Das Vermächtnis des Pleisentoni
Weltmacht-Hütt'n - die Pleisenhütte über Scharnitz
© Dominik Prantl
Schon vormittags scheint die Sonne auf die Terrasse der Pleisenhütte über Scharnitz
Schon vormittags scheint die Sonne auf die Terrasse der Pleisenhütte über Scharnitz
»Sonnenbalkon«. Der Begriff ist inzwischen ja so abgenutzt wie der Yetiwitz über Reinhold Messner (Was, den gibt’s wirklich!), weil von Südtirol über Südhanghütten bis zu allerlei Südgipfeln die halben Alpen von den nimmermüden Bergevermarktern zu »Sonnenbalkonen« erklärt werden. Aber da sitzt man nun Mitte Oktober um kurz vor neun Uhr morgens auf der Terrasse der Pleisenhütte (1757 m) hoch über Scharnitz und erlebt einen klaren Fall von Sonnenbalkon. Siegfried Gaugg, der Hüttenwirt, sagt: »Am 21. Dezember, dem kürzesten Tag des Jahres, haben wie sieben Stunden Sonne.« Drehen wir die Sonne im Geiste aber erst einmal einige tausend Runden zurück, denn die Pleisenhütte ist nicht ohne den 2007 verstorbenen Toni Gaugg zu verstehen. Wer als Freund der Berge die vergangenen Jahrzehnte auf einem Gletscher Patagoniens, im Shaksgam Valley oder sonstwo fernab der Zivilisation verbracht haben sollte: Toni Gaugg gehörte einst zum Karwendel wie Kalkstein-Kare, lange Talhatscher und Heinz Zak (wer von dem noch nie gehört hat, dem ist wirklich nicht zu helfen).
Gaugg jedenfalls sagte vor einigen Jahren den wunderschönen Satz: »Wenn mich einer nicht kennt, ist das eine Bildungslücke.« Anton Gaugg, den die meisten Menschen freilich eher unter dem Namen Pleisentoni kennen, sagte damals auch: »Am 17. Dezember 1949 bin ich aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt.« Er hatte das Datum noch exakt im Kopf, genauso wie die Zeit, die er unfreiwillig im Osten verbracht hatte: fünf Jahre und vier Monate. Es war mehr als Zeit genug, um nicht nur den Blockhüttenbau von den Russen zu erlernen, sondern sich zudem einige Dinge vorzunehmen, sollte er sein geliebtes Karwendelgebirge denn überhaupt noch einmal sehen. Er schwor erstens, der Birkkarspitze ein Kreuz zu verpassen und zweitens, am Hang der Pleisenspitze (2569 m) eine Hütte zu bauen.
Er sagt: »Ich wollte nie in die Fußstapfen meines Vaters treten.« Einst hätte ihm das Erbstück sogar ganz gestohlen bleiben können. »Mit 12,13 Jahren hab’ ich genug davon gehabt.« Wie das aber so ist mit der Zeit, heilt diese nicht nur Wunden, sondern befreit auch von frühpubertären Aversionen. Knapp zehn Jahre später sah die Sache nämlich schon wieder ganz anders aus. »Da dachte ich mir: Jetzt gehe ich mal mit dem Vater einen Sommer rauf und schaue mir das an.«
Wahrscheinlich ist es ein ziemliches Glück für alle Wanderer, Mountainbiker, Skitourengeher und Schneeschuhwanderer, dass jugendliche Vorsätze nur eine kurze Verweildauer haben und der gute Geschichtenerzähler Siggi den Laden übernommen hat statt eines grummeligen Eigenbrötlers aus dem etwas schattigen Scharnitz. Und mindestens ebenso glücklich dürfen sich alle Besucher schätzen, dass er eine Frau gefunden hat, die seine Leidenschaft teilt. Siegfried Gaugg weiß: »Andrea ist kuchlmäßig a Weltmacht.«
Das ist auch gut so, denn Siegfried legt den Weg zur Pleisenhütte Scharnitz häufig per Rad oder mit Tourenski zurück, teilweise sogar mit bis zu 25 Kilo auf dem Rücken. Weil im Winter keine motorgetriebenen Fahrzeuge auf dem Fahrweg zur Hütte erlaubt sind, muss der Karwendelsherpa Gaugg die frischen Zutaten wie Gemüse, Milch und Eier bei Schnee aus eigener Körperkraft raufschaffen. Von diesem Winter an möchte er ein speziell präpariertes Elektrorad ausprobieren, denn: »Das ist erlaubt.« Woher er die Kraft für die Steilfahrten und Botengänge nimmt, klärt sich möglicherweise mit der Antwort auf die erste Frage: mit möglichst viel Spinat. Er wird seine Energie auch weiterhin benötigen: »Beim Bauherrn einer Hütte ist es wie bei einem Philosophen«, sagt Gaugg.
