76
Bergsteiger 06⁄15
nen, aber dann krümmte es ihn vornüber.
Ob er den Mann mit dem rötlichen Bart
und mit den nackten Knien, der jetzt auf-
recht und breitbeinig aus dem Gebüsch
trat mit der Armbrust in der rechten
Hand, überhaupt noch erkannt hatte, be-
vor es ihm schwarz wurde vor den Augen,
ist ungewiß.«
Tell! Karin und Rolf kennen die Geschich-
te natürlich, den Urmythos der freien
Bauern, aus dem Friedrich Schiller eine
Revolutionsgeschichte des frühen 19.
Jahrhunderts machte und den heute noch
mancher Politiker gerne beschwört. Frem-
de Herren, egal ob sie auf der Habsburg
im Aargauischen oder in Brüssel hocken,
kommen hierzulande selten gut an. Frem-
des Geld hat es da leichter, und so stört sich
kaum jemand daran, dass der Bürgenstock
mit vielen Millionen Öldollars aus Katar in
ein Luxus-Resort für Reiche und sehr Rei-
che verwandelt wird.
Riviera des Vierwaldstättersees
Für Karin und Rolf endet der heutigeWan-
dertag hinter Gersau imHotel Fähri, direkt
am See. Das hat zwar keine fünf Sterne,
dafür eine feine Fischküche und freund-
liche Gastgeber. Von der Terrasse schaut
man übers Wasser auf die Gipfel im Süden,
vom Niderbauen Chulm über den Schwal-
mis (2246 m) bis zum Buochserhorn.
Dieser Blick begleitet die beiden andern-
tags auf der weiteren Strecke des Vier-
waldstätterwegs, der von Gersau um die
Obere Nas herum nach Vitznau, dann mit
mehr Auf und Ab an der Südflanke der
Rigi nach Weggis führt. Es ist ein verfüh-
rerisch schönes Teilstück voller Kontraste:
viel Aussicht, ländliche Idylle, aber auch
so manche Bausünde im Umfeld der Feri-
enorte Vitznau und Weggis. Was für ein
Kontrast dann die Kulisse am »Orenfad«,
wie aus einem Fantasyfilm! Der schmale
Weg verliert zwischen mächtigen Berg-
sturztrümmern und Felswänden fast 150
Höhenmeter, schlängelt sich dann hinü-
ber zur nächsten Überraschung: ein Kasta-
nienhain. Bis zur »Kleinen Eiszeit« um die
Mitte des 18. Jahrhunderts, erfährt man
hier, war die Esskastanie nicht nur süd-
lich der Alpen, sondern auch in der Zen-
tralschweiz weit verbreitet. Seit ein paar
Jahren wird an mehreren Standorten eine
Rekultivierung betrieben, dabei werden
auch neue Bäume gepflanzt. Erntezeit ist
der Spätherbst, auch in der Chesteneweid
über dem Südufer des Vierwaldstättersees.
Übrigens: gratis und für jedermann/frau.
Eher tief in die Tasche mussten jene grei-
fen, die sich am Sonnenhang oberhalb
von Weggis ihren Traum von Haus mit
See- und Bergblick verwirklichen wollten.
Karin und Rolf – sie wohnen am Stadt-
rand von Zürich in einer sündteuren Drei-
Zimmer-Wohnung – sind leicht irritiert
über all den in Glas und Beton gegossenen
Wohlstand. Drunten am See liegt das alte
Dorf mit seinen Hotels, der Seepromenade
und der Schiffanlegestelle.
»Vo Luzärn gäge Wäggis zue, holadiho«
Karin hat prima Laune, und da passt das
Weg von Weggis: mit dem Schiff
über den Vierwaldstättersee
Durch diese Hohle Gasse muss
er gekommen sein, der Gessler.
Der schmaleWeg
schlängelt sich
zwischen mächtigen
Bergsturztrümmern
und Felswänden
zumKastanienhain.