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06⁄15 Bergsteiger

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hier mit 2928 Metern den Höhenrekord

hält, die weltberühmte Rigi, die kalteWin-

de vom Nordufer fernhält und für überra-

schende Begegnungen mit mediterranen

Pflanzen sorgt, den Pilatus und den Riff-

felsen des Bürgenstocks.

In Luzern, das hat er Karin versprochen,

werden sie einen Stadtbummel unter-

nehmen, Kapellbrücke und Hof kirche

besichtigen, die Türme der Museggmauer

besteigen und–wenn die Zeit noch reicht

– auch dem Verkehrsmuseum einen Be-

such abstatten. Rolf, Ingenieur von Beruf,

hat ein Faible für alles Technische. Deshalb

soll seine Wanderwoche mit einer Fahrt

auf der »Uri« ihren Abschluss finden: übers

Wasser auf dem ältesten Raddampfer der

Vierwaldstättersee-Flotte, Baujahr 1901.

Gesslers Ende

Doch bis dahin ist noch ein weiter Weg.

Der wird sie übermorgen nach Küssnacht

führen, an den Tatort von 1291. Bei Max

Frisch liest sich das so: »Ritter Konrad […]

erreichte die Hohle Gasse gegen Mittag,

hungrig auf einen Imbiß in Immensee;

er dachte an gebackenen Fisch, als er

plötzlich einen Schmerz empfand. Im

ersten Augenblick kam ihm der stechen-

de Schmerz beinahe vertraut vor, und er

meinte ihn noch verbergen zu kön-

ahrscheinlich Konrad von

Tillendorf, ein jüngerer

und für seine Jahre dickli-

cher Mann, damals wohn-

haft auf der Kyburg, viel-

leicht auch ein anderer, der Grisler hieß

und in den gleichen Diensten stand, jeden-

falls aber ein Ritter ohne Sinn für Land-

schaft ritt an einem sommerlichen Tag des

Jahres 1291 durch die Gegend, die heute

als Urschweiz bezeichnet wird. Wahr-

scheinlich herrschte Föhn; das Gebirge,

das der dickliche Ritter vor sich sah, schien

näher als nötig. Um dem jungen Rudenz

gegenüber, der ihn nach Uri führen sollte,

nicht unhöflich zu sein, gab er sich Mü-

he und lobte mehrmals die blühenden

Kirschbäume.« So schreibt Max Frisch in

»Wilhelm Tell für die Schule« (Suhrkamp

Verlag, 1970).

Der unbeliebte Landvogt

Konrad, der später als Gessler eine be-

rühmt-tragische Figur der Literatur wer-

den sollte, war im Auftrag der Erben des

verstorbenen Habsburger Königs Rudolf

am Vierwaldstättersee unterwegs und

bei den Einheimischen wohl auch nicht

beliebter als ein Beamter aus dem fernen

Brüssel heutzutage. Der reist natürlich

nicht mehr mit demPferd, so wenig wie die

vielen anderen Besucher der Gegend. Auf

den breiten Asphaltspuren, die das ganze

Land durchziehen, tummeln sich im 21.

Jahrhundert unzählige Pferdestärken oh-

ne Beine, dafür mit Gummireifen. Und aus

den armen Hinterwäldlern sind reiche,

selbstbewusste Schweizer geworden, Eid-

genossen der ersten Stunde anno 1291. Die

Besucher kommen aus den fernsten Ecken

der Welt, aus Gegenden, von denen weder

Tell noch Konrad etwas wussten. Viel, ja

fast alles hat sich verändert im Land zwi-

schen den Bergen. Nur die Kulisse zeigt

sich unverändert schön wie immer, und

der Föhn ist nach wie vor ein regelmäßiger

Gast: Er pfeift, wühlt dasWasser auf wie an

jenemTag, als Konrad sich nach seinem er-

folglosen Besuch beimgreisen Freiherr von

Attinghausen in einem schweren Nauen (=

Lastkahn) nach Brunnen rudern ließ.

»Kurz vor Sisikon, wo man heute noch die

berühmte Tellen-Platte zeigt und wo eine

Kapelle dafür zeugt, dass Gott auf Seiten

der Urner war, wurde es allerdings schlim-

mer und schlimmer; die Wellen trieben

jetzt den Nauen gegen die Felsen hin. Es

fehlte wenig, und der Nauen wäre zer-

schellt. Das war von jeher eine berüchtig-

te Stelle, wo bei Föhn schon mancher zu

kämpfen hatte…« (Max Frisch)

Held der Eidgenossen

»Hier soll der Tell an Land gesprungen

sein«, meint Rolf. Karin nickt, macht ein

Foto. Sie stehen vor der berühmten Tells-

kapelle, schauen hinaus aufs Wasser, dann

zum Kapellenfresko des Historienmalers

Ernst Stückelberg, der den Sprung des wa-

ckeren Tell aus dem Boot Gesslers mit viel

Pathos und wild aufgewühltem See darge-

stellt hat. Heute liegt das Wasser ganz still.

Es ist so warm wie an jenem Tag, an dem

der dickliche Ritter am Vierwaldstättersee

ankam. Karin und Rolf sind auf dem »Vier-

waldstätterweg« unterwegs, auf der 145 Ki-

lometer langen Route rund umden aus sie-

ben Becken zusammengesetzten See, der

so etwas wie eine Herzkammer der Eidge-

nossenschaft bildet. Geschichte ist hier fast

überall präsent, manchmal vermengt mit

Legenden, mit uralten Überlieferungen.

Wie bei Tell, den es vielleicht gar nicht

gegeben hat, oder bei jenem Schwur auf

der Rütliwiese, bei dem sich dieWaldstätte

gegenseitigen Beistand gelobten.

Rolfs Interesse gilt mehr der Landschaft,

den schroffen Bergen rundum, für die der

Ritter Konrad so wenig Sinn hatte auf sei-

ner Reise nach Uri: den Uri Rotstock, der

KOMPAKT

Reiseziel

Ur-Schweiz

Anreise:

Beste Bahn- und Autobahnver-

bindungen mit dem süddeutschen Raum.

Direkte Züge nach Luzern

(www.bahn.de

).

Anforderungen:

Wenig anspruchsvolle

Mehrtagestour. Etwas Bergerfahrung ist auf

einigen Etappen allerdings erforderlich

(Bürgenstock, Vitznau – Weggis). Der Felsen-

weg am Bürgenstock ist im Winter (je nach

Schneelage November bis April) gesperrt!

Natürlich sind auch Teilbegehungen

möglich; zudem lassen sich alle Etappen

bestens mit einer Schifffahrt verbinden.

Infos und Pläne über

www.lakelucerne.ch

Wegmarkierungen:

Überwiegend

gelb markierte Wanderwege (leicht),

kürzere Abschnitte weiß-rot-weiß markiert

(Bergwege). Der am 1. Mai 2015 neu

eröffnete »Vierwaldstätterweg« ist durchge-

hend mit der Nummer 98 bezeichnet, der

»Weg der Schweiz« (Teilstück am Urnersee,

zwei Tagesetappen) mit der Nummer 99.

Übernachtungen:

In allen Ortschaften

rund um den See

Infos:

Luzern Tourismus, Bahnhofstraße 3,

CH-6002 Luzern; Tel. 00 41/41/2 27 17 17,

luzern@luzern.com, www.luzern.com

Die älteste Holzbrücke Europas:

Fast 700 Jahre hat die Kapellbrü-

cke in Luzern auf dem Buckel.

»W

Fotos: Christian Perret, Luzern Tourismus AG, Eugen E. Hüsler, Angel Sanchez/Uri Tourismus