Winterfluchten - Wandern auf Gran Canaria | BERGSTEIGER Magazin
Tiefe Canyons und warme Temperaturen beim Wandern auf Gran Canaria

Winterfluchten - Wandern auf Gran Canaria

Während der kalten Winterzeit locken Wanderer nur ein paar Flugstunden entfernt angenehme Temperaturen und Sonnenschein. Im ersten Teil unserer Serie »Winterfluchten« stellen wir Ihnen die schroffe Bergwelt und die tiefen Canyons auf Gran Canaria vor.

 
Winterfluchten - Wandern auf Gran Canaria © Uli Ertle
Der Blick reicht über den Roque Bentayga und das Meer bis Teneriffa.
Zu den erhebendsten Augenblicken des Bergsteigerdaseins gehört wohl der Moment, wenn man von unten, also aus der sogenannten »Suppe« kommend, die Wolkendecke durchstößt und auf einmal im gleißend hellen Sonnenlicht steht, einen tief blauen Himmel über sich. Wie leicht wird da das Herz! Imposante Berggipfel wachsen aus dem Nebelmeer, die Welt sieht aus wie in Watte gepackt. Die Sonne wärmt.

Man schlüpft aus der Jacke und hat sich und der Welt einmal mehr bewiesen, dass man der schönsten Freizeitbeschäftigung der Welt nachgeht. Nun sind diese Momente während der Wintermonate leider rar. Lethargie macht sich breit und ein Entschluss wird zur fixen Idee: Nichts wie raus hier, einfach weg, auf direktem Weg in die Sonne.

Wandern auf Gran Canaria

Zum Beispiel nach Gran Canaria. Die kleine Kanareninsel im Atlantik auf Höhe der Sahara konserviert Dank der ausgewogenen Einflüsse von Sonne, Passatwinden und dem Golfstrom das ganze Jahr hindurch ein angenehmes Frühlingsklima. Die durchschnittliche Temperatur beträgt 24 Grad, während der Wintermonate steigt das Quecksilber im Schnitt auf 20 bis 22 Grad.

Na also! Winter, du kannst uns mal! Eine Bergkette teilt die Insel klimatisch Gran Canaria ist eine annähernd kreisrunde Insel vulkanischen Ursprungs, auf der man im Süden wüstenähnliche Dünen, im Norden alte Kiefernwälder und im Zentrum zerklüftete Canyons und schroffe Berggipfel findet. Knapp die Hälfte der Insel steht unter Naturschutz.

Bedenkt man die doch überschaubare Größe von 55 Kilometern im Durchmesser (an der breitesten Stelle), so ist der höchste Berg, der Pico del Pozo delas Nieves, mit seinen knapp 2000 Metern Höhe doch recht imposant. Eine zentrale Gebirgskette, der Cumbre, teilt die Insel klimatisch in zwei Hälften. 

Im Zentrum der Insel

Der Süden wartet mit subtropischen Temperaturen und meist blauem Himmel auf. Hier sind die Badeurlauber zuhause. Ein 17 Kilometer langer Sandstrand lockt die Sonnenanbeter, die sich in und um Maspalomas in eines der zahlreichen Resorts einmieten. Der Atlantik ist mit 18 bis 22 Grad Wassertemperatur angenehm warm. Für Wanderer ist hier allerdings nicht viel zuholen.

Sie finden in der Regel das Zentrum und den nördlichen Teil der Insel reizvoller. Hier spürt man den Einfluss der Passatwinde, die an der natürlichen Barriere in der Inselmitte hängen bleiben. Die Feuchtigkeit kondensiert an den Pflanzen, so dass die Vegetation in einigen Tälern eher an Asien als an Europa erinnert. Uralte Kiefernwälder dominieren die Bergrücken.

»Die kanarische Kiefer ist ein außergewöhnlichzäher Baum«, sagt Rafael Molina (38), Bergführer auf Gran Canaria. Vor sechs Jahren, im Juli 2007, habe ein verheerender Waldbrand auf der Insel gewütet und weite Teile des alten Baumbestandes vernichtet. Noch heute sieht man, aller Wiederaufforstprojekte zum Trotz, große Lücken im Bergwald und viele schwarz verkohlte Baumstämme – aus denen, Wunder der Natur, frische grüne Triebe sprießen.

»Die kanarische Kiefer kann Temperaturen von über 300 Grad Celsius aushalten«, sagt Molina. Auch wenn die Hülle verbrennt bleibt ein Kern in der Mitte des Stammes am Leben. Im Sommer erreichen die Temperaturen an außergewöhnlich heißen Tagen bis zu 40 Grad, weswegen in den Bergwäldern absolutes Rauchverbot herrscht – das ganze Jahr hindurch. »Niemand darf hier Feuermachen oder seine Zigaretten wegwerfen«, sagt Molina. Die Feuerwehr patrouilliert täglich und verhängt empfindlich hohe Bußgelder bei Zuwiderhandlung.

Wohnen im Fels

Molina zeigt seine Insel gern und hat eine einfache, aber wunderschöne Wanderung ausgesucht. Über sanfte Hänge führt der Weg vom Zentrum der Insel aus in Richtung Westen, vorbei an imposanten Naturdenkmälern und den Höhlen der Ureinwohner der Insel, der prähispanischen Bevölkerung. In Stammesgesellschaften organisiert, teilten sich Sippen die Insel auf. 

