Reit-im-Winkl: Klettersteige mit TÜV-Zertifikat | BERGSTEIGER Magazin
Felsenfest: Klettersteige bei Reit im Winkl

Reit-im-Winkl: Klettersteige mit TÜV-Zertifikat

Der Hausbachfallsteig in Reit im Winkl ist der erste TÜV-geprüfte Klettersteig Deutschlands. Zusammen mit dem Schuasta-Gangl durch die Steinplatte bietet er Klettersteiglern ein lohnendes Duett für ein Wochenende in der Vertikalen.
Von Norbert Eisele-Hein (Text und Bilder)
 
Blumenmeer unter steilem Fels: Der »Schuasta-Gangl geizt nicht mit Reizen. © Norbert Eisele-Hein
Blumenmeer unter steilem Fels: Der »Schuasta-Gangl geizt nicht mit Reizen.
»Zum TÜV muss ich auch noch«, jammert Mann meist und meint damit eigentlich sein Auto. Und schon schwingt eine Mischung aus Respekt, Nervosität und unterschwelliger Angst in der Stimme. Hoffentlich beanstandet der TÜV nichts. Reißt der Besuch in der Werkstatt wieder ein klaftertiefes Loch in den Geldbeutel, ehe die begehrte Prüfplakette für zwei Jahre Ruhe und Sicherheit verschafft? Umgekehrt beim Tretroller für die Kids oder dem Wasserkocher: Da wird der TÜV sofort zum Verbündeten des Zeigefinger-bewehrten Über-Papis. Der Nachwuchs soll ja nicht mit Lenkerbruch aus der Kurve fliegen, und der Wasserkocher nicht explodieren, wenn man gerade den Frühstückstee bereitet.

Dass der Technische Überwachungsverein nun auch ein Auge auf Klettersteige wirft, kann auf keinen Fall schaden. Denn im steilen Fels kann bereits eine lockere Schraube fatale Folgen haben. Zumal Klettersteiggehen boomt. Die Kosten für die Ausrüstung sind mit knapp 150 Euro überschaubar. Damit werden Wände machbar, die sonst den Kletter-Assen vorbehalten sind. Gemogelt, sagen manche, dabei ist Schwindelfreiheit auch an Klettersteigen Grundvoraussetzung. Seile und Leitern, Bügel und Klammern degradieren zwar das Abenteuer des Freikletterns, bringen das luftige Erlebnis dafür in die Reichweite einer viel größeren Zielgruppe. Klettersteige bieten den kalkulierten Kick und liegen daher ebenso im Trend wie Hallenklettern und Pistenskitouren. Nicht jeder ist gewillt, am Berg seine Grenzen zu verschieben, wenn alpine Infrastruktur ein steiles Erlebnis auch angstfrei möglich macht.

Tiefblicke mit Adrenalinkick am Hausbachfall-Klettersteig

Der Hausbachfall-Steig in Reit im Winkl ist nun Deutschlands erster TÜV-geprüfter Klettersteig. Das TÜV-Logo am Einstieg beschert ein fast schon irrational heimatlich-mütterlich-positives Gefühl: Die Seile werden halten, aber flacher wird der Fels davon nicht. Vor uns liegen 170 Höhenmeter im Schwierigkeitsgrad C, eine Stunde Durchstiegszeit wird dafür veranschlagt. Das Stahlseil führt über einen bauchigen Fels. Da heißt es zupacken, den Bizeps schon mal aufjaulen lassen, die Tritte sorgsam auswählen. Eine fast überhängende Leiter entschärft die Steilstufe neben einer Höhle. Dank der Steighilfen kommen wir in den Genuss einer wundervoll luftigen Route, die direkt durch eine zauberhafte Wasserfallschlucht führt. In den Quergängen über den ausgewaschenen Rinnen des Wasserfalls gluckst es leise. In der Wand hängende Holzbalken entlasten die Arme, fordern das Gleichgewicht. Seilbrücken über Nebenarme des Hausbachs sorgen für Tiefblicke mit Adrenalinkick. Ein langer exponierter Quergang erzeugt einen meditativen Flow, der diesmal nicht von Gedanken an lockere Schrauben oder rostige Stahlseile unterbrochen wird. Konzentriert die Karabiner ein- und ausklinken, voranschreiten.

Noch einmal über eine schwankende Seilbrücke tänzeln. Über einen schmalen Baum balancieren. Geschafft. Durchatmen, trotz TÜV, und dann das Panorama genießen: Der Blick zurück in die Schlucht ist fast kitschig, und auch die Steinplatte, unser nächstes Ziel, lächelt uns mit ihrer in der Sonne erglühenden Gipfelwand entgegen.

