Interview mit Reinhold Messner
Reinhold Messner: »Das Leben erzählt die besten Geschichten«
© ServusTV / RIVA Filmproduktion / Lars Jacobsen
Reinhold Messner am Flughafen von Kathmandu
Reinhold Messner am Flughafen von Kathmandu
Sie haben in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass Ihnen der Glaube und die Verehrung von Gipfeln durch die jeweiligen Bergvölker wichtig ist – kurzum: Sie respektieren heilige Berge. Wie ist Ihre persönliche Beziehung zum heiligen Berg Ama Dablam?
Ich bin ein relativ sachlicher Mensch. Nach den großen Bergen habe ich weltweit heilige Berge besucht, um herauszufinden, wie die Einheimischen zu ihnen stehen – auch in Südamerika und Australien. Früher gab’s auch in den Alpen heilige Berge und Plätze. Das wurde durch das Christentum weitgehend verdrängt. Im Himalaya gibt die Beziehung Mensch-Berg über die Jahrtausende sicherlich viel mehr her. Ursprünglich wurde der gesamte Himalaya von den Einheimischen als heilige Stätte begriffen. Shivling und Kailash sind die Konzentration der Heiligkeit. Nepal wurde ja von Norden besiedelt, von Tibet aus, und in der Mitte dieses Solu-Khumbu-Gebietes steht eben die Ama Dablam, die von den Menschen sofort als heiliger Ort begriffen wurde.
1959 gab es erstmals eine Genehmigung für die Besteigung der Ama Dablam. Die Expedition endete aber in einer Tragödie.
Es waren exzellente englische Bergsteiger, dennoch sind zwei von ihnen in Gipfelnähe umgekommen. Sie verschwanden einfach und wurde bis heute nicht gefunden. Die Einheimischen sahen darin eine Strafe der Götter. Der Berg hat die Bergsteiger einfach abgeschüttelt. Er wird daraufhin verbotene Zone. 1961 gelingt es dann einer wissenschaftlichen Expedition, den Gipfel zu erreichen, allerdings ohne Genehmigung. Die Verantwortung trug Sir Edmund Hillary, der zur der Zeit in den USA auf Vortagsreise war. Ganz Nepal war in Aufruhr, weil Buddhisten wie Hinduisten die Besteigung als Sakrileg ansahen. Als Hillary aus Amerika zurückkam, wurde er in Gewahrsam genommen. Innerhalb von 48 Stunden mussten alle seiner Männer und er selbst das Land verlassen. Dann wurde der Berg endgültig von der Liste genommen.
Das änderte sich erst 1979, als man erneut Genehmigungen ausstellte. Und prompt passierte wieder ein Unglück, als die Expedition von Peter Hillary, der Sohn des Everest-Erstbesteigers, von einer Lawine in der Westwand, in der sie eine neue Route aufmachten, getroffen wurde.
Sie wurden regelrecht aus der Wand geschleudert und blieben allesamt an nur einem Haken hängen. Wir, also Wolfgang Nairz, Oswald Oelz und ich, waren zufällig am Berg. Wir machten eine Freundes-Ausflugsreise zur Ama Dablam. Im Basislager wurden wir Zeuge des Unglücks. Nachdem die Expedition keine Chance hatte, allein wieder vom Berg herunter zu kommen, versuchten wir, sie zu retten. Das war keine Heldentat, sondern eine Selbstverständlichkeit. Davon handelt der Film. Die Einheimischen sahen darin aber erneut eine Art Rache der Götter, weil Vater Hillary damals 1961 nicht aufgepasst hatte, dass seine Leute den Berg in Frieden lassen.
Wollen Sie mit dem Film die persönlichen Erlebnisse von damals aufarbeiten?
Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Ich habe angefangen, Filme zu machen. Und ich erzähle Geschichten. Fertig. Ich bin davon überzeugt, dass das Leben die besten Geschichten erzählt. Die Phantasie kann nie gegen die Tatsachen standhalten. Es gilt, den Film so zu spinnen, dass eine Dramaturgie entsteht. Das war hier recht einfach, weil drei Expeditionen zeigen, wie die Einheimischen den Berg sehen.
Und danach haben sich die Expeditionen zu richten?
Nein, es gibt verschiedene Einstellungen zum Berg, aber keine davon ist richtig oder falsch. Wir sehen im Berg ein Stück Geologie, eine Möglichkeit hinaufzusteigen. Die Einheimischen sehen den Gipfel als Tanzplatz der Götter. Das sind zwei Haltungen, und beide kommen zum Tragen. In meinem Film gibt es keine moralischen Bewertungen, sondern nur Tatsachen, die ich erzähle. Wir versuchen, die Geschichte dann direkt am Originalschauplatz zu erzählen. Und verweben das mit den Bildern von damals, die natürlich in der Qualität abfallen, aber authentisch sind.
Wie stark ist Ihr persönlicher Bezug zur Ama Dablam?
Ich war damals gar nicht oben am Gipfel, weil wir unser Material eingesetzt hatten, um die Leute runter zu bringen. Wir waren auch mehr als zufrieden, dass das gelungen ist. Es war ziemlich aufregend und auch sehr gefährlich. Wir atmeten durch, als der Hubschrauber die Bergsteiger sukzessive vom Wandfuß ausgeflogen hatte. Der Berg ist für mich ein schöner Berg geblieben – er ist einer der schönsten Berge der Welt. Ich bin jetzt wieder hingegangen, ohne den Wunsch, ihn zu besteigen. Er wird ja immer mehr mit Fixseilen präpariert und hat nichts mehr mit dem Berg zu tun, der er früher mal war. Er ist banalisiert. Das ist Tourismus, eine andere Welt. Wir versuchten, die Ama Dablam in der Zeit der drei Expeditionen zu zeigen, das waren 20 Jahre. Von 1959 bis 1979. Damals war der Berg ein schwieriger, herausfordernder für uns und für die Einheimischen ein Berg, der sich wehren kann, der die lächerlichen Versuche der Bergsteiger aus dem Westen blockiert, ja regelrecht abschüttelt. Darin sehen die Einheimischen die göttliche Dimension.
Für viele Bergsteiger ist die Ama Dablam nach wie vor ein Traumziel.
Es ist und bleibt ein großartiger Berg mit einem phantastischen Rundumblick. Man sieht den Makalu, den Everest, den Cho Oyu – es gibt kaum einen Berg im Himalaya, der einen derartigen Bogen um sich herum hat. Und um diesen Berg leben die Sherpa, die ihn heilig erklärten. Das ist ihr gutes Recht, so wie es unseres ist hinaufzusteigen, wenn wir die lokalen Regeln einhalten.
Die Sherpa-Vorstellung »Tanzplatz der Götter« ist zweifelsohne ein schönes Bild. Wie können ausländische Bergsteiger sich dem denn ehrerbietig nähern? Haben Sie dazu eine Botschaft?
Ich habe keine Botschaft. Sonst würde ich mich ja zu einem Religionsstifter erhöhen. Ich erzähle nur Geschichten und ich habe in meinem Leben mehr und mehr verstanden, dass diese erzählten Geschichten eine Aussage haben. Die Menschen sollen dann gerne darüber diskutieren und streiten. Ich will nicht beurteilen, was gut und schlecht ist. Das ist Hollywood. Hollywood braucht das. Ich nicht. Die Geschichte muss so stark sein, dass jeder Mensch mit Emotion und Empathie dabei ist. Ob er jetzt an dem einen oder dem anderen Bergsteiger hängt, bleibt ihm überlassen. Es gibt diesen Film später auch noch in einer epischen Fassung im Kino, aber auch da ohne Kitsch. Ich lasse nur die Einheimischen sagen, warum der Berg für Sie heilig ist.
