James Pearson: »Der Grat zwischen lustig und verrückt ist schmal« | BERGSTEIGER Magazin
James Pearson& Caroline Ciavaldini im Interview

James Pearson: »Der Grat zwischen lustig und verrückt ist schmal«

Caroline Ciavaldini (33) und James Pearson (32) sind nicht nur eine Seilschaft im Fels, sondern auch ein Ehepaar. Er stammt aus England, sie aus La Réunion. Er kommt vom Trad-Climbing, sie hat erfolgreiche Jahre im Wettkampf-Zirkus hinter sich. Jetzt haben sie sich gemeinsam dem Abenteuer-Klettern verschrieben – zum Beispiel auf den Färöer Inseln.
 
© Folkert Lenz
Am Fels wie im Leben eine Seilschaft: James Pearson und Caroline Ciavaldini

BERGSTEIGER:  Herr Pearson, auf den Färöer Inseln herrscht immer schlechtes Wetter. Das Archipel ist wahrlich kein Kletter-Hotspot. Warum wollten Sie unbedingt dort eine neue Route eröffnen? 

JAMES PEARSON: Ach, das erklärt sich aus meiner britischen Herkunft. Dort klettern wir ja schon immer nicht nur sehr schwierige Routen im Abenteuer-Stil, sondern auch sehr gefährliche. Und es gibt eine Subkultur, bei der wir gerne auch an sehr schlechtem Fels klettern. Letztlich erzieht es dich dazu, wirklich bewusst und gut zu klettern. Und du musst dein Sicherungsmaterial kreativ einsetzen. Nach vielen Jahren im guten, französischen Kalk habe ich brüchiges Gestein jetzt fast vermisst. Und dann gab es eben die Möglichkeit, sich an einer der höchsten Meeresklippen der Welt zu probieren: 754 Meter am Kap Enniberg. 

Wie sehen denn die Felsen dort aus? 

PEARSON: Die Färöer Inseln sind ja vulkanischen Ursprungs und bestehen zum großen Teil aus Basalt. Das heißt, man hat dicke Schichten von ziemlich festem Fels. Dummerweise gab es in der Vorzeit aber auch einige heftige Vulkanausbrüche, welche Ascheschichten und poröses Tuffgestein hinterlassen haben. Das macht es so spannend, dort zu klettern. Ich bin noch nie in meinem Leben in so brüchigem und gefährlichem Fels unterwegs gewesen. Ganze Blöcke am Kap Enniberg waren gar nicht richtig fest an der Wand. Wir haben dauernd Sachen runtergeschmissen und mussten supervorsichtig sein. Es war fast gefährlicher, unten zu sichern als vorzusteigen. Aber wir hatten Glück. 


Kap Enniberg: mit 754 Metern eine der höchsten Meeresklippen der Welt, Foto: The North Face

Es war so schlimm, dass Sie sogar Angst um Ihre Kletterpartner hatten? 

PEARSON: Ja, denn ich fühlte mich total verantwortlich für Cedar (Wright, USA) und Yuji (Hirayama, Japan). Sonst ist es ja so, dass ich als Teamleiter eher für den guten Spirit und die Stimmung in der Gruppe zuständig bin. Und das war schon schwierig genug, weil wir wegen des dauernden Regens auf den Färöern eine ganze Woche lang nicht raus konnten. Da werden wir Kletterer ja eh verrückt. Und als wir dann noch die üble Fels-Qualität sahen, habe ich kapiert, dass ich diesmal das Risiko nicht allein übernehmen konnte, sondern auch die anderen für meinen Traum in Gefahr brachte. Die wollten zwar auch mit durch die Wand, aber ich fragte mich, ob das nicht doch zu heftig werden könnte. 

Sonst sind Sie, Frau Ciavaldini, bei den Aktionen von Ihrem Ehemann meist dabei. Diesmal nicht? 

CAROLINE CIAVALDINI: Ich habe während unseres Trips auf die Färöer Inseln mit den anderen drei mehrere Routen an den Klippen von Trælanípan eröffnet. Auch nicht gerade unheikel. Aber die Aktion am Kap Enniberg fand ich ziemlich blöd. Es ist ja nicht so, dass ich nicht mitgeholfen hätte: 14 Stunden habe ich am Ausstieg oben auf die anderen gewartet. Mehrere Hundert Meter Fixseile dort hinauf geschleppt. Für den Notfall.

Sie sind in ihrer Heimat La Réunion jahrelang als Sportkletterin und in Wettkämpfen erfolgreich gewesen. Was war der Auslöser, sich dem Abenteuer-Klettern zuzuwenden?

CIAVALDINI: Irgendwann war es mir zu langweilig. Als Jugendliche war ich zu 100 Prozent darauf fokussiert, mein Niveau an überhängenden Plastik-Wänden auf das höchste Level zu schrauben. Aber mit 25 Jahren wollte ich etwas Neues machen. Ich konnte im Kalk 8b onsight klettern, aber im Granit traute ich mich kaum in eine 6b rein. Und trotzdem habe ich das als Lerngelegenheit genutzt. Heute komme ich sogar Schieferplatten hoch, die gar keine Reibung haben.