»Man arbeitet ständig an dem Werk und wird doch nie fertig.« Erst im vergangenen Sommer wurden die Schlafräume umgebaut. Die interessanteste Neuerung auf dem 2500 Quadratmeter großen Grund, den der Pleisentoni einst kaufte, ist allerdings schon 15 Jahre älter und steht etwas abseits der Hütte. Dort errichtete Siegfried mit einigen Freunden eine kleine Kapelle zum 80. Geburtstag des Vaters, nach dessen Plänen, natürlich in russischer Blockbauweise. Direkt daneben wurde Anton Gaugg wenige Jahre später auf eigenen Wunsch beerdigt. »Er ist erst der zweite Tiroler nach dem Gründer der SOS-Kinderdörfer, dem das außerhalb eines Friedhofs erlaubt wurde«, sagt sein Sohn. Der Pleisensiggi, der längst damit zufrieden wäre, als Hüttenwirt alt zu werden, versteht den letzten Wunsch seines Vaters nur zu gut. Er sagt: »Den Platz hat er schon gut gewählt.« Und er meint nicht nur das Grab.
Gaugg jedenfalls sagte vor einigen Jahren den wunderschönen Satz: »Wenn mich einer nicht kennt, ist das eine Bildungslücke.« Anton Gaugg, den die meisten Menschen freilich eher unter dem Namen Pleisentoni kennen, sagte damals auch: »Am 17. Dezember 1949 bin ich aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt.« Er hatte das Datum noch exakt im Kopf, genauso wie die Zeit, die er unfreiwillig im Osten verbracht hatte: fünf Jahre und vier Monate. Es war mehr als Zeit genug, um nicht nur den Blockhüttenbau von den Russen zu erlernen, sondern sich zudem einige Dinge vorzunehmen, sollte er sein geliebtes Karwendelgebirge denn überhaupt noch einmal sehen. Er schwor erstens, der Birkkarspitze ein Kreuz zu verpassen und zweitens, am Hang der Pleisenspitze (2569 m) eine Hütte zu bauen.