Als die Spanier die Kanaren im 16. Jahrhundert eroberten, trafen sie dort auf Menschen,die noch wie in der Steinzeit lebten. Die Bewohner hausten in Höhlen, die zum einen heute noch zu besichtigen sind oder teils sogar noch heute bewohnt werden. Es sei, so sagt Molina, einfach billiger, in den weichen Stein zu graben, als ein Haus zubauen. »Wir Canarios müssen auf unser Geld achten.« Die europäische Wirtschaftskrise hat Spanien fest im Griff.

Ausgangspunkt der Tour ist Cruz de Tejeda im Zentrum der Insel. Der Ort ist zugleich der geografische Mittelpunkt und die Kreuzung einiger wichtiger Traversen quer durch die Insel. Von hier aus wandert man nach Artenara und Teror, zum Roque Nublo (dem spektakulären Felsen und Wahrzeichen der Insel) oder zum Barranco de la Mina. Auch ein Jakobsweg wurde quer durch die Insel gelegt, der das Cruz de Tejeda passiert.

Auf einem großen Parkplatz kann man das Auto bequem abstellen, die Buslinien 18 und 305 bringen die Wanderer wieder zurück zum Ausgangspunkt. Man sollte sich aber unbedingt vorher über den Fahrplan informieren. Die ersten 20 Minuten führt ein sandiger Pfad in Richtung Norden steil hinauf zum Paso Blanco, dem mit 1670 Meter höchsten Punkt der Tour. Innerhalb kürzester Zeit hat man die knapp 300 Höhenmeter hinter sich gebracht und genießt nun den Blick auf den großen Canyon, der die Bergwelt durchschneidet und nach Westen sanft in Richtung Meer abfällt.

Blick zum Teide

Gut sichtbar sind linkerhand die markanten Gipfel des Roque Nublo und des Roque Bentayga. Im Dunst über dem Atlantik ist der Teide zu sehen, der höchste Berg der kanarischen Inseln auf Teneriffa. Auf einem angenehmen Höhenniveau führt uns der Weg nun leicht bergab durch Kiefernwälder und sandige Pisten in Richtung Artenara, dem höchstgelegenen Dorf Gran Canarias mit den herrlichen Höhlenhäusern. Breite Forstpisten machen die Wanderung meist zu einem Spaziergang.

Nicht zu unterschätzen sind für Winterflüchtlinge die im Februar zunächst ungewohnten Temperaturen und die hoch stehende Sonne. »Die meisten Einsätze der Bergrettung auf Gran Canaria haben deshalb mit Kreislauferkrankungen zu tun«, sagt Molina. Wichtig seien eine Kopfbedeckung und ausreichend zu trinken. »Mindestens zwei Liter Wasser, eher mehr«, rät er.

Aus dem Kiefernwald heraus geht es auf einem schmalen Weg hinunter nach Artenara, das Dorf mit den Höhlenhäusern, wo sogar der Glockenturm des Dorfkirchleins durch eine Felswand hindurch geführt wurde. Man lässt den Blick über die Landschaft schweifen oder setzt sich in eines der Straßencafés. Langsam schmilzt die Sonne den Winter aus den Knochen.

Wenn dieses Stadium erreicht ist, hat man den ersten, nicht eben einladenden Eindruck der Insel bereits verdaut. Grau-braune Sandsteinhügel dominieren das Bild an der Ostküste, zwischen Flughafen, der Autobahn GC-1 und der Hauptstadt Las Palmas verschmelzen die Outlet-Center zu einer einzigen Shopping-Mall: Ikea und McDonald’s, Aldi und Lidl gibt’s also auch hier.

Immerhin: Man fährt bei geöffnetem Fenster und spürt die warme, salzige Luft. Zusehens versöhnt man sich mit der Welt, die wenig später, wenn man ein Bergdörfchen erreicht hat, wieder völlig in Ordnung ist: Bei einem Glas Rotwein sitzt man im Freien, hört allenthalben die Grillen zirpen und die Vögel singen. Der Sommer. Er hat uns wieder.

Wandern auf leichten Routen

Für Wanderer hält Gran Canaria ein reichhaltiges Angebot bereit. Von kurzen Touren durch grüne Hügellandschaften über knifflige Routen durch schroffe Canyons bietet die Insel ein schönes Spektrum an Möglichkeiten. Tendenziell sind die Wanderungen einfach bis mittelschwer. Ehemalige Handelsrouten durchziehen die Insel und offerieren ein dichtes, rund 300 Kilometer langes Wegenetz. Diese Verbindungen sind meist Sand- oder Lavapisten, auf denen Trittsicherheit gefragt ist – Lava ist extrem rutschig.

Zum Teil geht man auf alten »Caminos Reales«, die bereits von den Ureinwohnern angelegt wurden. Hin und wieder führen die Wanderungen auch durch Bachbetten oder über schmale Pfade entlang ausgesetzter Stellen. Die Berge sind schroff und erinnern mit ihren tiefen Einschnitten, den Barrancos, an die großen Canyons in den USA. Immer wieder schmiegen sich, Oasen gleich, weiße Bergdörfer an die Hänge, umgeben von Orangen- oder Bananenplantagen, Mandelbäumchen oder den typischen gedrungenen Palmen.

Unter ihnen ist Tejeda, das Zentrum der Mandel- und Marzipanproduktion, einen Besuch wert. Ende Januar feiern sie dort das Mandelblütenfest, eine Woche später in Valsequillo. Wer es noch bunter möchte, dem sei Ende Februar der Karneval in Las Palmas ans Herz gelegt. Doch wir sind ja eigentlich zum Wandern da.
 
Text und Fotos: Uli Ertle
 
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