Selbstabsicherung und Standplatzbau | BERGSTEIGER Magazin
Sichern ohne Bohrhaken

Selbstabsicherung und Standplatzbau

Die Berge sind kein Klettergarten. Jenseits der Bohrhaken muss sich der Alpinist in eigener Regie seinen Weg durch den Fels suchen. In dieser Folge erklären wir Ihnen, wie Sie Ihre Routen selbst absichern, welche mobilen Sicherungsgeräte an Ihren Gurt gehören und wie Sie kontrolliert und sicher abseilen.

 
Selbstabsicherung am Fels - so geht's © Andreas Strauß
Selbstabsicherung am Fels - so geht's
Klettern ohne Bohrhaken: Für manche ist das eine Herzensangelegenheit. Sie wollen den Fels so unberührt zurücklassen, wie sie ihn vorgefunden haben. Doch auch wer die Existenz von Bohrhaken bisher nicht hinterfragt hat, wird sich irgendwann mit dem Thema beschäftigen müssen. Denn jenseits der Plaisirrouten sind die Wände mächtig, senkrecht und – hakenfrei. Da sich diese Folge an fortgeschrittene Kletterer wendet, setzen wir grundlegendes Wissen um Standplatzbau und Knotenkunde voraus. Wer hier noch unsicher ist, dem empfehlen wir einen Blick ins vorige Heft: Dort haben wir die Selbst- und Gefährtensicherung in gebohrten Routen erklärt.

Lebens-Versicherung: Selbstsicherung mit Keilen und Co.

Um eine Route selbst abzusichern, stehen dem Kletterer einerseits Klemmkeile zur Verfügung, andererseits Klemmgeräte wie Friends oder Camelots. Welche davon an den Hüftgurt gehören, hängt von der Beschaffenheit des Gesteins ab. Klemmkeile werden oberhalb von Felsverengungen in Rissen oder Löchern platziert und halten dort dank ihrer Keilform. Die Faustregel lautet: Je flächiger der Keil aufliegt, desto höher ist seine Haltekraft. Hat nur der obere Teil oder nur eine der beiden Seiten Berührungspunkte mit dem umgebenden Fels, besteht Durchrutschgefahr! Außerdem sollte die Belas- tungsrichtung zur Klemmrichtung passen. Ist der Keil platziert, wird er festgezogen. Bevor es weitergeht, wird der Routenverlauf überprüft: Besteht die Gefahr, dass die Seilbewegung den Keil herauswackeln könnte? Dann verlängert man den Keil besser mit einer Expressschlinge: Dadurch wird das Spiel der Seilkräfte auf die Expresse umgelenkt.

Ein Nachteil des Klemmkeils lässt sich allerdings auch nicht durch exakte Anwendung beheben: Sein Einsatzbereich ist limitiert. Wenn sich ein Riss nicht verjüngt, nützt auch der beste Keil nichts. Für solche Fälle gibt es Friends. Sie halten auch in parallelen Öffnungen und sogar in Löchern. Mittels Federzug lassen sie sich zusammenziehen und in eine Spalte schieben. Wird der Zugmechanismus entlastet, spreizt sich das Gerät – bei sauberer Handhabung – sturzfest ins Gestein. Dazu müssen alle vier Segmente möglichst symmetrisch aufliegen, sie dürfen weder extrem auf- noch eingeklappt sein. Im Idealfall liegt der Öffnungswinkel im mittleren Bereich. Beim Sturz entfaltet ein Friend eine Sprengkraft von bis zu 15 kN – daher auf soliden Fels achten!

Generell gilt: Sicherungsgeräte sollten niemals hinter eine Schuppe gelegt werden. Sie würde durch die Sturzbelastung ausbrechen – und die Lebensversicherung gleich mit.

Standplatz bauen 

Irgendwann wird sich der Kletterer entscheiden müssen, wo er seinen Standplatz einrichtet. Plaisirrouten machen es einem in diesem Fall leicht: Auf einem Plateau oder Felsvorsprung sind bereits zwei Haken für die Sicherung per Reihenschaltung angebracht.