Treten Bergsteiger nicht automatisch die Gefühle der Sherpa mit Füßen?
Ich sehe das nicht als Sakrileg, sondern als Selbstverständlichkeit. So wie es auch eine Selbstverständlichkeit ist, dass man Menschen in einer Wand nicht einfachen verrecken lässt, wenn man eine Chance sieht, sie herunter zu bringen. So wie ich es auch nicht verstehen kann, wie man zig Tausende Menschen an der ungarischen Grenze im Dreck vegetieren lassen konnte, ohne Wasser und ohne Essen.
Es ist Ihr zweiter Film, der erste hat gerade einen Preis gewonnen. Lassen Sie künftig das Bücherschreiben und werden ganz zum Regisseur?
Nein, ich war gerade auf der Buchmesse und werde auch weiterhin Bücher schreiben. Ich habe die ganze Südpolgeschichte neu aufgearbeitet und die verschiedenen Expeditionen hinterfragt. Und ich habe ein Buch geschrieben über Vertrauen. Wie funktioniert es in Gruppen? Ich habe vor ein paar Jahren zum Matterhorn ein Buch geschrieben, in dem es über Verantwortung geht. Auch da die Frage: Wie funktioniert Vertrauen? Meine Bücher gehen über das Bergsteigen hinaus. Ich bin gerade an einem neuen Thema dran, das Buch wird 2019 erscheinen. Das Datum ist absichtlich gewählt.
Zu einem Jubiläum? Mir würde eines einfallen...
Zunächst einmal: Schreiben ist für mich Gehirntraining und eine Methode, mich vor Demenz zu schützen. Irgendwann werden wir zwar alle mehr oder weniger dement, aber ich hoffe, das hinausschieben zu können. Ich bin jetzt in meinem siebten Leben und habe mich entschlossen, das Storytelling, das ich immer betrieben habe, zu meiner Hauptaufgabe zu machen. Derzeit bin ich noch nicht in der Lage, einen Film wie über die Ama Dablam selbst zu finanzieren. Aber da will ich hin. Nur: Filme verkaufen ist eine wahnsinnig schwierige Sache.
Es geht bei Ihrem neuen Projekt um den DAV, mit dem Sie lange im Clinch lagen?
Es geht um die Gründung des Deutschen Alpenvereins vor 150 Jahren. Um eine Geschichte, die niemand kennt. Sie landete in den 1930er-Jahren bei einem Anwalt und wurde nie richtig aufgearbeitet, weil die Menschen vom Bergsteigen keine Ahnung hatten. Man hat mich gebeten, aus einem fremden Winkel heraus endlich diese Geschichte aufzuarbeiten. Das wird zwar nichts mehr ändern, es ist trotzdem notwendig.
Warum?
Das Bergsteigen ist eine kulturelle Veranstaltung und nicht nur eine sportliche. Vertrauen, Verantwortung, Visionen entwickeln – das spielt alles mit hinein. Im traditionellen Bergsteigen steckt im Grunde alles, was zur menschlichen Natur zu sagen ist. Wir können dies am Berg relativ nackt erfahren, weil wir den Bergen gegenüber winzig klein und unfähig sind. Ich sehe mich als Helfer, dass der Alpinismus nicht in Vergessenheit gerät. Das Bergsteigen ist Sport geworden, 90 Prozent klettern nur noch in der Halle. Das ist ein großartiger Sport, hat aber mit traditionellem Bergsteigen nichts mehr zu tun. Und das andere ist Tourismus. Man bereitet eine Infrastruktur vor, damit Massen auf Berge wie den Everest oder Manaslu kommen. Die meisten haben keine Ahnung von den Bergen, auf denen sie waren.
Reinhold Messner als Gralshüter?
