Andy Houseman: »Ein Berg ist es nicht wert, für ihn zu sterben«
Technisch anspruchsvolle Erstbegehungen sind die Spezialität von Andy Houseman.
BERGSTEIGER: Sie sind ein erfolgreicher Alpinist und führen gleichzeitig zusammen mit Ihrem Vater ein Familienunternehmen in der Transportbranche. Wie kann man sich das vorstellen? Von neun bis fünf ins Büro und nach Feierabend wird für die großen Himalaya-Expeditionen trainiert?
ANDY HOUSEMAN: Ich wünschte, es wäre so. Normalerweise arbeite ich fünf oder sechs Tage die Woche, ungefähr von acht bis sieben. Es ist sehr schwer, einen Fulltime-Job mit dem Training zu vereinbaren. Man muss flexibel sein. Aber es ist auch schön, in einem Familienunternehmen zu arbeiten. Ich mag das. Außerdem bekomme ich einmal im Jahr für eine große Expedition frei. Ich bin im Moment vielleicht nicht so fit, wie ich sein sollte, aber für mich funktioniert es.
Halten Sie sich an ausgeklügelte Zeit- und Trainingspläne?
Ich sollte es wahrscheinlich, aber ich mache es nicht. Es ist einfach zu anstrengend, wenn du zehn oder elf Stunden am Tag arbeitest. Training muss Spaß machen. Also gehe ich einfach raus und mache das, worauf ich Lust habe – zum Beispiel Rennrad fahren oder Trailrunning in den Yorkshire Dales.
Haben Sie nie daran gedacht, Profi zu werden?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich gut genug dafür wäre. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich es überhaupt will. Wahrscheinlich könnte ich es, aber mir macht die Arbeit genau so viel Spaß.
Sie kommen aus Yorkshire in Nordengland. Doch anstatt als Kind zum Fußball oder zum Rugby zu gehen, zog es Sie in die Berge.
Weil ich die Berge immer geliebt habe. Es gibt auch in England sehr schöne, zum Beispiel im Lake Destrict. Als ich jung war, sind wir mit den Pfadfindern viel wandern gegangen. Außerdem waren wir jedes Jahr für eine Woche Skifahren.
Und wie wurde aus Ihnen ein ernsthafter Bergsteiger?
Es war einfach eine Entwicklung. Aus dem Wandern wurde langsam Klettern – ich war im Winter oft in Schottland –, dann ging ich in die Alpen, später nach Alaska und schließlich nach Nepal.
Hatten Sie dabei einen Mentor oder ein Vorbild?
Nicht unbedingt einen Mentor. Ich verbrachte viel Zeit in Chamonix und hatte das große Glück, mit Leuten klettern zu dürfen, die sehr viel erfahrener waren als ich. Einer von ihnen war Nick Bullock. Mit ihm habe ich auch meine erste Expedition unternommen. Es ist viel einfacher, wenn du mit jemandem losziehst, der so etwas schon mal gemacht hat. Davor musste ich aus meinen eigenen Fehlern lernen. Zum Glück bin ich immer davongekommen.
Gab es auch brenzlige Situationen?
Ein paar dumme Situationen, würde ich sagen. Ich hatte einfach überhaupt keine Erfahrung. Einmal sind wir im Hochsommer über die Brêche des Droites abgestiegen. Wie sich herausgestellt hat, ist das aber nur der Winter-Abstieg. Wir wussten es einfach nicht besser. Der Steinschlag war schrecklich. Solche Fehler macht man eben, wenn man sich nicht auskennt.
Wie würden Sie Ihren Kletter-Stil beschreiben?
Es ist einfach klassisches Alpinklettern: Ich, ein Freund, jeder einen Rucksack und dann versuchen wir von unten bis zum Gipfel zu kommen. Ich gehe aber auch sehr gerne Felsklettern in Großbritannien.
Was war bislang Ihr schönstes Erlebnis in den Bergen?
Definitiv die »Slovak Direkt« am Denali zusammen mit Nick Bullock. Die Qualität der Kletterei war einfach Wahnsinn. So etwas findet man normalerweise nicht an einer 2800-Meter-Wand. Die obere Hälfte ist technisch relativ einfach, aber es geht immer weiter und weiter. Kurz unterhalb des Gipfels wurden wir von einem Sturm gestoppt und mussten 16 Stunden im Zelt abwarten. Das war vielleicht der furchteinflößendste Moment in meinem Leben: Im Zelt zu sitzen, den Sturm draußen wüten zu hören und zu wissen, dass der einzige Weg zurück nur über den Gipfel führt.
Am bekanntesten ist Ihre Erstbesteigung des Link Sar West 2015.
Ja, das war zusammen mit John Griffith. Hier gab es auch eine heikle Situation: John ging es sehr schlecht und auf etwa 6800 Metern ist er bewusstlos zusammengebrochen. Ich wusste überhaupt nicht, was los ist und was ich tun sollte. So etwas will ich nie wieder erleben. Wir waren insgesamt fünf Tage in der Wand, konnten aber wegen dieses Zwischenfalls und eines Schlechtwettertages nur drei Tage klettern. Trotzdem erreichten wir den Westgipfel.
Gipfel-Selfie am Westgipfel des Link Sar: Andy Houseman und John Griffith, Foto: John Griffith
Für den Hauptgipfel hat es nicht mehr gereicht?
Wir waren nah dran, aber uns lief die Zeit davon. Es war hart umzukehren, aber es gab einfach keine andere Option, noch nicht einmal die Überlegung.
Hadern Sie mit solchen Situationen?
Wir standen zwar nicht auf dem Hauptgipfel, aber wir hatten eine großartige Zeit und das zählt für mich. Wenn man bedenkt, was wir durchgemacht haben, war es eine riesen Leistung. Die Leute sagen zwar: »Ihr wart nicht auf dem Hauptgipfel.« Aber mir ist das egal. Wir hatten Spaß!
Versuchen Sie es nochmal?
Den Link Sar? Nein! Ich kann mir nicht so viele Expeditionen leisten, dass ich immer wieder zum gleichen Berg zurückkehre. Es gibt so viele Berge, so viele Orte auf der Welt, die ich noch sehen möchte.
Wo geht es also als nächstes hin?
Ich bin mir noch nicht hundertprozentig sicher. Ich möchte gerne nach Indien gehen, da war ich noch nie. Wahrscheinlich habe ich keine Zeit für eine lange Expedition. Deswegen werden es wohl nur vier Wochen an einem Sechstausender werden – nicht zu hoch, aber technisch anspruchsvoll. Mal sehen.
Sie sind in einem Alter, in dem Sie und Ihre Freundin eine Familie gründen könnten. Würden Kinder Ihre Art zu Klettern verändern?
Ich weiß es nicht. Ich bin sowieso nicht der mutigste Kletterer und oft gescheitert, weil ich früher umgekehrt bin als andere. Ich liebe Klettern, aber für mich ist es ein Berg nicht wert, dafür zu sterben. Manche Leute sehen das so, aber ich definitiv nicht. Es gibt viele Dinge im Leben, die wichtiger sind – Freunde und Familie zum Beispiel.
Körperpflege muss sein; Foto: Jack Geldard