Das Elchkalb aus der Höhle
Anton Gaugg kehrte zurück. Er errichtete ein Gipfelkreuz auf der Birkkarspitze. Und er baute seine Hütte, und zwar dort, wo er sich schon vor dem Krieg als Hüterjunge einen Platz ausgeguckt hatte. 1953 war das; und das Hütterl aus selbst geschlagenem Holz in russischer Blockbauweise maß nur etwa 25 Quadratmeter. Aber es wuchs im Laufe der Jahre mit An- und Zubauten zu einem heute ansehnlichen Haus. Der Pleisentoni hatte aber nicht nur Zeit, um eine Hütte zu bauen und ein Gipfelkreuz aufzustellen, Höhlen und Wege zu erforschen und ein 8000 Jahre altes Elchkalbskelett aus der Vorderkarhöhle zu ziehen. Weil er später sogar noch die Muße besaß, eine junge Münchnerin kennenzulernen und dreifacher Vater zu werden, gehört Pleisentonis Vermächtnis heute seinem Sohn Siegfried. Zu behaupten, der gute Siggi hätte seinem Vater inzwischen den Rang abgelaufen, wäre wohl etwas zu viel des Guten. Der Pleisentoni wurde ja unter anderem nicht nur mit dem Grünen Kreuz des österreichischen Alpenvereins für mehrmalige, außerordentlich schwierige Rettung und Bergung ausgezeichnet, sondern vom Volksmund auch mit dem über die Lebenszeit hinausreichenden Titel »Karwendeloriginal« versehen. Doch hat Siegfried Gaugg, Jahrgang 1972, der Unterkunft längst seine eigene, familiäre Note verpasst.Er sagt: »Ich wollte nie in die Fußstapfen meines Vaters treten.« Einst hätte ihm das Erbstück sogar ganz gestohlen bleiben können. »Mit 12,13 Jahren hab’ ich genug davon gehabt.« Wie das aber so ist mit der Zeit, heilt diese nicht nur Wunden, sondern befreit auch von frühpubertären Aversionen. Knapp zehn Jahre später sah die Sache nämlich schon wieder ganz anders aus. »Da dachte ich mir: Jetzt gehe ich mal mit dem Vater einen Sommer rauf und schaue mir das an.«
Wahrscheinlich ist es ein ziemliches Glück für alle Wanderer, Mountainbiker, Skitourengeher und Schneeschuhwanderer, dass jugendliche Vorsätze nur eine kurze Verweildauer haben und der gute Geschichtenerzähler Siggi den Laden übernommen hat statt eines grummeligen Eigenbrötlers aus dem etwas schattigen Scharnitz. Und mindestens ebenso glücklich dürfen sich alle Besucher schätzen, dass er eine Frau gefunden hat, die seine Leidenschaft teilt. Siegfried Gaugg weiß: »Andrea ist kuchlmäßig a Weltmacht.«
Das ist auch gut so, denn Siegfried legt den Weg zur Pleisenhütte Scharnitz häufig per Rad oder mit Tourenski zurück, teilweise sogar mit bis zu 25 Kilo auf dem Rücken. Weil im Winter keine motorgetriebenen Fahrzeuge auf dem Fahrweg zur Hütte erlaubt sind, muss der Karwendelsherpa Gaugg die frischen Zutaten wie Gemüse, Milch und Eier bei Schnee aus eigener Körperkraft raufschaffen. Von diesem Winter an möchte er ein speziell präpariertes Elektrorad ausprobieren, denn: »Das ist erlaubt.« Woher er die Kraft für die Steilfahrten und Botengänge nimmt, klärt sich möglicherweise mit der Antwort auf die erste Frage: mit möglichst viel Spinat. Er wird seine Energie auch weiterhin benötigen: »Beim Bauherrn einer Hütte ist es wie bei einem Philosophen«, sagt Gaugg.
»Man arbeitet ständig an dem Werk und wird doch nie fertig.« Erst im vergangenen Sommer wurden die Schlafräume umgebaut. Die interessanteste Neuerung auf dem 2500 Quadratmeter großen Grund, den der Pleisentoni einst kaufte, ist allerdings schon 15 Jahre älter und steht etwas abseits der Hütte. Dort errichtete Siegfried mit einigen Freunden eine kleine Kapelle zum 80. Geburtstag des Vaters, nach dessen Plänen, natürlich in russischer Blockbauweise. Direkt daneben wurde Anton Gaugg wenige Jahre später auf eigenen Wunsch beerdigt. »Er ist erst der zweite Tiroler nach dem Gründer der SOS-Kinderdörfer, dem das außerhalb eines Friedhofs erlaubt wurde«, sagt sein Sohn. Der Pleisensiggi, der längst damit zufrieden wäre, als Hüttenwirt alt zu werden, versteht den letzten Wunsch seines Vaters nur zu gut. Er sagt: »Den Platz hat er schon gut gewählt.« Und er meint nicht nur das Grab.
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Text und Fotos: Dominik Prantl
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 12/2014. Jetzt abonnieren!
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