört den Naturfreunden.

 

Fakt ist: Oben am Sandesjöchl (Pflerscher Scharte) verläuft die Grenze zu Österreich, zu Nordtirol. Und diese war bis weit in die späten 1960er-Jahren äußerst sensibel.
Die Gschnitztaler Tribulaun-Hütte gehört den Naturfreunden.
Foto von Günter Kast
Tiroler schmuggelten Dynamit über die Pässe und Scharten, um ihre »Brüder« im Süden beim Widerstand gegen Italien zu unterstützen, der sich in Bombenattentaten und Anschlägen entlud.

 

»Eines Tages fanden wir am Joch Flugzettel mit dem Aufruf ›1 Tirol, los von Rom‹, die bis zur Hütte hinab schwebten«, erzählt Daniela.

 

»Wir haben nie herausgefunden, wer die Urheber waren.« Beamte der Guardia di Finanza seien vom Pflerschtal meist nur bis zur Hütte aufgestiegen, um sich eine Portion Pasta schmecken zu lassen. »Die Tiroler Grenzer waren hingegen strenger«, weiß Daniela. »Die hatten das Sandesjöchl stets im Auge.«

Verwechslungen inklusive

Damals markierten die Stubaier Alpen quasi den »Frontverlauf«. Die Lage beruhigte sich erst, nachdem Österreich den UN-Sicherheitsrat eingeschaltet hatte und der Autonomie-Status Südtirols 1972 ratifiziert war.

Man könnte meinen, es liege an dieser besonderen Historie, dass es zwei Hütten gleichen Namens gibt: eine auf Südtiroler Seite, die im Internet unter der Domain tribulaunhuette.com firmiert; und eine zweite mit der Domain www.tribulaunhuette.at,die man vom Nordtiroler Gschnitztal aus erreicht, einem Seitental des Wipptals.

Tatsächlich haben jedoch beide Schutzhäuser so viele Jahre auf dem Buckel und Umbauten hinter sich, dass die im Wortsinn explosiven 1960er-Jahre da nur eine Episode sind. Zwar gehört die I-Hütte dem CAI und die A-Hütte den Naturfreunden, aber ansonsten gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Beide werden von Frauen geführt, beide präsentieren sich im modernen Look, beide kommen mit gerade einmal etwas mehr als drei Dutzend Schlafplätzen übersichtlich und gemütlich daher.

 

Idyllische Lage: Die Südtiroler Tribulaunhütte am Sandessee
Foto von LOOKPHOTOS/ANDREAS STRAUSS
Idyllische Lage: Die Südtiroler Tribulaunhütte am Sandessee
Nur: Das hilft alles nichts, wenn den Wanderern nicht so recht bewusst ist, dass da eine Doublette lauert. »Eine Zeitlang hieß die Nordtiroler Hütte Tribulaun-Haus. Da war es einfacher«, sagt Daniela. »Doch mit den exakt identischen Namen kommt es immer wieder zu Verwechslungen und Reservierungen auf falscher Seite.«
So oder so wird es Zeit, die Nordtiroler Seite ins Visier zu nehmen. Spätestens beim Kartenstudium wird klar, dass es nicht nur zwei Hütten, sondern noch mehr Tribulaune gibt. Das »Tri-« deutet auf drei hin. Aber eigentlich ist das Trio ein Quartett, denn neben dem Pflerscher (3097 m), dem Gschnitzer (2946 m) und dem Obernberger (2780 m) gibt es noch den Kleinen Tribulaun (2492 m), was dann doch ziemlich verwirrend ist.

Außerdem verbinden zwei Wege Süd und Nord. Der eine führt über besagtes Sandesjöchl und ist einfach. Der andere umrundet den Pflerscher Tribulaun auf der Südseite auf dem sehr schmalen und luftigen Pflerscher Höhenweg, ehe er hinauf zur Schneetalscharte zieht, die hier die »A/I-Grenze« markiert.

Der Vorteil: Von hier ist es nur ein Katzensprung auf den Gschnitzer Tribulaun, der deutlich leichter zu ersteigen ist als sein großer Bruder, und der sich quasi im Vorbeigehen auf einem drahtseilversicherten Steig mitnehmen lässt. Der Nachteil: Der Abstieg ins westliche Schneekar ist ein Eiertanz auf losem Geröll.

Enge Familienbande

Umso mehr freut man sich über den Zieleinlauf an der Gschnitzer Tribulaunhütte, wo Verena Salcher bereits seit 14 Jahren die Chefin ist. Hüben wie drüben gilt jedoch: We are family! Bei Verena helfen ihre Eltern Josef und Maria Pranger, ihr Bruder Gerhard, Ehemann Wolfgang und Tochter.

Maria tatkräftig mit. Drei Generationen sorgen dafür, dass der Laden läuft. Auch Verena kennt das Problem mit den Doppelgängern. Und erklärt deshalb am Telefon sicherheitshalber, dass der Anrufer gerade auf der NORD-Tiroler Hütte reserviert habe. Dann ist sie auch schon wieder in der Küche und kümmert sich um die Hirtenmakkaroni, die es auch bei Daniela gibt, wo sie Maccheroni alla pastora heißen.

Nach dem Abendessen sollte man sich mit Verenas Papa zusammensetzen, denn Josef ist wie Daniela Eisendle jenseits des Sandesjöchls seit fünf Jahrzehnten jeden Sommer hier oben zu Hause. Seine Anekdoten könnten Bände füllen. Wie die Hütte zweimal von Lawinen weggefegt und einmal sogar ausgeraubt wurde.

Wie er als Bub jeden Tag mit Haflingern Material auf die Hütte transportierte und vieles mehr. Die Wirtsleute auf beiden Seiten des Sandes jöchls hätten sich also einiges zu erzählen. Nur haben sie eben nie Zeit während der stressigen Saison.

Vielleicht müssten CAI und Naturfreunde mal ein Gipfeltreffen auf dem Joch arrangieren: damit die Hütten der Frauen – und die Frauen der Hütten – noch näher zusammenrücken.

Für Günter Kast war dieser Teil der Stubaier Alpen Neuland – die dolomitenartige Kulisse hat ihn schwer begeistert.
Text: Günter Kast
Picture of Bergsteiger Redaktion
Die perfekte Ergänzung zur Bergsteiger-Print-Ausgabe mit aktuellen Berg-News, Messe-Neuheiten, Terminen, Bergwetter, Produkttests, zahlreichen von der Bergsteiger-Redaktion empfohlenen Touren und vielem mehr. bergsteiger.de versteht sich als die zentrale große Website für alle Bergsportbegeisterten im deutschsprachigen Raum. Auf der einen Seite ein alpinistisches Archiv – auf der anderen Seite viel Inspiration, die spannende Bergwelt immer wieder neu zu entdecken.
Beliebt

Mehr anzeigen

Mehr zum Thema