Ich bin der einzige, der diese Auseinandersetzung führt und habe natürlich keine Freunde unter den vielen Touristen, die da auf die hohen Berge gelockt werden. Das ist mir aber wurscht. Mir ist es wichtig, dass ich die Sachen weiterhin so schreibe, wie sie sind und nicht, wie man sie gerne hätte.
Mehr zum Film auch in unserem Bergsteiger-Beitrag online: Link
Ich bin ein relativ sachlicher Mensch. Nach den großen Bergen habe ich weltweit heilige Berge besucht, um herauszufinden, wie die Einheimischen zu ihnen stehen – auch in Südamerika und Australien. Früher gab’s auch in den Alpen heilige Berge und Plätze. Das wurde durch das Christentum weitgehend verdrängt. Im Himalaya gibt die Beziehung Mensch-Berg über die Jahrtausende sicherlich viel mehr her. Ursprünglich wurde der gesamte Himalaya von den Einheimischen als heilige Stätte begriffen. Shivling und Kailash sind die Konzentration der Heiligkeit. Nepal wurde ja von Norden besiedelt, von Tibet aus, und in der Mitte dieses Solu-Khumbu-Gebietes steht eben die Ama Dablam, die von den Menschen sofort als heiliger Ort begriffen wurde.
1959 gab es erstmals eine Genehmigung für die Besteigung der Ama Dablam. Die Expedition endete aber in einer Tragödie.
Es waren exzellente englische Bergsteiger, dennoch sind zwei von ihnen in Gipfelnähe umgekommen. Sie verschwanden einfach und wurde bis heute nicht gefunden. Die Einheimischen sahen darin eine Strafe der Götter. Der Berg hat die Bergsteiger einfach abgeschüttelt. Er wird daraufhin verbotene Zone. 1961 gelingt es dann einer wissenschaftlichen Expedition, den Gipfel zu erreichen, allerdings ohne Genehmigung. Die Verantwortung trug Sir Edmund Hillary, der zur der Zeit in den USA auf Vortagsreise war. Ganz Nepal war in Aufruhr, weil Buddhisten wie Hinduisten die Besteigung als Sakrileg ansahen. Als Hillary aus Amerika zurückkam, wurde er in Gewahrsam genommen. Innerhalb von 48 Stunden mussten alle seiner Männer und er selbst das Land verlassen. Dann wurde der Berg endgültig von der Liste genommen.
Das änderte sich erst 1979, als man erneut Genehmigungen ausstellte. Und prompt passierte wieder ein Unglück, als die Expedition von Peter Hillary, der Sohn des Everest-Erstbesteigers, von einer Lawine in der Westwand, in der sie eine neue Route aufmachten, getroffen wurde.
Sie wurden regelrecht aus der Wand geschleudert und blieben allesamt an nur einem Haken hängen. Wir, also Wolfgang Nairz, Oswald Oelz und ich, waren zufällig am Berg. Wir machten eine Freundes-Ausflugsreise zur Ama Dablam. Im Basislager wurden wir Zeuge des Unglücks. Nachdem die Expedition keine Chance hatte, allein wieder vom Berg herunter zu kommen, versuchten wir, sie zu retten. Das war keine Heldentat, sondern eine Selbstverständlichkeit. Davon handelt der Film. Die Einheimischen sahen darin aber erneut eine Art Rache der Götter, weil Vater Hillary damals 1961 nicht aufgepasst hatte, dass seine Leute den Berg in Frieden lassen.
Wollen Sie mit dem Film die persönlichen Erlebnisse von damals aufarbeiten?
Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Ich habe angefangen, Filme zu machen. Und ich erzähle Geschichten. Fertig. Ich bin davon überzeugt, dass das Leben die besten Geschichten erzählt. Die Phantasie kann nie gegen die Tatsachen standhalten. Es gilt, den Film so zu spinnen, dass eine Dramaturgie entsteht. Das war hier recht einfach, weil drei Expeditionen zeigen, wie die Einheimischen den Berg sehen.
Und danach haben sich die Expeditionen zu richten?