Im Schuasta-Gangl schlottern die Knie

Eines gleich vorweg. Die Steinplatte ist alles andere als platt. Sie reckt ihren wulstigen Bierbauch dem nahen Wilden Kaiser entgegen. Dahinter strahlen die Hohen Tauern wie frisch gebleachte Hollywood- Schönheiten um die Wette. Der Zustieg über den Gamssteig ist ein Gedicht. Gleich zu Beginn fordern ein paar knifflige Passagen zwingend das Anlegen der kompletten Montur. Ein Wanderpfad durch einen Blütentraum aus Sumpfdotterblumen, Schusternagerl und Enzianen lenkt Augen und Bronchien bis zum Wandfuß ab, ehe das »Schuasta-Gangl« abrupt in die Höhe schießt. Der Klettersteig ist zwar nicht TÜV-überwacht, aber stets gut versichert.

Senkrechte Seile und Behelfstritte führen hinauf in einen kurzen Rinnenkamin, genannt »Himmelsleiter«. Gut versicherte Quergänge und schier senkrechte, mit Trittstiften gangbar gemachte Aufschwünge führen zum »Knie-Schladerer« – warum diese Passage um einen unverschämt ausgesetzten Turm herum so heißt, klärt sich beim Tieflick ganz von alleine, auch wenn erfahrene Klettersteigler bei dieser Variante eher leuchtende Augen als schlotternde Knie bekommen werden. Über eine kurze Seilbrücke führt der Steig wieder auf die Hauptroute. Ein harmloser Wanderweg führt die letzten Höhenmeter zum Gipfelkreuz, wo die Chiemgauer und Berchtesgadener Platzhirsche ein gewaltiges Panorama an den Horizont zeichnen. Weit reicht der Blick in die Runde, vom Sonntagshorn hinüber zu Watzmann und Hochkalter. Wir klatschen kurz ab und nicken nur stumm. Packen die Brotzeit aus und unsere Glückshormone schuhplatteln um die Wette.

Hausbachfall-Klettersteig

  • Schwierigkeit: leicht/B u. C
  • Dauer: 1 Std.
  • Höhendifferenz:  ↗70 Hm, 170 Hm
  • Ausgangspunkt: Vom Festsaal Reit im Winkl, Tiroler Str. 37, erreicht man den Klettersteig in ca. 15 Minuten. Der Einstieg befindet sich hinter der Kirche am Grünbühel beim Natur-Barfußpark.
  • Verlauf: Beim Auffangbecken unterhalb des Einstiegs gibt es eine Übungsstrecke und Übersichtstafel. Nach dem Einstieg bei der Höhle steil empor und kurz queren, ehe drei Holzbalken zu einer weiteren steilen Passage leiten. Von einem Absatz führt eine Seilbrücke in die zweite Hälfte des Klettersteigs, die etwas einfacher ist. Über die Baumstammbrücke zum Ausstieg.
  • Abstieg: Nach der Baumstammbrücke auf einem alpinen Steig rechts des Hausbachfalls in etwa 30 Minuten hinab zur Kirche.
  • Info: Topo unter www.reitimwinkl.de/sommerurlaub/klettersteig-in-bayern-chiemgau; geführte Touren durch SAYAQ Adventures GmbH (ca. 50 Euro pro Person), Anmeldung unter Tel. 0 86 40/7 96 92 90. Der Klettersteig ist im Sommer je nach Wetterlage geöffnet.

Schuasta-Gangl Klettersteig

  • Schwierigkeit: mittel/C
  • Dauer: 2 Std.
  • Höhendifferenz: 250 Hm, 250 Hm
  • Anfahrt: Von Seegatterl mit der Gondel zur Winklmoosalm und dann in einer Stunde Wanderung zum Gamssteig, der auch von der Bergstation der Steinplatte erreichbar ist. Von dort in 30 Minuten zum Wandfuß.
  • Verlauf: Vom Einstieg kurz empor, und nach links zum Rinnenkamin der »Himmelsleiter«. Nach einer erdigen Rinne führen Steilstufen bis zu einer Kante, hinter der man in eine Schlucht mit großem Turm quert. Hier entweder Variante um den Turm herum, oder leichter die Schlucht empor bis zum Beginn der Gipfelwand. Klammern leiten eine Rampe hinauf zu einem kurzen Steilstück, danach kurz flacher bis zur Schlusspassage, über die man zum Plateau aussteigt.
  • Abstieg: Von der Steinplatte in 45 Minuten zur Gondel nach Waidring oder zurück zur Winklmoosalm in ca. 90 Minuten.
Tipp für Anfänger und Familien: Vor dem ersten Klettersteig kann man im Kletterwald bei Reit im Winkl erste vertikale Gehversuche unternehmen: Tel. 0 86 42/ 5 95 56 50, www.parkeroutdoor.com

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Fotos: 
Norbert Eisele-Hein
Artikel aus Bergsteiger Ausgabe 05/2014. Jetzt abonnieren!
 
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