Fehlt diese Basis, braucht es genügend gute Fixpunkte, um eine verlässliche Reihenschaltung aufzubauen und diese stabil zu verspannen. Der Standplatz muss der Belastung in jede Richtung standhalten – nach unten zum Nachsichern wie nach oben beim Sichern des Vorsteigenden. Baut man eine Standsicherung mit mobilen Sicherungsmitteln auf, so ist unbedingt darauf zu achten, dass der Zentralpunkt sowohl der Belastung nach oben wie auch nach unten standhält.

Ist der erste Fixpunkt gelegt, sichert sich der Kletterer selbst mit einem Mastwurf und Verschlusskarabiner. Dabei wird der Karabiner in das verknotete Ende einer wenigstens 120 Zentimeter langen Bandschlinge eingehängt. Ob es sich bei diesem Knoten um einen Sackstich oder ein Bulinauge (Zentralpunktauge) handelt, bleibt dem Einzelnen und seiner Knotenkenntnis überlassen. Danach werden die anderen Sicherungen zugeschaltet und je mit einem Mastwurf verspannt. Die Gefährtensicherung wird im Zentralpunkt angebracht, indem man einen Verschlusskarabiner verwendet und mit Halbmastwurf (HMS) nachsichert.

Richtig abseilen

Abseilen ist im Gebirge oft die einzige, in jedem Fall aber die schnellste Möglichkeit des Abstiegs. Damit die Talfahrt zur Krönung des Tages wird, braucht es einen 100 Prozent sicheren Fixpunkt. Dazu zählen Bohrhaken wie der Muniring, aber auch stabile Sanduhren oder Bäume. Besser im Sinne der Redundanz sind zwei Fixpunkte, die mit Reepschnüren oder Bandschlingen miteinander verbunden werden. In diesem Fall bleibt Material am Berg zurück, doch dafür hat man das sichere Gefühl, doppelt (redundant) gesichert in der Luft zu schweben. Nachdem sich der Kletterer am Abseilpunkt selbst gesichert hat, verschafft er sich einen Überblick: Wie verläuft die Abseilpiste? Wer mit zwei Halb- oder Zwillingsseilen klettert, kann beim Abseilen die doppelte Seillänge nutzen. Dazu verknotet der Kletterer beide Seile hinter dem Abseilpunkt mit einem Sackstich und lässt die Seilenden mindestens 50 Zentimeter weit überstehen. 

Wer die freien Seilenden ebenfalls mit Achter oder Sackstich sichert, verhindert ein versehentliches Abseilen über das Seilende hinaus. Steht dagegen nur ein Seil zur Verfügung, wird es bis zur Mitte durch den Fixpunkt geschlauft. Bei einem 60-Meter-Seil lässt sich so maximal 30 Meter abseilen. Jetzt werden die parallel laufenden Seilstränge aufgenommen, durch das Sicherungsgerät gefädelt und das Ganze mit Verschlusskarabiner am Anseilring des Gurts fixiert.

Als Bremse dient ein Kurzprusik: dazu eine Reepschnur als Prusikknoten um beide Seilstränge schlingen, die Enden mit Sackstich verknoten und mit Normalkarabiner in die Beinschlaufe einhängen. Der Prusik darf keinesfalls ins Abseilgerät rutschen, weil das System dann blockiert ist. Also besser zu kurz als zu lang knoten. Zuletzt den Abseilmechanismus nochmals auf Belastung testen, dann erst die Selbstsicherung lösen und in Falllinie abseilen. Wer am nächsten Standplatz ankommt, hängt seine Selbstsicherung dort ein, nimmt sich aus dem Seil und signalisiert das seinem Partner mit dem Ruf »Seil frei«. So geht es Etage um Etage den Fels hinab – bis alle miteinander wohlbehalten am Wandfuß angelangt sind.
Andrea Strauß
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 08/2011. Jetzt abonnieren!
 
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