Nein, es gibt verschiedene Einstellungen zum Berg, aber keine davon ist richtig oder falsch. Wir sehen im Berg ein Stück Geologie, eine Möglichkeit hinaufzusteigen. Die Einheimischen sehen den Gipfel als Tanzplatz der Götter. Das sind zwei Haltungen, und beide kommen zum Tragen. In meinem Film gibt es keine moralischen Bewertungen, sondern nur Tatsachen, die ich erzähle. Wir versuchen, die Geschichte dann direkt am Originalschauplatz zu erzählen. Und verweben das mit den Bildern von damals, die natürlich in der Qualität abfallen, aber authentisch sind.
Wie stark ist Ihr persönlicher Bezug zur Ama Dablam?
Ich war damals gar nicht oben am Gipfel, weil wir unser Material eingesetzt hatten, um die Leute runter zu bringen. Wir waren auch mehr als zufrieden, dass das gelungen ist. Es war ziemlich aufregend und auch sehr gefährlich. Wir atmeten durch, als der Hubschrauber die Bergsteiger sukzessive vom Wandfuß ausgeflogen hatte. Der Berg ist für mich ein schöner Berg geblieben – er ist einer der schönsten Berge der Welt. Ich bin jetzt wieder hingegangen, ohne den Wunsch, ihn zu besteigen. Er wird ja immer mehr mit Fixseilen präpariert und hat nichts mehr mit dem Berg zu tun, der er früher mal war. Er ist banalisiert. Das ist Tourismus, eine andere Welt. Wir versuchten, die Ama Dablam in der Zeit der drei Expeditionen zu zeigen, das waren 20 Jahre. Von 1959 bis 1979. Damals war der Berg ein schwieriger, herausfordernder für uns und für die Einheimischen ein Berg, der sich wehren kann, der die lächerlichen Versuche der Bergsteiger aus dem Westen blockiert, ja regelrecht abschüttelt. Darin sehen die Einheimischen die göttliche Dimension.
Für viele Bergsteiger ist die Ama Dablam nach wie vor ein Traumziel.
Es ist und bleibt ein großartiger Berg mit einem phantastischen Rundumblick. Man sieht den Makalu, den Everest, den Cho Oyu – es gibt kaum einen Berg im Himalaya, der einen derartigen Bogen um sich herum hat. Und um diesen Berg leben die Sherpa, die ihn heilig erklärten. Das ist ihr gutes Recht, so wie es unseres ist hinaufzusteigen, wenn wir die lokalen Regeln einhalten.
Die Sherpa-Vorstellung »Tanzplatz der Götter« ist zweifelsohne ein schönes Bild. Wie können ausländische Bergsteiger sich dem denn ehrerbietig nähern? Haben Sie dazu eine Botschaft?
Ich habe keine Botschaft. Sonst würde ich mich ja zu einem Religionsstifter erhöhen. Ich erzähle nur Geschichten und ich habe in meinem Leben mehr und mehr verstanden, dass diese erzählten Geschichten eine Aussage haben. Die Menschen sollen dann gerne darüber diskutieren und streiten. Ich will nicht beurteilen, was gut und schlecht ist. Das ist Hollywood. Hollywood braucht das. Ich nicht. Die Geschichte muss so stark sein, dass jeder Mensch mit Emotion und Empathie dabei ist. Ob er jetzt an dem einen oder dem anderen Bergsteiger hängt, bleibt ihm überlassen. Es gibt diesen Film später auch noch in einer epischen Fassung im Kino, aber auch da ohne Kitsch. Ich lasse nur die Einheimischen sagen, warum der Berg für Sie heilig ist.
Treten Bergsteiger nicht automatisch die Gefühle der Sherpa mit Füßen?