Caroline Ciavaldiniin »Zembrocal« auf ihrer Geburtsinsel La Réunion; Foto: Damiano Levati/The North Face

Haben Sie ein Rezept für uns, um eine gute Kletterin zu werden?

CIAVALDINI: Da ist viel Kopfsache dabei. Vor allem, wenn es um das Thema Angst geht. Auch die Jungs haben ja häufig Probleme damit, aber die verstecken es. Und wir Mädchen müssen eben daran arbeiten. Viele tun das nicht, weil sie denken: Es ist für Frauen ganz normal, Angst zu haben. Aber sie müssen etwas tun. Ganz simpel mit Sturztraining zum Beispiel. Immer wieder und wieder, dann gewöhnt sich der Körper daran. Schließlich ist es unser Instinkt, zu denken, Höhe bedeute Gefahr. Deswegen fürchten wir uns. Wir müssen unserem Geist beibringen, dass diese Furcht irrational ist.

Wenn man sich die Videos Ihrer wilden Aktionen anschaut, dann hat man den Eindruck, dass es meist sehr lustig und ungezwungen zugeht. Und vor allem: Sie wirken nicht wie verbissene Bergsteiger, für die Schwierigkeit, Höhe oder der berühmte Name einer Route alles ist?

CIAVALDINI: Das ist doch eine ganz normale Entwicklung: Am Anfang schaust du nur darauf, wie schwierig eine Linie ist. Und du wirst ja auch immer besser. Aber später kapierst du: Es geht nicht immer nur um den Schwierigkeitsgrad.

PEARSON: Trotzdem ist es ja immer nur ein ganz schmaler Grat zwischen dem, was total lustig ist und Genuss bringt und einer Aktion, die einfach zu verrückt oder sogar gefährlich ist.

»Exzess ist Teil meiner Natur.« Dieser Spruch von Queen-Sänger Freddy Mercury wird Ihnen, James, als Lebensmotto zugeschrieben. Würden Sie das unterschreiben?

PEARSON: Nicht so ganz. Ich bin immer auf der Suche nach neuen und aufregenden Sachen, das stimmt. Und vielleicht sind Caroline und ich wirklich so etwas wie hyperaktiv. Aber ich würde unter Exzess wohl nicht das Gleiche verstehen wie Freddy Mercury.



Immer auf der Suche nach neuen Abenteuern, ob auf den Färöer Inseln (links) oder auf La Réunion (rechts); Fotos: The North Face; Damiano Levati/The North Face

Caroline kommt vom Sport- und Wettkampfklettern. Sie vom traditionellen Kletterstil in England. Wenn man jetzt schon so lange als Seilschaft und Partner unterwegs ist: Färbt der Stil des einen auf den anderen ab?

PEARSON: Irgendwie schon. Und natürlich bin ich auch jahrelang im Sportklettern unterwegs gewesen, nachdem ich Caroline kennengelernt hatte. Aber dann wollte ich auch wieder zurück zum Trad-Climbing. Zurück in die Berge, um da größere Sachen zu machen. Und dabei kann man ja auch alle Disziplinen – Trad, Sportklettern, Bouldern – zusammentun, damit etwas Großes entsteht.

Was ist Ihr nächstes, großes Projekt?

CIAVALDINI: Wir fahren im Herbst 2018 nach Japan und wollen dort in Canyons klettern. Bergauf wohlgemerkt. Die Schluchten haben viele Absätze und Wasserfälle. Und wir werden durch das Wasser hinaufgehen.

PEARSON: Zum Abschluss wollen wir den höchsten Wasserfall Japans durchklettern: 400 Meter hoch in zwei Abschnitten. Bei 15 oder 16 Seillängen heißt das zwei Tage Klettern mit einem Biwak mitten im Wasserfall. Das Ganze ist in Japan gar nicht so ungewöhnlich. Wenn du in einen Kletter-Laden gehst, dann findest du da nicht nur Ausrüstung für normales Felsklettern. Sondern auch für diese Art des Wasserfallkletterns. Sie nennen das »Klettern unter der Dusche«. Es gibt dort sogar spezielle Schuhe dafür. Die sind aus Filz. Sehr, sehr weich, und die passen sich an die runden, nassen Felsformationen an.

Damit schließt sich der Kreis wieder: Denn auch auf den Färöer Inseln tragen zumindest die Einheimischen beim Klettern eine Art Wollsocke. Haben Sie dort noch mehr Dinge gelernt, die Sie für Japan gebrauchen können?

PEARSON: Klar. Allein schon, auf nassem, glitschigem Fels unterwegs zu sein. Das können wir von dort mitnehmen. Auch wenn die Bewegungen am Fels in Japan ganz andere sein werden. Aber auch dort darfst du Dich nicht auf die Reibung verlassen.


 
Interview: Folkert Lenz
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 10/2018. Jetzt abonnieren!