Entschleunigung – ein Wort, das derzeit in aller Munde ist und besonders gut zur »Via Alpina« passt. Was es im Kleinen bedeuten kann, wird uns heute so richtig bewusst: Seit einem Jahr sind wir nun – mit Unterbrechungen – auf dem Violetten Weg der »Via Alpina« unterwegs und erleben in zunehmendem Maße Ruhe und Gelassenheit. In Garmisch-Partenkirchen beginnt heute unsere letzte Tourenwoche.
Von früheren Tagesausflügen kennen wir die Gegend recht gut. Doch wegen der Nähe zu unserem früheren Wohnort wären wir nie auf den Gedanken gekommen, hier Urlaub zu machen. Und nun finden wir uns in einem gemütlichen Pensionszimmer wieder, bummeln abends durch bezaubernde alte Gassen und genießen das rote Farbenspiel der untergehenden Sonne an der Alpspitze.
Von Garmisch aus auf die Via Alpina
Am nächsten Morgen machen wir uns früh auf den Weg zum Kramerplateauweg. In der morgendlichen Stille begegnet uns noch niemand auf dem Weg zum Pflegersee. Über der Wasseroberfläche wabert noch eine leichte Dunstschicht, bald hat die Sonne die letzte Feuchtigkeit abgetrocknet: Uns steht ein warmer Tag bevor. So sind wir gar nicht traurig, dass unser Weg zunächst durch schattigen Wald und über kleine Moore führt, auf schmalem Pfad hoch über dem Lahnenwiesgraben, einer tief eingeschnittenen Schlucht. Es geht nördlich um den Kramer herum, zur Hochfläche der Enningalm und dann hinunter ins Rotmoos, für uns völliges Neuland.
Wir genießen die unbekannten Wege und bummeln am Elmaubach entlang talauswärts, bis dieser im Elmaugries versickert. Entlang dieses mächtigen Schuttstroms, in dem Bäume und Sträucher um ihr Überleben kämpfen, erreichen wir am späten Nachmittag Linderhof. Zu unserer Überraschung ist es rund um den riesigen Parkplatz und das Schlosshotel bereits ziemlich ruhig. Im Hotel begrüßt uns das Konterfei des Märchenkönigs, dann beziehen wir ein edles Jugendstilzimmer. Den Abend verbringen wir in den weitläufigen und zu dieser Tageszeit menschenleeren Parkanlagen von Schloss Linderhof.
Wir können uns von so viel stiller, majestätischer Schönheit gar nicht trennen und bleiben beim Schloss, bis die Nacht hereinbricht. Diese verbringen wir in unseren bequemen Betten und träumen von den nächsten Bergtagen.
Im Revier der Gämsen
Bei strömendem Regen, in dem sich die schwarzen Alpensalamander so richtig wohl fühlen, wandern wir über die aufgelassene Bäckenalm. Seitdem hier kein Vieh mehr weidet, verbuschen und verkrauten die Wiesen zunehmend: Ein interessantes Beispiel, wie sich die Kulturlandschaft in unseren Bergen ohne Almwirtschaft verändert.
Auf unserem Weg zum Bäckensattel bewundern wir einige besonders alte, knorrige Ahornbäume. Über 500 Jahre alt und bis zu 40 Meter hoch kann der Bergahorn werden und mit seinen tiefen Wurzeln ist er auch bei starkem Sturm fest im Boden verankert. Der Regen lässt uns schnell weiterwandern zur gemütlichen Kenzenhütte – und verschafft uns einen unfreiwilligen Ruhetag. Erst am Nachmittag können wir zum Kenzenwasserfall spazieren.
Im Naturschutzgebiet Ammergebirge, speziell im Kenzengebiet, gibt es viele Gämsen. Früher stand hier eine königliche Jagdhütte, die hohen Herrschaften gingen gerne auf Gämsenjagd. König Ludwig II. kam allerdings nicht zum Jagen hierher, sondern um »bengalische Nächte« zu feiern, deren Illumination der Kenzenwasserfall mit einem eigens errichteten Stauwerk besorgte. Wir begegnen den Gämsen, als wir einen Tag später unseren Weg fortsetzen können. Vor dem Regen hatten sich die Tiere in die geschützte Waldregion zurückgezogen. Im ersten Moment ist der Schreck auf beiden Seiten groß – und ehe wir uns versehen, sind die Tiere auch schon verschwunden.
Wanderung zu Schloss Neuschwanstein

Zwischenstop am Märchenschloss
Fotos: Evamaria Wecker