Ich sehe das nicht als Sakrileg, sondern als Selbstverständlichkeit. So wie es auch eine Selbstverständlichkeit ist, dass man Menschen in einer Wand nicht einfachen verrecken lässt, wenn man eine Chance sieht, sie herunter zu bringen. So wie ich es auch nicht verstehen kann, wie man zig Tausende Menschen an der ungarischen Grenze im Dreck vegetieren lassen konnte, ohne Wasser und ohne Essen.
Es ist Ihr zweiter Film, der erste hat gerade einen Preis gewonnen. Lassen Sie künftig das Bücherschreiben und werden ganz zum Regisseur?
Nein, ich war gerade auf der Buchmesse und werde auch weiterhin Bücher schreiben. Ich habe die ganze Südpolgeschichte neu aufgearbeitet und die verschiedenen Expeditionen hinterfragt. Und ich habe ein Buch geschrieben über Vertrauen. Wie funktioniert es in Gruppen? Ich habe vor ein paar Jahren zum Matterhorn ein Buch geschrieben, in dem es über Verantwortung geht. Auch da die Frage: Wie funktioniert Vertrauen? Meine Bücher gehen über das Bergsteigen hinaus. Ich bin gerade an einem neuen Thema dran, das Buch wird 2019 erscheinen. Das Datum ist absichtlich gewählt.
Zu einem Jubiläum? Mir würde eines einfallen...
Zunächst einmal: Schreiben ist für mich Gehirntraining und eine Methode, mich vor Demenz zu schützen. Irgendwann werden wir zwar alle mehr oder weniger dement, aber ich hoffe, das hinausschieben zu können. Ich bin jetzt in meinem siebten Leben und habe mich entschlossen, das Storytelling, das ich immer betrieben habe, zu meiner Hauptaufgabe zu machen. Derzeit bin ich noch nicht in der Lage, einen Film wie über die Ama Dablam selbst zu finanzieren. Aber da will ich hin. Nur: Filme verkaufen ist eine wahnsinnig schwierige Sache.
Es geht bei Ihrem neuen Projekt um den DAV, mit dem Sie lange im Clinch lagen?
Es geht um die Gründung des Deutschen Alpenvereins vor 150 Jahren. Um eine Geschichte, die niemand kennt. Sie landete in den 1930er-Jahren bei einem Anwalt und wurde nie richtig aufgearbeitet, weil die Menschen vom Bergsteigen keine Ahnung hatten. Man hat mich gebeten, aus einem fremden Winkel heraus endlich diese Geschichte aufzuarbeiten. Das wird zwar nichts mehr ändern, es ist trotzdem notwendig.
Warum?
Das Bergsteigen ist eine kulturelle Veranstaltung und nicht nur eine sportliche. Vertrauen, Verantwortung, Visionen entwickeln – das spielt alles mit hinein. Im traditionellen Bergsteigen steckt im Grunde alles, was zur menschlichen Natur zu sagen ist. Wir können dies am Berg relativ nackt erfahren, weil wir den Bergen gegenüber winzig klein und unfähig sind. Ich sehe mich als Helfer, dass der Alpinismus nicht in Vergessenheit gerät. Das Bergsteigen ist Sport geworden, 90 Prozent klettern nur noch in der Halle. Das ist ein großartiger Sport, hat aber mit traditionellem Bergsteigen nichts mehr zu tun. Und das andere ist Tourismus. Man bereitet eine Infrastruktur vor, damit Massen auf Berge wie den Everest oder Manaslu kommen. Die meisten haben keine Ahnung von den Bergen, auf denen sie waren.
Reinhold Messner als Gralshüter?
Ich bin der einzige, der diese Auseinandersetzung führt und habe natürlich keine Freunde unter den vielen Touristen, die da auf die hohen Berge gelockt werden. Das ist mir aber wurscht. Mir ist es wichtig, dass ich die Sachen weiterhin so schreibe, wie sie sind und nicht, wie man sie gerne hätte.
Mehr zum Film auch in unserem Bergsteiger-Beitrag online: Link
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